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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §3 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und MMag. Ginthör sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des R A R in W, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. April 2019, I413 2169906-1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der aus dem Irak stammende Revisionswerber stellte am 9. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Diesen begründete er damit, von schiitischen Milizen bedroht worden zu sein. Im Laufe des Verfahrens brachte der Revisionswerber zudem vor, in Österreich eine gleichgeschlechtliche Beziehung zu führen und deshalb im Irak Verfolgung zu fürchten.
2 Mit Bescheid vom 2. August 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt. Unter einem erließ das BFA gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung samt rechtlich davon abhängigen Aussprüchen.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis - nach Durchführung einer Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 ?-VG nicht zulässig sei.
4 In seiner Begründung stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, der Revisionswerber sei nicht homosexuell. Beweiswürdigend führte es dazu aus, der Revisionswerber habe seine Homosexualität ohne nachvollziehbaren Grund erst in der mündlichen Verhandlung vorgebracht und nur vage Angaben gemacht. Die Ausführungen des Zeugen B. hätten „einstudiert und unglaubwürdig“ gewirkt; der von diesem behauptete gemeinsame Besuch von Veranstaltungen und „Clubs für homosexuelle Menschen“ liefere keinen stichhaltigen Hinweis dafür, dass der Revisionswerber homosexuell sei. Nicht glaubhaft sei auch, dass der Revisionswerber mit dem Zeugen N. eine sexuelle Beziehung pflege. Zur Begründung nennt das BVwG einerseits „die Art“, wie dieser Zeuge dem BVwG „seine Aussage vom angeblichen Verhältnis zum [Revisionswerber] aufdrängte“. Er habe die Aussage „gleich zu Beginn der Zeugeneinvernahme dem Bundesverwaltungsgericht geradezu aufgedrängt“ und die Information über die homosexuelle Beziehung „offenbar sofort anbringen wollen“, obwohl er vom Richter lediglich nach den Integrationsbemühungen und nicht konkret nach der sexuellen Orientierung des Revisionswerbers gefragt worden sei. Weiters lasse auch „die Art, wie er diese Aussage tätigte ... keinen anderen Schluss zu“ als die Tatsachenwidrigkeit dieser Aussage. Als Beleg dafür nennt das BVwG die Mimik des Zeugen, der während seiner Aussage „plötzlich einen Ausdruck der Bedrängnis“ gezeigt habe, indem er seine Augenbrauen zur Mitte der Stirn hin zusammengezogen, seinen Mund mit der Hand mehrmals verdeckt und gezielt den Blickkontakt mit dem erkennenden Richter gesucht habe, um die Wirkung seiner Worte kontrollieren zu können. Zudem habe er eine belegte Stimme gezeigt, auffällig geschwitzt, sei nach seiner Aussage im Gerichtssaal verblieben und habe „alle Zeichen von Unbehaglichkeit“ gezeigt, offensichtlich weil das BVwG keine weiteren Aussagen erfragt habe. Diese wahrgenommenen Umstände zeigten „die körperlichen Symptome einer vorgetragenen Lüge“.
5 Die gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe seine Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:
7 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
8 Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig; zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 5.3.2020, Ra 2018/19/0711, mwN).
9 Die Beweiswürdigung ist damit nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0350, mwN).
10 Wenn das BVwG an mehreren Stellen seiner Beweiswürdigung den Umstand heranzieht, das Vorbringen zur Homosexualität sei erstmals in der Verhandlung erstattet worden, steht dies - angesichts eines solchen bereits zuvor erstatteten Vorbringens - im Widerspruch zum Akteninhalt und unterlässt eine Auseinandersetzung sowohl mit der Erklärung des Revisionswerbers, wonach er die Homosexualität nicht früher thematisiert habe, weil er „so etwas ... wegen der Tradition ... nicht leicht erwähnen“ könne, als auch mit den im Erkenntnis zitierten Informationen zum Herkunftsland des Revisionswerbers, die geeignet sein könnten, für die Plausibilität solcher Schwierigkeiten und „Traditionen“ einen Anhaltspunkt zu liefern. Als unzureichend erweist sich ausgehend davon auch der Hinweis darauf, dass der Revisionswerber das Thema Homosexualität im weiteren Verlauf der Verhandlung nicht mehr „von sich aus zur Sprache“ gebracht und dazu nur „vage Schilderungen“ abgegeben habe, sowie die Überlegung, er habe keine „konkreten Beziehungen ins Treffen geführt“, auf die sich das BVwG im Übrigen stützt, ohne zu begründen, ob und an welcher Stelle des Verhandlungsverlaufs die proaktive Darlegung von Details zu einzelnen Beziehungen zu erwarten gewesen wäre. Dasselbe gilt für die - die Aussagen des Revisionswerbers im Übrigen verkürzt darstellende - Bemerkung, der Revisionswerber habe bezüglich sexueller Beziehungen mit Männern „immer“ von „so etwas“ gesprochen.
11 Eine taugliche Begründung dafür, weshalb die Aussage des Zeugen B. „unglaubwürdig“ und „einstudiert“ gewirkt habe, findet sich in der Beweiswürdigung nicht, zumal das BVwG dafür ausschließlich eine - den Wortlaut der Verhandlungsniederschrift unrichtig wiedergebende - Aussage dieses Zeugen heranzieht (wonach dieser „mit dem Revisionswerber“ zu diversen „Veranstaltungen und in Clubs für homosexuelle Menschen“ gegangen sei). Weiters sind die konstatierten Auffälligkeiten im Aussageverhalten des Zeugen N., auf die sich das BVwG gestützt hat, anhand des Akteninhaltes nicht nachvollziehbar. Der Hinweis darauf, dass der Zeuge seine Aussage zum Verhältnis mit dem Revisionswerber in der Verhandlung „aufgedrängt“ habe oder diese Information „offenbar sofort“ habe „anbringen“ wollen, obwohl der Richter lediglich nach Integrationsbemühungen und nicht konkret nach der sexuellen Orientierung des Revisionswerbers gefragt habe, übersieht den Umstand, dass der genannte Zeuge (dem Akteninhalt zufolge mit dessen Zustimmung) vom Revisionswerber bereits mit Schriftsatz vom 18. Februar 2019 zum Beweisthema der Homosexualität angeboten worden war und korrespondiert in dieser Form auch nicht mit den protokollierten Aussagen, die das BVwG in diesem Zusammenhang nur partiell zitiert, nämlich unter Auslassung des unmittelbar vorangehenden Verlaufs der Zeugeneinvernahme zu Fragen, wie und wo der Zeuge den Revisionswerber „kennengelernt“ habe.
12 Im Ergebnis hält das angefochtene Erkenntnis den Anforderungen an eine nachvollziehbare Beweiswürdigung und an eine für den Verwaltungsgerichtshof überprüfbare Begründung nicht stand.
13 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
14 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Juni 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019200410.L00Im RIS seit
22.07.2020Zuletzt aktualisiert am
22.07.2020