TE Vwgh Beschluss 2020/7/1 Ra 2020/14/0235

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Veröffentlicht am 01.07.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des A B, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2019, W264 2168894-1/16E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 13. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er im Wesentlichen damit begründete, im Iran geboren und aufgewachsen zu sein. Er sei aus dem Iran geflohen, weil seine „Flüchtlingskarte“ von der Polizei beschlagnahmt worden sei und er Angst vor einer Abschiebung gehabt habe.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag mit Bescheid vom 10. August 2017 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung. Es stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem Erkenntnis vom 17. Dezember 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers - nach Durchführung einer Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom 10. März 2020, E 244/2020-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof deren Behandlung ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, die Beweiswürdigung des BVwG hinsichtlich des Abfalls des Revisionswerbers vom Islam sei mangelhaft. In diesem Zusammenhang habe das BVwG auch unzureichende Feststellungen bezüglich Apostasie, Blasphemie und Konversion in Afghanistan getroffen. Des Weiteren wendet sich die Revision gegen die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif und Herat sowie gegen die vom BVwG bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung durchgeführte Interessenabwägung.

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl.VwGH 9.4.2020, Ra 2020/14/0138, mwN).

10       Das BVwG verschaffte sich im Rahmen einer Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber und führte eine umfassende Beweiswürdigung durch, in der es sich auch mit dem - erstmals in der mündlichen Verhandlung - vorgebrachten Abfall des Revisionswerbers vom Islam unter Bedachtnahme auf die vorliegenden Beweismittel auseinandersetzte. Eine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung vermag die Revision mit ihrem Vorbringen nicht aufzuzeigen.

11       Soweit die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung geltend macht, das BVwG habe unzureichende Feststellungen bezüglich Apostasie, Blasphemie und Konversion herangezogen und aktuellere Quellen, so etwa den EASO-Länderleitfaden, heranziehen müssen, kommt dem daher schon deswegen fallbezogen keine Relevanz zu, weil nach dem Gesagten davon auszugehen war (§ 41 VwGG), dass ein Abfall vom Islam nicht vorliegt.

12       Insoweit der Revisionswerber in Bezug auf die Frage der Sicherung seiner Existenz im Heimatland vorbringt, dass ihm die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht zumutbar sei, weil er noch nie in Afghanistan gewesen sei und dort keine Familie habe, ist er auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine schwierige Lebenssituation (etwa bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückkehr in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 7.6.2019, Ra 2019/14/0114, mwN).

13       Das BVwG prüfte die Wirtschafts- und Versorgungslage sowie die allgemeinen Gegebenheiten in Mazar-e Sharif und Herat und berücksichtigte die persönlichen Umstände des Revisionswerbers. Entgegen dem Revisionsvorbringen setzte sich das BVwG mit dem Gesundheitszustand des Revisionswerbers und der medizinischen Versorgung in Afghanistan auseinander und traf dazu - wenn auch disloziert im Rahmen der Beweiswürdigung - die für die Beurteilung notwendigen Feststellungen. In diesem Zusammenhang ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden kann, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. etwa VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153; 17.9.2019, Ra 2019/14/0160; jeweils mwN). Dass im konkreten Fall besondere Umstände vorgelegen wären, sodass hier eine andere Beurteilung Platz zu greifen hätte, vermag der Revisionswerber nicht darzutun.

14       Schließlich ist dem Zulässigkeitsvorbringen zur im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung erfolgten Interessenabwägung entgegenzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (VwGH 2.12.2019, Ra 2019/14/0408, mwN).

15       Das BVwG berücksichtigte im gegenständlichen Fall alle entscheidungswesentlichen - auch die zugunsten des Revisionswerbers sprechenden - Umstände (vgl. im Besonderen zur Frage des Gewichts einer angefangenen Lehre in Österreich etwa VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003). Mit der bloßen Wiederholung jener persönlichen Umstände, die vom BVwG bereits berücksichtigt wurden, vermag die Revision nicht darzulegen, dass die Interessenabwägung fallbezogen unvertretbar wäre.

16       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 1. Juli 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140235.L00

Im RIS seit

26.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.08.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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