Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Solé, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers H*****, vertreten durch Dr. Peter Petzer, Rechtsanwalt in Kufstein, gegen die Antragsgegnerin M*****, vertreten durch Mag. Thomas Frischmann, Rechtsanwalt in Bad Häring, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 30. Jänner 2020, GZ 55 R 2/20b-57, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Rattenberg vom 5. Dezember 2019, GZ 2 Fam 13/18v-53 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Beschlussfassung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die am 18. 9. 1961 geschlossene Ehe der Parteien wurde mit Urteil vom 24. 11. 2017 rechtskräftig geschieden.
Der Antragsteller begehrt die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse in Form der Zuerkennung einer Ausgleichszahlung, die sich am halben Wert der im Eigentum der Frau stehenden, jedoch von ihm allein finanzierten – während aufrechter Ehe angeschafften – Ehewohnung (Eigentumswohnung) bemesse.
Mit einer am 13. 12. 2012 zwischen den Ehegatten geschlossenen Vereinbarung, womit die Frau dem Mann für die Zeit nach ihrem Tod (bzw „soweit sie die Wohnung nicht mehr selbst benutzen könne“) ein Wohnungsgebrauchsrecht an der Ehewohnung sowie ein (sofort wirksames) Fruchtgenussrecht an der Garage und dem Keller eingeräumt habe, sei keine nacheheliche Aufteilung bezweckt worden. Die Ehegatten hätten die Vereinbarung nicht für den Scheidungsfall abgeschlossen, sondern der Mann habe damit – unabhängig von einer Scheidung – seine Rechte an der Wohnung (insbesondere) für den Fall des Todes der Frau absichern wollen. Eine 2012 eingebrachte Ehescheidungsklage sei nach Abschluss dieser Vereinbarung mit Zustimmung der Frau zurückgezogen worden. Der Mann habe mit der Einleitung dieses (ersten) Scheidungsverfahrens nur Druck ausüben wollen, um sie zum Abschluss der gewünschten Vereinbarung zu bewegen.
Die Antragsgegnerin entgegnete, dass die Ehewohnung von beiden Parteien finanziert worden sei. Die begehrte Ausgleichszahlung sei – im Hinblick auf den geringen Wert der Ehewohnung – zu hoch. Die am 13. 12. 2012 getroffene Vereinbarung sei vor dem Hintergrund der Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens getroffen worden. Die Ehe habe bereits damals „nur mehr auf dem Papier“ bestanden, es sei auch bereits ein Scheidungsverfahren anhängig gewesen. Die Frau habe wegen der Kinder zwar keine Scheidung gewollt, der Vereinbarung über die Aufteilung der „Rechte an der Ehewohnung“ jedoch zugestimmt.
Das Erstgericht wies das Aufteilungsbegehren des Mannes ab, wobei es ua von folgendem Sachverhalt ausging:
Der Mann übermittelte im Juni 2012 ein rechtsanwaltliches Schreiben mit auszugsweise folgendem Inhalt an die Frau: „[…] Mein Mandant wünscht nunmehr, dass ein Vertrag errichtet wird, mit dem Sie ihm das uneingeschränkte Wohnungsgebrauchsrecht an der Wohnung W1 in der genannten Liegenschaft einräumen. Dies unter der Einschränkung, dass das Wohnungsgebrauchsrecht erst mit dem Tag Ihres Ablebens auflebt. In anderen Worten also, soll die eheliche Wohnung, sollten Sie vor meinem Mandanten versterben, von diesem bis zu seinem eigenen Tod weiter genützt werden können. Weiters möchte mein Mandant gerne, dass er bereits jetzt ein Gebrauchsrecht an den Kellerräumlichkeiten sowie an der Garage eingeräumt bekommt. Sollten Sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht bereit sein, die oben aufgeworfenen Vorschläge aufzugreifen und eine entsprechende Vereinbarung zu unterfertigen, wird mein Mandant ein Scheidungsverfahren anstreben und wird das eheliche Gebrauchsvermögen sohin einer Verwertung zugeführt werden müssen.“
Am 13. 11. 2012 brachte der Mann eine (erste) Scheidungsklage ein.
Am 13. 12. 2012 trafen die Parteien folgende notariell beglaubigte Vereinbarung:
„[…] 2. Einräumung eines Fruchtgenussrechtes:
Frau M***** räumt hiermit ihrem Ehegatten, Herrn H*****, das lebenslängliche Fruchtgenussrecht an der Garage und den gesamten Kellerräumlichkeiten im Gebäude *****, ein, wobei sie sich vorbehält, weiterhin im Kellerraum unter dem Wohnhaus ihre Wäsche aufzuhängen. Herr H***** nimmt dieses Fruchtgenussrecht an.
3. Einräumung eines Wohnungsgebrauchsrechtes:
Frau M***** räumt hiermit weiters Herrn H***** das lebenslängliche und unentgeltliche Wohnungsgebrauchsrecht auf ihren ***** Miteigentumsanteilen an der Liegenschaft in *****, ein und stimmt zu, dass diese Dienstbarkeit im Grundbuch einverleibt wird. Dabei handelt es sich um die Benutzung der Wohnung W1 im Erdgeschoss des Gebäudes samt dazugehörigem Gartenanteil. Dieses Wohnungsgebrauchsrecht wird nur für den Fall eingeräumt, dass Frau B***** ablebt bzw. für den Fall, dass Frau B***** selbst die Wohnung nicht mehr benutzen kann, sei es, dass sie im Altersheim wohnt. Nachdem die Wohnung lediglich ca. 88 m² hat wird diese Dienstbarkeit des Wohnungsgebrauchsrechts für den Fall der Nichtmehrbenützbarkeit durch die Eigentümerin mit € 300,00 monatlich bewertet. Herr H***** nimmt dieses Wohnungsgebrauchsrecht an. [...]“
Am 14. 12. 2012 zog der Mann die (erste) Scheidungsklage mit Zustimmung der Frau „ohne Anspruchsverzicht“ zurück. Am 23. 8. 2017 brachte er erneut eine Scheidungsklage ein, aufgrund derer die Parteien geschieden wurden.
Rechtlich ging das Erstgericht aufgrund dieser Feststellungen davon aus, dass die Parteien eine Vereinbarung iSd § 97 Abs 1 EheG getroffen haben, wodurch sie ihre Rechte an der Ehewohnung „der Aufteilung zugeführt hätten“. Es wäre ihr Wille gewesen, die Aufteilung der Ehewohnung im Voraus während des anhängigen (ersten) Scheidungsverfahrens abschließend zu regeln.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es ging davon aus, dass die am 13. 12. 2012 getroffene Vereinbarung nicht – wie dies § 97 Abs 1 EheG fordere – in Notariatsaktsform, sondern nur notariell beurkundet abgeschlossen worden sei. Dies schade aber nicht, weil ein Zusammenhang mit dem ersten Scheidungsverfahren bestanden habe (und die Vereinbarung daher unter § 97 Abs 5 EheG falle). Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil sich das Rekursgericht an „einschlägiger Rechtsprechung“ orientiert habe.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Mannes ist zulässig, weil dem Rekursgericht bei der Frage, ob die Parteien mit der Vereinbarung aus 2012 für den Fall einer späteren (nämlich der letztlich erfolgten) Scheidung eine Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens vornehmen wollten, eine zu korrigierende Fehlbeurteilung unterlaufen ist; er ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1. Eine rechtswirksame Vereinbarung nach § 97 Abs 5 EheG (diese Bestimmung entspricht Abs 2 leg cit vor dem FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75) schließt, soweit sie reicht, eine Aufteilung gemäß den §§ 81 ff EheG aus (RS0113795). Der Gesetzgeber räumt damit der Einigung der Ehegatten über die Aufteilung den Vorrang gegenüber einer gerichtlichen Aufteilung ein, die erst dann und nur insoweit Platz greift, als eine Einigung ausbleibt (RS0046057).
2.1. Für die Beurteilung der Frage, ob die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung über die Rechte an der ehemaligen Ehewohnung einem Aufteilungsverfahren im Weg steht, ist zunächst durch Vertragsauslegung zu klären, ob diese nach dem übereinstimmenden Parteiwillen überhaupt für den Fall einer Ehescheidung geschlossen wurde und eine Regelung der Scheidungsfolgen bezweckte.
2.2. Bei der Erforschung des wahren Parteiwillens – wofür das gesamte Verhalten der Vertragsteile, das sich aus Äußerungen in Wort und Schrift sowie aus sonstigem Tun oder Nichttun zusammensetzen kann, zu berücksichtigen ist (RS0017915 [T29]) – handelt es sich um eine
gemischte Frage (Quaestio mixta), bei der zwischen der Sammlung von Indizien für den Parteiwillen als Tatsachenfeststellung und deren rechtlicher Bewertung zu unterscheiden ist (RS0017797 [T11]; vgl auch RS0017830). Ist der Inhalt bzw die „Reichweite“ einer Vereinbarung strittig, kommt es nicht in Betracht die „Absicht der Parteien“ als Ergebnis der Auslegung nach § 914 ABGB in Gestalt einer „Feststellung“ festzuhalten, weil es sich dabei in Wahrheit um die rechtliche Beurteilung (primär) der wechselseitigen Äußerungen der Streiteile (sowie sonstiger für die Auslegung maßgeblicher Umstände) handelt. Die „Annahme“ des Erstgerichts, es sei der „Wille der Parteien“ gewesen, die Aufteilung der Ehewohnung im Voraus während des (ersten) anhängigen Scheidungsverfahrens abschließend zu regeln, ist daher einer rechtlichen Überprüfung zugänglich, zumal dessen Ausführungen in der Beweiswürdigung (in deren Rahmen das Erstgericht für die „Feststellung“ des Parteiwillens auch die Umstände des Vertragsabschlusses berücksichtigte) sowie die Bezugnahme auf § 914 ABGB in der rechtlichen Beurteilung zeigen, dass damit in Wahrheit die „Absicht der Parteien“ rechtlich beurteilt werden sollte.
2.3. Die Auslegung des Berufungsgerichts hält einer rechtlichen Überprüfung aber nicht stand. Bereits der Wortlaut der Vereinbarung vom 13. 12. 2012 zielt nicht auf eine für den Fall der Ehescheidung getroffene Vermögensaufteilung ab, sondern (jedenfalls hinsichtlich des Wohnungsgebrauchsrechts) auf eine Regelung der Benutzungsverhältnisse für den Fall des Ablebens der Frau bzw für den Fall, dass sie die (Ehe-)Wohnung (insbesondere aus gesundheitlichen Gründen) nicht mehr benutzen kann. Dass bei Abschluss der Vereinbarung ein Scheidungsverfahren anhängig war, spricht nur auf den ersten Blick dafür, dass die Parteien eine Regelung der vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen im Blick gehabt haben könnten. Berücksichtigt man, dass der Mann der Frau die Einbringung der Scheidungsklage nur für den Fall „androhte“, dass sie ihm das gewünschte Wohnungsgebrauchs- und Fruchtgenussrecht nicht einräumt (zur Bedeutung der Entstehungsgeschichte eines Vertrags für dessen Auslegung vgl RS0017838), und dass er die Scheidungsklage – die er ersichtlich nur deshalb eingebracht hatte, um den Druck auf die Frau, die angestrebte Vereinbarung abzuschließen, zu verstärken – unmittelbar nach Abschluss dieser Vereinbarung mit ihrer Zustimmung zurückzog, so zeigt sich, dass diese gerade nicht für den Fall der (danach in Wahrheit gar nicht angestrebten) Ehescheidung Gültigkeit haben sollte und die Ehegatten damit keine – durch die künftige Ehescheidung
bedingte (vgl RS0057710) – Regelung der vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen treffen wollten (vgl RS0057618).
3. Letztlich steht die Vereinbarung vom 13. 12. 2012 auch in keinem (in einem zweiten Prüfungsschritt zu beurteilenden; vgl zu dieser „zweistufigen“ Prüfung 1 Ob 178/07v) Zusammenhang iSd § 97 Abs 5 EheG mit der tatsächlich erfolgten Ehescheidung. Nach der (jüngeren) Rechtsprechung kommt es dafür auf einen ursächlichen Zusammenhang an, der grundsätzlich bei einer bei Abschluss der Vereinbarung vorhandenen – wenn auch einseitigen – Absicht, auf Scheidung zu klagen, oder bei beiderseitiger Absicht, sich einvernehmlich scheiden zu lassen, angenommen wird (vgl RS0057710), sofern dieser nicht durch „irgendwelche Zwischenursachen“ wieder beseitigt wurde (vgl RS0057619). Eine solche Scheidungsabsicht des Mannes (und nach ihrem eigenem Vorbringen auch der Frau) bestand hier nicht. Der Oberste Gerichtshof sprach zu 3 Ob 590/81 (MietSlg 33.535) auch aus, dass es für den geforderten (unmittelbaren) Zusammenhang einer Vereinbarung mit einem Scheidungsverfahren iSd § 97 Abs 2 (nunmehr Abs 5) EheG nicht ausreicht, wenn bei deren Abschluss zwar „gerade ein Scheidungsverfahren anhängig war“, dieses aber später nie fortgesetzt wurde. Hier wurde das bei Abschluss der Vereinbarung vom 13. 12. 2012 anhängige Scheidungsverfahren – aufgrund der Zurückziehung der Scheidungsklage – nicht fortgeführt und die Ehe somit vorläufig (für einen ungewissen Zeitraum) fortgesetzt. Es fehlt daher – unabhängig davon, ob sich die Parteien während der fortgesetzten Ehe (im Sinn eines ernsthaften Anstrebens der ehelichen Lebensgemeinschaft) „versöhnt“ haben – an einem sachlichen Zusammenhang der Vereinbarung mit der erst rund fünf Jahre nach Beendigung des ersten Scheidungsverfahrens (in einem zweiten Scheidungsverfahren) ausgesprochenen Scheidung.
4. Die Vorinstanzen haben den Aufteilungsantrag somit zu Unrecht abgewiesen, ohne sich mit den jeweiligen Begehren der Parteien inhaltlich auseinanderzusetzen. Dies wird im weiteren Verfahren nachzuholen sein.
5. Der Kostenvorbehalt beruht darauf, dass kein die Sache erledigender Beschluss iSd § 78 Abs 1 Satz 2 AußStrG vorliegt (1 Ob 49/19s mwN).
Textnummer
E128577European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00046.20A.0525.000Im RIS seit
20.07.2020Zuletzt aktualisiert am
20.01.2021