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63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;Norm
BDG 1979 §14 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Julcher, über die Beschwerde der M in W, vertreten durch Dr. Dietmar Gollonitsch, Rechtsanwalt in Scheibbs, Gürtel 12, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 27. November 1996, Zl. 22710/4-III/7/96, betreffend Abweisung eines Antrages auf Ruhestandsversetzung nach § 14 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die 1951 geborene Beschwerdeführerin steht als Oberoffizialin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Sie wurde ab 9. Jänner 1995 dem Bezirksgericht A. zur Dienstleistung zugeteilt, wobei nach den Daten im Verwendungsblatt ihre Verwendung mit Verhandlungsschriftführerin in Strafsachen angegeben ist. Die Beschwerdeführerin befand sich jedoch seitdem (jedenfalls bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides) im Krankenstand. Zuvor war sie bis 8. Jänner 1995 beim Bezirksgericht B. im Kanzleidienst in Außerstreit- und Strafsachen sowie als Schriftführerin eingesetzt.
Mit Schreiben vom 26. Juni 1996 beantragte sie ihre Versetzung in den Ruhestand gemäß § 14 Abs. 1 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (BDG 1979), weil sie sich auf Grund ihres Gesundheitszustandes außerstande fühle, ihren Dienst weiter zu versehen.
Der Präsident des übergeordneten Oberlandesgerichtes veranlaßte hierauf eine Untersuchung der Beschwerdeführerin durch die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten (kurz: PVAng). Den Akten ist zu entnehmen, daß der PVAng verschiedene Unterlagen (darunter auch ein Befundbericht des die Beschwerdeführerin behandelnden Facharztes für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie Dr. B. vom 26. Mai 1996) und anstelle einer Arbeitsplatzbeschreibung mit Anforderungsprofil der Bericht des Bezirksgerichtes A. vom 8. Juli 1996 vorgelegt wurde. Darin teilte das Bezirksgericht A. mit, es könne eine Arbeitsplatzbeschreibung mit speziellem Anforderungsprofil nicht erfolgen, weil die Beschwerdeführerin ihren Dienst nie angetreten habe. Sie wäre als Schriftführerin in Strafsachen eingesetzt worden.
In einem Erhebungsbogen bezeichnete die Beschwerdeführerin ihre Leiden wie folgt:
"Rücken-, Kreuz-, Schulter-, Ischias-, Fußschmerzen; Schmerzen in der Schulter u. Hand, bes. Finger links."
Im Bereich der PVAng wurden jeweils auf Grund einer Untersuchung am 19. Juni 1996 ärztliche Gutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, eines Facharztes für Orthopädie sowie eines Facharztes für Innere Medizin eingeholt.
Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie gelangte zu folgender Diagnose:
"Chronisches Cervikalsyndrom ohne eindeutige Ausfälle, chronische Lumbalgie mit fraglicher Sensibilitätsstörung im Dermatom S 1 links.
Schwere reaktive Depression mit mittelgradigem psychovegetativem Erschöpfungssyndrom."
Er kam zu folgender ärztlicher Beurteilung:
"Die Patientin leidet an einer chronischen Lumbalgie und an einem chronischen Cervikalsyndrom. Ausfälle im funktionellen Sinn bestehen nicht. Die Schmerzsymptomatik wird durch eine schwere reaktive Depression, die durch verschiedene schwere Schicksalsschläge ausgelöst ist, überlagert. In der Zwischenzeit hat sich ein psychovegetatives Erschöpfungssyndrom in mittelgradiger Ausprägung mit Konzentrationsstörungen entwickelt."
Nach dem Leistungskalkül dieses Gutachtens sind unter anderem Tätigkeiten "ohne Berücksichtigung des Berufes" unter durchschnittlichem Zeitdruck auf einem bildschirmunterstützten Arbeitsplatz in geschlossenen Räumen zumutbar. Es handelt sich dabei um formularmäßige Rubriken, in welchen die entsprechenden Kästchen angekreuzt sind. Hingegen werden unter anderem Tätigkeiten im Freien, in Kälte, in Nässe und in Hitze durch Durchstreichen dieser Zuätze bzw. Nichtankreuzen der jeweiligen Kästchen als nicht zumutbar ausgewiesen.
Die Stellungnahme des Chefarztes der PVAng vom 25. September 1996 enthält folgende Diagnose:
"Reaktive Depression mit mittelgradigem psychovegetativem
Erschöpfungssyndrom ohne Psychosewert.
Chronisches Cervikalsyndrom ohne eindeutige neurolog. Ausfälle. Chronische Lumbalgie mit fraglicher Sensibilitätsstörung im Dermatom S 1 links und ohne motorische Ausfälle.
Aufbrauch der schultergelenksneuen Weichteile links mit bewegungsabhängigen Beschwerden. Sonst keine relevanten Einschränkungen aus dem neurologisch-psychiatrisch und dem orthopädischen Bereich.
Übergewicht. Fettstoffwechselstörung, behandelbar und ohne objektivierbare Sekundärfolgen. Schwankender niedriger Blutdruck ohne Herz-Kreislaufausgleichsstörungen. Sonst dem Alter entsprechender Internbefund."
Im Leistungskalkül werden folgende Tätigkeiten als zumutbar bezeichnet:
-
leichte körperliche Beanspruchung
-
überwiegend Sitzen, Stehen und Gehen
-
verantwortungsvolles geistiges Leistungsvermögen
-
fallweise leichte Hebe- und Trageleistung, in geschlossenen Räumen, an allgemein exponierten Stellen, dienstbedingtes Lenken eines KFZ, Fein- und Grobarbeiten unter durchschnittlichem Zeitdruck auf einem bildschirmunterstützten Arbeitsplatz. Eine Besserung des Gesundheitszustandes wurde als möglich angesehen.
Der Beschwerdeführerin wurde in der Folge zur Stellungnahme des Chefarztes sowie den drei im Verfahren eingeholten Gutachten der Fachärzte Parteiengehör gewährt. In ihrer Stellungnahme vom 11. November 1996 gab sie bekannt, sie halte ihren Antrag auf Ruhestandsversetzung aufrecht. Sie sei immer noch bei Dr. B. in W. in Behandlung und zwar schon in Abständen von ca. drei Wochen, weil sie es ohne Injektionen nicht aushalte und zwar z.B. längeres Sitzen, Stehen oder Gehen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 27. November 1996 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Ruhestandsversetzung ab. Sie begründete dies im wesentlichen nach Wiedergabe des chefärztlichen Gutachtens und nach Beschreibung des beim Bezirksgericht A. vorgesehenen Arbeitsplatzes als Verhandlungsschriftführerin in Strafsachen ("Anwesenheit bei Strafverhandlungen und Aufnahme eines kurzschriftlichen Hauptverhandlungsprotokolles im Verhandlungssaal und gelegentlich bei Lokalaugenscheinen, anschließende Übertragung des kurzschriftlichen Hauptverhandlungsprotokolles in Maschinschrift") damit, der Beschwerdeführerin sei das für diesen Arbeitsplatz erforderliche Leistungskalkül, insbesondere ein verantwortungsvolles geistiges Leistungsvermögen bei leichter körperlicher Beanspruchung, bei überwiegendem Sitzen, Stehen und Gehen in geschlossenen Räumen auch auf einem bildschirmunterstützten Arbeitsplatz, jeweils unter durchschnittlichem Zeitdruck, attestiert worden. Die Stellungnahme des Chefarztes der PVAng sowie die zuvor eingeholten Gutachten seien der Beschwerdeführerin im Ermittlungsverfahren zur Kenntnis gebracht worden. Die in ihrer Stellungnahme vom 11. November 1996 geschilderten Beschwerden stellten keinen neuen Aspekt bezüglich der bisher vorliegenden Beurteilung dar. Nach Wiedergabe des § 14 Abs. 1 BDG 1979 wies die belangte Behörde darauf hin, unter Dienstunfähigkeit könne nicht die Unfähigkeit für jegliche Art von Dienstleistung, sondern (nur) die Unfähigkeit des Beamten verstanden werden, seine ihm auf Grund seiner dienstrechtlichen Stellung zukommenden Aufgaben ordnungsgemäß zu vollziehen. Nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen stehe fest, daß die Beschwerdeführerin auf Grund ihres gesundheitlichen Zustandes - insbesondere in Anbetracht ihres geistigen Leistungsvermögens, der Zumutbarkeit einer (körperlich) leichten Tätigkeit unter durchschnittlichem Zeitdruck - in der Lage sei, ihren Dienst als Verhandlungsschriftführerin in Strafsachen bei einem Bezirksgericht ordnungsgemäß zu versehen. Bei Abwägung aller für den gegenständlichen Fall bedeutsamen Umstände sowie unter Zugrundelegung normaler (gewöhnlicher) Arbeitsbedingungen und eben solcher auf dem Arbeitsplatz zu erbringender Anstrengungen bedeute dies, daß die Beschwerdeführerin auf ihrem Arbeitsplatz dienstfähig sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Nach § 14 Abs. 1 BDG 1979 ist der Beamte von Amts wegen oder auf seinen Antrag in den Ruhestand zu versetzen, wenn er dauernd dienstunfähig ist. Gemäß Abs. 3 dieser Bestimmung ist der Beamte dienstunfähig, wenn er infolge seiner körperlichen oder geistigen Verfassung seine dienstliche Aufgaben nicht erfüllen und ihm im Wirkungsbereich seiner Dienstbehörde kein mindestens gleichwertiger Arbeitsplatz zugewiesen werden kann, dessen Aufgaben er nach seiner körperlichen und geistigen Verfassung zu erfüllen imstande ist und der ihm mit Rücksicht auf seine persönlichen, familiären und sozialen Verhältnisse billigerweise zugemutet werden kann.
Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bringt die Beschwerdeführerin vor, auf Grund der bei ihr vorliegenden Krankheit, deren Zustand sich in letzter Zeit konstant verschlechtert habe, sei auch eine leichte körperliche Beanspruchung, längeres Stehen, Sitzen und Gehen, ein längeres Lenken von KFZ, Arbeiten am Bildschirm und Anmarschwege von mehr als 300 m nicht möglich. Der Aufgabenbereich einer Schriftführerin im Strafverfahren sei mit längerem Sitzen und erhöhter Aufmerksamkeit bzw. Konzentrationsvermögen verbunden. Diese Tätigkeit sei mit Akkordarbeit vergleichbar; der Leistungsdruck, vor allem bei der Übertragung von Hauptverhandlungsprotokollen in Maschinschrift, sei sehr hoch. Auch seien mit diesem Arbeitsplatz Ortsaugenscheine, Nässe- und Kältepositionen ständig verbunden. Im Hinblick auf die im "Neuro-Psychiatrischen" Sachverständigengutachten getroffenen medizinischen Feststellungen seien ihr diese Arbeiten nicht zumutbar.
Zunächst ist festzuhalten, daß es rechtswidrig war, im Beschwerdefall die PVAng selbst um Begutachtung zu ersuchen; hiezu kann, um Wiederholungen zu vermeiden, gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1997, 96/12/0242, verwiesen werden. Der Umstand, daß diese Vorgangsweise auf Grund eines Ministerratsbeschlusses (vom 1. August 1995) erfolgte, vermag daran nichts zu ändern.
Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung des Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtslage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach müssen in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer der nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher (für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebende) Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Überlegungen die Behörde zur Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtete (vgl. dazu z.B. das hg. Erkenntnis vom 22. April 1991, 90/12/0207).
Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 11. November 1996, daß sie "schon in Abständen von ca. 3 Wochen" bei Dr. B. in Behandlung sei, "weil ich es ohne Injektionen nicht aushalte und zwar z.B. langes Sitzen, Stehen oder Gehen" läßt sich jedenfalls auch als die Geltendmachung einer in der Zwischenzeit eingetretenen Verschlechterung des Gesundheitszustandes auffassen, deren Unbeachtlichkeit nicht von vornherein erkennbar ist. Die im angefochtenen Bescheid (ohne weitere Ermittlungen) vorgenommene Bewertung, die Verschlimmerung der geschilderten Beschwerden stellte keinen neuen Aspekt für die Beurteilung dar, ist - ebenfalls beim derzeitgen Stand des Verfahrens - nicht nachvollziehbar und damit auch nicht der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich.
Auch das weitere Vorbringen, das von den Anforderungen ihres Arbeitsplatzes als Verhandlungsschriftführerin in Strafsachen ausgeht, ist im Ergebnis berechtigt. Zwar teilt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung der belangten Behörde, daß keine Akkordarbeit vorliegt. Abgesehen davon, daß den Sachverständigen der PVAng kein Anforderungsprofil des Arbeitsplatzes der Beschwerdeführerin bekanntgegeben wurde und daher das aus medizinischer Warte abgegebene Leistungskalkül schon deshalb nicht auf deren konkrete Tätigkeit Bedacht nehmen konnte, hat die belangte Behörde dazu erstmals im angefochtenen Bescheid Angaben gemacht. Es liegt daher keine unzulässige Neuerung im Sinne des § 41 VwGG vor, wenn die Beschwerdeführerin ihrerseits erstmals in der Beschwerde zu diesem Thema Stellung nimmt. Ihr Vorbringen betreffend die allgemeinen Anforderungen ihres Arbeitsplatzes an die Konzentration sowie die besonderen Anforderungen im Falle eines Lokalaugenscheines können nicht von vornherein als unbeachtlich angesehen werden, zumal das neurologisch-psychiatrische Gutachten auf bei der Beschwerdeführerin gegebene Konzentrationsstörungen hingewiesen hat und alle Gutachten Arbeiten im Freien, in Kälte und Nässe unter dem Blickwinkel des aktuellen Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin aus medizinischer Sicht ausgeschlossen haben.
Da somit das Verwaltungsverfahren mangelhaft geblieben ist und ein für die Beschwerdeführerin günstigeres Ergebnis nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47, 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 und 49 VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1997120023.X00Im RIS seit
20.11.2000