TE Vwgh Erkenntnis 2020/6/9 Ra 2019/10/0188

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Veröffentlicht am 09.06.2020
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Index

L92003 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Niederösterreich
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
62 Arbeitsmarktverwaltung
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze

Norm

AlVG 1977 §10
AVG §56
MSG NÖ 2010 §2 Abs1
MSG NÖ 2010 §7 Abs4 Z2
MSG NÖ 2010 §7 Abs7
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision der Niederösterreichischen Landesregierung gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 1. Oktober 2019, Zl. LVwG-AV-682/001-2019, betreffend Mindestsicherung (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde: Bezirkshauptmannschaft Zwettl; mitbeteiligte Parteien: 1. I A und 2. mj. R A, vertreten durch ihren Vater I A, beide in N)

Spruch

zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang der Zuerkennung von Geldleistungen an den Erstmitbeteiligten für den Zeitraum 1. April 2019 bis 12. Mai 2019 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

1.   den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 19. November 2018 wurden dem Erstmitbeteiligten und seiner minderjährigen Tochter, der Zweitmitbeteiligten, Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung bis zum 31. März 2019 gewährt.

2        Am 12. Februar 2019 stellte der Mitbeteiligte für sich und seine minderjährige Tochter einen Folgeantrag auf Weitergewährung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nach dem Niederösterreichischen Mindestsicherungsgesetz (NÖ MSG) ab 1. April 2019.

3        Mit Bescheid vom 15. Mai 2019 gab die belangte Behörde dem Antrag des Erstmitbeteiligten teilweise statt. Für den Zeitraum vom 1. April 2019 bis 12. Mai 2019 wies sie den Antrag ab. Für den Zeitraum 13. Mai 2019 bis 31. Mai 2019 gewährte die belangte Behörde aliquot EUR 337,86, für den Zeitraum 1. Juni 2019 bis längstens 31. März 2020 monatliche Geldleistungen in Höhe von EUR 563,11. Der Zweitmitbeteiligten gewährte die belangte Behörde für den Zeitraum vom 1. April 2019 bis längstens 31. März 2020 monatliche Geldleistungen in der Höhe von EUR 172,69. Weiters wurden den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft Leistungen bei Krankheit zuerkannt.

4        Die Abweisung des Antrags des Erstmitbeteiligten im Zeitraum 1. April 2019 bis 12. Mai 2019 begründete die belangte Behörde damit, dass in diesem Zeitraum dessen Vormerkung vom Arbeitsmarktservice nach § 10 AlVG aufgrund des Nichtantritts einer Beschäftigung am 1. April 2019 abgemeldet worden sei und der Erstmitbeteiligte dem Arbeitsmarkt daher für diesen Zeitraum nicht zur Verfügung gestanden sei.

5        Gegen diesen Bescheid erhob der Erstmitbeteiligte mit Schriftsatz vom 14. Juni 2019 Beschwerde. Seiner Tochter und ihm sei zu wenig Mindestsicherung gewährt worden, weil der Richtsatz für seine Tochter und ihn „bei EUR 800,--“ liege. Außerdem sei er dem Arbeitsmarktservice zur Arbeit zur Verfügung gestanden. Sollte es zu Missverständnissen gekommen sein, könne jemandem, der nicht bereit sei, seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, die Mindestsicherung zunächst nur um bis zu 50 % gekürzt werden.

6        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 1. Oktober 2019 gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) dieser Beschwerde in Bezug auf den Erstmitbeteiligten dahingehend Folge, dass es ihm zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes und Wohnbedarfes folgende Geldleistungen zuerkannte (Spruchpunkt 1.I.):

1.   von 1. April 2019 bis 30. April 2019: EUR 363,84,

2.   von 1. Mai 2019 bis 12. Mai 2019: EUR 145,54,

3.   von 13. Mai 2019 bis 31. Mai 2019: EUR 367,73,

4.   von 1. Juni 2019 bis 30. Juni 2019: EUR 224,64,

5.   für die Monate Juli und August 2019: keine Geldleistungen und

6.   vom 1. September 2019 bis längstens 31. März 2020: monatliche Geldleistungen in der Höhe von jeweils EUR 885,47.

7        Der Zweitmitbeteiligten gewährte das Verwaltungsgericht für den Zeitraum 1. April 2019 bis 30. Juni 2019 eine monatliche Geldleistung in der Höhe von EUR 183,88, für die Monate Juli und August 2019 keine Geldleistungen und für den Zeitraum 1. September 2019 bis längstens 31. März 2020 eine monatliche Geldleistung in der Höhe von EUR 203,66 (Spruchpunkt 1.II.). Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt 2.).

8        Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Erstmitbeteiligte sei staatenlos, gemäß § 3 Asylgesetz 2005 asylberechtigt und alleinerziehend. Er habe weder Vermögen, noch beziehe er Leistungen Dritter. Zum Zeitpunkt der Antragstellung bis zum 31. März 2019 sei der Erstmitbeteiligte beim Arbeitsmarktservice arbeitslos gemeldet gewesen. Im Zeitraum von 1. April 2019 bis 12. Mai 2019 sei er als arbeitsuchend gemeldet und gleichzeitig für diesen Zeitraum seitens des Arbeitsmarktservice wegen Nichtantritts einer Arbeitsstelle gesperrt gewesen. Seine minderjährige Tochter sei Schülerin. Der Erstmitbeteiligte habe, abgesehen von der Zeit zwischen 19. Juni 2019 und 31. August 2019, in welcher er als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen sei, kein Einkommen bezogen. Bis 30. Juni 2019 hätten der Erstmitbeteiligte und seine Tochter ein Zimmer im vermieteten Obergeschoß eines Hauses bewohnt, wofür er eine monatliche Miete von EUR 150,-- zu bezahlen gehabt habe. Seine Schwester und ihr Mann hätten das übrige Obergeschoß bewohnt, wobei WC, Bad, Dusche und Küche von allen benutzt worden seien. Nach dem Auszug seiner Schwester und seines Schwagers hätten der Erstmitbeteiligte und seine Tochter das Obergeschoß alleine bewohnt und dafür ab Juli 2019 EUR 300,-- gezahlt.

9        Aufgrund der geänderten Wohnverhältnisse, der Sperre durch das Arbeitsmarktservice und des zwischenzeitlich erworbenen Einkommens hätten sich die im Spruch festgestellten Zeiträume und Beträge ergeben. Aufgrund der von 1. April 2019 bis 31. Mai 2019 bestehenden Haushaltsgemeinschaft mit der Schwester und dem Schwager des Erstmitbeteiligten sei für diesen die Anspruchsberechnung gemäß § 11 Abs. 1 Z 2 NÖ MSG iVm § 1 Abs. 1 Z 2a und Abs. 2 Z 2a der Niederösterreichischen Mindestsicherungsverordnung (NÖ MSV) erfolgt, für die Zweitmitbeteiligte auf der Grundlage von § 11 Abs. 1 Z 4 NÖ MSG iVm §1 Abs. 1 Z 3 NÖ MSV. Dabei sei zu berücksichtigen gewesen, dass im Zeitraum von 1. April 2019 bis 12. Mai 2019 aufgrund der festgestellten Maßnahme des Arbeitsmarktservice die Leistungen für den Erstmitbeteiligten - jedoch ohne Beeinträchtigung seines Wohnbedarfes - um 50 % zu kürzen gewesen seien.

10       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der Niederösterreichischen Landesregierung, in welcher die Aufhebung des gesamten Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes beantragt wird. Die Mitbeteiligten erstatteten keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Durchführung des Vorverfahrens - erwogen:

11       In der Revision wird zur Zulässigkeit vorgebracht, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen zur Kürzung der Leistung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ab. Das Verwaltungsgericht weiche vom eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 7 Abs. 7 NÖ MSG ab, wonach nur einer Hilfe suchenden Person, die nach Gewährung einer Leistung ihre Arbeitskraft nicht in zumutbarer Weise einsetze, die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung um 50 % zu kürzen seien. Eine Kürzung der Leistung setze somit einen aufrechten Bezug von Leistungen nach dem NÖ MSG voraus. Voraussetzung für die Leistungsgewährung sei bei einem Neu- bzw. Folgeantrag, dass arbeitsfähige Personen gemäß § 7 Abs. 1 NÖ MSG bereit sein müssten, ihre Arbeitskraft für eine zumutbare Beschäftigung einzusetzen. Ein Antrag auf Gewährung von Leistungen müsse abgewiesen werden, wenn diese Voraussetzung nicht vorliege. Im konkreten Fall greife die Kürzungsbestimmung des § 7 Abs. 7 NÖ MSG daher nicht, weil ab dem 1. April 2019 bis zum 12. Mai 2019 keine Leistungen bezogen worden seien und damit in diesem Zeitraum kein Tatbestand für eine Kürzung der Leistung vorgelegen sei. Das Verwaltungsgericht habe entgegen dem eindeutigen Wortlaut die Kürzungsbestimmung herangezogen.

Zur Gewährung von Mindestsicherung an den Erstmitbeteiligten für den Leistungszeitraum von 13. Mai 2019 bis 31. März 2020 enthält die Revision keine Ausführungen; gleiches gilt für die Zuerkennung von Mindestsicherung an die Zweitmitbeteiligte.

12       Die Revision erweist sich hinsichtlich der geltend gemachten Frage zu den Voraussetzungen einer Leistungskürzung nach § 7 Abs. 7 NÖ MSG im Umfang der für den Leistungszeitraum 1. April bis 12. Mai 2019 dem Erstmitbeteiligten zuerkannten - gekürzten - Leistung als zulässig.

13       Die maßgeblichen Bestimmungen des NÖ MSG, LGBl. 9205-3 idF LGBl. Nr. 23/2018, lauten auszugsweise wie folgt:

§ 2

Leistungsgrundsätze

(1) Bedarfsorientierte Mindestsicherung ist Hilfe suchenden Personen nur soweit zu gewähren, als Bereitschaft zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft besteht, die Hilfe suchende Person darüber hinaus bereit ist alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind die Notlage zu verbessern oder zu beenden und der jeweilige Bedarf nicht durch eigene Mittel oder durch Leistungen Dritter tatsächlich gedeckt wird (Subsidiaritätsprinzip).

[...]

§ 7

Einsatz der Arbeitskraft

(1) Arbeitsfähige Personen, die zur Aufnahme und Ausübung einer Beschäftigung berechtigt sind, müssen bereit sein, ihre Arbeitskraft für eine zumutbare Beschäftigung einzusetzen. Dabei ist hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit sowie der Zumutbarkeit einer Beschäftigung grundsätzlich von denselben Kriterien wie bei der Notstandshilfe (bzw. bei Bezug von Arbeitslosengeld von den bei diesem vorgesehenen Kriterien) auszugehen.

[...]

(4) Als nicht bereit ihre Arbeitskraft in zumutbarer Weise einzusetzen gelten jedenfalls Personen,

1.   deren Dienstverhältnis in Folge eigenen Verschuldens beendet worden ist oder die ihr Dienstverhältnis freiwillig gelöst haben jeweils für die ersten vier Wochen nach Beendigung des Dienstverhältnisses,

2.   deren Anspruch auf Leistungen des Arbeitsmarktservice insbesondere nach § 10 AlVG gekürzt oder (vorübergehend) eingestellt wurde, für die Dauer der durch das AMS verfügten Kürzung oder Einstellung.

[...]

(7) Hilfe suchenden Personen, die nach Gewährung einer Leistung ihre Arbeitskraft nicht in zumutbarer Weise einsetzen, sind die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung um 50% zu kürzen. Die Kürzung erfolgt jedenfalls auf die Dauer von vier Wochen. Soweit das Arbeitsmarktservice eine Maßnahme nach § 10 AlVG verhängt hat, ist die Kürzung für den Zeitraum zu verfügen, der der Gesamtdauer der Maßnahme des Arbeitsmarktservice entspricht. Eine weitergehende Kürzung oder gänzliche Einstellung von Leistungen ist ausnahmsweise und in besonderen Fällen, insbesondere bei wiederholter Verweigerung des Einsatzes der Arbeitskraft zulässig.

(8) Durch Kürzungen oder Einstellungen von Leistungen der Bedarfsorientieren Mindestsicherung wegen mangelndem Einsatz der eigenen Arbeitskraft nach Abs. 7 darf der Wohnbedarf der Hilfe suchenden Person sowie der Lebensunterhalt und der Wohnbedarf der im gemeinsamen Haushalt lebenden, der Hilfe suchenden Person gegenüber unterhaltsberechtigten oder mit ihr in Lebensgemeinschaft lebenden Personen nicht beeinträchtigt werden.

(9) Unabhängig von einer Kürzung oder Einstellung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung sind bei Personen, deren Anspruch auf Leistungen des Arbeitsmarktservice, insbesondere nach § 10 AlVG, vorübergehend eingestellt oder sonst gekürzt oder eingestellt wurde und bei denen auch keine Umstände nach Abs. 6 vorliegen, die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung für die Dauer der Einstellung oder der Kürzung der Leistungen des Arbeitsmarktservice nur in jenem Ausmaß zu erbringen, das ohne die Einstellung oder die Kürzung gebühren würde.“

14       Der Wortlaut der einschlägigen Kürzungsbestimmung des § 7 Abs. 7 NÖ MSG, wonach Hilfe suchenden Personen, die nach Gewährung einer Leistung ihre Arbeitskraft nicht in zumutbarer Weise einsetzen, die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zu kürzen sind, legt aufgrund der Verknüpfung von Leistungsgewährung und Arbeitskrafteinsatz zunächst nahe, dass eine Kürzung nur dann vorzunehmen ist, wenn eine Mindestsicherungsleistung bereits gewährt worden ist, im Leistungszeitraum jedoch die Arbeitskraft nicht zumutbar eingesetzt wurde. Demnach setzt eine Kürzung von Mindestsicherungsleistungen nach § 7 Abs. 7 NÖ MSG voraus, dass die fehlende Bereitschaft zum Einsatz der Arbeitskraft einen Zeitraum betrifft, für den bereits eine Mindestsicherungsleistung zugesprochen wurde (vgl. demgegenüber die Rechtslage nach § 15 Wiener Mindestsicherungsgesetz; VwGH 25.5.2016, Ra 2015/10/0115).

15       Diese Auslegung entspricht auch dem dem Mindestsicherungsrecht innewohnenden Subsidiaritätsprinzip. Dieser in § 2 Abs. 1 NÖ MSG verankerte Grundsatz normiert, dass Bedarfsorientierte Mindestsicherung Hilfe suchenden Personen nur soweit zu gewähren ist, als Bereitschaft zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft besteht, die Hilfe suchende Person darüber hinaus bereit ist, alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Notlage zu verbessern oder zu beenden, und der jeweilige Bedarf nicht durch eigene Mittel oder durch Leistungen Dritter tatsächlich gedeckt wird. Bereits aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass sich die Bedarfsorientierte Mindestsicherung elementar von einem bedingungslosen Grundeinkommen unterscheidet. Sie wird daher nur geleistet, wenn die Bereitschaft zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft besteht (vgl. Ltg.-515/A-1/32-2010, 9).

16       Im Zusammenhang mit § 7 NÖ MSG hat der Verwaltungsgerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass sich die Verpflichtung, der Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stehen, als Voraussetzung für die Gewährung von Mindestsicherung bereits unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (vgl. VwGH 27.4.2016, Ra 2016/10/0024). Ist eine Hilfe suchende Person nicht zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft bereit, besteht kein Anspruch auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung.

17       Wurde jedoch wegen Erfüllung aller Zuerkennungsvoraussetzungen das Bestehen eines Anspruchs auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung bejaht und diese zuerkannt, fällt aber die Arbeitsbereitschaft während des Zuerkennungszeitraums weg, so kann der nachträgliche Wegfall dieser Zuerkennungsvoraussetzung im Wege der Kürzungsbestimmung des § 7 Abs. 7 NÖ MSG sanktioniert werden. Diese Möglichkeit dient der Umsetzung des Prinzips der Abhängigkeit der Mindestsicherungsleistung vom Einsatz der Arbeitskraft zu einem nach Zuerkennung einer Mindestsicherungsleistung liegenden Zeitpunkt.

18       Die in § 7 Abs. 7 NÖ MSG festgelegte Verknüpfung zwischen Leistungsgewährung und Arbeitskrafteinsatz liegt im gegenständlichen Fall jedoch nicht vor: Der Erstmitbeteiligte war nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes in der Zeit vom 1. April 2019 bis 12. Mai 2019 vom Arbeitsmarktservice wegen des Nichtantrittes einer Arbeitsstelle gesperrt, sodass er in diesem Zeitraum gemäß § 7 Abs. 4 Z 2 NÖ MSG aufgrund dieser Maßnahme nach § 10 AlVG als nicht bereit galt, seine Arbeitskraft in zumutbarer Weise einzusetzen. Für diesen Zeitraum lag aber keine Zuerkennung von Mindestsicherungsleistungen vor, ist doch der verfahrenseinleitende Mindestsicherungsantrag auf Leistungen ab 1. April 2019 gerichtet; Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung waren aufgrund einer früheren Antragstellung nur bis 31. März 2019 zuerkannt.

19       Das Verwaltungsgericht hätte daher in Ermangelung einer bestehenden Leistungszuerkennung für den fraglichen Zeitraum nicht mit einer Leistungskürzung vorgehen dürfen, sondern die fehlende Bereitschaft zum Arbeitseinsatz im Zuge der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung Bedarfsorientierter Mindestsicherung ab 1. April 2019 zu berücksichtigen gehabt.

20       Insoweit das Verwaltungsgericht im konkreten Fall die Kürzungsbestimmung des § 7 Abs. 7 NÖ MSG heranzog, obwohl dem Erstmitbeteiligten für den betreffenden Zeitraum 1. April bis 12. Mai 2019 noch keine Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung gewährt worden waren, belastete es das Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts. Das angefochtene Erkenntnis war daher insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

21       Hinsichtlich der weiteren - trennbaren - Leistungszeiträume den Erstmitbeteiligten betreffend und des die Zweitmitbeteiligte betreffenden Spruchpunktes 1.II. wirft die Revision, die sich gegen das angefochtene Erkenntnis „zur Gänze“ richtet, keine Rechtsfragen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf. Die Revision war daher insoweit nach § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 9. Juni 2020

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019100188.L00

Im RIS seit

22.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.08.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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