TE Vfgh Erkenntnis 1996/6/10 B3604/95

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.06.1996
beobachten
merken

Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

AufenthaltsG §5 Abs1
EMRK Art8

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Versagung einer Aufenthaltsbewilligung wegen nicht gesicherten Lebensunterhaltes infolge Unterlassung der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreter die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres wurde der Antrag der nunmehrigen Beschwerdeführerin, einer 1974 geborenen, Staatsangehörigen des ehemaligen Jugoslawien, die - nach ihren eigenen, unwidersprochen gebliebenen Ausführungen - seit 1990 in Österreich lebt, hier eine Berufsausbildung absolviert hat und deren Unterhalt, da sie derzeit ohne Beschäftigung ist, von ihrer Mutter bzw. ihrer Schwester bestritten wird, unter Berufung auf §5 Abs1 AufG abgewiesen.

Die belangte Behörde begründet den die Aufenthaltsbewilligung versagenden Bescheid mit folgenden Ausführungen:

"Sie stellten am 31.05.1994 bei der MA 62 des Amtes der Wr.Landesregierung einen Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz. Dieser wurde mit Bescheid des Amtes der Wr.Landesregierung vom 17.08.1994, Zl. MA 62-9/1709474-2-V, abgewiesen.

Dagegen haben Sie durch Ihren rechtsfreundlichen Vertreter am 05.09.1994 fristgerecht Berufung erhoben.

Fest steht, daß Sie der Aufforderung zur Stellungnahme vom 11.08.1994, zugestellt am 17.08.1994, aus welchen Mitteln Sie Ihren Lebensunterhalt derzeit bestreiten bzw. entsprechende Nachweise vorzulegen, nicht nachgekommen sind.

Ihre Einwendungen in der Berufung haben jedoch nicht belegen können, daß die Ermessensausübung der Behörde gesetzwidrig gewesen wäre und es ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, daß nunmehr Ihre Einkommenssituation im Ergebnis anders zu beurteilen wäre. Unbestritten ist, daß das Gesetz der Behörde einen Ermessensspielraum einräumt und, daß aus den §§2 und 3 AufG klare Kriterien für die Art und Weise ableitbar sind, wie dieser Spielraum genutzt werden soll.

Aus Ihren Angaben geht hervor, daß Sie nach wie vor keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und eine solche auch nicht aufzunehmen gedenken. Ihr Unterhalt soll allein durch die Verpflichtungserklärungen Ihrer Mutter und Ihrer Schwester bestritten werden. Eine solche dauernde Finanzierung Ihres Aufenthaltes durch Dritte ohne Gegenleistung ist aber nicht glaubwürdig und auch nicht geeignet, die dauernde Sicherung Ihres Lebensunterhaltes im Sinne des §5 Abs1 AufG zu gewährleisten.

Gerade die Notwendigkeit, in einem ohnedies sensiblen Bereich die weitere Zuwanderung sorgfältig zu steuern, macht es erforderlich, strenge Maßstäbe an die Beurteilung der gesicherten Unterhaltsmittel von Zuwanderern anzulegen. Ist der Unterhalt für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert, so darf gemäß §5 Abs1 des Aufenthaltsgesetzes eine Bewilligung nicht erteilt werden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten durch Anwendung einer einfachgesetzlichen Bestimmung in denkunmöglicher Weise geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. a) Der angefochtene, eine Aufenthaltsbewilligung nach dem AufG versagende Bescheid greift in das der Beschwerdeführerin durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein, da die Beschwerdeführerin seit längerem rechtmäßig in Österreich lebt und hier auch über familiäre Bindungen verfügt.

b) Ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

c) Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis VfGH 16.3.1995, B2259/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen Tffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

d) Die belangte Behörde hat in dem angefochtenen Bescheid eine solche iS des Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung nicht vorgenommen.

Der angefochtene Bescheid war daher aus diesem Grund aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist jeweils Umsatzsteuer von

S 3.000,-- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B3604.1995

Dokumentnummer

JFT_10039390_95B03604_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten