Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Roch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Priv.-Doz. Dr. Rassi und Mag. Painsi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des Betroffenen M*****, vertreten durch den einstweiligen gerichtlichen Erwachsenenvertreter M*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des einstweiligen Erwachsenenvertreters gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 27. November 2019, GZ 15 R 461/19y-23, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 4. September 2019, GZ 6 P 87/19v-17, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird die Bestellung einer anderen Person als des Revisionsrekurswerbers zum Rechtsbeistand des Betroffenen gemäß § 119 AußStrG und zum einstweiligen gerichtlichen Erwachsenenvertreter gemäß § 120 AußStrG aufgetragen.
Text
Begründung:
Aufgrund des Clearings und der Erstanhörung ergab sich die Notwendigkeit für den Betroffenen einen Rechtsbeistand gemäß § 119 AußStrG und einen einstweiligen Erwachsenenvertreter zur Besorgung verschiedener dringender Angelegenheiten zu bestellen. Mangels zur Übernahme bereiter Angehöriger des Betroffenen und mangels freier Kapazitäten des Vereins VertretungsNetz teilte das Erstgericht Rechtsanwalt M***** (im Folgenden: Erwachsenenvertreter) mit, dass es beabsichtige, ihn zum einstweiligen Erwachsenenvertreter zu bestellen, weil er die nächste in Frage kommende Person im Sinn der beim Erstgericht erliegenden Liste gemäß § 86 Abs 2 Geo sei. Es trug ihm auf, binnen 14 Tagen allfällige ihn zur Ablehnung berechtigende Umstände mitzuteilen.
Der Erwachsenenvertreter brachte daraufhin fristgerecht einen „Ablehnungsantrag“ ein, in dem er vorbrachte, er sei Partner einer Rechtsanwälte GmbH, der gegenüber sich ein namentlich genannter anderer Rechtsanwalt, der in der von der zuständigen Rechtsanwaltskammer geführten Liste als zur Übernahme von Vorsorgevollmachten und gerichtlichen Erwachsenen-vertretungen besonders geeigneter Rechtsanwalt aufrecht eingetragen sei, bereit erklärt habe, sämtliche Vertretungen gemäß §§ 119, 120 und 123 AußStrG zu übernehmen.
Das Erstgericht teilte dem Erwachsenenvertreter mit, dass es nicht bereit sei, den namhaft gemachten Rechtsanwalt zum (vorläufigen oder endgültigen) Erwachsenenvertreter zu bestellen, weil sich in den von diesem übernommenen Erwachsenenvertretungen für Richter und Rechtspfleger des Erstgerichts diverse (im Einzelnen angeführte) Probleme häuften, die einen unverhältnismäßigen Zeitaufwand erforderten. Es sei bereits eine Disziplinaranzeige gegen ihn erstattet worden. Sofern der Erwachsenenvertreter nicht binnen 14 Tagen einen anderen Rechtsanwalt namhaft mache, werde er bestellt werden müssen.
Der Erwachsenenvertreter brachte dazu vor, dass der von ihm namhaft gemachte Rechtsanwalt nach Rücksprache die vom Erstgericht aufgestellten Behauptungen auf das Entschiedenste zurückgewiesen habe; da er nach wie vor aufrecht in der Liste der Rechtsanwaltskammer eingetragen sei, sei ex lege davon auszugehen, dass er tatsächlich für die Übernahme von gerichtlichen Erwachsenenvertretungen besonders qualifiziert sei.
Das Erstgericht bestellte daraufhin den nunmehrigen Revisionsrekurswerber mit sofortiger Wirksamkeit für den Betroffenen zum Rechtsbeistand gemäß § 119 AußStrG und zum einstweiligen Erwachsenenvertreter für bestimmte dringende Angelegenheiten. Der andere Rechtsanwalt werde in diesem Verfahren weder als vorläufiger noch als endgültiger Erwachsenenvertreter akzeptiert. Die Liste der für gerichtliche Erwachsenenvertretungen besonders geeigneten Anwälte sei im Einzelfall nicht bindend, wenn es begründete Bedenken des Gerichts gebe, auf die der Erwachsenenvertreter hier hingewiesen worden sei.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Erwachsenenvertreters nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu. Soweit sich der Rekurswerber auf § 275 Z 2 ABGB berufe, übersehe er, dass selbstredend von einer Rechtsordnung zu erwarten sei, dass sie als Vorsorgebevollmächtigte und Erwachsenenvertreter nur geeignete Personen zulasse. Ziel des Erwachsenenschutzrechts sei die Förderung und Sicherstellung des Wohls schutzberechtigter Personen. Bei der gerichtlichen Erwachsenenvertretung obliege die Beurteilung der Eignung dem Gericht, das diese aktiv zu prüfen habe. Auch wenn diese Eignung bei Rechtsanwälten immer dann, wenn die Besorgung rechtlicher Angelegenheiten – wie hier – erforderlich sei, grundsätzlich vorliege, sei auf Basis der dem Gericht zugänglichen Informationen im Einzelfall zu beurteilen, ob von einer bestimmten Person die ordnungsgemäße Ausübung der Erwachsenenvertretung zu erwarten sei oder nicht. Die Rechtsanwaltskammer führe eine Liste von zur Übernahme von Erwachsenenvertretungen besonders geeigneten Rechtsanwälten. Dabei handle es sich um eine Maßnahme der Qualitätssicherung. Die Rechtsanwaltskammer sei verpflichtet, solche Listen zu führen (§ 28 Abs 1 lit o RAO) und diese auf ihrer Website allgemein zugänglich bereit zu stellen, sie habe die Erfüllung der Voraussetzungen jedoch nicht schon bei der Eintragung in die Liste zu prüfen. Dafür genüge vielmehr die Erklärung des jeweiligen Rechtsanwalts, dass die erforderliche Eignung vorliege. Eine Überprüfung der Eignung durch die Rechtsanwaltskammer habe lediglich im Rahmen der allgemeinen Aufsichtsfunktion zu erfolgen; sie müsse die Erfüllung und Einhaltung der Voraussetzungen prüfen und die Person allenfalls aus der Liste streichen. Vor diesem Hintergrund gehe der Rekurssenat davon aus, dass auch ein Rechtsanwalt, der aufrecht in dieser Liste eingetragen sei, nur dann zum Erwachsenenvertreter bestellt werden könne, wenn er dafür im konkreten Fall auch geeignet sei. Die vom Erstgericht vorgenommene aktive Eignungsprüfung, die dazu geführt habe, nicht den anderen Rechtsanwalt, sondern den Rekurswerber zum Erwachsenenvertreter zu bestellen, sei nicht korrekturbedürftig.
In seinem außerordentlichen Revisionsrekurs macht der Erwachsenenvertreter insbesondere geltend, eine eigenständige Prüfung der besonderen Eignung eines in die entsprechende Liste der Rechtsanwaltskammer eingetragenen Anwalts sei schon nach dem klaren Wortlaut des § 275 Z 2 ABGB ausgeschlossen.
Der Betroffene hat trotz Freistellung durch den Obersten Gerichtshof keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist wegen einer vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Fehlbeurteilung der Vorinstanzen zulässig und berechtigt.
1. Gemäß § 275 Z 2 ABGB kann (ua) ein Rechtsanwalt, der nicht aufrecht in der Liste von zur Übernahme von Vorsorgevollmachten und gerichtlichen Erwachsenenvertretungen besonders geeigneten Rechtsanwälten eingetragen ist, die Übernahme einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung (ua) dann ablehnen, wenn er nachweist, dass ein Notar (Notariatskandidat) oder ein Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter), der in der Liste von zur Übernahme von Vorsorgevollmachten und gerichtlichen Erwachsenenvertretungen besonders geeigneten Rechtsanwälten bzw Notaren (§ 28 Abs 1 lit o RAO bzw § 134 Abs 2 Z 16 NO) aufrecht eingetragen ist, mit der Übernahme der Erwachsenenvertretung einverstanden wäre.
2. Diesen Nachweis hat der Erwachsenenvertreter, der (unstrittig) nicht selbst aufrecht in dieser Liste der Rechtsanwaltskammer eingetragen ist, durch die von ihm vorgelegten Urkunden unzweifelhaft erbracht.
3. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, das Gericht könne eigenständig prüfen, ob ein in die genannte Liste eingetragener Rechtsanwalt tatsächlich die erforderliche besondere Eignung aufweise, findet im klaren Gesetzeswortlaut keine Deckung. Für eine solche eigenständige Prüfung besteht unabhängig von der vom Revisionsrekurswerber aufgezeigten Unzulässigkeit eines Eingriffs in die Selbstverwaltung der Rechtsanwaltskammer auch keine Notwendigkeit, weil § 275 Z 2 ABGB lediglich einen Tatbestand regelt, bei dessen Erfüllung ein vom Gericht als Erwachsenenvertreter in Aussicht genommener Rechtsanwalt (Notar) die Übernahme dieser Tätigkeit ablehnen darf; das bedeutet aber nicht, dass das Gericht verpflichtet wäre, den vom Erwachsenenvertreter namhaft gemachten „Ersatzmann“ auch tatsächlich zum Erwachsenenvertreter zu bestellen. Hält es diesen aus welchen Gründen auch immer für (im Einzelfall oder – wie hier das Erstgericht – generell) ungeeignet, steht es ihm vielmehr frei, einen anderen Rechtsanwalt (Notar) zum Erwachsenenvertreter zu bestellen.
4. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren anstelle des Revisionsrekurswerbers einen anderen einstweiligen Erwachsenenvertreter (und Rechtsbeistand gemäß § 119 AußStrG) zu bestellen haben.
5. Der Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters kommt gemäß § 120 Abs 1 AußStrG
– ebenso wie der Bestellung eines Rechtsbeistands im Verfahren gemäß § 119 AußStrG – (ex lege) sofortige Wirksamkeit zu. Da es sich hiebei um eine lex specialis zu § 44 AußStrG handelt (Deixler-Hübner in Gitschthaler/Höllwerth2 § 44 AußStrG Rz 24; Schauer in Gitschthaler/Höllwerth2 § 120 AußStrG Rz 19; Thumhart in Schneider/Verweijen § 44 AußStrG Rz 10; vgl auch Fucik/Kloiber, AußStrG § 44 Rz 9, wonach in einem solchen Fall eine Abänderung iSd § 44 AußStrG nicht in Betracht kommt), ist eine Zuerkennung sofortiger Verbindlichkeit der (ursprünglichen) Erwachsenenvertreterbestellung weder zulässig noch erforderlich, um eine vorübergehende Unterbrechung der Vertretung des Betroffenen zu vermeiden; die Stellung des Revisionsrekurswerbers als einstweiliger Erwachsenenvertreter endet daher – analog § 44 Abs 1 AußStrG – ungeachtet der Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen erst mit Wirksamkeit der Bestellung einer anderen Person zum Rechtsbeistand im Verfahren und zum einstweiligen Erwachsenenvertreter des Betroffenen, die bereits mit Zustellung des Bestellungsbeschlusses eintritt.
Textnummer
E128574European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0030OB00012.20S.0507.000Im RIS seit
20.07.2020Zuletzt aktualisiert am
08.01.2021