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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des B B, zuletzt in S, vertreten durch Mag. Ingeborg Haller, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Markus-Sittikus-Straße 9/2/7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20. November 2019, W119 1255269-2/10E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Begleitaussprüchen sowie eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Mongolei, stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 27. April 2004 einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde zuletzt mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 8. September 2011 abgewiesen. Zugleich stellte der Asylgerichtshof (in Abänderung des vor ihm angefochtenen Bescheides) fest, dass die Ausweisung des Revisionswerbers in die Mongolei gemäß § 10 Abs. 5 AsylG 2005 auf Dauer unzulässig sei.
Begründend verwies der Asylgerichtshof zum letztgenannten Ausspruch insbesondere auf die guten Deutschkenntnisse sowie eine Erwerbstätigkeit des rund sieben Jahre in Österreich lebenden Revisionswerbers, vor allem aber auf die Bindungen zu seiner aus der Mongolei stammenden Lebensgefährtin und einem gemeinsamen, am 15. Dezember 2008 geborenen (mongolischen) Sohn (beide Asylwerber in Österreich). Über den Revisionswerber seien in der Zeit von August 2006 bis März 2010 mit rechtskräftigen Urteilen verschiedener Bezirksgerichte viermal großteils wegen Eigentumsdelikten Geldstrafen verhängt worden. Zuletzt sei er vom Landesgericht Klagenfurt mit rechtskräftigem Urteil vom 10. Mai 2011 wegen einer bei einer Zeugeneinvernahme am 11. Februar 2011 getätigten Falschaussage zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Ungeachtet dieser Straffälligkeit wertete der Asylgerichtshof angesichts der sprachlichen, beruflichen und starken familiären Integration des Revisionswerbers seine Ausweisung in den Herkunftsstaat als unverhältnismäßig. Zugleich wies er darauf hin, dass im Fall erneuter Straffälligkeit die Interessenabwägung „naturgemäß“ anders ausfallen könnte.
2 Mit rechtskräftigem Urteil vom 13. März 2015 verhängte das Landesgericht Salzburg über den Revisionswerber wegen gewerbsmäßigen Diebstahls (begangen in einer Vielzahl von Angriffen zwischen September 2014 und Jänner 2015 in Salzburg) eine 18-monatige Freiheitsstrafe (davon 12 Monate bedingt nachgesehen).
3 Mit rechtskräftigem Urteil vom 4. März 2016 verhängte das Landesgericht Linz über den Revisionswerber wegen versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls (von Mobiltelefonen im Gesamtwert von € 2.018,-- durch Verwendung einer präparierten Tasche am 17. Februar 2016 in Linz) eine Freiheitsstrafe von 15 Monaten (davon 10 Monate bedingt nachgesehen).
4 Mit weiterem rechtskräftigem Urteil vom 13. Dezember 2016 verhängte das Landesgericht Salzburg über den Revisionswerber wegen versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls (verschiedener Parfums am 27. September 2016) eine Freiheitsstrafe von 15 Monaten (davon 10 Monate bedingt nachgesehen).
5 Schließlich verhängte das Bezirksgericht Salzburg über den Revisionswerber mit rechtskräftigem Urteil vom 14. Oktober 2019 wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung (schuldhafte Herbeiführung eines Verkehrsunfalls am 6. Juli 2019) eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen.
6 Mit Bescheid vom 2. November 2016 hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) über den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung erlassen. Es stellte in diesem Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach § 46 FPG in die Mongolei zulässig sei, und erließ (unter Hinweis auf die vor seiner Entscheidung begangenen Straftaten) ein auf fünf Jahre befristetes Einreiseverbot. Gemäß § 55 FPG bestimmte es eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise.
7 Mit dem angefochtenen (nach mündlicher Verhandlung vom 21. August 2019 ergangenen) Erkenntnis vom 20. November 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab. Es sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
8 Begründend führte es insbesondere im Rahmen seiner Abwägung nach § 9 Abs. 2 BFA-VG - soweit im Revisionsverfahren von Bedeutung - aus, der Revisionswerber, dem am 28. November 2011 eine Niederlassungsbewilligung und am 28. November 2013 der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte Plus“ erteilt worden sei, habe sehr gute Deutschkenntnisse und „ein Deutschzertifikat auf dem Niveau B1“ erworben und sei - mit Unterbrechungen infolge Arbeitslosigkeit - berufstätig gewesen. Allerdings sei die vom Asylgerichtshof (laut Rn. 1) berücksichtigte Lebensgemeinschaft bereits beendet; der Revisionswerber lebe (nach eigenen Angaben ab dem Jahr 2013) von seinem Sohn und dessen Mutter, deren Adresse ihm unbekannt sei, getrennt. Seiner Pflicht zu Unterhaltszahlungen sei er wiederholt nicht nachgekommen. Seit Sommer 2014 habe er eine andere mongolische Freundin, mit der er eine Lebensgemeinschaft im gemeinsamen Haushalt führe. Diese Lebensgefährtin sowie seine 53-jährige Mutter, die in einem anderen Bundesland in Österreich aufhältig sei und die er zweimal monatlich besuche, verfügten jeweils über den Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte Plus“. Darüber hinaus habe er verschiedene Sozialkontakte im Bundesgebiet erworben.
Beim Revisionswerber handle es sich um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann, der etwa bis zum 15. Lebensjahr in der Mongolei aufgewachsen sei und dort seine Sozialisierung erfahren habe. Auch beherrsche er unverändert die Landessprache, zumal sowohl seine Lebenspartnerinnen als auch seine Mutter Mongolinnen seien und er im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch diese Sprache verwendet habe. Insgesamt könne mit einer Reintegration im Herkunftsland, wo sich der - nunmehr über Berufserfahrung verfügende - Revisionswerber eine Existenz aufbauen könne, gerechnet werden.
Aus der erheblichen und nach der Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 8. September 2011 in der Intensität gesteigerten Straffälligkeit des Revisionswerbers, der sich zwischen 2007 und 2016 wiederholt Einnahmequellen durch Diebstahl verschafft bzw. zu verschaffen versucht habe, resultiere eine schwerwiegende Gefährdung des öffentlichen Interesses an der Verhinderung derartiger Eigentumskriminalität. Ungeachtet der langen Dauer seines Aufenthaltes in Österreich überwiege daher das öffentliche Interesse an einer - nunmehr gebotenen - Rückkehrentscheidung sowie einem Einreiseverbot die privaten Interessen des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet. Das Gewicht der gegenüber der aktuellen Lebensgefährtin bestehenden Bindung werde auch dadurch gemindert, dass diese in einer Zeit entstanden sei, in der der Revisionswerber mit erheblicher krimineller Energie immer wieder und in kürzer werdenden Abständen delinquent geworden sei und insgesamt rund 16 Monate seines Aufenthalts in Österreich in Strafhaft verbracht habe. Das danach gezeigte Wohlverhalten reiche nicht aus, um eine positive Zukunftsprognose treffen zu können.
9 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 21. Jänner 2020, E 4725/2019, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
10 Die in der Folge ausgeführte Revision erweist sich als unzulässig:
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision nur zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
12 Insoweit wendet sich der Revisionswerber unter Hinweis auf die lange Aufenthaltsdauer seit dem Jahr 2004, seine Berufstätigkeit sowie das Maß an erzielter sprachlicher, sozialer und familiärer Integration sowohl gegen die Interessenabwägung als auch die Gefährdungsprognose des BVwG. Insbesondere rügt er, dass das BVwG keine ausreichenden Feststellungen zu den jeweils von ihm gesetzten Fehlverhalten getroffen habe. Außerdem macht er geltend, die bekämpfte Entscheidung weiche von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ab, nach der ein mehr als zehnjähriger inländischer Aufenthalt grundsätzlich den persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet ein entscheidendes Gewicht verleihe.
13 Dem ist zu entgegnen, dass auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend von einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen ist, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren (vgl. zum Ganzen grundlegend VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005, Rn. 11 bis 16, und darauf verweisend etwa VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0117, Rn. 11, und VwGH 23.1.2020, Ra 2019/21/0378, Rn. 15).
14 Das BVwG setzte sich mit dieser Rechtsprechung auseinander und gelangte unter Bedachtnahme auf die besonderen Umstände des hier gegebenen Falles (insbesondere die in Rn. 1 bis 4 dargestellte Straffälligkeit) unter gewichtender Abwägung des öffentlichen Interesses mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung - auf nicht unvertretbare Weise - zum Überwiegen des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung (vgl. sinngemäß etwa VwGH 3.9.2015, Ra 2015/21/0121 und VwGH 22.3.2017, Ra 2017/19/0028, Rn. 7).
15 Zwar trifft es zu, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes im Falle der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, wenn diese (auch) wegen strafrechtlichen Fehlverhaltens verhängt werden, vor allem im Rahmen der zu treffenden Gefährlichkeitsprognose eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Fehlverhalten im Einzelnen erforderlich ist und dass diese, wie der Revision einzuräumen ist, vom BVwG detaillierter hätte vorgenommen werden können. Vor dem Hintergrund, dass allerdings auch in der Revision keine Umstände geltend gemacht werden, welche die langjährige, zuletzt immer wieder von Gewerbsmäßigkeit gekennzeichnete Delinquenz des Revisionswerbers in einem milderen Licht erscheinen lassen (auch der vom Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 21. August 2019 erfolgte Hinweis insbesondere auf Unterhaltsschulden und das Erfordernis ihrer Abdeckung reicht dafür nicht), lassen sich die entsprechenden Ausführungen des BVwG und das von ihm erzielte Ergebnis letztlich mit der Judikatur noch in Einklang bringen (vgl. dazu neuerlich VwGH 3.9.2015, Ra 2015/21/0121, mwN).
16 Der Revisionswerber räumt selbst ein, zu seinem am 15. Dezember 2008 geborenen Sohn sowie zu seiner früheren Lebensgefährtin (ab dem 5. Lebensjahr des gemeinsamen Sohnes) keinen Kontakt gehabt zu haben. Auch die aktuelle Lebensgefährtin hat den Revisionswerber nicht von wiederholter Straffälligkeit (trotz der daraus folgenden zunehmenden Unsicherheit seines Verbleibs im Bundesgebiet) abhalten können.
17 Weiters rügt der Revisionswerber, das BVwG habe sich in seinem Erkenntnis nicht mit den aktuellen Länderberichten betreffend den Herkunftsstaat auseinandergesetzt und sei daher unzutreffend zum Ergebnis gelangt, die Möglichkeit, sich dort eine Existenzgrundlage neu aufbauen zu können, wäre zu bejahen.
18 Damit ist der Revisionswerber darauf zu verweisen, dass es nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausreicht, in der Revision die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz des damit geltend gemachten Verfahrensmangels in konkreter Weise darzulegen. Eine solche Relevanzdarstellung lässt sich dem Zulässigkeitsvorbringen wie auch den weiteren Revisionsausführungen nicht entnehmen. Vor dem Hintergrund der unbestritten gebliebenen Feststellungen des BVwG, wonach es sich beim Revisionswerber um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann handle, vermag die Revision weder die Unzumutbarkeit einer Neuansiedelung im Heimatstaat noch - daraus abgeleitet - eine Unzulässigkeit der Abschiebung darzustellen (vgl. in diesem Sinn etwa VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0099, Rn. 10 und 11, mwN).
19 Soweit sich der Revisionswerber in diesem Zusammenhang gegen die Feststellung des BVwG wendet, er habe ungefähr bis zum 15. Lebensjahr in der Mongolei gelebt, ist er darauf zu verweisen, dass diese seiner eigenen Aussage in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 21. August 2019 folgt. Eine - von der Revision der Sache nach geltend gemachte - Unschlüssigkeit der hierauf gegründeten Beweiswürdigung ist somit nicht zu erkennen.
20 Die nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG. Das gilt sinngemäß auch für die Gefährdungsprognose (vgl. etwa VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0276, Rn. 8, mwN). Die vom BVwG vorgenommene Beurteilung erweist sich jedenfalls als vertretbar.
21 Insgesamt vermag die Revision nach dem Gesagten keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG ohne weiteres Verfahren als unzulässig zurückzuweisen.
Wien, am 28. Mai 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210073.L00Im RIS seit
15.07.2020Zuletzt aktualisiert am
15.07.2020