TE Vwgh Erkenntnis 1986/10/24 86/18/0111

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Veröffentlicht am 24.10.1986
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Index

KFG
001 Verwaltungsrecht allgemein
40/01 Verwaltungsverfahren
90/01 Straßenverkehrsordnung
90/02 Kraftfahrgesetz

Norm

AVG §13 Abs1
AVG §37
AVG §45 Abs1
AVG §45 Abs2
AVG §45 Abs3
KFG 1967 §102 Abs10
KFG 1967 §102 Abs11
KFG 1967 §58 Abs1
StVO 1960 §11 Abs2
VStG §22 Abs1
VStG §24
VStG §25 Abs2
VStG §44a lita
VStG §44a Z1
VwRallg

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
86/18/0112

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Renner, über die Beschwerde des Dr. E P in W, vertreten durch Dr. Robert Krepp, Rechtsanwalt in Wien I, Stadiongasse 4, gegen die Bescheide vom 7. Februar 1986 1) der Wiener Landesregierung, Zl. MA 70-X/P 45/85/Str, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, 2) des Landeshauptmannes von Wien, Zl. MA 70-X/P 46/85/Str, betreffend Übertretung des Kraftfahrgesetzes 1967, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Bescheid der Wiener Landesregierung vom 7. Februar 1986 wird, soweit der Beschwerdeführer der Übertretung nach § 11 Abs. 2 StVO 1960 schuldig erkannt und deshalb bestraft wurde, einschließlich der diesbezüglichen Kostenentscheidung, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 4.510,-- und der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren sowohl des Beschwerdeführers als auch des Bundes wird abgewiesen.

Begründung

Mit zwei gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) ergangenen, hinsichtlich der Strafzumessung und der Kostenentscheidung vollinhaltlich bestätigenden, in der Schuldfrage jedoch abändernden Berufungsbescheiden wurde der Beschwerdeführer wie folgt schuldig erkannt:

Von der Wiener Landesregierung folgender Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO): 1) nach § 52 Z. 10a, 2) nach § 11 Abs. 2, 3) nach § 7 Abs. 1. Die neugefaßte Tatumschreibung lautete wie folgt:

„Der Beschuldigte Dr. E P hat am 30.10.1984 um 20.49 Uhr als Lenker des Fahrzeuges mit dem Kennzeichen W… 1) in Wien 19, auf der Nußdorfer Lände zwischen Nußdorfer Lände, Höhe Mooslackengasse, bis Spittelauer Lände, Höhe Gürtelbrücke, die durch Vorschriftszeichen gemäß § 52 Z. 10a kundgemachte und erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h erheblich überschritten, 2) den Wechsel des Fahrstreifens in der Nußdorfer Lände auf der Höhe Heiligenstädter Brücke vom mittleren (zweiten Fahrstreifen) auf den äußerst linken (dritten) Fahrstreifen nicht angezeigt, sodaß sich andere Straßenbenützer auf den Vorgang nicht einstellen konnten und ist 3) auf der Nußdorfer Lände ab Höhe Heiligenstädter Brücke nicht so weit rechts gefahren, wie ihm dies unter Bedachtnahme auf die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zumutbar und dies ohne Gefährdung, Behinderung oder Belästigung anderer Straßenbenützer und ohne Beschädigung von Sachen möglich gewesen wäre, weil er im äußerst linken Fahrstreifen gefahren ist, obwohl ihm die Benützung des rechten Fahrstreifens möglich gewesen wäre.“

Vom Landeshauptmann von Wien der Übertretung nach § 102 Abs. 11 des Kraftfahrgesetzes 1967 (KFG). Die neugefaßte Tatumschreibung lautete wie folgt:

„Der Beschuldigte Dr. E P hat am 30.10.1984 um 20.49 Uhr als Lenker des Fahrzeuges mit dem Kennzeichen W… bei der Anhaltung in Wien 9, Spittelauer Lände Nr. 45 trotz Verlangens des Sicherheitswachebeamten die Ausrüstungsgegenstände des von ihm gelenkten Fahrzeuges, nämlich ein Warndreieck und ein zur Wundversorgung geeignetes und in einem widerstandsfähigen Behälter staubdicht verpacktes und gegen Verschmutzung geschütztes Verbandszeug, nicht zugänglich gemacht.“

Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende wegen „Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften“ erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In Ansehung aller vier Verwaltungsübertretungen macht der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend, es sei vollständig unmöglich, daß er alle ihm vorgeworfenen Tathandlungen um 20.49 Uhr - also innerhalb nur einer Minute - begangen haben könne. Die Fahrtstrecke von der Mooslackengasse bis zum Fernheizwerk auf der Spittelauer Lände Nr. 45 betrage mindestens 600 m. Berücksichtige man die dafür nötige Fahrzeit sowie die Zeit, die die Anhaltung und die folgende von allen Beteiligten geschilderte Auseinandersetzung und die Feststellung des Namens aus dem von ihm ausgehändigten Führerschein erfordert habe, so ergebe sich, daß die Tatzeit von der belangten Behörde vollkommen willkürlich und lebensfremd angenommen worden sei. Durch diese vermeintliche Präzisierung der Tatzeit sei er, der Beschwerdeführer, in Wahrheit vor weiterer Strafverfolgung ebensowenig geschützt, wie durch einen die Tatzeit zu unbestimmt umschreibenden Bescheid.

Bei diesen Ausführungen übersieht der Beschwerdeführer, daß sogar ein mit der an den im Spruch genannten Tatorten zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h fahrendes Fahrzeug eine Strecke von 600 m in 36 Sekunden durchfährt. Nun ergibt sich allerdings aus den im Akt erliegenden maßstabsgerechten Plänen, daß die Strecke, auf der sich die Tatorte der verschiedenen Verwaltungsübertretungen hintereinander befinden, erheblich länger ist. So beträgt die Strecke des Straßenzuges von der Nußdorfer Lände, Höhe Mooslackengasse, bis zur Spittelauer Lände, Höhe Gürtelbrücke, auf welcher Strecke der Beschwerdeführer nach dem angefochtenen Bescheid der belangten Landesregierung die höchstzulässige Geschwindigkeit von 70 km/h erheblich überschritten hat, rund 1.550 m und die weitere Strecke bis zum Anhaltepunkt auf der Spittelauer Lände vor der ONr. 45 weitere rund 250 m. Die gesamte Strecke beträgt sohin rund 1.800 m.

Ein mit der Geschwindigkeit von 110 km/h fahrendes Fahrzeuges - diese Geschwindigkeit nennt die Anzeige - durchfährt eine Strecke von rund 1.550 m in rund 50,8 Sekunden und legt nach der Verringerung der Geschwindigkeit auf 70 km/h weitere rund 250 m in rund 12,8 Sekunden zurück. Daraus ergibt sich, daß ein Fahrzeug bei Einhaltung der genannten Geschwindigkeiten - der Beschwerdeführer hat die Geschwindigkeitsüberschreitung in seiner Beschwerde nicht mehr in Abrede gestellt - auch für eine (gegenüber der Annahme des Beschwerdeführers wesentlich längere) Gesamtstrecke von 1.800 m insgesamt nur rund 1 Minute benötigt.

Es entspricht daher durchaus den Gesetzen der Physik als auch den Erfahrungen des täglichen Lebens, daß der Beschwerdeführer zumindest die drei im Fahren gesetzten Verwaltungsübertretungen innerhalb einer Minute begangen haben kann.

Allerdings macht der Umstand, daß die vierte - erst nach der Anhaltung begangene - Verwaltungsübertretung nach dem KFG 1967 erst danach gesetzt werden konnte, die Bezeichnung der Tatzeit noch nicht rechtswidrig.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Slg. 11.894/A, ausgesprochen hat, wird der Rechtsvorschrift des § 44a lit. a VStG 1950 dann entsprochen, wenn a) im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, daß er (im ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren, gegebenenfalls auch in einem Wiederaufnahmeverfahren) in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und b) der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten (Bestraften) rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Nach diesen, aber auch nur nach diesen Gesichtspunkten ist in jedem konkreten Fall insbesondere auch zu beurteilen, ob die im Spruch eines Straferkenntnisses enthaltene Identifizierung der Tat nach Ort und Zeit dem § 44a lit. a VStG 1950 genügt oder nicht genügt, mithin, ob die erfolgte Tatort- und Tatzeitangabe im konkreten Fall das Straferkenntnis als rechtmäßig oder als rechtswidrig erscheinen läßt. Das an Tatort- und Tatzeitumschreibung zu stellende Erfordernis wird daher nicht nur von Delikt zu Delikt, sondern auch nach den jeweils gegebenen Begleitumstanden in jedem einzelnen Fall ein verschiedenes, weil an den oben wiedergegebenen Rechtsschutzüberlegungen zu messendes sein.

In den vorliegenden Beschwerdefällen ergibt sich aus der jeweils im Spruch der angefochtenen Bescheide enthaltenen Tatortumschreibung durch Angabe bestimmter Teile von Straßenzügen bzw. von Punkten von Straßenzügen und der sich daraus ergebenden vom Beschwerdeführer eingehaltenen Fahrtrichtung in Verbindung mit der Zeitangabe nach Stunde und einer bestimmten Minute eine ausreichende Umschreibung des Tatortes und der Tatzeit, die gewährleistet, daß die Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers nicht beeinträchtigt und der Beschwerdeführer davor geschützt ist, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Der Verwaltungsgerichtshof vermag nämlich nicht zu erkennen, weshalb der Beschwerdeführer etwa dadurch, daß er die nach seiner Anhaltung durch den Meldungsleger gesetzte Verwaltungsübertretung des KFG 1967 unter Umständen erst ein oder zwei Minuten später gesetzt haben mag, in seinen Verteidigungsrechten beeinträchtigt werden sollte. Der Beschwerdeführer ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshof auch nicht der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt, weil die gewählte Umschreibung des Tatortes und der Tatzeit nach den Gesetzen der Physik und den Erfahrungen des täglichen Lebens bei den gegebenen örtlichen Verhältnissen ausschlösse, daß der Beschwerdeführer - etwa nach einer Umkehr - schon innerhalb der nächsten Minuten wiederum auf derselben Strecke in dieselbe Richtung fahrend nochmals dieselben Verwaltungsübertretungen gesetzt haben könnte.

Wird also für mehrere Delikte, die nach den Gesetzen der Physik und den Lebenserfahrungen nur innerhalb einer Zeitspanne von mehr als einer Minute begangen werden können, die Tatzeit mit der Stunde und nur einer bestimmten Minute angegeben, so wird dadurch, wenn - wie in den vorliegenden Beschwerdefällen - weder die Gefahr der Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte noch einer Doppelbestrafung des Beschuldigten (Bestraften) gegeben ist, die Umschreibung der Tatzeit noch nicht rechtswidrig.

Hinsichtlich des Schuldspruches wegen Übertretung nach § 11 Abs. 2 StVO liegt folgender Verfahrensmangel vor:

Gemäß § 11 Abs. 2 StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges die bevorstehende Änderung der Fahrtrichtung oder den bevorstehenden Wechsel des Fahrstreifens so rechtzeitig anzuzeigen, daß sich andere Straßenbenützer auf den angezeigten Vorgang einstellen können. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 27. April 1983, Zl. 82/03/0168, 0170; vom 23. März 1984, Zl. 83/02/0269; vom 24. Oktober 1984, Zl. 84/02B/0009) ist der gesetzliche Tatbestand nur dann erfüllt, wenn andere Straßenbenützer durch den beabsichtigten Vorgang behindert oder gefährdet werden konnten. Für dieses Tatbestandsmerkmal findet sich im Bescheid der Wiener Landesregierung nur eine widersprüchliche Begründung:

Der Meldungsleger hielt in der Anzeige fest: „Es wurde dadurch jedoch niemand behindert.“ Der Beschwerdeführer behauptete (so z.B. in seiner Äußerung vom 24. Jänner 1985), er sei deshalb nicht strafbar, weil eine Anzeige des Fahrstreifenwechsels nur dann geboten sei, wenn andere Verkehrsteilnehmer dadurch „tangiert“ würden. In der zweimaligen Zeugenaussage des Meldungslegers wird diese Frage nicht weiter erwähnt. Der Zeuge E R bekundete, es habe damals wenig Verkehr geherrscht, deshalb sei ein Anzeigen des Fahrstreifenwechsels nicht nötig gewesen.

Die Berufungsbehörde beschäftigte sich mit dieser Frage wie folgt:

Auf Seite 6 oben des Berufungsbescheides findet sich eine unverständliche, weil eines Prädikates entbehrende Wendung, nämlich, es werde zum Vorbringen des Beschwerdeführers bemerkt, „daß die Überlegung, wann die Anzeige rechtzeitig ist und damit auch die Verpflichtung zur Anzeige überhaupt für den Lenker dann entfällt, wenn andere Straßenbenützer, die sich auf die Änderung der Fahrtrichtung oder auf den Wechsel des Fahrstreifens einstellen müßten, nicht vorhanden sind“. Offen bleibt somit, welches Ergebnis die „Überlegung“ der Berufungsbehörde hat. Der weiters gezogene Schluß, weil der Beschwerdeführer den Fahrstreifenwechsel anderen Fahrzeuglenkern nicht angezeigt habe, sei vom Vorhandensein solcher anderen Straßenbenützer auszugehen, ist unzutreffend; hat doch der Meldungsleger dem sogleich in der Anzeige hinzugefügt, niemand sei behindert worden. Auch der weitere Schluß der Berufungsbehörde, schließlich sei der Meldungsleger als Kraftfahrer doch ein solcher Straßenbenützer gewesen, trifft deshalb nicht zu, weil der Meldungsleger anders doch sich selbst als behinderten Fahrzeuglenker bezeichnet hätte. Wenn die Berufungsbehörde ferner (Seite 6 unten des angefochtenen Bescheides) ausführt, der Beschwerdeführer verantworte sich in dieser Frage widerspruchsvoll, denn wenn er einen Fahrstreifenwechsel schlechthin bestreite, so müsse er doch nicht zusätzlich behaupten, es hätten keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet oder behindert werden können, so wird übersehen, daß keine Vorschrift besteht, wonach ein Beschuldigter sich nicht mit, wenn auch zueinander in Widerspruch stehenden, Eventualbehauptungen verteidigen durfte.

In Anbetracht dieser Widersprüche im Berufungsbescheid wäre es unerläßlich gewesen, das Vorhandensein und allenfalls auch die Anzahl solcher anderer Kraftfahrzeuglenker festzustellen, die durch die Unterlassung der Anzeige des Fahrstreifenwechsels konkret behindert oder gefährdet wurden.

Die übrigen geltend gemachten Beschwerdegründe vermögen allerdings nicht zu überzeugen:

Der Beschwerdeführer vermochte nicht in bestimmter Weise aufzuzeigen, welche Umstände die belangte Behörde einerseits aus einer maßstabgetreuen Skizze, andererseits aus einem Ortsaugenschein festzustellen gehabt hätte, um daraus das Nichtvorliegen der ihm angelasteten Tatbestände zu erschließen.

Auch die in Richtung der Übertretung nach § 102 Abs. 11 KFG ausgeführte Rüge ist unberechtigt:

Der Vorwurf, es sei nicht genügend konkretisiert worden, worauf sich das Verlangen des Meldungslegers gerichtet habe, trifft wohl das erstinstanzliche Straferkenntnis, nicht aber den Berufungsbescheid des Landeshauptmannes, da in diesem einerseits das Warndreieck, andererseits das Verbandzeug ausdrücklich als Objekte des Verlangens genannt werden. Diese Tatumstände konnte der Landeshauptmann ohne Verstoß gegen die Verjährungsbestimmungen in den Spruch seines abändernden Bescheides aufnehmen, weil von diesen zwei Gegenständen bereits in der Anzeige die Rede war und diese dem Beschwerdeführer innerhalb der Verjährungsfrist, nämlich am 14. Jänner 1985, mit der Aufforderung zur Stellungnahme zur Kenntnis gebracht worden war.

Der Beschwerdeführer vermeint, die Wendung im § 102 Abs. 11 KFG „sofern dies zum Zweck der Überwachung der Einhaltung der kraftfahrrechtlichen Vorschriften auf Straßen mit öffentlichem Verkehr erforderlich ist“ bedeute, daß das Organ sich nicht mit einem bloßen Verlangen begnügen dürfe, sondern dartun müsse, daß dieses Verlangen zu dem genannten Zweck erforderlich sei.

Der Verwaltungsgerichtshof kann diese Rechtsansicht nicht teilen. Es trifft zwar zu, daß § 102 Abs. 5 KFG schlechthin von einem „Verlangen zur Überprüfung auszuhändigen“ spricht. Es ist auch möglich, nach bloß grammatikalischer Auslegung das oben zitierte Wort „dies“ nur auf den Zweck des Verlangens zu beziehen. Eine das gesamte System des Kraftfahrgesetzes einschließende Betrachtung kommt allerdings zu einem anderen Ergebnis:

Nach § 58 Abs. 1 KFG kann unter anderem die Wirksamkeit der Teile und Ausrüstungsgegenstände eines Fahrzeuges, die bei seinem Betrieb betätigt werden und für die Verkehrs- oder Betriebssicherheit von Bedeutung sind, jederzeit von der Behörde oder von den ihr zur Verfügung stehenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes an Ort und Stelle geprüft werden. Daraus ergibt sich, daß der Prüfungspflicht nicht jeder Teil und jeder Ausrüstungsgegenstand des Fahrzeuges, sondern nur bestimmte solche Teile und Ausrüstungsgegenstände unterliegen, nämlich jene, die einerseits beim Betrieb betätigt werden und die andererseits für die Verkehrs- oder Betriebssicherheit von Bedeutung sind. Die Begriffe „Teile, Ausrüstungsgegenstände“ kommen auch im § 102 Abs. 11 KFG vor. Es wäre systemwidrig, anzunehmen, daß der Prüfungspflicht nach § 102 Abs. 11 KFG schlechthin alle Teile und Ausrüstungsgegenstände unterlägen, während § 58 Abs. 1 KFG eine sachlich beschränkte Prüfungspflicht statuiert. Daher ergibt die systematische Auslegung, daß der Nebensatz im § 102 Abs. 11 KFG „sofern dies zum Zweck der Überwachung der Einhaltung der kraftfahrrechtlichen Vorschriften auf Straßen mit öffentlichem Verkehr erforderlich ist“ sich auf die Teile, Ausrüstungs- und Ausstattungsgegenstände des Fahrzeuges bezieht, nicht aber auf den Zweck des Verlangens des Organes. Der Kraftfahrzeuglenker ist demnach nicht gehalten, einem Organ jeden Teil, jeden Ausrüstungs- und jeden Ausstattungsgegenstand des Fahrzeuges zugänglich zu machen, sondern nur jene solchen Gegenstände, die bestimmten kraftfahrrechtlichen Vorschriften unterliegen oder deren Vorhandensein durch solche Vorschriften angeordnet wird.

In Anbetracht der oben wiedergegebenen Definition des § 58 Abs. 1 KFG fallen weder das Verbandzeug noch die Warneinrichtung unter den Begriff der Teile und Ausrüstungsgegenstände. Diese beiden Sachen, deren Mitführung durch den Lenker § 102 Abs. 10 KFG anordnet, fallen vielmehr unter den Begriff der Ausstattungsgegenstände. Sie sind solche Ausstattungsgegenstände, die zugänglich zu machen sind, sofern dies zum Zweck der Überwachung der Einhaltung kraftfahrrechtlicher Vorschriften erforderlich ist. Eine solche Vorschrift ist aber die des § 102 Abs. 10 KFG.

Dies ergibt, daß ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zwar nicht schlechthin das Verlangen stellen darf, ihm jederlei Ausstattungsgegenstände des Fahrzeuges zugänglich zu machen; sehr wohl ist ein solches Verlangen aber dann gerechtfertigt, wenn es sich um Ausstattungsgegenstände im Sinne des § 102 Abs. 10 KFG handelt.

Daher konnte die diesbezügliche Rechtsrüge der Beschwerde keinen Erfolg haben.

Es war somit der Bescheid der Wiener Landesregierung nur in Ansehung der Übertretung nach § 11 Abs. 2 StVO wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben. Im übrigen war die Beschwerde, und zwar sowohl die gegen den restlichen Teil des Bescheides der Wiener Landesregierung als auch gegen den gesamten Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere 50 und 59 Abs. 1 VwGG. Da der Beschwerdeführer im zeitlichen Geltungsbereich der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243, geringere Sätze für Schriftsatzaufwand verzeichnete als in dieser Verordnung vorgesehen sind, hatte es beim Zuspruch dieser geringeren Sätze zu verbleiben. An Stempel für Beilagen waren nur S 120,-- für die Vollmachtsurkunde und S 120,-- für den Bescheid der Landesregierung erforderlich. Der Beschwerdeführer hat gegen beide Bescheide nur eine einheitliche Beschwerde erhoben. Er hat Aufwandersatz nur für eine Beschwerdeschrift begehrt. Hinsichtlich des Bescheides der Wiener Landesregierung ist gemäß § 50 VwGG so vorzugehen, wie wenn der Verwaltungsakt zur Gänze aufgehoben worden wäre. Dem Beschwerdeführer ist daher die Hälfte des ihm für die Beschwerde gebührenden Aufwandersatzes sowie alle oben erwähnten Auslagen für Bundesstempel zuzusprechen. Jede der beiden belangten Behörden hat eine Gegenschrift eingebracht und in dieser Aufwandersatz geltend gemacht. Dem obsiegenden Landeshauptmann war der gesamte Schriftsatzaufwand von S 2.300,--, aber nur die Hälfte des Vorlageaufwandes zuzusprechen, da der sowohl die Übertretungen der Straßenverkehrsordnung als such die Übertretung des Kraftfahrgesetzes behandelnde Verwaltungsstrafakt nur einmal vorgelegt werden konnte (vgl. Beschluß eines verstärkten Senates vom 3. Juli 1979, Slg. N.F. Nr. 9901/A).

Wien, am 24. Oktober 1986

Schlagworte

Begründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatzeit Ermittlungsverfahren Allgemein Parteiengehör offenkundige notorische Tatsachen Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Parteivorbringen Erforschung des Parteiwillens Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1986:1986180111.X00

Im RIS seit

16.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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