TE Lvwg Erkenntnis 2020/3/12 VGW-151/087/3004/2020

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Veröffentlicht am 12.03.2020
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Entscheidungsdatum

12.03.2020

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

NAG 2005 §4 Abs1
VwGVG 2014 §27
AVG §6

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin Dr. Zirm über die Beschwerde des mj. A. B. (geb.: 2008, StA: Serbien) gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35, vom 20.01.2020, Zl. …, betreffend den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Schüler" nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG),

zu Recht:

I. Der angefochtene Bescheid wird wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde gemäß § 27 VwGVG iVm. § 4 Abs. 1 NAG ersatzlos behoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Verfahrensgang

1.1. Mit Antrag vom 29. August 2019 beantragte Frau C. B. für ihren minderjährigen Neffen, den Beschwerdeführer, die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte-plus“ beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung in St. Pölten.

1.2. Dieser Antrag wurde vom Amt der Niederösterreichischen Landesregierung an die Bezirkshauptmannschaft D. zuständigkeitshalber weitergeleitet.

1.3. Die Bezirkshauptmannschaft D. leitete den Antrag wiederum zuständigkeitshalber an die belangte Behörde weiter.

1.4. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2019 modifizierte der Beschwerdeführer seinen Antrag auf den Aufenthaltszweck „Schüler“.

1.5 Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dieser Antrag von der belangten Behörde mit näherer Begründung abgewiesen.

1.6. Die rechtzeitig erhobene Beschwerde wendet sich mit näherer Begründung gegen die inhaltliche Abweisung des Antrags.

1.7. Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vor.

II. Sachverhalt

1. Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:

1.1. Mit Antrag vom 29.8.2019 beantragte Frau C. B. für ihren minderjährigen Neffen, den Beschwerdeführer, die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte-plus“ beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung in St. Pölten.

1.2. Dieser Antrag wurde vom Amt der Niederösterreichischen Landesregierung an die Bezirkshauptmannschaft D. zuständigkeitshalber weitergeleitet.

1.3. Die Bezirkshauptmannschaft D. führte Ermittlungsschritte zum Wohnsitz des Beschwerdeführers durch, da dieser in seinem Antrag die Adresse E.-gasse, F. als Wohnsitz angegeben hat, jedoch in Wien hauptwohnsitzmeldet ist, und führte eine Einvernahme der Tante des Beschwerdeführers Frau C. B. durch.

1.4. Der Beschwerdeführer ist 2008 in Serbien geboren. Seine Mutter ist verstorben und sein Vater hat ihn seiner in Österreich lebenden Tante C. B. anvertraut, damit er hier in die Schule geht und aufgezogen wird.

1.5. Der Beschwerdeführer ist seit Mai 2019 in Österreich durchgehend nebenwohnsitzlich in Niederösterreich, E.-gasse, in F., gemeldet und seit Juni 2019 auch hauptwohnsitzlich in Wien, G.-Gasse.

1.6. Der Beschwerdeführer wohnt gemeinsam mit seiner Tante C. B., deren Ehegatten und seiner Cousine H. K., der Tochter der C. B., in einem 160m² großen Haus in der E.-gasse, in F.. C. B. ist Eigentümerin dieses Hauses. Alle genannten Bewohner sind an dieser Adresse seit 2018 bzw. 2019 nebenwohnsitzlich gemeldet.

1.7. In Wien, G.-Gasse, ist Frau C. B. Hauptmieterin einer Gemeindewohnung. Die unter Pkt. 1.6. genannten Personen sind dort hauptwohnsitzlich gemeldet. Die Wohnung steht leer, sie ist 41m² groß und unbewohnt. Lediglich die Post wird an dieser Adresse abgeholt, Übernachtungen finden dort nur fallweise statt.

1.8. Die Hauptwohnsitzmeldung der unter Pkt. 1.6. genannten Personen an dieser Adresse liegt deshalb vor, um die Wohnung in Wien, G.-Gasse – eine Gemeindewohnung – nicht zu verlieren.

1.9. C. B. und ihr Ehegatte arbeiten in Wien, der Beschwerdeführer und seine Cousine H. K. besuchen die Schule in Wien, um sich näher am Arbeitsort der beiden Erwachsenen aufzuhalten. Zum Zwecke der Arbeit und des Schulbesuches fährt die Familie täglich gemeinsam nach Wien und nach Abschluss der Arbeit und der Schule wieder zurück nach Niederösterreich, um sich dort in ihrem Wohnhaus aufzuhalten.

1.9. Die Bezirkshauptmannschaft D. leitete den Antrag zuständigkeitshalber an die belangte Behörde weiter, da der Hauptwohnsitz des Beschwerdeführers in Wien liege.

1.10. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2019 modifizierte der Beschwerdeführer seinen Antrag auf den Aufenthaltszweck „Schüler“.

1.11. Mit dem angefochtenen Bescheid entschied die belangte Behörde negativ über den Antrag des Beschwerdeführers.

2. Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

2.1. Der Sachverhalt ergibt sich aus der unstrittigen Aktenlage und eingeholten ZMR-Auszügen. Insbesondere hat die Bezirkshauptmannschaft selbst eine Befragung der Tante des Beschwerdeführers C. B. am 12. September 2019 durchgeführt und eine Niederschrift angefertigt, in welcher die Befragte insbesondere angab, dass die Hauptwohnsitzmeldungen lediglich zu jenem Zweck in Wien vorliegen, um die Gemeindewohnung in Wien, G.-Gasse nicht zu verlieren. Anknüpfungspunkte zu Wien bestünden lediglich aufgrund der Arbeit und des Schulbesuches.

2.2. Dass sich der Beschwerdeführer, seine Cousine, Tante und dessen Ehegatte im Übrigen in Niederösterreich aufhalten, wo die Tante des Beschwerdeführers ein Haus besitzt, erscheint auch insofern nachvollziehbar, als die Wohnung in Wien, G.-Gasse für eine Bewohnung durch zwei Erwachsene und zwei schulpflichtige Kinder mit 41m² zu klein wäre und nicht davon ausgegangen werden kann, dass das im Jahr 2018 von der Tante des Beschwerdeführers erworbene Haus in Niederösterreich leersteht.

2.3. Nicht zuletzt wurde auch vom Beschwerdeführer in seinem Antrag vom 29.8.2019 als derzeitiger und beabsichtigter Wohnsitz die Adresse E.-gasse, F. genannt.

III. Rechtliche Beurteilung

1. Rechtslage:

§ 4 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005 lautet:

„Örtliche Zuständigkeit im Inland

§ 4.

(1) Die örtliche Zuständigkeit im Inland richtet sich nach dem Wohnsitz oder beabsichtigten Wohnsitz des Fremden. Ist der Fremde im Bundesgebiet nicht mehr aufhältig oder ist sein Aufenthalt unbekannt, ist jene Behörde zuständig, in deren Sprengel der Fremde zuletzt seinen Wohnsitz hatte oder in Ermangelung eines solchen, in deren Sprengel der Fremde zuletzt aufhältig war.

(2) Im Falle einer Beschwerde richtet sich die örtliche Zuständigkeit eines Verwaltungsgerichtes des Landes nach dem Sprengel, in dem die nach Abs. 1 zuständige Behörde ihren Sitz hat.“

2. Erwägungen:

2.1. Aus § 27 VwGVG ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht eine Unzuständigkeit der belangten Behörde jederzeit von Amts wegen wahrzunehmen hat und den Bescheid aus einem solchen Grund zu beheben hat, anderenfalls die Sachentscheidung durch das Verwaltungsgericht mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet wäre (vgl. VwGH 21.11.2019, Ra 2018/10/0050).

2.2. Eine solche Unzuständigkeit der belangten Behörde liegt gegenständlich vor, da sie örtlich zur Entscheidung gemäß § 4 Abs. 1 NAG nicht zuständig war:

§ 4 Abs. 1 NAG regelt, dass sich die örtliche Zuständigkeit der Behörde im Inland nach dem Wohnsitz oder beabsichtigten Wohnsitz des Fremden richtet. Darunter kann im Sinne eines materiellen Begriffsverständnisses nur jener Ort verstanden werden, an dem der Beschwerdeführer seinen Lebensmittelpunkt führt bzw. zu führen beabsichtigt, und zu dem die engsten persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen bestehen. Auch unter Anlehnung an die Kriterien des § 1 Abs. 6 bis 8 MeldeG ist daher davon auszugehen, dass unter dem Wohnsitz iSd § 4 Abs. 1 NAG verfassungskonform nur derjenige gemeint sein kann, zu dem die stärksten Beziehungen und das überwiegende Naheverhältnis bestehen, anderenfalls durch die Schaffung mehrerer Wohnsitze eine unzulässige geteilte Zuständigkeit bzw. durch die willkürliche Anmeldung eines Hauptwohnsitzes die gewünschte Zuständigkeit durch den Antragsteller beliebig geschaffen werden könnte. Eine hauptwohnsitzliche Meldung kann demgegenüber nur Indizwirkung haben (vgl. zum MeldeG VwGH 13.11.2012, 2010/05/0050) und vermag keine verbindliche Aussage über die behördliche Zuständigkeit gemäß § 4 Abs. 1 NAG zu treffen. Vielmehr ist gerade bei entsprechenden Anhaltspunkten amtswegig zu ermitteln, wo sich der tatsächliche Wohnsitz bzw. beabsichtigte Wohnsitz des Antragstellers befindet.

Nun hat der Beschwerdeführer nicht nur in seinem Antrag ausgeführt, dass sein derzeitiger und beabsichtigter Wohnsitz in Niederösterreich liegen soll, sondern hat auch bereits das Ermittlungsverfahren der Bezirkshauptmannschaft D. durch Befragung der Tante des Beschwerdeführers eindeutig ergeben, dass der Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers in Niederösterreich liegt und auch dort bleiben soll, da ausschließlich zum Zwecke des Schulbesuchs nach Wien gependelt wird und Übernachtungen in Wien nur fallweise stattfinden. Die Hauptwohnsitzmeldung in Wien, die mit dem Behalten des Mietrechts an einer Gemeindewohnung erklärt wurde, trat demgegenüber in den Hintergrund.

Der Lebensmittelpunkt und Aufenthaltsort des Beschwerdeführers, seiner Cousine, seiner Tante und deren Ehegatten liegt sohin in F., Niederösterreich.

2.3. Die belangte Behörde war zur Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers daher örtlich unzuständig und war daher spruchgemäß zu entscheiden. Der Antrag ist gemäß § 6 AVG an die zuständige Bezirkshauptmannschaft in D. weiterzuleiten.

2.4. Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur amtswegigen Wahrnehmung einer Unzuständigkeit der belangten Behörde ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Unzuständigkeit; örtliche Zuständigkeit; Wohnsitz; Hauptwohnsitz; Lebensmittelpunkt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.151.087.3004.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.07.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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