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40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AsylG 2005 §3 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des EH, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Juli 2019, W158 2212466-1/12E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 8. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, nach dem Tod seiner Eltern bei einer Person gelebt zu haben, die ihn gegen seinen Willen zum Selbstmordattentäter habe ausbilden wollen. Ergänzend gab er an, nicht mehr nach Afghanistan zurückkehren zu können, da er sich für das Christentum interessiere und Christ werden wolle.
2 Mit Bescheid vom 7. Dezember 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde - nach Durchführung einer Verhandlung - als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.
4 Dagegen wendet sich die gegenständliche außerordentliche Revision.
5 Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Revision bringt vor, das BVwG sei in Zusammenhang mit der Konversion des Revisionswerbers von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Trotz des festgestellten umfangreichen Wissens des Revisionswerbers sowie trotz dessen Taufe und Firmung habe es einen nachhaltigen Glaubenswechsel nicht angenommen und von der Befragung des im Beschwerdeverfahren namhaft gemachten katechumenatsverantwortlichen Diakons abgesehen. Dieser Diakon und auch der taufspendende Pfarrer seien bereit gewesen, als Zeugen über die Glaubensüberzeugung des Revisionswerbers auszusagen, wie sich aus der Niederschrift der Verhandlung ergebe. Das BVwG sei auch seiner Begründungspflicht nicht nachgekommen. Es habe sich mit den vorgelegten Beweismitteln nicht auseinandergesetzt und nicht ausgewiesen, welche Tatsachen es als erwiesen erachtet und daher seiner Entscheidung zu Grunde gelegt habe. Auch stehe dem Revisionswerber entgegen der Annahme des BVwG keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.
7 Die Revision ist zulässig und erweist sich als begründet.
8 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0350, mwN).
9 Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. etwa VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0350, oder VwGH 14.3.2019, Ra 2018/18/0441).
10 Verbleiben beim Verwaltungsgericht nach einer ausführlichen Befragung des Konvertiten - so wie offenbar auch im Revisionsfall - Zweifel an dessen wahrer innerer Einstellungsänderung und Verdachtsmomente auf das Vorliegen einer Scheinkonversion, so kommt aber einer Befragung von Zeugen (wie Priestern, Taufpaten) umso mehr Bedeutung zu (vgl. VwGH 12.6.2020, Ra 2019/18/0440; VwGH 26.3.2019, Ra 2018/19/0603).
11 Das BVwG erachtete in seiner Begründung den regelmäßigen Besuch des Katechumenatskurses, von Gottesdiensten und anderen kirchlichen Veranstaltungen sowie die Taufe, Firmung und das rege Interesse des Revisionswerbers am christlichen Glauben als glaubwürdig. Auch verfüge der Revisionswerber über Faktenwissen zum Christentum. Dennoch sei einer tatsächlichen inneren Konversion die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Dies begründete das BVwG insbesondere damit, dass der Revisionswerber kein weitreichendes Wissen über die Bedeutung seines Taufnamens habe. Es sei ihm auch nicht gelungen, ein auslösendes Ereignis darzulegen, weshalb er sich nun dem christlichen Glauben zugewandt habe, und er habe keine theologischen Unterschiede zwischen Islam und Christentum nennen können. In seinen rechtlichen Erwägungen führte das BVwG sodann aus, dass „das Christentum (noch) nicht wesentlicher Bestandteil“ des Revisionswerbers sei und bei ihm nicht von einer tatsächlichen christlichen Überzeugung auszugehen sei.
12 Damit sind beim Verwaltungsgericht im Revisionsfall trotz gewichtiger Indizien für einen inneren Glaubenswechsel des nach langer Vorbereitungszeit getauften und über längere Zeit durchgehend in einer gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft aktiven Revisionswerbers offenbar Zweifel an dessen wahrer inneren Einstellungsänderung verblieben. In einem solchen Fall hätte es das BVwG aber nicht verabsäumen dürfen, den im Beschwerdeverfahren namhaft gemachten Diakon sowie den taufspendenden Pfarrer als Zeugen zu befragen. Wie die Revision darlegt, wären diese in der Lage gewesen, Auskunft über Wahrnehmungen bezüglich der inneren Glaubensüberzeugung des Revisionswerbers sowie zur Ernsthaftigkeit der Konversion zu geben. Das BVwG führte keine Gründe für die unterbliebene Einvernahme des Diakons und des Pfarrers an.
13 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus den obigen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
14 Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 25. Juni 2020
Schlagworte
Beweismittel ZeugenbeweisEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019180380.L00Im RIS seit
01.09.2020Zuletzt aktualisiert am
01.09.2020