TE OGH 2020/7/2 4Ob74/20s

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Veröffentlicht am 02.07.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und
die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin M*****ges.m.b.H., *****, vertreten durch Preslmayr Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die Beklagte R***** GmbH, *****, vertreten durch Knirsch, Gschaider & Cerha Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 64.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 24. März 2020, GZ 1 R 21/20w-20, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Streitteile stehen beim Vertrieb von Blutzuckermessgeräten im Wettbewerb. Die in Deutschland ansässige Beklagte hat die inländische Klägerin zur Abgabe einer Unterlassungserklärung mit der Behauptung aufgefordert, ihr stehe ein lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsanspruch gegen die Klägerin wegen irreführender Angaben auf deren Produktverpackungen zu.

Die Klägerin begehrt mit der gegenständlichen Klage im Kern die Feststellung, dass die Beklagte keinen Unterlassungsanspruch gegen sie im Zusammenhang mit dem Bewerben von Blutzuckermessgeräten habe. Die auf den Produktverpackungen der Klägerin angebrachten Angaben entsprächen den Tatsachen und seien zulässig.

Die Beklagte wendete unter anderem die fehlende internationale und örtliche Zuständigkeit ein. Es liege kein Wettbewerbsverhältnis in Österreich vor. Sie habe die Klägerin auch nur aufgefordert, die beanstandeten Werbemaßnahmen in Deutschland zu unterlassen.

Das Erstgericht erklärte sich für international unzuständig und wies die Klage zurück. Sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort der behaupteten Lauterkeitsrechtsverstöße der Klägerin lägen in Deutschland, weil es um die Irreführung deutscher Verbraucher mittels an diese gerichtete Werbung gehe. Auch habe die Beklagte nur Ansprüche in Deutschland durchsetzen wollen, sodass es schon deswegen an einem Bezug zum österreichischen Markt fehle.

Das Rekursgericht behob den Beschluss des Erstgerichts und trug ihm die Einleitung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Der Handlungsort des von der Beklagten behaupteten Wettbewerbsverstoßes der Klägerin liege in Österreich, da sie hier die Waren produziere, verpacke, (erstmalig) in Verkehr bringe, vertreibe und die angeblich irreführende Werbung gestalte und online stelle. Die Bestreitung der örtlichen Zuständigkeit sei unsubstanziiert. Den Wert des Entscheidungsgegenstands bemaß das Rekursgericht mit 30.000 EUR übersteigend, und es erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.

Die Beklagte macht in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs geltend, der beeinträchtigte Markt aus der maßgeblichen Perspektive der Beklagten und damit der Erfolgsort liege in Deutschland. Dies gelte auch für den Handlungsort, weil das ursächliche Handeln der Feststellungsklägerin als potenzielle Schädigerin erst mit dem Inverkehrbringen ihrer Ware auf dem Markt in Deutschland begonnen habe. Daran ändere auch die Gestaltung und das Online-Stellen der Inhalte der Website am Sitz der Klägerin nichts, weil dies Vorbereitungshandlungen seien und die von der Beklagten beanstandeten Handlungen der Klägerin ausschließlich in Deutschland stattgefunden hätten.

Mit diesen Ausführungen zeigt die Beklagte keine erheblichen Rechtsfragen auf. Der Revisionsrekurs ist daher unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

1.1. Aufgrund der Klagseinbringung vor dem 10. 1. 2015 ist auf den gegenständlichen Fall noch die EuGVVO idF VO (EG) Nr 44/2001 anzuwenden.

1.2. Art 5 Nr 3 leg cit gewährt im Zusammenhang mit unerlaubten Handlungen die Zuständigkeit des Gerichts am Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Dabei handelt es sich nach Wahl des Klägers sowohl um den Erfolgsort oder Schadenseintrittsort, als auch um den Handlungsort. Fallen beide Orte auseinander (Distanzdelikt), kann der Kläger zwischen dem Handlungsort und dem Erfolgsort als Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit wählen (RS0115357; RS0109078). Zu den unerlaubten Handlungen zählen auch Wettbewerbsverstöße (EuGH C-360/12, Coty Germany GmbH [Rn 42]).

2.1. Zu negativen Feststellungsklagen hat der EuGH in der Entscheidung C-133/11, Folien Fischer AG, ausgesprochen, dass die Anwendbarkeit des Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 nicht dadurch ausgeschlossen ist, dass sich die Parteirollen umkehren (Rn 45 f). Die internationale Zuständigkeit für eine negative Feststellungsklage ist vielmehr danach zu prüfen, ob die dem Klagssachverhalt zugrundeliegende, angeblich unerlaubte [dort: kartellrechtswidrige] Handlung einen Anknüpfungspunkt iSd Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 bietet (Rn 52 f). Wenn die Umstände, die bei einer negativen Feststellungsklage in Rede stehen, eine Anknüpfung an den Staat rechtfertigen können, in dem sich entweder das ursächliche Geschehen ereignet hat oder der Schaden eingetreten ist oder einzutreten droht, kann der Kläger den Beklagten an einem dieser Orte verklagen (Rn 39, 52). Ob die Feststellungsklage nach nationalem Recht zulässig oder begründet ist, darf hingegen nicht geprüft werden (Rn 50).

2.2. Der Senat hat in der Entscheidung 4 Ob 55/18v, Gold Rentier, ausgesprochen, dass es auch dem „potenziellen Schuldner“ möglich sein muss, vor dem Gericht des Handlungs- oder des Erfolgsorts zu klagen, vor dem auch der vermeintlich Geschädigte klagen könnte. Demnach ist ungeachtet der konkreten Parteirollen zu prüfen, wo der Schädiger ursächlich gehandelt hat (Handlungsort) bzw der Schaden des Geschädigten eingetreten ist (Erfolgsort).

3.1. Das Rekursgericht geht im hier zu beurteilenden Fall davon aus, dass der Handlungsort des in Rede stehenden unlauteren Verhaltens der Klägerin im Inland (am Sitz der Klägerin) liegt. Der Revisionsrekurs rügt, die Beklagte habe sich nicht auf Handlungen im Inland, sondern bloß auf solche in Deutschland bezogen.

3.2. Entgegen diesem Argument im Revisionsrekurs ist nach der Rechtsprechung der Umfang der Abmahnung der Beklagten für den Handlungsort iSv Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 nicht von entscheidender Bedeutung. So besteht nach der Entscheidung des EuGH zu C-133/11, Folien Fischer AG, Rn 49, Identität des Streitgegenstands zwischen negativer Feststellungsklage und Klage auf Schadenersatz bzw Unterlassung. Bei der negativen Feststellungsklage sind zwar die Rollen verkehrt, was aber keine Auswirkungen auf die mit Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 verfolgten Ziele der Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands hat.

Auch in der Entscheidung 4 Ob 55/18v, Gold Rentier, hat der Senat (zu einer negativen Feststellungsklage) ausgesprochen, dass es für die Zuständigkeit darauf ankommt, wo der Kläger (Schädiger) ursächlich gehandelt hat (und nicht, wo er nach der Behauptung des Beklagten gehandelt habe). Somit hat auch bei der negativen Feststellungsklage der Kläger die Wahl, ob er – in Bezug auf seine Handlung – am Erfolgs- oder am Handlungsort klagt. Diese Wahl wäre ihm genommen, wollte man nur auf die Beanstandung durch den Beklagten abstellen.

3.3. Handlungsort ist der Ort des schadensbegründenden Geschehens, das heißt der Ort, an dem das schadensbegründende Geschehen seinen Ausgang nahm (4 Ob 214/15x). Der Handlungsort liegt auch dann im Inland, wenn vom Inland aus in tatbestandsmäßiger Weise auf das ausländische Marktgeschehen eingewirkt wurde, etwa durch die Herstellung nachgeahmter oder sonst unlauter aufgemachter Erzeugnisse oder die Gestaltung irreführender Werbung zum Zweck des Vertriebs auch im Ausland (vgl EuGH C-45/13, Kainz [Rn 29] zur Produkthaftung). Die von der Revisionsrekurswerberin zitierte Entscheidung EuGH C-172/18, AMS Neve (zu Verletzungshandlungen im Internet nach der UMV) steht dem nicht entgegen, weil sie sich auf einen anderen Gerichtsstand bezieht. Zum hier maßgeblichen Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 beurteilte der EuGH in der Entscheidung C-523/10, Wintersteiger, Rn 37, jenen Ort als Ort der Niederlassung des Werbenden und damit als Handlungsort, an dem über das Auslösen des technischen Anzeigevorgangs entschieden wird.

4. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, Handlungsort sei (auch) Österreich, weil die angeblich irreführende Werbung dort gestaltet wurde und die Blutzuckermessgeräte mit der gerügten Verpackung versehen und sodann zielgerichtet im Ausland vertrieben werden, ist daher im Lichte der zitierten Rechtsprechung (vor allem) des EuGH nicht zu beanstanden.

Schlagworte

Blutzuckermessgeräte II,

Textnummer

E128659

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00074.20S.0702.000

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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