TE Vwgh Erkenntnis 1998/2/24 97/05/0302

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Veröffentlicht am 24.02.1998
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §13 Abs3;
AVG §14;
AVG §15;
AVG §16;
AVG §48;
AVG §63 Abs4;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, über die Beschwerde der Funder Industrie Gesellschaft mbH in St. Veit an der Glan, vertreten durch Dr. Christian Kuhn und Dr. Wolfgang Vanis, Rechtsanwälte in Wien I, Elisabethstraße 22, gegen den Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 24. Oktober 1997, Zl. 8 B-BRM-121/1/1997, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei:

Stadtgemeinde St. Veit an der Glan, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Kärnten Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 1. Februar 1988 ersuchte die Beschwerdeführerin um die Erteilung der Baubewilligung zur Errichtung eines neuen Produktionsgebäudes (Werk III) für die Herstellung von melaminharzgetränkten Papieren sowie einer dazugehörigen Energiezentrale mit Gleisanschluß und Zufahrt zur B 83 Kärntner Straße auf bestimmten Grundstücken in der mitbeteiligten Stadtgemeinde. Nach der Kundmachung der mündlichen Verhandlung über dieses Baugesuch beantragte E. F.-E. die Zuerkennung der Parteistellung und machte Einwendungen geltend.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 19. Februar 1988 wurde der Beschwerdeführerin die beantragte Baubewilligung unter einer Reihe von Auflagen erteilt. Mit Bescheid vom 19. Mai 1988 wies der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde den Antrag der E. F.-E. auf Zuerkennung der Parteistellung ab. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung der E. F.-E. hat der Stadtrat der mitbeteiligten Stadtgemeinde mit Bescheid vom 6. März 1989 nach Einholung verschiedener Gutachten abgewiesen. Aufgrund der dagegen erhobenen Vorstellung der E.F.-E hat die Kärntner Landesregierung mit Bescheid vom 8. August 1989 den Bescheid des Stadtrates aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Stadtgemeinde zurückverwiesen. Dies im wesentlichen mit der Begründung, daß im Hinblick auf die Produktionsvorgänge und die Verwendung der vorgesehenen Materialien bei einer Entfernung von 77 m nicht von vorneherein die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Liegenschaft der E. F.-E. ausgeschlossen werden könne. Im Zuge einer neuerlichen Entscheidung gab der Stadtrat der mitbeteiligten Stadtgemeinde mit Bescheid vom 26. September 1989 der Berufung der E. F.-E. gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 19. Mai 1988 mit der Feststellung Folge, daß E. F.-E. im gegenständlichen Bauverfahren Parteistellung zukomme. Der Baubewilligungsbescheid wurde der E. F.-E. am 17. Oktober 1989 zugestellt. In ihrer dagegen erhobenen Berufung brachte die Berufungswerberin im wesentlichen vor, es seien entsprechende Abstandsflächen sowie Brandschutz- und andere Schutzbestimmungen einzuhalten. Der Baubewilligungsbescheid nehme auf Interessen der Sicherheit und Gesundheit der Berufungswerberin nicht Bedacht.

Im vorgelegten Verwaltungsakt (Blattzahl 113) findet sich ein vom Sachbearbeiter Mag. W. unterfertigter Aktenvermerk vom 17. Dezember 1996 mit folgendem Wortlaut:

"Herr KR M. A. hat am 27.11.1996 in gegenständlicher Angelegenheit bei der Stadtgemeinde vorgesprochen und mitgeteilt, daß er keinerlei Interesse an einer Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens habe. Das diesbezügliche Rechtsmittel wird zurückgezogen.

Er hat weiters ein Schreiben der Frau RA Dr. Margot Tonitz in Vertretung der Ehegatten F.-E. vorgelegt. In diesem Schreiben wird der Stadtgemeinde vorgeworfen, daß durch das Verhalten der Stadtgemeinde den Ehegatten F.-E. ein Schaden zugefügt worden sei, der sich in einer Größenordnung zwischen S 3 Mio und S 4 Mio belaufe.

Aus der Sicht der Stadtgemeinde muß festgehalten werden, daß der Baubewilligungsbescheid rechtskräftig geworden ist. Der Baubewilligungsbescheid betreffend Funder - Werk III entspricht den Vorschriften, sodaß folgedessen keinerlei Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden können. Die Stadtgemeinde wird Frau RA Dr. Tonitz davon verständigen, daß die diesbezüglichen Vorhaltungen völlig haltlos sind."

Anläßlich einer am 22. September 1997 durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung brachte der Vertreter des Anrainers M. A. (der die Liegenschaft als Rechtsnachfolger nach E. F.-E. erworben hat) vor, daß er auf sein bisheriges Vorbringen verweise. Weder seitens der Rechtsvorgängerin noch von ihm selbst sei ein Rechtsmittel zurückgezogen worden. Es hätten nur Gespräche über die Möglichkeit einer Zurückziehung stattgefunden.

Im übrigen werde die Rechtslage anzuwenden sein, die zum Zeitpunkt der Erlassung des Flächenwidmungsplanes bestanden habe. Demgemäß werde davon auszugehen sein, daß die bestrittene Widmung "Leichtindustriegebiet" erfolgt sei und eine dahingehende Beurteilung des Ansuchens zu erfolgen habe.

Der Stadtrat der mitbeteiligten Stadtgemeinde hat mit Bescheid vom 24. September 1997 der Berufung der E. F.-E. (Rechtsnachfolger M. A.) gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 19. Februar 1988 keine Folge gegeben. Es sei eindeutig festgestellt worden, daß keine weiteren Auflagen im Interesse der Sicherheit und Gesundheit erforderlich seien. Gegen diesen Bescheid erhoben sowohl M. A. als auch die Beschwerdeführerin Vorstellung an die belangte Behörde. Während M. A. im wesentlichen vorbrachte, daß das Bauvorhaben unzulässig sei, brachte die Beschwerdeführerin in ihrer Vorstellung vor, daß M. A. aufgrund des Kaufvertrages vom 4. Mai 1990 die Anrainerliegenschaft von E. F.-E. erworben habe. Im Gegensatz zu seiner Rechtsvorgängerin habe er sowohl gegenüber den Vertretern der Bauwerberin als auch gegenüber den Vertretern der Stadtgemeinde wiederholt erklärt, gegen das Funder Werk III keinen Einwand zu haben und demgemäß an der Fortsetzung des Berufungsverfahrens gegen den Baubewilligungsbescheid nicht interessiert zu sein. Er habe ausdrücklich erklärt, daß das diesbezügliche Rechtsmittel zurückgezogen werde. Die Zurückziehung der Berufung müsse nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht in bestimmter Form, sondern bloß ausdrücklich geschehen. Der Anrainer habe das diesbezügliche Rechtsmittel spätetens am 27. November 1996 ausdrücklich zurückgezogen. Es lägen somit keine unerledigten Rechtsmittel gegen den Baubewilligungsbescheid mehr vor. Da der Berufungsbescheid ein antragsbedürftiger Verwaltungsakt sei und der erforderliche Antrag fehle, sei der Bescheid des Stadtrates mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der Behörde behaftet.

Mit Bescheid vom 24. Oktober 1997 hat die belangte Behörde die Vorstellungen des M. A. und der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Stadtrates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 24. September 1997 als unbegründet abgewiesen. Im Hinblick auf die Vorstellung der Beschwerdeführerin wurde ausgeführt, die Auffassung, wonach kein Rechtsmittel gegen den Baubewilligungsbescheid mehr vorliege, sei durch die Aktenlage nicht gedeckt. Das AVG sehe für die Zurückziehung eines Rechtsmittels keine besonderen Formerfordernisse vor, sie müsse nur ausdrücklich ausgesprochen werden. Davon könne aber im vorliegenden Fall keine Rede sein, möge M. A. auch angekündigt haben, daß er an der Fortsetzung des Verfahrens kein Interesse mehr habe. Auch eine allfällige Erklärung, daß er das diesbezügliche Rechtsmittel zurückziehen werde, vermöge an der Beurteilung nichts zu ändern, daß es nicht darauf ankomme, was er zurückzuziehen gedenke, sondern was er tatsächlich (ausdrücklich) zurückgezogen habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde der Bauwerberin wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten mit einer Gegenschrift vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Beschwerdegegenständlich ist ausschließlich die Frage, ob M. A. die Berufung seiner Rechtsvorgängerin zurückgezogen hat oder nicht.

Zunächst ist festzuhalten, daß außer dem im Sachverhalt wörtlich wiedergegebenen Aktenvermerk vom 17. Dezember 1996 im Verwaltungsakt kein Hinweis auf eine allfällige Zurückziehung der Berufung des M. A. aufscheint.

Gemäß § 63 Abs. 4 AVG ist eine Berufung nicht mehr zulässig, wenn die Partei nach der Zustellung oder Verkündung des Bescheides ausdrücklich auf die Berufung verzichtet hat. Eine eingebrachte Berufung kann jederzeit zurückgezogen werden. Sowohl der Berufungsverzicht als auch die Berufungsrücknahme sind als Prozeßhandlungen endgültig, somit unwiderrufbar (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. Jänner 1988, Slg. Nr. 12.616/A, vom 27. September 1994, Zl. 92/07/0130). Im letztgenannten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf seine Vorjudikatur auch ausgesprochen, daß die Berufungsrücknahme ausdrücklich, d.h. eindeutig (zweifelsfrei) erklärt werden muß, jedoch keiner besonderen Form bedürfe. Der Beschwerdefall gibt keine Veranlassung, von dieser Rechtsansicht abzurücken.

Im Aktenvermerk vom 17. Dezember 1996, der drei Wochen nach der Vorsprache des M. A. bei der Stadtgemeinde aufgenommen wurde, wird ausgeführt, daß M. A. keinerlei Interesse an der Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens habe. Diesen Ausführungen im Konjunktiv folgt der Satz "Das diesbezügliche Rechtsmittel wird zurückgezogen". Die Verwendung der Wortfolge "das Rechtsmittel wird zurückgezogen" durch einen Dritten ist nicht eindeutig, läßt sie doch nicht erkennen, ob das Rechtsmittel zurückgezogen werden wird oder ob es anläßlich der Vorsprache des M. A. am 27. November 1996 von diesem zurückgezogen wurde. Grammatikalisch richtig hätte die Beurkundung, daß eine Zurückziehung tatsächlich anläßlich der Vorsprache erfolgte, so erfolgen müssen, daß nach Wiedergabe des Vorbringens des M. A. im Konjunktiv die Tatsachenfeststellung im Indikativ und im Imperfekt (weil der Vorgang in der Vergangenheit lag) wiedergegeben worden wäre, also, "... daß er keinerlei Interesse an der Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens habe. Das Rechtmittel wurde zurückgezogen." Eine derartige Beurkundung des bereits drei Wochen zurückliegenden Vorganges ist aber der Formulierung des Aktenvermerkes nicht zu entnehmen. Abgesehen davon wurde die allfällige Zurückziehung der Berufung nur in einem Aktenvermerk festgehalten. Gemäß § 16 AVG sind amtliche Wahrnehmungen und Mitteilungen, die der Behörde telephonisch zugehen, ferner mündliche Belehrungen, Aufforderungen und Anordnungen, über die keine schriftliche Ausfertigung erlassen wird, schließlich Umstände, die nur für den inneren Dienst der Behörde in Betracht kommen, wenn nicht anderes bestimmt und kein Anlaß zur Aufnahme einer Niederschrift gegeben ist, erforderlichenfalls in einem Aktenvermerk kurz festzuhalten. Der Inhalt des Aktenvermerks ist vom Amtsorgan durch Beisetzung von Datum und Unterschrift zu bestätigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 23. Mai 1989, Zl. 85/07/0261, ausgeführt hat, macht ein Aktenvermerk im Sinne des § 16 AVG weder von vorneherein Zeugenaussagen entbehrlich, noch liefert er nach § 15 AVG "vollen Beweis". Schon aufgrund des Umstandes, daß die Formulierung im Aktenvermerk vom 17. Dezember 1996 nicht eindeutig war, sondern grammatikalisch interpretiert eher in die Richtung weist, daß eine Zurückziehung erst erfolgen soll, war eine Klärung erforderlich. In der über die Berufung durchgeführten Verhandlung am 22. September 1997 stellte der Vertreter des M. A. klar, daß tatsächlich Gespräche über die Möglichkeit einer Zurückziehung stattgefunden hätten, jedoch eine eindeutige Erklärung, der die Zurückziehung bedürfe, niemals abgegeben worden sei. Weder die Rechtsvorgängerin des M. A. noch dieser selbst habe das Rechtsmittel zurückgezogen.

Es trifft zu, daß weder seitens des M. A. noch von seiner Rechtsvorgängerin eine ausdrückliche Erklärung betreffend die Zurückziehung einer Berufung im Akt liegt. Da der Aktenvermerk vom 17. Dezember 1996 grammatikalisch interpretiert eher in die Richtung weist, daß eine Zurückziehung erst erfolgen soll, kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie zu dem Schluß gelangt ist, daß die Berufung des M. A. (bzw. seiner Rechtsvorgängerin) gegen den Baubewilligungsbescheid vom 18. Februar 1988 nach wie vor aufrecht war. Der Stadtrat war somit zur Entscheidung über die anhängige Berufung zuständig, die Zuständigkeit der Vorstellungsbehörde über die Entscheidung der Vorstellung der Beschwerdeführerin gründet sich auf § 95 der Gemeindeordnung, LGBl. Nr. 77/1993.

Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

FormerfordernisseIndividuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997050302.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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