RS Vfgh 2020/6/12 WIV77/2020 ua

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Veröffentlicht am 12.06.2020
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Index

L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art141 Abs1 liti, litj
Nö GRWO 1994 §17, §23, §24, §25, §26
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Aufhebung der Einstellung der Berichtigungsverfahren betreffend die Wählerverzeichnisse für die Wahl des Gemeinderats der Stadtgemeinde Litschau durch das Landesverwaltungsgericht; Einräumung der Parteistellung auch für nicht in ihren subjektiven Rechten betroffene Personen zur Wahrung der objektiven Rechtmäßigkeit wahlbehördlichen Handelns; keine Auswirkungen des rechtskräftigen Abschlusses des Wahlverfahrens auf das Beschwerdeverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht

Rechtssatz

Bei Anfechtungen von Entscheidungen betreffend die Aufnahme von Personen in Wählerevidenzen (Wählerverzeichnisse) bzw die Streichung von Personen aus Wählerevidenzen (Wählerverzeichnissen) gemäß Art141 Abs1 liti iVm litj B-VG einerseits und bei Verfahren zur Anfechtung einer Wahl gemäß Art141 Abs1 lita B-VG andererseits handelt es sich um jeweils getrennte (Rechtschutz-)Verfahren. Eine Anfechtung der Gemeinderatswahl der Stadtgemeinde Litschau wegen angeblich gesetzwidriger Vorgänge im Wahlverfahren kann nicht Gegenstand eines Verfahrens gemäß Art141 Abs1 liti iVm litj. B-VG (bzw Beschwerdeverfahrens gemäß §26 NÖ GRWO 1994) sein. Entsprechendes gilt umgekehrt für Anfechtungen betreffend die Aufnahme von Personen in Wählerevidenzen (Wählerverzeichnisse) bzw die Streichung von Personen aus Wählerevidenzen (Wählerverzeichnissen), welche nicht in einem Verfahren nach Art141 Abs1 lita B-VG (bzw §§56 ff NÖ GRWO 1994) abgehandelt werden können.

Schon an der Trennung beider Verfahren zeigt sich, dass der Abschluss eines Wahlverfahrens nicht per se verfahrensbeendende Rechtswirkungen für ein noch anhängiges und im Falle einer Anfechtung beim VfGH trotz der in der NÖ GRWO 1994 vorgesehenen relativ kurzen Fristen in der Regel nicht vor dem Wahltag beendetes Verfahren über die Aufnahme von Personen in Wählerevidenzen (Wählerverzeichnisse) und die Streichung von Personen aus Wählerevidenzen (Wählerverzeichnissen) zeitigen kann. Andernfalls würde auch regelmäßig eine Entscheidung des VfGH obsolet sein bzw dessen Prüfkompetenz schlichtweg ins Leere laufen.

Damit aber trotz des relativ kurzen Zeitraums zwischen Auflage der Wählerverzeichnisse und des Wahltags rechtzeitig vor einer Wahl eine rechtskräftige (gerichtliche) Entscheidung dahingehend, ob eine bestimmte Person wahlberechtigt ist oder nicht, ergehen kann, wurde mit BGBl I 115/2013 in Art141 Abs1 litj B-VG dem zuständigen einfachen Bundes- bzw Landesgesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt, eine vorherige Überprüfung derartiger Entscheidungen durch ein Verwaltungsgericht vorzusehen. Eine - wenn auch regelmäßig nach dem Wahltag - stattfindende Überprüfung durch den VfGH soll dadurch jedoch gerade nicht ausgeschlossen werden. Auch daraus zeigt sich wiederum, dass die Beendigung des Wahlverfahrens durch (rechtskräftige) Kundmachung des Ergebnisses nicht schon per se Auswirkungen auf das Verfahren gemäß Art141 Abs1 liti iVm litj B-VG bzw ein diesem vorgelagertes verwaltungsgerichtliches Verfahren zeitigen kann.

Dass Verfahren nach Art141 Abs1 liti bzw litj B-VG somit insofern unabhängig davon zu führen sind, ob die Wahl, für welche das betreffende Wählerverzeichnis erstellt wurde, bereits abgehalten und das Ergebnis (rechtskräftig) kundgemacht worden ist oder nicht, ist auch aus der bisherigen Rsp des VfGH ableitbar: So sind seit der Einführung dieser Bestimmungen mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51/2012, verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die in Fällen der Eintragung in das bzw Streichung aus dem Wählerverzeichnis ergehen, zwar keiner Beschwerde gemäß Art144 B-VG mehr zugänglich, sondern allein gemäß Art141 B-VG anfechtbar. Die Rsp des VfGH zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, wonach rechtswidrige Entscheidungen in Verfahren betreffend Streichungen aus Wählerevidenzen (Wählerverzeichnissen) oder Eintragungen in Wählerevidenzen (Wählerverzeichnisse) auch zeitlich nach Abhaltung der entsprechenden Wahl durch Erkenntnis des VfGH aufgehoben wurden, ist dennoch auf die nunmehrige Rechtslage übertragbar.

Weder der von einer Streichung aus bzw Eintragung in das Wählerverzeichnis ebenfalls oftmals (dh soweit es sich nicht um die einzutragende bzw zu streichende Person selbst handelt) nicht persönlich betroffene Antragsteller im behördlichen Verfahren noch der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht hat ein rechtliches Interesse glaubhaft zu machen. Berichtigungs- und Beschwerdeverfahren gemäß §§23 ff NÖ GRWO 1994 dienen somit der Überprüfung der objektiven Rechtsrichtigkeit der Wählerverzeichnisse. Es kommt dabei daher gerade nicht darauf an, ob der Antragsteller im behördlichen Verfahren bzw der Beschwerdeführer vor dem LVwG ein subjektiv-öffentliches Recht auf Eintragung in das bzw Streichung aus dem Wählerverzeichnis hat oder nicht.

Durch Verfahren, welche auch von (dritten) nicht in ihren subjektiven Rechten betroffenen Personen initiiert werden können, soll die objektive Rechtmäßigkeit des behördlichen Handelns einer Kontrolle zugeführt werden können. Dem Anfechtungswerber wird durch die Bestimmungen der NÖ GRWO 1994 insofern zwar ein subjektives Recht auf eine Entscheidung über seine Beschwerden eingeräumt. Das Vorliegen eines darüber hinausgehenden Rechtsschutzinteresses ist jedoch gerade keine Prozessvoraussetzung. Es liegt vielmehr ein Instrument vor, mit welchem losgelöst vom individuellen Interesse eines Wahlberechtigten die objektive Rechtswidrigkeit von Wählerverzeichnissen geltend gemacht werden kann; es dient somit der Wahrung der objektiven Rechtmäßigkeit des wahlbehördlichen Handelns.

Somit kann aber anders als bei Verfahren, welche die Behauptung einer Verletzung subjektiver Rechte zur Voraussetzung haben, bei derartigen Verfahren kein Rechtsschutzinteresse wegfallen und insofern können weder eine Zurückweisung noch eine Einstellung des Verfahrens damit begründet werden. Sohin zeitigt die vom LVwG hervorgehobene Tatsache, dass das Ergebnis der Gemeinderatswahl der Stadtgemeinde Litschau bereits (rechtskräftig) kundgemacht (und die Wahl auch nicht erfolgreich angefochten) wurde, keine Auswirkungen auf die Entscheidung des LVwG in Beschwerdeverfahren gemäß §26 NÖ GRWO 1994.

Entscheidungstexte

  • WIV77/2020 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 12.06.2020 WIV77/2020 ua

Schlagworte

Wahlen, Gemeinderat, Wählerevidenz, Parteistellung, Wahlrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:WIV77.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.08.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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