Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.
Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gemeinsamer Betriebsrat E***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei E***** GmbH, *****, vertreten durch Posch, Schausberger & Lutz Rechtsanwälte GmbH in Wels, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG, über die Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. Dezember 2019, GZ 11 Ra 72/19s-18, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. September 2019, GZ 16 Cga 34/19d-14, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden mit der Maßgabe bestätigt, dass der Spruch des mit Teilurteil bestätigten stattgebenden Ersturteils (Spruchpunkt 1.) zu lauten hat:
„Es wird festgestellt, dass die im Betrieb der Beklagten erforderliche Zeit für das An- und Ablegen der von der Beklagten zur Verfügung gestellten Dienstkleidung samt der innerbetrieblichen Wegzeiten zwischen dem Umkleideort (Garderobe) und dem jeweiligen Arbeitsplatz hinsichtlich der bei der beklagten Partei beschäftigten Arbeitnehmer/-innen im Küchen- und Servicebereich der Therme als entgeltpflichtige Arbeitszeit gilt.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 501,91 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist Gemeinsamer Betriebsrat der vom Feststellungsantrag betroffenen jeweils mindestens drei Arbeitnehmer der Beklagten. Die Beklagte betreibt eine Therme samt Gastronomie mit einem dazugehörigen Hotel. Auf die gegenständlichen Arbeitsverhältnisse ist der Kollektivvertrag für Arbeiter des Hotel- und Gastgewerbes anzuwenden.
Die Arbeitnehmer der Beklagten, die in der Küche des Hotels arbeiten, tragen eine Kochhose, eine zweireihige Jacke mit mehreren Knöpfen, eine Kopfbedeckung und eine Schürze. Diese Dienstkleidung wird von der Beklagten zur Verfügung gestellt und auch im Betrieb gewaschen. Nach dem Waschen wird sie in der Wäscherei der Beklagten aufbewahrt, wo sich die Mitarbeiter diese wieder abholen können.
Die im Service des Hotels tätigen Arbeitnehmer der Beklagten haben zu einer schwarzen Hose und Schuhen, die sie selbst zur Verfügung stellen müssen, eine einreihige Jacke und eine Schürze, die von der Beklagten zur Verfügung gestellt werden, zu tragen. Die Schürze wird im Betrieb, der Rest der Kleidung wird von den Mitarbeitern zu Hause gewaschen.
Die Mitarbeiter im Küchen- und Servicebereich der Therme der Beklagten, auf die sich das Revisionsverfahren bezieht, sind arbeitsvertraglich verpflichtet, ein kurzes T-Shirt mit einem Aufdruck (Hai und Logo: A***** – Die Piratenwelt), eine schwarze Dreiviertel-Hose, eine Schürze und eine Kopfbedeckung mit Piratenaufdruck zu tragen. Diese Arbeitskleidung wird von der Beklagten zur Verfügung gestellt, allerdings von den Mitarbeitern selbst gewaschen.
Die Beklagte gestattet ihren Mitarbeitern grundsätzlich, die Arbeitskleidung zu Hause anzulegen und damit in den Betrieb zu kommen. Manche Mitarbeiter machen dies auch regelmäßig, andere kleiden sich im Betrieb um.
Aus Gründen der „Hygiene in der Gastronomie“ verlangt die Beklagte, dass die Mitarbeiter die Arbeitskleidung regelmäßig wechseln und in der Küche ihre Arbeits- und Freizeitkleidung getrennt in einem Spind aufbewahren. Die von der Beklagten ihren Mitarbeitern zur Verfügung gestellten Spinde sind im Garderobenbereich aufgestellt, wo sich die Mitarbeiter auch umkleiden können. Die Garderobenbereiche sind von den Arbeitsbereichen der Küchen- und Servicemitarbeiter räumlich getrennt.
Nach den im Betrieb geltenden HACCP-Hygiene-Leitlinien des (damals) Bundesministeriums für Frauen und Gesundheit (HACCP = Abkürzung für hazard analysis and critical control points) ist zudem ein Verlassen der Küchenbereiche mit Arbeitskleidung und Arbeitsschuhen zu vermeiden. Ist dies dennoch notwendig, so sind die Arbeitskleidung und Arbeitsschuhe vor Kontamination zu schützen und vor dem neuerlichen Betreten der Küche zu wechseln. Ein Aufenthalt in Privatkleidung in der Küche ist nicht gestattet.
Der klagende Gemeinsame Betriebsrat begehrt mit seiner Klage nach § 54 Abs 1 ASGG die Feststellung, dass die Umkleidezeit samt den Wegzeiten zwischen dem Umkleideort und dem jeweiligen Arbeitsplatz hinsichtlich der bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer/-innen der Küche sowie im Servicebereich als entgeltpflichtige Arbeitszeit gilt.
Die Feststellungsklage wird damit begründet, dass die davon betroffenen Arbeitnehmer der Beklagten – ua auch aufgrund der Hygiene-Leitlinien – verpflichtet seien, eine vorgegebene Arbeitskleidung zu tragen, die vor bzw nach der im Dienstplan festgelegten Arbeitszeit und somit in der Freizeit in der Garderobe des Betriebs an- und abzulegen sei und im Betrieb verbleibe. Das Verlassen des Arbeitsplatzes mit der Arbeitskleidung sei den Arbeitnehmern auch nicht zumutbar, weil sie zu auffallend sei. Die durchschnittlichen Umkleide- und Wegzeiten von der Garderobe zum Arbeitsplatz und zurück dauern mehrere Minuten pro Umkleide- und Wegvorgang.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass die Arbeitskleidung nicht über eine allgemein übliche berufliche Kleidung hinaus gehe. Allen Arbeitnehmern sei es freigestellt, die Arbeitskleidung entweder im Betrieb oder zu Hause an- und abzulegen bzw gebrauchte Arbeitskleidung zu Hause zu waschen oder im Betrieb reinigen zu lassen, sodass die Umkleidezeiten nicht als Arbeitszeit anzusehen sei. Die zur Verfügung gestellten Umkleideräume befänden sich in unmittelbarer Nähe zum Arbeitsplatz. Die für das An- und Ablegen der Dienstkleidung benötigte Zeit sei aufgrund ihrer Kürze vernachlässigbar.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Ausnahme jener Mitarbeiter, die im Servicebereich des Hotels beschäftigt sind, statt. Das Mehrbegehren (Servicebereich des Hotels) wies es (rechtskräftig) ab. Die Arbeitnehmer seien arbeitsvertraglich verpflichtet, eine bestimmte Dienstkleidung zu tragen. Die Mitarbeiter der Hotelküche der Beklagten müssten darüber hinaus aufgrund von Hygienevorschriften die Arbeitskleidung im Betrieb wechseln. Zudem sei es den Mitarbeitern im Service und in der Küche der Therme nicht zumutbar, den An- und Abmarschweg zur und von der Arbeitsstätte in Piratenkleidung zurückzulegen, weshalb auch deren Umkleidezeiten trotz Fehlens einer konkreten Verpflichtung zum Umkleiden im Betrieb und die innerbetrieblichen Wegzeiten vom Umkleideort zum Arbeitsplatz und zurück, als Arbeitszeit zu werten sei. Den im Servicebereich des Hotels beschäftigten Mitarbeitern sei hingegen das Anlegen der Arbeitskleidung zu Hause erlaubt und auch zumutbar.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge. Darin bestätigte es mit Teilurteil die stattgebende Entscheidung des Erstgerichts hinsichtlich der Mitarbeiter im Service und in der Küche der Therme. Aufgrund der besonderen Auffälligkeit der Arbeitskleidung dieser Mitarbeiter sei ihnen der An- und Abmarschweg zur Arbeitsstätte in Piratenkleidung nicht zumutbar. Soweit der Feststellungsantrag die in der Küche des Hotels der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer betrifft, sei die Entscheidung des Erstgerichts wegen widersprüchlicher Feststellungen zur Verpflichtung, sich im Betrieb umzukleiden, hingegen aufzuheben. Zur Frage, ob eine besonders auffällige Arbeitskleidung dazu führen könne, dass Umkleidezeiten im Betrieb des Arbeitgebers als Arbeitszeit § 2 Abs 1 Z 1 AZG gelten, ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision gegen das Teilurteil zu.
In ihrer gegen das bestätigende Teilurteil gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.
I.1.1. Gemäß § 2 Abs 1 Z 1 AZG gilt als Arbeitszeit im Sinne des Bundesgesetzes die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen.
1.2. Die Möglichkeit der Verfügung des Arbeitgebers über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers innerhalb eines bestimmten Zeitraums und unabhängig von einem bestimmten Arbeitserfolg ist dem Arbeitsvertrag wesensimmanent (RS0021494; RS0021284). Die Arbeitszeit iSd § 2 Abs 1 Z 1 AZG beginnt, sobald der Arbeitnehmer in Entsprechung der arbeitsvertraglichen Verpflichtung seine Arbeit aufnimmt oder dem Arbeitgeber zur Aufnahme der Arbeit zur Verfügung steht (9 ObA 29/18g Pkt 1. mwN).
1.3. In der Entscheidung 9 ObA 29/18g (Pkt 2.) hat der Oberste Gerichtshof ausführlich den – mit dem innerstaatlichen Recht übereinstimmenden – Begriff der Arbeitszeit nach Art 2 Z 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. 11. 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeit-RL) wie folgt erörtert: „Beim Verständnis von Arbeitszeit ist auch auf Art 2 Z 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. 11. 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeit-RL) Bedacht zu nehmen. Arbeitszeit ist danach jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Der EuGH hat dazu in der
Rs C-266/14 Tyco mwN wiederholt, dass die RL keine Zwischenkategorie zwischen den Arbeitszeiten und den Ruhezeiten vorsieht (Rn 26). Dafür, dass der Arbeitnehmer während der Arbeitszeit dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen muss, ist der Umstand entscheidend, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten und sich zu dessen Verfügung zu halten, um gegebenenfalls sofort seine Leistungen erbringen zu können (Rn 35). Ein Arbeitnehmer steht also nur dann seinem Arbeitgeber zur Verfügung, wenn er sich in einer Lage befindet, in der er rechtlich verpflichtet ist, den Anweisungen seines Arbeitgebers Folge zu leisten und seine Tätigkeit für ihn auszuüben (Rn 36). Dagegen spricht es dafür, dass der betrachtete Zeitraum keine Arbeitszeit im Sinne der RL ist, wenn die Arbeitnehmer ohne größere Zwänge über ihre Zeit verfügen und ihren eigenen Interessen nachgehen können (Rn 37).“
1.4. Auch die Parteien legen dem Arbeitszeitbegriff das vorstehende Verständnis zugrunde. Der klagende Betriebsrat leitet aus dem in Punkt 2. lit a. Satz 2 des Kollektivvertrags für Arbeiter des Hotel- und Gastgewerbes definierten Arbeitszeitbegriff nichts Besonderes für seinen Standpunkt ab.
2.1. Soweit der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 9 ObA 89/02g und 9 ObA 133/02b (Zirkusmusiker: Anziehen der Uniform vor einer Vorstellung im Wohnwagen), auf die sich die Beklagte stützt, festgehalten hat, dass die Zeit, die ein Arbeitnehmer vor seinem Eintreffen an der Arbeitsstätte zum Anziehen seiner Arbeitskleidung benötigt, im Allgemeinen nicht als Arbeitszeit zu werten ist, hat diese Rechtsprechung bereits in der Entscheidung 9 ObA 29/18g (Pkt 3., 5.) eine Differenzierung erfahren.
2.2. In 9 ObA 29/18g (DRdA 2019/25 [Auer-Mayer]; Geiblinger, Umkleidezeit = Arbeitszeit, ÖZPR 2018/83; Stadler, Das Umkleidezeit-Urteil und seine praktische Umsetzung in den Gesundheitsbetrieben, JMG 2019, 28) wurden Umkleidezeiten von Arbeitnehmern in Krankenanstalten und die damit verbundenen innerbetrieblichen Wegzeiten als primär im Interesse des Dienstgebers gelegene arbeitsleistungsspezifische Tätigkeiten beurteilt, weil die dortigen Arbeitnehmer aufgrund einer Anordnung des Arbeitgebers verpflichtet waren, die Dienstkleidung ausschließlich im Krankenhaus zu wechseln. Die Umkleidezeiten wiesen ein solches Maß an Intensität der Fremdbestimmung auf, dass es gerechtfertigt erschien, sie als Arbeitszeit iSd genannten Bestimmungen anzusehen.
3.1. Das Kriterium der Fremdbestimmung durch den Arbeitgeber, wenn der Arbeitnehmer in der Gestaltung seiner Zeit nicht autonom im Rahmen seiner Selbstbestimmungsmöglichkeit agiert, sondern für den Arbeitgeber Handlungen setzt, die nicht Ausfluss seiner eigenen Gestaltung sind (vgl 9 ObA 8/18v Pkt. 1.2. ff), kann grundsätzlich als entscheidendes Merkmal herangezogen werden, um den Zeitaufwand für eine bestimmte Tätigkeit des Arbeitnehmers als Freizeit oder als Arbeitszeit zu qualifizieren. Demnach können notwendige Umkleidezeiten im Betrieb des Arbeitgebers, die nicht im eigenen – der Privatsphäre zugehörenden – Gestaltungsbereich des Arbeitnehmers liegen, sondern darauf zurückzuführen sind, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zum Tragen einer bestimmten (hier von der Arbeitgeberin zudem zur Verfügung gestellten) Dienstkleidung arbeitsvertraglich verpflichtet, dann Arbeitszeit iSd § 2 Abs 1 Z 1 AZG sein, wenn mit diesen Handlungen ein solches Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung gegeben ist, dass eine arbeitsleistungsspezifische Tätigkeit oder Aufgabenerfüllung für den Arbeitgeber zu bejahen ist (9 ObA 29/18g Pkt 5.; vgl Mazal, Umkleidezeit als Arbeitszeit, in Kietaibl/Schörghofer/Schrammel, Rechtswissenschaft und Rechtskunde, Liber Amicorum für Robert Rebhahn, 63 Pkt III.C.). Der Arbeitnehmer erbringt zwar noch nicht seine „Kernarbeitsleistung“, steht dem Arbeitgeber aber in dem Sinn zur Verfügung, dass er seiner Anordnung Folge leistet (vgl 9 ObA 8/18v Pkt 1.4.; vgl Mazal, Umkleidezeit als Arbeitszeit, in Kietaibl/Schörghofer/Schrammel, Rechtswissenschaft und Rechtskunde, Liber Amicorum für Robert Rebhahn, 63 Pkt III.B.).
3.2. Die Dauer des Umkleidens stellt zwar keine eigenständige zusätzliche Voraussetzung für die Wertung der Umkleidezeit als Arbeitszeit dar (vgl 9 ObA 29/18g Pkt 7.; Holouschka, Die arbeitsrechtliche Beurteilung von Umkleidezeiten, Liber Amicorum – Wolfgang Mazal zum 60. Geburtstag, Pkt III.B.), ist aber bei der Gesamtbeurteilung, ob das Umkleiden ein solches Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung erreicht, dass eine arbeitsleistungsspezifische Tätigkeit oder Aufgabenerfüllung für den Arbeitgeber zu bejahen ist, mit ins Kalkül zu ziehen.
3.3. Das für die Qualifikation als Arbeitszeit iSd § 2 Abs 1 Z 1 AZG erforderliche Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung wird auch dann erreicht, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zwar das Umkleiden der vorgeschriebenen Dienstkleidung (im Regelfall) zu Hause erlaubt, es dem Arbeitnehmer aber objektiv gesehen nicht zumutbar ist, die vorgeschriebene Dienstkleidung bereits zu Hause anzulegen, um damit den Weg zur Arbeitsstätte anzutreten und nach Arbeitsende mit dieser Dienstkleidung wieder den Heimweg anzutreten (Klein in Heilegger/Klein, AZG4 § 2 Rz 9; Auer-Mayer, DRdA 2019, 256 Pkt 3.2.; Geiblinger, ÖZPR 2018, 135 [138]; vgl auch BAG 1 ABR 54/08 [Rz 18]; BAG 1 ABR 76/13 Pkt II.1.b; 5 AZR 382/16 Pkt 2). Dabei kann sich die Unzumutbarkeit im Einzelfall etwa daraus ergeben, dass die Dienstkleidung nach außen durch Embleme, Logos oder sonstige Farben erkennbar einen spezifischen Firmenbezug herstellt oder sonst (besonders) auffällig oder ungewöhnlich ist. Je „auffälliger“ eine vom Arbeitgeber vorgeschriebene Dienstkleidung ist, desto intensiver ist das Ausmaß der Fremdbestimmung des Arbeitnehmers.
4.1. Die von der Beklagten den im Service und in der Küche der Therme beschäftigten Arbeitnehmern vorgeschriebene Dienstkleidung („Piratenkostüm“) erreicht jenes Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung durch die Beklagte, die es diesen Arbeitnehmern objektiv unzumutbar macht, die Dienstkleidung auch am Arbeitsweg zu tragen. Zum einen lässt das am T-Shirt aufgebrachte Logo „A***** – Die Piratenwelt“ einen unmittelbaren Bezug zum Betrieb der Beklagten erkennen, zum anderen handelt es sich auch beim Tragen dieses T-Shirts und der schwarzen Dreiviertel-Hose (auch schon ohne der Schürze und der Kopfbedeckung mit Piratenaufdruck) um eine (besonders) auffällige Kleidung. Das dadurch objektiv erforderliche Umkleiden im Betrieb der Beklagten erfolgt somit nicht mehr eigenbestimmt durch die Arbeitnehmer, sondern – in einem das Mindestmaß übersteigenden Intensität – fremdbestimmt durch die Beklagte. Das Umkleiden der vom Feststellungsantrag betroffenen Arbeitnehmer der Beklagten, die im Service und in der Küche der Therme beschäftigt sind, ist daher als Arbeitszeit iSd § 2 Abs 1 Z 1 AZG zu qualifizieren. Eine verpflichtende (arbeitsvertragliche) Anordnung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer, diese Dienstkleidung in der Freizeit zu tragen, würde einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre des Arbeitnehmers bedeuten (vgl 9 ObA 82/15x).
4.2. In diesem Fall sind auch die innerbetrieblichen Wegzeiten zwischen dem jeweiligen Umkleideort im Betrieb (zB Umkleideraum, Garderobe) und dem konkreten Arbeitsplatz als Arbeitszeit iSd § 2 Abs 1 Z 1 AZG anzusehen (vgl 9 ObA 29/18g Pkt 8; Holouschka, Die arbeitsrechtliche Beurteilung von Umkleidezeiten, Liber Amicorum – Wolfgang Mazal zum 60. Geburtstag, Pkt V.A.).
5. Die in der Revision der Beklagten geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor. Der Ort der Reinigung der Dienstkleidung wurde bereits in der Entscheidung 9 ObA 29/18g nicht als maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen Arbeitszeit und Freizeit des Arbeitnehmers eingestuft. Die Frage, ob es sich bei der von der Beklagten den Mitarbeitern im Service und in der Küche der Therme vorgeschriebenen Dienstkleidung um eine in der Gastronomie bzw in einer Therme branchenübliche Kleidung handelt, ist rechtlich nicht relevant, weil es sich bei dieser Art der Dienstkleidung („Piratenkostüm“) um eine besonders auffällige Kleidung handelt, die es den Arbeitnehmern objektiv unzumutbar macht, sie am Arbeitsweg zu tragen.
6. Zusammengefasst sind Zeiten, die ein Arbeitnehmer benötigt, um sich im Betrieb die vom Arbeitgeber vorgeschriebene Dienstkleidung an- bzw wieder abzulegen sowie die allenfalls in diesem Zusammenhang stehende innerbetrieblichen Wegzeiten zwischen dem jeweiligen Umkleideort im Betrieb (zB Umkleideraum, Garderobe) und dem konkreten Arbeitsplatz dann als Arbeitszeit iSd § 2 Abs 1 Z 1 AZG anzusehen, wenn das Umkleiden bei Gesamtbetrachtung aller Umstände ein solches Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung erreicht, dass eine arbeitsleistungsspezifische Tätigkeit oder Aufgabenerfüllung für den Arbeitgeber zu bejahen ist. Dies ist auch dann der Fall, wenn zwar der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer erlaubt, die von ihm vorgeschriebene Dienstkleidung zu Hause an- bzw abzulegen (und damit auf dem Arbeitsweg zu tragen), es dem Arbeitnehmer aber objektiv unzumutbar ist, die Dienstkleidung auch am Arbeitsweg zu tragen.
II.1. Die von der Rechtsprechung insbesondere zur Frage der Bestimmtheit von Feststellungsbegehren entwickelten Grundsätze sind auch auf die besonderen Feststellungsverfahren – hier nach § 54 Abs 1 ASGG – anzuwenden (RS0037479). Auch in Feststellungsklagen muss das festzustellende Recht oder Rechtsverhältnis inhaltlich und umfänglich genau und zweifelsfrei bezeichnet werden. (RS0037437).
2. Nach der Rechtsprechung ist das Gericht auch noch in höherer Instanz berechtigt und verpflichtet, dem Urteilsspruch eine klare(re) und deutlichere, vom Begehren abweichende Fassung zu geben, sofern diese in den Behauptungen des Klägers ihre eindeutige Grundlage findet und sich im Wesentlichen mit dem Begehren deckt (RS0038852 [T16]; RS0041254). Für die Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens ist nicht dessen Wortlaut, sondern der Sinn des Begehrens maßgeblich (RS0038852 [T13]); das Klagebegehren ist so zu verstehen, wie es im Zusammenhalt mit der Klageerzählung vom Kläger gemeint ist (RS0037440).
3. Aus der Klagserzählung ergibt sich im vorliegenden Fall eindeutig, dass der klagende Betriebsrat nur auf die Umkleidezeit im Betrieb und nicht etwa am Wohnort des Arbeitnehmers abstellt und vom Feststellungsbegehren nur die innerbetrieblichen Wegzeiten zwischen dem Umkleideort im Betrieb und dem jeweiligen Arbeitsplatz umfasst sein soll. Das Feststellungsbegehren würde daher mit der im Spruch ersichtlichen Maßgabe präzisiert.
Der nicht berechtigten Revision der Beklagten war nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E128566European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00013.20G.0525.000Im RIS seit
20.07.2020Zuletzt aktualisiert am
26.05.2021