TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/21 I403 2141478-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.11.2019
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Entscheidungsdatum

21.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2141478-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH (ARGE Rechtsberatung), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.11.2016, Zl. 1091273710/151562000, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger, kam am 15.10.2015 gemeinsam mit seiner Schwester und deren Kindern auf eine Polizeistation und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu diesem Zeitpunkt lebte der Ehemann seiner Schwester bereits als Asylwerber in Österreich.

Bei der am 15.10.2015 stattfindenden Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er an, dem sunnitischen Glauben anzugehören und von Schiiten bedroht zu werden.

In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde; BFA) am 27.10.2016 wiederholte er, dass seine Familie und er durch eine schiitische Miliz bedroht würden.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 15.11.2016 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Das Vorbringen des Beschwerdeführers wurde für nicht glaubhaft befunden, unter anderem weil sich Widersprüche zu den Angaben seines Schwagers ergeben hätten.

Gegen den Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, eine Vollmacht für die Vertretung durch die „Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH“ und „Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH“ vorgelegt und im Wesentlichen Folgendes vorgebracht: Die Verwandten des Beschwerdeführers seien von Mitgliedern einer schiitischen Miliz bedroht und verfolgt worden. Er habe Angst gehabt, selbst ins Visier der schiitischen Miliz zu geraten. Die Miliz Asaib Al ahl-Haqq sei dem irakischen Staat zuzurechnen. Die sunnitische Bevölkerung werde durch die schiiischen Milizen verfolgt und durch die irakische Regierung diskriminiert.

Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid hinsichtlich des ersten Spruchpunktes beheben und dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten zuerkennen; feststellen, dass die Abschiebung auf Dauer unzulässig sei sowie die Rückkehrentscheidung beheben; in eventu den angefochtenen Bescheid hinsichtlich des ersten Spruchpunktes beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverweisen; eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen.

Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 07.12.2016 vorgelegt. Am 05.11.2018 wurde eine Bestätigung über die am XXXX 2018 absolvierte Taufe des Beschwerdeführers vorgelegt.

Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes wurde der Akt der Gerichtsabteilung I403 neu zugewiesen und dieser am 01.07.2019 vorgelegt. Am 05.11.2019 wurde eine mündliche Verhandlung abgehalten, im Zuge derer der Beschwerdeführer sowie Mitglieder seiner Kirchengemeinde befragt wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige und unbescholtene Beschwerdeführer ist illegal in das Bundesgebiet eingereist und hält sich seit Oktober 2015 und damit seit vier Jahren in Österreich auf. Seine Identität steht fest. Er ist Staatsangehöriger des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an und war sunnitisch-muslimischen Glaubens. Am XXXX 2018 wurde er von einem Pastor einer österreichischen Freikirche/Pfingstgemeinde getauft. Der Beschwerdeführer ist allerdings nicht aus einer tiefen inneren Überzeugung heraus konvertiert.

Der Beschwerdeführer hat vor der Ausreise mit seiner Familie in Bagdad gelebt. Er ist ledig und hat keine Kinder. Seine Kernfamilie besteht aus seinen Eltern, zwei Schwestern und zwei Brüdern. Sein Schwager verließ den Irak bereits im Juli oder August 2015; der Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seiner Schwester und deren Kindern im Oktober 2015 per Flug in die Türkei aus. Sein Schwager und seine Schwester kehrten gemeinsam mit ihren Kindern am 27.12.2016 freiwillig in den Irak zurück. Der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt zu ihnen. Seine Eltern und seine drei weiteren Geschwister haben den Irak ebenfalls verlassen; der Beschwerdeführer hatte zuletzt im März 2016 zu ihnen Kontakt; zu diesem Zeitpunkt hielt sich seine Familie in der Türkei auf.

Der Beschwerdeführer besuchte in Bagdad für zehn bis zwölf Jahre die Schule; zum Zeitpunkt seiner Ausreise studierte er Wirtschaftswissenschaften. Er stammt aus der Mittelschicht.

Der Beschwerdeführer leidet an einem schuppigen Hautausschlag, ansonsten ist er gesund.

Der Beschwerdeführer erwarb in den vier Jahren seines Aufenthaltes in Österreich Deutschkenntnisse und begann mit einem Kurs zum Erwerb des Pflichtschulabschlusses. Er ist ehrenamtlich am Bauhof tätig und hat zahlreiche Freundschaften im Rahmen seiner Kirchengemeinde geschlossen.

1.2. Zu den Fluchtmotiven und einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer verließ den Irak nicht aufgrund einer Verfolgung durch schiitische Milizen. Er ist einer solchen auch im Falle seiner Rückkehr in den Irak nicht ausgesetzt.

Der Beschwerdeführer ließ sich in Österreich taufen und ist in eine Pfingstgemeinde der Österreichischen Freikirchen integriert. Allerdings erfolgte die Konversion nicht aus einer tiefen inneren Überzeugung, so dass für den Fall der Rückkehr in den Irak nicht davon auszugehen ist, dass er weiterhin dem christlichen Glauben folgen wird und dadurch Verfolgung zu befürchten hätte.

Eine besondere Rückkehrgefährdung für den aus Bagdad stammenden und gesunden sowie erwerbsfähigen jungen Mann besteht nicht.

1.3. Zur Situation im Irak:

Zur aktuellen Situation im Irak werden auf Basis des aktuellen Länderinformationbslattes und von Berichten von EASO und UNHCR folgende Feststellungen getroffen:

1.3.1. Zur Sicherheitssituation in Bagdad

Obwohl die terroristischen Aktivitäten im Irak deutlich zurückgegangen sind, stellt der Islamische Staat (IS) nach wie vor eine Bedrohung dar (SCR 30.4.2019). Nachdem der IS am 23.3.2019 in Syrien das letzte von ihm kontrollierte Territorium verloren hatte (ISW 19.4.2019), kündigte er Anfang April einen neuen Feldzug an, um den Gebietsverlust in Syrien zu rächen (Joel Wing 3.5.2019).

Laut Joel Wing ist Bagdad ist allerdings eine weitgehend vergessene Front des Islamischen Staates (IS). Seit Anfang des Jahres 2019 wurden dort wochenweise überhaupt keine terroristischen Aktivitäten verzeichnet (Joel Wing 3.5.2019). Der IS versucht jedoch wieder in Bagdad Fuß zu fassen (Joel Wing 3.5.2019) und baut seine „Unterstützungszone“ im südwestlichen Quadranten der „Bagdad-Belts" wieder auf, um seine Aktivitäten im Gouvernement Anbar mit denen in Bagdad und dem Südirak zu verbinden (ISW 19.4.2019). Alle im Gouvernement Bagdad verzeichneten Angriffe betrafen nur die Vorstädte und Dörfer im Norden, Süden und Westen (Joel Wing 3.5.2019; vgl. Joel Wing 1.7.2019). Während es sich dabei üblicherweise nur um kleinere Schießereien und Schussattentate handelte, wurden im Juni, bei einem kombinierten Einsatz eines improvisierten Sprengsatzes mit einem Hinterhalt für die den Vorfall untersuchenden, herankommenden irakischen Sicherheitskräfte, sechs Soldaten getötet und 15 weitere verwundet (Joel Wing 1.7.2019) .

Im April 2019 wurden zehn sicherheitsrelevante Vorfälle im Gouvernement Bagdad verzeichnet (Joel Wing 3.5.2019). Diese führten zu sieben Toten und einer verwundeten Person (Joel Wing 1.5.2019). Auch im Mai 2019 wurden zehn Vorfälle erfasst, mit 16 Toten und 14 Verwundeten. Ein weiterer mutmaßlicher Vorfall, eine Autobombe in Sadr City betreffend, ist umstritten (Joel Wing 5.6.2019). Im Juni gab es 13 Vorfälle mit 15 Toten und 19 Verwundeten (Joel Wing 1.7.2019).

Am 19.5.2019 ist eine Rakete des Typs Katjuscha in der hoch gesicherten Grünen Zone in der irakischen Hauptstadt Bagdad, Standort der US-Botschaft, sowie einiger Ministerien und des Parlaments, eingeschlagen und explodiert. Verletzte oder Schäden habe es laut dem irakischen Militär nicht gegeben (DS 19.5.2019).

In Ergänzung zu diesen Feststellungen des Länderinformationsblattes ergibt sich aus den Berichten von EASO und UNHCR Folgendes:

Im Dezember 2017 wurde, nach einem dreijährigen Kampf, von der irakischen Regierung der Sieg über den Islamischen Staat (IS) erklärt. Seither gibt es keine großflächigen Militäraktionen mehr und wurden die Attacken des IS im Laufe des Jahres 2018 weniger. Trotzdem bleibt der IS als terroristische Organisation eine Gefahr und in der Lage, landesweit Anschläge zu verüben. Insbesondere in den zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der Regierung der Autonomen Region Kurdistan umstrittenen Gebiete ist ein Sicherheitsvakuum entstanden und der IS wieder vermehrt aktiv (Auswärtiges Amt 4).

In Bagdad hat sich die Sicherheitssituation im Wesentlichen stabilisiert. 2018 blieb der IS noch in den kleinen Dörfern rund um Bagdad aktiv und hat gelegentlich zivile Ziele angegriffen; seine entsprechende Kapazität, um größere Anschläge zu verüben, hat sich aber stark reduziert (UNHCR, Considerations 19). Die Anzahl der Entführungen hat in den letzten Jahren in Bagdad massiv abgenommen, allerdings gibt es noch immer gezielte Tötungen von exponierten Personen (UNHCR, Considerations 19). Bagdad ist eine der wenigen Regionen des Irak, in der es noch eine gemischte Bevölkerung aus Sunniten, Schiiten und Christen gibt, wenn auch seit 2006 eine zunehmende Aufteilung der Stadtviertel anhand religiöser Grenzen erfolgt ist (EASO, Key socio-economic Factors 29).

Quellen:

Der Standard (19.5.2019): Rakete schlägt in Grüner Zone in Bagdad ein, https://derstandard.at/2000103450186/Rakete-schlaegt-in-Gruener-Zone-in-Bagdad-ein. Zugriff 14.6.2019

ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html. Zugriff 17.6.2019

Joel Wing, Musings on Iraq (1.5.2019): Security In Iraq Apr 22-28, 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/securitv-in-iraq-apr-22-28-2019.html. Zugriff 14.6.2019

Joel Wing, Musings on Iraq (3.5.2019): Islamic State Announces New Offensive But Amounts To Little So Far, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/islamic-state-announces-new- offensive.html, Zugriff 14.6.2019

Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html. Zugriff 14.6.2019

Joel Wing, Musings on Iraq (1.7.2019): Violence Dips During Islamic State’s Latest Offensive, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/07/violence-dips-during-islamic-states.html. Zugriff 3.7.2019

SCR - Security Council Report (30.4.2019): May 2019 Monthly Forecast. https://www.securitycouncilreport.org/monthly-forecast/2019-05/iraq-3.php. Zugriff 1.7.2019

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, 12.01.2019.

EASO, Country of Origin Information Report: Iraq – Key socio-economic indicators, Februar 2019.

EASO, Country of Origin Information Report: Iraq – Security situation (supplement) – Iraq Body Count – civilian deaths 2012, 2017-2018, Februar 2019.

UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019.

1.3.2. Aktuelle Protestbewegung in Bagdad:

Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).

In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018;. Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante „Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).

In Ergänzung des Länderinformationsblattes wird zu den aktuellen Unruhen in Bagdad fetsgehalten: Demonstriert wird sein Anfang Oktober 2019 gegen Abdul Mahdi und seine Regierung, gegen Korruption und Misswirtschaft, gegen die hohe Arbeitslosigkeit, gegen das Unvermögen des Staates, alle Bürger mit Strom und Trinkwasser zu versorgen. Laut der irakischen Menschenrechtskommission sollen Polizisten auch scharfe Munition gegen Demonstranten eingesetzt haben. Ein Untersuchungsausschuss der Regierung hatte einen Bericht zur Protestwelle Anfang des Monats vorgelegt. Der Ausschuss kam zu dem Schluss, dass die Sicherheitskräfte unverhältnismäßige Gewalt eingesetzt und 149 Demonstranten getötet hatten (Tagesschau).

Quellen:

-        Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 19.10.2018

-        LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf. Zugriff 18.10.2018

-        Der Standard (13.5.2018): Wahlen im Irak: Al-Abadi laut Kreisen in Führung, https://derstandard.at/2000079629773/Irakische-Parlamentswahl-ohne-groessere-Zder. Zugriff 2.11.2018

-        Der Standard (3.10.2018): Neue alte Gesichter für Iraks Topjobs, https://derstandard.at/2000088607743/Neue-alte-Gesichter-fuer-Iraks-Topjobs. Zugriff 19.10.2018

- Tagesschau, 25.10.2019, abrufbar unter https://www.tagesschau.de/ausland/irak-proteste-unruhen-101.html; Zugriff am 21.11.2019

-        TA - Tagesanzeiger (12.5.2018): Im Bann des Misstrauens, https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/im-bann-des-misstrauens/storv/29434606, Zugriff 18.10.2018

-        WZ - Wiener Zeitung (12.5.2018): Erste Wahl im Irak nach Sieg gegen IS stößt auf wenig Interesse, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/964399_Erste-Wahl-im- Irak-nach-Sieg-gegen-IS-stoesst-auf-wenig-Interesse.html. Zugriff 23.10.2018

1.3.3. Zu den Milizen im Irak:

Aus den Beirchten von EASO und UNHCR ergibt sich Folgendes:

Als die Gruppe Islamischer Staat (IS) im Juni 2014 die Stadt Mossul einnahm, rief Ayatollah Ali al-Sistani, der einflussreichste schiitische Kleriker im Land, dazu auf, den Staat bei der Bekämpfung des IS zu unterstützen. Zehntausende Männer folgten dem Aufruf des Klerikers und sammelten sich unter dem losen Dachverband der Volksverteidigungskräfte (Popular Mobilization Forces, PMF). Circa 50 Milizen mit insgesamt 45.000 bis 142.000 Kämpfern sind unter diesem Dachverband gruppiert. Von manchen Quellen wird die arabische Bezeichnung der PMF, Al-Haschd Asch-Schaabi (Al-Hashd Al-Sha’abi), verwendet. Weitere gängige Bezeichnungen sind Popular Mobilization Units (PMU) oder einfach nur „Hashd“ (ACCORD, Schiitische Milizen).

Im November 2016 wurde mit Unterstützung des schiitischen Blocks im Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Legalisierung der PMF und deren Einrichtung als separate militärische Einheit vorsieht, die dem Premierminister untersteht. Die PMF-Milizen erhalten ihren Sold aus der Staatskasse. Seit Ende 2017, als die irakische Regierung offiziell den Sieg über den IS verkündete, haben die PMF neben ihren kämpferischen Funktionen ihren Wirkungsbereich ausgeweitet. So verfügen sie über einen eigenen Parteienblock im Parlament und haben insbesondere in den vom IS zurückgewonnenen Gebieten im Zuge des Wiederaufbaus Wirtschaftssektoren übernommen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen. Nachdem der Parteienblock der PMF, genannt Fatah, bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 die zweitstärkste Kraft wurde, erließ das Parlament im November 2018 ein Gesetz, das den PMF-Kämpfern den gleichen Lohn und manche der Vorzüge von Soldaten der irakischen Armee garantiert. Im Jänner 2019 wurde den PMF laut lokalen Medienberichten die Kontrolle über eine der größten in Staatsbesitz befindlichen Baufirmen übertragen. Die PMF-Kämpfer könnten folglich in Zukunft dafür eingesetzt werden, Straßen zu bauen und Häuser wieder instand zu setzen. Anfang Juli erließ Premierminister Abd Al-Mahdi ein Dekret, in dem er alle PMF-Milizen dazu aufforderte, sich bis zum 31. Juli den regulären Sicherheitskräften anzugliedern oder nur mehr als politische Bewegung zu fungieren. Die Milizenführer der Badr-Organisation, der Asa’ib Ahl al-Haq sowie Milizenführer Muqtada Al-Sadr gaben ihre Zustimmung bekannt. Laut Renad Mansour von der britischen Denkfabrik Chatham House ist das Ziel der PMF-Führung, Teil des Staates zu werden, um so Kontrolle über diesen zu erlangen (ACCORD, Schiitische Milizen).

Im Norden und Westen des Irak haben Amtspersonen und Bürger über Schikanen durch PMF-Milizen und deren Eingreifen in die Stadtverwaltungen und das alltägliche Leben berichtet. Damit geht der Versuch einher, bisweilen unter Einsatz von Demütigungen und Prügel, Kontrolle über Bürgermeister, Distriktvorsteher und andere Amtsträger auszuüben (Al-Araby Al-Jadeed, 12. Februar 2019[vii]). Seit 2003 ist der Irak von verschiedenen bewaffneten Konflikten geprägt. Der dreijährige Konflikt mit dem Islamische Staat hat einen Aufstieg der verschiedenen bewaffneten Gruppen, die man unter PMU (Popular Mobilization Units) zusammenfasst, ermöglicht. Sie waren maßgeblich an der Vertreibung des IS beteiligt und genießen hohe Anerkennung unter der schiitischen Bevölkerung. In den PMU sind Dutzende bewaffnete Gruppen mit unterschiedlichen Zielen und Programmen zusammengefasst. 2016 wurde die PMF zu einer „independent military formation as part of the Iraqi armed forces and linked to the Commander-in Chief“. Im März 2018 wurden Millizangehörige den Angehörigen der Sicherheitskräfte gleichgestellt, auch etwa in Bezug auf den Lohn; dennoch variiert das Ausmaß der Integration in den Staatsapparat und gibt es Teile der Milizen innerhalb und außerhalb der formellen Sicherheitskräfte (UNHCR, Considerations 14). Der faktische Einfluss der Regierung und ihrer Sicherheitsorgane auf die Milizen ist nicht zuverlässig sichergestellt (Auswärtiges Amt 4).

Einige PMF Gruppen sind verantwortlich für Menschenrechtsverletzungen gegenüber IS-Verdächtigen, Kritikern und Personen, die sich nicht strikt an die Vorgaben einer konservativen Islamauslegung halten (UNHCR, Considerations 15). Die im Kampf gegen den IS mobilisierten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Strukturen (Auswärtiges Amt 16). Laut EASO werden die PMF generell auch als Kräfte des Staates angesehen (EASO, Guidance 43)

Die Rekrutierung durch die PMF ist gänzlich freiwillig. Einige treten bei, weil das Gehalt attraktiv ist, zugleich gelten die Milizen als einflussreich und beliebt, weil sie entscheidend zum Sieg über den IS beigetragen haben. Zwangsrekrutierungen finden nicht statt, wenn auch auf einige Personen sozialer Druck ausgeübt worden sein will beizutreten (EASO, Guidance 54).

Milizen in Bagdad

Die Quellen deuten auf mehrere Wirkungsfelder der Milizen in Bagdad hin. Sie konkurrieren mit offiziellen Sicherheitskräften, haben Mitglieder beziehungsweise Verbündete in wichtigen politischen Ämtern und sind teilweise für Übergriffe auf StadtbewohnerInnen verantwortlich:

Laut dem EASO-Bericht zur Sicherheitslage im Irak vom März 2019 befinden sich die Stadt Bagdad und ihre Vororte generell unter staatlicher Kontrolle, in der Praxis teilen sich jedoch die Behörden die Bereiche Verteidigung und Strafverfolgung mit den zumeist schiitischen PMF, was zu unvollständiger oder sich mit den Milizen überschneidender Kontrolle führt (EASO, Security Situation 75).

Im Juni 2018 berichtet das Long War Journal (LWJ) über Zusammenstöße zwischen Mitgliedern der irakischen Polizei und Kämpfern der irakischen Hisbollah-Brigaden (Kata’ib Hisbollah) in Bagdad. Bei dem Schusswechsel sind laut Angaben einer anonymen Quelle aus Sicherheitskreisen mindestens drei Personen verletzt worden. Im August 2018 räumen Asa’ib Ahl al-Haqq ein, dass rund 50 ihrer Milizkämpfer in Bagdad Verbrechen, darunter Plünderung, Erpressung, Entführungen und Morde verübt haben, um an Geld zu gelangen. Der irakische Innenminister gibt im Oktober 2018 bekannt, seine Mitgliedschaft in der Badr-Organisation auszusetzen. Zuvor hat der schiitische Kleriker Muqtada Al-Sadr verkündet, dass die Ministerien für Inneres und Verteidigung von unabhängigen Personen geleitet werden sollten. Al-Arabiya bezeichnet im Dezember 2018 den gerade vom Provinzrat gewählten Provinzgouverneur von Bagdad als Person mit Naheverhältnis zur Miliz Kata’ib Hisbollah. Im Jänner 2019 wird in Sadr City ein Restaurantbesitzer von einem Angreifer auf einem Motorrad erschossen. Zuvor ist laut Rudaw der Vorwurf an die PMF, für Verbrechen wie Erpressung, Entführung und Tötungen verantwortlich zu sein, nur verhalten vonseiten von Menschenrechtsorganisationen und BewohnerInnen sunnitischer Stadtteile geäußert worden. Dieses Mal hat jedoch ein Medium, das dem schiitischen Parteienblock Al-Hikma nahesteht, berichtet, dass der Täter später gefasst wurde und er Papiere bei sich trug, die dessen Mitgliedschaft bei Asa’ib Ahl al-Haqq bestätigen. Führende Mitglieder von Asa’ib Ahl al-Haqq lehnen diese Berichterstattung scharf ab und sehen sich als Opfer einer Verleumdungskampagne. Im Februar 2019 verweist Middle East Monitor (MEMO)[xviii] unter Berufung auf Informationen der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu auf eine Operation der Sicherheitskräfte in Bagdad, bei der vier Stützpunkte der PMF durchsucht und geschlossen wurden. Im Februar 2019 kommt es innerhalb der PMF-Strukturen in Bagdad zu Auseinandersetzungen, was eine Welle von Festnahmen und Schließungen von PMF-Stützpunkten zufolge hat. Mehrere Stützpunkte der Abu Fadl Al-Abbas-Miliz sind von den Schließungen betroffen, der Aufenthaltsort des Anführers ist unbekannt. Die Durchsuchungen erfolgen, nachdem die Führung der Abu Fadl Al-Abbas-Miliz bestimmte Kräfte für die Ermordung eines Schriftstellers verantwortlich gemacht hat. Im Mai belagern zum Präsidentenregiment gehörende Sicherheitskräfte einen PMF-Stützpunkt in Bagdad im Stadtteil Dschadiriya und fordern die PMF dazu auf, ihren Stützpunkt zu verlassen. Laut einer Meldung auf Sumer News vom Juni 2019 ruft der Provinzrat von Bagdad dazu auf, die PMF zu Hilfe zu nehmen, um den Bagdad-Gürtel zu sichern (ACCORD, Schiitische Milizen).

Quellen:

?                UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019.

?        Austrian Centre for Country of origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD), Schiitische Milizen im Irak, 22.07.2019.

?        EASO, Country of Origin Information Report: Iraq – Security situation, März 2019.

?        EASO, Country Guidance: Iraq (Juni 2019).

1.3.4. Zur Versorgungslage im Irak und zur Rückkehr:

Auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zum Irak vom 25.07.2019 wird festgestellt:

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.2.2018). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018).

Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die genannten Defizite werden durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt. Nach Angaben des UN-Programms „Habitat“ leben 70 Prozent der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.2.2018).

In vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wiederhergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.2.2018).

Wirtschaftslage

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des sogenannten Islamischen Staates und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mosul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im Oktober 2018 für das Jahr 2019. Ob der Wiederaufbau zu einem nachhaltigen positiven Aufschwung beiträgt, hängt aus Sicht der Weltbank davon ab, ob das Land die Korruption in den Griff bekommt (GIZ 11.2018).

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 11.2018). Rund 90 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor (AA 12.2.2018).

Noch im Jahr 2016 wuchs die irakische Wirtschaft laut Economist Intelligence Unit (EIU) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) um 11 Prozent. Im Folgejahr schrumpfte sie allerdings um 0,8 Prozent. Auch 2018 wird das Wachstum um die 1 Prozent betragen, während für 2019 wieder ein Aufschwung von 5 Prozent zu erwarten ist (WKO 2.10.2018). Laut Weltbank wird erwartet, dass das gesamte BIP-Wachstum bis 2018 wieder auf positive 2,5 Prozent ansteigt. Die Wachstumsaussichten des Irak dürften sich dank der günstigeren Sicherheitslage und der allmählichen Belebung der Investitionen für den Wiederaufbau verbessern (WB 16.4.2018). Die positive Entwicklung des Ölpreises ist dafür auch ausschlaggebend. Somit scheint sich das Land nach langen Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen wieder in Richtung einer gewissen Normalität zu bewegen. Dieser positiven Entwicklung stehen gleichwohl weiterhin Herausforderungen gegenüber (WKO 2.10.2018).

So haben der Krieg gegen den IS und der langwierige Rückgang der Ölpreise seit 2014 zu einem Rückgang der Nicht-Öl-Wirtschaft um 21,6 Prozent geführt, sowie zu einer starken Verschlechterung der Finanz- und Leistungsbilanz des Landes. Der Krieg und die weit verbreitete Unsicherheit haben auch die Zerstörung von Infrastruktur und Anlageobjekten in den vom IS kontrollierten Gebieten verursacht, Ressourcen von produktiven Investitionen abgezweigt, den privaten Konsum und das Investitionsvertrauen stark beeinträchtigt und Armut, Vulnerabilität und Arbeitslosigkeit erhöht. Dabei stieg die Armutsquote [schon vor dem IS, Anm.] von 18,9 Prozent im Jahr 2012 auf geschätzte 22,5 Prozent im Jahr 2014 (WB 18.4.2018).

Jüngste Arbeitsmarktstatistiken deuten auf eine weitere Verschlechterung der Armutssituation hin. Die Erwerbsquote von Jugendlichen (15-24 Jahre) ist seit Beginn der Krise im Jahr 2014 deutlich gesunken, von 32,5 Prozent auf 27,4 Prozent. Die Arbeitslosigkeit nahm vor allem bei Personen aus den ärmsten Haushalten und Jugendlichen und Personen im erwerbsfähigen Alter (25-49 Jahre) zu. Die Arbeitslosenquote ist in den von IS-bezogener Gewalt und Vertreibung am stärksten betroffenen Provinzen etwa doppelt so hoch wie im übrigen Land (21,1 Prozent gegenüber 11,2 Prozent), insbesondere bei Jugendlichen und Ungebildeten (WB 16.4.2018).

Der Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.2.2018). Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Jobangebote sind mit dem Schließen mehrerer Unternehmen zurückgegangen. Im öffentlichen Sektor sind ebenfalls viele Stellen gestrichen worden. Gute Berufschancen bietet jedoch derzeit das Militär. Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit 350-1.500 USD, je nach Position und Ausbildung (IOM 13.6.2018).

Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, zu unterstützen. .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 119 von 126

Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt.

Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen

angeboten (IOM 13.6.2018).

Stromversorgung

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 12.2.2018). Sie deckt nur etwa 60 Prozent der Nachfrage ab, wobei etwa 20 Prozent der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 22.12.2017). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Autonomen Region Kurdistan erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste (AA 12.2.2018).

Wasserversorgung

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen (AA 12.2.2018). Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist (Clingendael 10.7.2018). Die Wasserknappheit dürfte sich kurz- bis mittelfristig noch verschärfen. Besonders betroffen sind die südlichen Provinzen, insbesondere Basra. Der Klimawandel ist dabei ein Faktor, aber auch große Staudammprojekte in der Türkei und im Iran, die sich auf den Wasserstand von Euphrat und Tigris auswirken und zur Verknappung des Wassers beitragen. Niedrige Wasserstände führen zu einem Anstieg des Salzgehalts, wodurch das bereits begrenzte Wasser für die landwirtschaftliche Nutzung ungeeignet wird (UNOCHA 31.8.2018).

Parallel zur Wasserknappheit tragen veraltete Leitungen und eine veraltete Infrastruktur zur Kontaminierung der Wasserversorgung bei (UNOCHA 31.8.2018). Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 12.2.2018). Im August meldete Iraks südliche Provinz Basra 17.000 Fälle von Infektionen aufgrund der Kontaminierung von Wasser. Der Direktor der Gesundheitsbehörde Basra warnte vor einem Choleraausbruch (Iraqi News 28.8.2018).

Nahrungsversorgung

Laut Welternährungsorganisation sind im Irak zwei Millionen Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen (FAO 8.2.2018). 22,6 Prozent der Kinder sind unterernährt (AA 12.2.2018). Schätzungen des Welternährungsprogramms zufolge benötigen mindestens 700.000 Iraker Nahrungsmittelhilfe (USAID 23.2.2018).

Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Schätzungen zufolge hat der Irak in den letzten vier Jahren jedoch 40 Prozent seiner landwirtschaftlichen Produktion verloren. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurde unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen (FAO 8.2.2018). Das Land ist stark von Nahrungsmittelimporten abhängig (AW 11.2.2018; vgl. USAID 1.8.2017).

Das Sozialsystem wird vom sogenannten „Public Distribution System“ (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen. Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schweren Ineffizienzen gekennzeichnet ist (K4D 18.5.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-AW – The Arab Weekly (11.2.2018): Can Iraq’s ailing economy liberate itself in 2018?, https://thearabweekly.com/can-iraqs-ailing-economy-liberate-itself-2018, Zugriff 15.10.2018

-Clingendael – Netherlands Institute of International Relations (10.7.2018): More than infrastructures: water challenges in Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-07/PB_PSI_water_challenges_Iraq.pdf, Zugriff 15.10.2018

-Fanack (22.12.2017): Energy file: Iraq, https://fanack.com/fanack-energy/iraq/, Zugriff 15.10.2018

-FAO – Food and Agriculture Organization of the United Nations (8.2.2018): Iraq: Recovery and Resilience Programme 2018-2019, http://www.fao.org/3/I8658EN/i8658en.pdf, Zugriff 15.10.2018

-GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak: Die wirtschaftliche Lage im Überblick, https://www.liportal.de/irak/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 20.11.2018

-Iraqi News (28.8.2018): Iraq’s Basra declares 17000 infection cases from water pollution, https://www.iraqinews.com/features/iraqs-basra-declares-17000-infection-cases-from-water-pollution/, Zugriff 15.10.2018

-IOM – International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018

-K4D – Knowledge for Development Program (18.5.2018): Iraqi state capabilities, https://assets.publishing.service.gov.uk/media/5b18e952e5274a18eb1ee3aa/Iraqi_state_capabilities.pdf, Zugriff 15.10.2018

-UNOCHA – United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.8.2018): Iraq: Humanitarian Bulletin, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCHA%20Iraq%20Humanitarian%20Bulletin%20-%20August%202018.pdf, Zugriff 15.10.2018

-USAID – Unites States Agency for International Development (1.8.2017): Iraq: Agriculture https://www.usaid.gov/iraq/agriculture, Zugriff 16.10.2018

- USAID – Unites States Agency for International Development (23.2.2018): Food Assistance

Fact Sheet: Iraq, https://www.usaid.gov/sites/default/files/documents/1866/Iraq_-

_Country_Fact_Sheet.pdf, Zugriff 15.10.2018

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights

Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.10.2018

- WB – The World Bank (16.4.2018): Iraq's Economic Outlook - April 2018,

https://www.worldbank.org/en/country/iraq/publication/economic-outlook-april-2018, Zugriff

16.10.2018

- WB – The World Bank (18.4.2018): Iraq: Overview,

http://www.worldbank.org/en/country/iraq/overview, Zugriff 15.10.2018

- WKO – Wirtschaftskammer Österreich (2.10.2018): Die irakische Wirtschaft,

https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-irakische-wirtschaft.html, Zugriff 15.10.2018

Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt (AA 12.2.2018). Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 13.6.2018).

Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung. Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore (GIZ 11.2018).

Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD. Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind dann noch zusätzliche Kosten zu veranschlagen.

Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt

werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr,

jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder

Ultraschalluntersuchungen (GIZ 11.2018).

In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.2.2018). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.2.2018).

Quellen:

-AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-GIZ – Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak – Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c37767, Zugriff 20.11.2018

-IOM – International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018

-WHO – World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff 16.10.2018

Rückkehr

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome Region Kurdistan finden regelmäßig statt (AA 12.2.2018).

Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017). In der Autonomen Region Kurdistan gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Autonomen Region Kurdistan kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.2.2018).

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD. In den Städten der kurdischen Autonomieregion liegt die Miete bei 300-600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 11 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 7-18 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 22-29 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000 IQD für private oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom (IOM 13.6.2018).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser im Land. Jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote (GIZ 11.2018). Wohnen ist zu einem der größten Probleme im Irak geworden, insbesondere nach den Geschehnissen von 2003 (IOM 13.6.2018). Die Immobilienpreise in irakischen Städten sind in den letzten zehn Jahren stark angestiegen (IEC 24.1.2018). Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem IS stellt der Wohnungsbau eine besonders dringende Priorität dar (Reuters 12.2.2018). Im November 2017 bestätigte der irakische Ministerrat ein neues Programm zur Wohnbaupolitik, das mit der Unterstützung von UN-Habitat ausgearbeitet wurde, um angemessenen Wohnraum für irakische Staatsbürger zu gewährleisten (UNHSP 6.11.2017). Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrer nicht (IOM 13.6.2018).

Quellen:

-AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-GIZ – Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak – Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c28570, Zugriff 20.11.2018

1.3.5. Zur Situation von Christen im Irak

Auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zum Irak vom 25.07.2019 wird festgestellt:

Schätzungen gehen davon aus, dass heute noch etwa 200.000 bis 400.000 Christen im Irak leben (zum Vergleich 2003: 1,5 Mio.). Die Situation der Christen (v. a. assyrische sowie mit Rom unierte chaldäische Christen) hat sich kirchlichen Quellen zufolge seit Ende der Diktatur 2003 stark verschlechtert. Viele Christen sehen für sich keine Zukunft im Irak. In den vergangenen Jahren sind daher hunderttausende irakische Christen ins Ausland geflohen (AA 12.2.2018).

Ca. 67 Prozent der irakischen Christen sind chaldäische Katholiken, fast 20 Prozent Mitglieder der Assyrischen Kirche des Ostens. Der Rest sind syrisch-orthodox, syrisch-katholisch, armenisch-katholisch, armenisch-apostolisch, anglikanisch und andere Protestanten. In der Autonomen Region Kurdistan gibt es etwa 3.000 evangelikale Christen (Angehörige protestantischer Freikirchen) (USDOS 29.5.2018).

Es kommt immer wieder zu Angriffen auf Priester, Bombenanschlägen auf Kirchen und christliche Einrichtungen sowie Übergriffen auf von Christen geführte Lebensmittelgeschäfte, in denen ggf. auch alkoholhaltige Getränke angeboten werden. Nach dem Vormarsch des IS auf Mosul und das umliegende christliche Kernland ergriffen im Sommer 2014 zehntausende Christen die Flucht in die Autonome Region Kurdistan und vereinzelt auch nach Bagdad. Viele warten noch darauf, dass die mittlerweile befreiten christlichen Städte um Mosul für eine Rückkehr sicher genug und zumindest teilweise wieder rehabilitiert sind (AA 12.2.2018).

Christen in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten stehen Berichten zufolge unter gesellschaftlichem Druck, sich an strenge Interpretationen islamischer Normen zu halten, die öffentliches Verhalten regeln. So stehen Christen beispielsweise unter Druck, den Betrieb von Nachtclubs, Spirituosenläden und Restaurants, in denen Alkohol angeboten wird, aufzugeben. Im Falle von Frauen, besteht der Druck konservative islamische Kleiderordnungen einzuhalten. Berichten zufolge kommt es durch bewaffnete Gruppen gegenüber Personen, die ihrer Ansicht nach gegen solche Regeln verstoßen, zuweilen zu Drohungen, Belästigungen und körperlichen Misshandlungen (UNHCR 15.1.2018).

Im Laufe der letzten Jahre gab es Berichte über Tötungen und Entführungen von Angehörigen religiöser Minderheiten, einschließlich Christen, durch bewaffnete Gruppen aus konfessionellen oder kriminellen Gründen bzw. einer Kombination daraus. Häuser von Christen, die seit 2003 aus Bagdad vertrieben wurden, sowie Kirchen und Klöster wurden Berichten zufolge illegal von mächtigen Einzelpersonen, Milizen und kriminellen Netzwerken beschlagnahmt. In einigen Fällen wurde behauptet, dass die christlichen Eigentümer oder Mieter direkt bedroht wurden, was dazu führte, dass sie ihre Häuser evakuierten (UNHCR 15.1.2018).

In der Autonomen Region Kurdistan wie in angrenzenden Gebieten, die von der kurdischen Regionalregierung kontrolliert werden, haben seit 2003 viele christliche Flüchtlinge aus anderen Landesteilen Zuflucht gefunden. Sie leben derzeit unter schwierigen materiellen und sozialen Bedingungen als IDPs - zumeist in der kurdischen Provinz Dohuk. Es gibt dort keine Anzeichen für staatliche Diskriminierung. Viele Christen haben bereits seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein in der Autonomen Region Kurdistan Zuflucht gefunden. Es gibt christliche Städte oder auch große christliche Viertel in Großstädten wie beispielsweise Ankawa in Erbil, in denen Christen in Frieden leben können (AA 12.2.2018).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598 1531143225 deutschland- auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-

stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf. Zugriff 16.8.2018

-        UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (15.1.2018): Situation of Christians in Baghdad, http://www.refworld.org/docid/5a66f80e4.html. Zugriff 29.8.2018

-        USDOS - United States Department of State (29.5.2018): International Religious Freedom Report 2017 - Iraq, https://www.state.gov/j/drl/rls/irf/2017/nea/280984.htm. Zugriff 21.8.2018

1.3.6. Zur Situation von Konvertiten im Irak

Auf Basis einer Anfragebeantwortung von ACCORD wird festgestellt:

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo, ein unabhängiges Organ der norwegischen Migrationsbehörden, das verschiedenen AkteurInnen innerhalb der Migrationsbehörden Herkunftsländerinformationen zur Verfügung stellt, schreibt in einer Anfragebeantwortung zu Apostasie und Atheismus im Irak vom August 2018, dass ein gesetzlicher Widerspruch zwischen den garantierten Rechten einerseits und dem Islam als Rahmen für die Gesetzgebung andererseits bestehe, der bei der Anwendung des Gesetzes Spielraum für unterschiedliche Auslegungen ermögliche. Auf der einen Seite sei es erlaubt, seinen Glauben frei zu wählen, da andererseits aber Apostasie als unvereinbar mit dem islamischen Gesetz gelte, könne dies theoretisch eine Strafverfolgung nach sich ziehen. Apostasie und Konversion vom Islam zu einer anderen Religion würden daher als illegal und aus Sicht der islamischen Gesetze als strafbar eingestuft, sie seien jedoch nicht als Straftatbestände im Strafgesetzbuch angeführt. Daher sei der rechtliche Status von ApostatInnen und KonvertitInnen im Irak derzeit unklar. RechtsexpertInnen, die 2010 vom NGO-Netzwerk Institute for War and Peace Reporting (IWPR) interviewt worden seien, hätten erklärt, dass Richter das Gesetz frei nach ihren religiösen Überzeugungen interpretieren könnten. Dies bedeute, dass der Richter sich in Fällen, in denen das Gesetz nicht explizit das Erlaubte und das Verbotene definiere, auf islamisches Recht stützen könne. Ein irakischer Richter und Angestellter im Justizministerium habe IWPR gegenüber angegeben, dass es kein Gesetz gebe, das bestimme, wie mit einem Konvertiten zu verfahren sei, in solchen Fällen müsse man auf islamische Regelungen zurückgreifen, da der Islam die Hauptquelle der Gesetzgebung sei (Landinfo, 29. August 2018, S. 2-3).

Im Folgenden geht der Bericht auf Fälle strafrechtlicher Verfolgung bei Apostasie ein. Laut Landinfo seien in den konsultierten Quellen keine Informationen gefunden worden, die über strafrechtliche Verfolgung von KonvertitInnen im Zentralirak berichten würden (Landinfo, 29. August 2018, S. 7).

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union zur Förderung der praktischen Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich, veröffentlicht im Juni 2019 einen Bericht zum Irak mit Herkunftsländerinformationen und Handlungsempfehlungen für Asylentscheider. Laut dem Bericht sei der Abfall vom Glauben im Irak ungewöhnlich und werde generell als unnatürlich angesehen. Trotz der Anerkennung religiöser Diversität würden Personenstandsgesetze die Konversion von MuslimInnen zu anderen Religionen verbieten. Artikel 26 des Gesetzes zur Nationalen Identifikationskarte bestätige das Recht für NichtmuslimInnen, zum Islam zu konvertieren, räume aber umgekehrt MuslimInnen nicht das Recht auf Konversion ein. MuslimInnen, die eine andere Religion annehmen würden, könnten ihre Religionszugehörikeit auf ihrem Personalausweis (national identity card) nicht ändern und seien weiterhin als MuslimInnen registriert. Ein 2015 erlassenes Gesetz zur national identity card bekräftige die Einschränkung, der zufolge ein Muslim nach Konversion zu einer anderen Religion seine Religionszugehörigkeit auf seinem Personalausweis nicht ändern könne. Ein neues elektronisches und biometrisches Personalausweissystem werde derzeit im Irak eingeführt, bei dem Informationen zur Religionszugehörigkeit des Ausweisinhabers auf dem Chip gespeichert würden, jedoch nicht auf der Karte selbst erkennbar seien (EASO, Juni 2019, S. 65).

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Bericht zur Religionsfreiheit vom Juni 2019 (Berichtszeitraum 2018), dass es in der Autonomen Region Kurdistan (ARK) etwa 2.000 registrierte Mitglieder evangelikaler Kirchen gebe, während eine unbekannte Anzahl, zumeist vom Islam zum Christentum Konvertierte, ihre Religion im Geheimen ausüben würden. Personenstandsgesetze und gesetzliche Bestimmungen würden die Konversion von MuslimInnen zu anderen Religionen verbieten. Während das Zivilgesetz einem Nichtmuslimen in einem einfachen Prozess ermögliche, zum Islam überzutreten, verbiete das Gesetz die Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion. Der USDOS-Bericht merkt ferner an, dass der neue irakische Personalausweis (national identity card) nicht mehr die Religionszugehörigkeit des Ausweisinhabers angebe. Das Online-Antragsformular verlange aber trotzdem die Angabe dieser Information (USDOS, 21. Juni 2019, Section 1 and 2).

In seinen im Mai 2019 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus dem Irak geht das Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) unter Berufung auf verschiedene Quellen auf die Lage von KonvertitInnen ein. Das Strafgesetz verbiete die Konversion vom Islam zum Christentum (oder jeglicher anderen Religion) nicht, das Gesetz sehe jedoch auch keine rechtliche Anerkennung einer Änderung der Religionszugehörigkeit vor. Aus diesem Grund weise ein Personalausweis einen Konvertiten weiterhin als Muslim aus. Es gebe nur sehr selten Berichte von Fällen, in denen Personen offen vom Islam zum Christentum übergetreten seien. Berichten zufolge würden KonvertitInnen ihre Konversion geheim halten, da in der irakischen Gesellschaft die Feindseligkeit gegenüber KonvertitInnen weit verbreitet sei und Familien und Stämme die Konversion eines ihrer Mitglieder wahrscheinlich als Verletzung ihrer kollektiven „Ehre“ ansehen würden. Eine öffentliche Konversion würde wahrscheinlich zu Ausgrenzung und/oder Gewalt durch die Gemeinschaft, den Stamm oder die Familie des Betreffenden sowie durch islamistische bewaffnete Gruppen führen (UNHCR, Mai 2019, S. 81).

Das britische Innenministerium (UK Home Office) schreibt in seinem Bericht zu Herkunftsländerinformationen und Handlungsempfehlungen für britische Asylentscheider vom August 2016 zusammenfassend, dass die rechtliche Situation bezüglich der Konversion vom Islam zu einer anderen Religion unklar sei. Das Strafrecht verbiete die Konversion vom Islam nicht, das Personenstandsgesetz erkenne eine solche Konversion jedoch rechtlich nicht an. Eine Konversion könne Schwierigkeiten mit sich bringen, unter anderem, was die Beantragung von Dokumenten, Eheschließungen und die Anmeldung von Kindern an bestimmten Schulen anbelange (UK Home Office, August 2016, S. 5).

Die Website Hathalyoum, die Nachrichten anderer irakischer Onlinemedien sammelt und nach Regionen und Themen sortiert anbietet, veröffentlicht im Februar 2017 einen ursprünglich bei Zaman Press erschienenen Artikel zur gesetzlichen Lage bei einer Ablegung des muslimischen Glaubens im Irak. Ein Richter für Personenstandsrecht habe angegeben, dass das irakische Gesetz einer Person, die den muslimischen Glauben abgelegt habe, keine Strafe auferlege. Es gebe jedoch einige rechtliche Auswirkungen, die wichtigsten darunter seien die Auflösung des Ehevertrags mit einer muslimischen Frau und der Ausschluss vom Erbe. Irakische Gerichte hätten generell nur selten mit Fällen von Religionsänderung zu tun. Ein weiterer Richter im Bereich Personenstandsrecht habe hingegen erklärt, dass das irakische Gesetz einem Muslim nicht erlaube, eine andere Religion anzunehmen. Anträge auf Änderung der muslimischen Religionszugehörigkeit zu einer anderen Religion würden von den Gerichten mit der Begründung zurückgewiesen, dass dies rechtlich nicht zulässig und der Antragsteller ein Abtrünniger sei (Hathalyoum, 1. Februar 2017).

Verhalten schiitischer Milizen oder anderer Personengruppen (abseits der Gruppe Islamischer Staat) gegenüber zum Christentum konvertierten Personen; Fälle von Verfolgungshandlungen gegenüber zum Christentum Konverti

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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