TE Vwgh Erkenntnis 1998/2/25 93/12/0174

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Veröffentlicht am 25.02.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;
65/01 Allgemeines Pensionsrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §52;
AVG §56;
AVG §60;
BDG 1979 §14 Abs1 Z1;
PG 1965 §36 Abs1;
PG 1965 §9 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Riedinger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Julcher, über die Beschwerde des J in S, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Dr. Peter Ringhofer, Dr. Martin Riedl und Dr. Georg Riedl, Rechtsanwälte in Wien I, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 2. April 1993, GZ. IVa-730629/101, betreffend Zurechnung nach § 9 des Pensionsgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1941 geborene Beschwerdeführer steht als Sonderschuloberlehrer i.R. seit 1. September 1989 in einem öffentlich- rechtlichen Pensionsverhältnis zum Land Tirol.

Anläßlich seiner Ruhestandsversetzung stellte die belangte Behörde mit Bescheid fest, daß die Voraussetzungen für eine Zurechnung nach § 9 Abs. 1 PG nicht vorlägen. Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Februar 1992, Zl. 90/12/0140, auf das hinsichtlich der Vorgeschichte zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Maßgeblich dafür war, daß das amtsärztliche Gutachten, auf das die belangte Behörde ihre Entscheidung gestützt hatte, unschlüssig gewesen sei und auch das berufskundliche Gutachten einer Ergänzung bedurft hätte.

Die belangte Behörde erteilte sodann den Auftrag, das Gutachten über den Leidenszustand des Beschwerdeführers im Zeitpunkt seiner Ruhestandsversetzung (30. September 1989) und der Betätigungen, die er nach seiner körperlichen und geistigen Verfassung zu diesem Zeitpunkt noch zu verrichten imstande gewesen sei, unter Berücksichtigung der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und der Einwände des Beschwerdeführers zu ergänzen. Am 13. Jänner 1993 gab der amtsärztliche Sachverständige unter Bezugnahme auf diese Fragestellung nachstehendes (auszugsweise wiedergegebenes) Gutachten ab:

"Vorbemerkung:

Das Gutachten vom 18.7.1989 wurde auf dem der Fragestellung beiliegendem Formular "Ärztlicher Sachverständigenbeweis", III/89-Erwerbsunfähigkeit unter Beantwortung der darin aufgezeigten Fragestellungen und in der in diesem Sachverständigenbeweis gewünschten Form abgegeben.

Begreiflicherweise ist die Erstattung eines Gutachtens nach Ablauf von 3 Jahren nach dem letzten Probanden-Kontakt äußerst schwierig. Es wird deshalb aus den Vorgutachten zitiert.

Anamnese:

Vorgeschichte:

Seit ca. 10 Jahren, nach dem Absetzen als prov. Leiter einer Schule, Verlust am Ansehen und Lebensfreude. Im August 1987 sei es dann wegen innerschulischer Schwierigkeiten und Personalwechsel zu einer vermehrten Depression gekommen.

Jetzige Beschwerden:

Er habe ab September vorigen Jahres in Wirsing an der Volksschule gearbeitet. Anfänglich habe es ihm recht gut gefallen. Dann sei es jedoch wieder zu Schwierigkeiten mit den Eltern gekommen. Hauptsächlich mit der Disziplin seiner Schüler habe es dann Probleme gegeben. Dies habe ihn wiederum total fertig gemacht. Er habe sich im Dezember 1988 in psychiatrischer Behandlung bei Herrn Dr. Crombach (Facharzt für Psychiatrie in Innsbruck) begeben. Derzeit leide er wiederum an Schlafstörungen, hauptsächlich Durchschlafstörungen, außerdem sei er oft verstopft, habe Schweißausbrüche. Der Appetit sei deutlich herabgesetzt. Er habe ausgeprägte Angst vor der Schule.

Befund:

Eindruck: dem Alter entsprechend, leidend, verbraucht

Größe: 172 cm

Gewicht: 58 kg

Konstitution: asthenischer Habitus

Ernährungszustand: ausreichend

Muskulatur: unauffällig

Haut: unauffällig

Schleimhäute: gut durchblutet, unauffällig

Körperhaltung: gebückt

Gang: unauffällig

Atmungsorgane: sonorer Klopfschall, Basen gut verschieblich, VA

Sinnesorgane: Sehvermögen re. 5/8,33; li.5/5; Hören 5m

Flüstersprache bds

Herztöne, Puls: rhythmisch rein; Puls 80

Blutdruck: 130/80

Bauchorgane: Blande Narbe nach AE, sonst unauffällig

Nerven, seelischer Zustand: siehe unter Punkt sonstiger Befund

Wirbelsäule: unauffällig

Gliedmaßen: unauffällig

Sonstiger Befund:

Psychischer Befund: Patient wirkt weitgehend ausdruckslos bis

leidend, redet langsam, deutliche Hinweise auf Depressio

Zwischenbemerkung:

Befund wurde auf Basis des vorgedruckten Formulares erstellt und kann drei Jahre nachher nicht mehr ergänzt oder verändert werden.

Vorliegende Hilfsbefunde: ..........

Diagnose

Depression wahrscheinlich reaktiver Genese mit Aggrivationsneigung im Unterricht.

GUTACHTEN AUFGRUND DER AKTENLAGE:

Herr SOL K. leidet an einer Depression bzw. neurotisch depressiven Entwicklung. Diese Diagnose wird von zwei der gutachtenden Fachärzte für Psychiatrie und vom behandelnden Psychiater gestützt. Auch weist Herr SOL K. deutliche Krankheitszüge einer depressiven Entwicklung (ausdruckslos bis leidend, Sprache verlangsamt, Durchschlafstörungen, Appetitlosigkeit, Verstopfung) auf. Auch das Gutachten der Univ.-Klinik für Psychiatrie entspricht einer testpsychologisch feststellbaren Hirnleistungsminderung die am ehesten einer psychischen Überforderungssituation zuzuordnen ist.

Durch psychische Belastungssituationen, wie sie im Unterricht vorkommen, ist mit einer weiteren Verschlechterung der psychischen Erkrankung von Herrn SOL K. zu rechnen. Durch diese mangelnde Belastbarkeit können die im Unterricht entstehenden Probleme nicht mehr konstruktiv bewältigt werden. Daraus wiederum von einer Verschlechterung der Klassendisziplin und einer weiteren Zunahme der Belastung des Lehrers. Dies äußert sich objektiv durch die im unteren Streubereich der Norm gelegene Aufmerksamkeit und Konzentrationsleistung. Bei kurzdauernder Belastung jedoch durch eine reduzierte Leistung in diesen Bereichen bei länger Dauer (30 Minuten).

Charakteristisch ist auch die schwankende Aufmerksamkeitzuwendung. Durch die bestehende soziale Introversion ist die Kontaktaufnahme zu Schülern und Eltern stark gestört.

Daraus ergibt sich, daß Herr SOL K. zur Ausübung des Berufes als Lehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr geeignet sein wird.

Aus amtsärztlicher Sicht sind auf Grund der bestehenden Erkrankung in einem etwaigen anderen Beruf folgende Tätigkeiten zu vermeiden:

Heben und Tragen schwerer Lasten, starker Temperaturwechsel, intensive Sonnenbestrahlung, Staubentwicklung, starke Beanspruchung des Sehvermögens und Hörvermögens, Bildschirmtätigkeit, große Lärmentwicklungen, Maschinen mit Fußbetrieb, Akkordarbeit, Überstundenleistungen sowie Parteienverkehr.

Für Bürotätigkeit bzw. Bibliotheksdienst ist SOL Julius K. unter Beachtung der obgen. Einschränkungen mit hoher Wahrscheinlichkeit geeignet."

Daraufhin veranlaßte die belangte Behörde eine Ergänzung des berufskundlichen Gutachtens; dieses wurde am 11. Februar 1993 erstellt und lautet wie folgt:

"Der zum maßgeblichen Zeitpunkt 48 1/2 jährige Beschwerdeführer erscheint nach dem nunmehr aufliegenden ärztlichen Sachverständigenbeweis von Dr. Schöch (13.1.1993), demzufolge als Diagnose eine "Depression wahrscheinlich reaktiver Genese mit Aggrivationsneigung im Unterricht" vorliegt, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr geeignet, Erwerbsverrichtungen im Rahmen des Schuldienstes, gleichgültig, ob nun in der Funktion eines Volks- oder Sonderschullehrers, auszuüben. Ansonsten wird ihm Erwerbsfähigkeit nur insoweit abgesprochen, als diese Tätigkeit mit Heben und Tragen schwerer Lasten, starkem Temperaturwechsel, intensiver Sonnenbestrahlung, Staubentwicklung, starker Beanspruchung des Seh- und Hörvermögens, Bildschirmarbeit, großer Lärmentwicklung, Maschinenarbeit (mit Fußbetrieb), Akkordarbeit, Überstundenleistung oder Parteienverkehr einhergeht.

Hinsichtlich Lehrtätigkeit trifft somit das im Erstgutachten berufskundlicherseits Ausgeführte weiterhin zu.

Ergänzend die verlangten Tätigkeitsbeschreibungen:

Sachbearbeiter (nach Art und Qualifikation des Vorgutachtens, also b-wertig) erledigen büroadministrative Verwaltungsarbeiten, wobei im besonderen die Aufarbeitung entsprechender Ansuchen bzw. Anträge unter Beachtung der geltenden Rechts- und Durchführungsvorschriften heransteht. Daneben erteilen sie Auskünfte, sie führen Schriftwechsel, fertigen Berichte, Statistiken u.ä. an und wirken, je nach Aufgabengebiet und Funktionszuteilung unterschiedlich zwischenzeitlich auch bei diversen Außendienstverrichtungen mit.

Derartige Aufgaben verlangen, abgesehen von gesundem, logisch-kritischem Verstand und der Befähigung zur Anwendung von in praktischer Berufsarbeit erworbenen Erfahrungen, zum einen Umsicht, Sorgfalt und Fleiß ab und zum anderen sprachliches Ausdrucksvermögen, mündlich wie schriftlich. Verhaltensmäßig ist ein soweit ausgeglichenes Naturell gefragt, in körperlicher Hinsicht jedenfalls "gesunde" Augen und Ohren und ein weitgehend intakter Stütz- und Bewegungsapparat, letzteres zumindest die obere Extremität betreffend. Belastungsmäßig entspricht dieser Aufgabenbereich, dies ohne Einrechnung der intellektuellen Anforderungen, leichtem Kalkül.

Die Tätigkeit eines einschlägigen Bediensteten bzw. Referenten, z.B. bei Bibliotheken und Leihbüchereien, beinhaltet neben den üblichen Informations- und Beratungsaufgaben im Rahmen des Buchverleihes die Durchführung des Bestellwesens, einschließlich der Übernahme und Kontrolle der Lieferungen sowie deren Erfassung, Einordnung und Katalogisierung nach bestimmten Ordnungskriterien. Nebenher hat er Eintragungen gemäß Büchereiordnung vorzunehmen, Leihgebühren zu berechnen und den jeweiligen Betrag zu kassieren.

Diese physisch leichten Aufgabenstellungen erfordern, ungeachtet "klaren" Hausverstandsdenkens, etwas Organisationsgeschick und Aufgeschlossenheit, Freundlichkeit, angenehme Umgangsformen sowie ein solid-gepflegtes Äußeres. Körperlich kommt funktionstüchtigen Extremitäten ebenso Bedeutung zu wie normalem Seh- und Hörvermögen. gearbeitet wird im Wechsel von Stehen (überwiegt), Gehen und Sitzen, ohne daß sich ansonsten zum ärztlichen Leistungskalkül ein Widerspruch findet.

Aufgrund der Ausführungen im letzten Absatz des Sachverständigenbeweises Dris. Schöch vom 13.1.1993 erscheint nun auch die in meinem Vorgutachten angesprochene Problematik, nämlich ob bei Herrn K. noch jenes Mindestmaß an Kontakt- und Anpassungsfähigkeit im Umgang mit Mitarbeitern und Kunden erwartet werden kann, eigentlich ohne Belang.

Im übrigen gilt das in den Vorgutachten Gesagte."

Mit Schreiben vom 1. März 1993 übermittelte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer diese Gutachten und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme.

In seiner Stellungnahme vom 15. März 1993 führte der Beschwerdeführer aus, er behaupte weiterhin, daß er zum Zeitpunkt seiner Ruhestandsversetzung am 30. September 1989 zu einem zumutbaren Erwerb nicht fähig gewesen sei. Dies treffe in gleicher Weise für seine gegenwärtige Situation zu. Zu den beiliegenden Gutachten von Reg. Rat Amtsdirektor Erich Reinalter und Amtsarzt Dr. Schöch bemerke er, daß sich der Amtsarzt offensichtlich außer Stande sehe, den Sachverhalt zum Zeitpunkt der im Gesetz vorgesehenen behördlichen Entscheidung eindeutig festzustellen. Zu seiner Aussage, daß er im gegenwärtigen Zeitpunkt für Bürotätigkeit bzw. Bibliotheksdienst mit Einschränkungen mit hoher Wahrscheinlichkeit geeignet sei, verweise er auf die im ergänzenden Gutachten des berufskundlichen Gutachters enthaltenen Berufsbilder und somit auf die Tatsache, daß in der Praxis Arbeitsplätze für Sachbearbeiter oder in Bibliotheken ohne starke Beanspruchung des Seh- und Hörvermögens, ohne Bildschirmarbeit, ohne dienstrechtliche Möglichkeit, Überstundenleistungen zu verlangen oder ohne Parteienverkehr auf der Ebene seiner Qualifikation nicht gegeben seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. April 1993 stellte die belangte Behörde fest, daß die Voraussetzungen für die Zurechnung von fünf Jahren, zehn Monaten und acht Tagen zur ruhegenußfähigen Dienstzeit des Beschwerdeführers nicht vorlägen. Begründend wurde nach Darstellung des bisherigen Verfahrensganges und der angewendeten Rechtsvorschrift ausgeführt, der Beschwerdeführer habe in seiner Stellungnahme wohl darauf hingewiesen, daß der Amtsarzt sich offensichtlich außerstande sehe, den Sachverhalt zum Zeitpunkt der im Gesetz vorgesehenen behördlichen Entscheidung eindeutig festzustellen, sei seinen Schlußfolgerungen jedoch nicht entgegengetreten. Der Beschwerdeführer habe ausgeführt, daß "in der Praxis Arbeitsplätze für Sachbearbeiter oder in Bibliotheken ohne starke Beanspruchung des Seh- und Hörvermögens, ohne Bildschirmarbeit, ohne dienstrechtliche Möglichkeit, Überstundenleistungen zu verlangen oder ohne Parteienverkehr auf der Ebene seiner Qualifikation" nicht gegeben seien. Der Sachverständige für Berufskunde habe aber in seinem Gutachten (im Sinn des Ersuchens der Behörde, jene Erwerbstätigkeiten zu beschreiben, die dem Beschwerdeführer bei der vom medizinischen Standpunkt gegebenen, eingeschränkten Leistungsfähigkeit offengestanden wären) eben diese Berufsbilder genannt. Die Beweiskraft eines Sachverständigengutachtens könne durch den Nachweis erschüttert werden, daß es mit den Denkgesetzen oder mit den Erfahrungen des täglichen Lebens in Widerspruch stehe. Die bloße Behauptung, das Gutachten stehe mit den Erfahrungen der in Betracht kommenden Wissenschaft in Widerspruch, genüge nicht. Die belangte Behörde gehe auf der Grundlage des amtsärztlichen Gutachtens davon aus, daß der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung Erwerbstätigkeiten auszuüben vermocht habe. Bei der gegebenen Leistungsfähigkeit hätten ihm Tätigkeiten, die den vom berufskundlichen Sachverständigen beschriebenen Berufsbildern entsprächen, zugemutet werden können. Eine Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 PG habe daher im Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung nicht vorgelegen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer sieht sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Zurechnung eines Zeitraumes nach § 9 Abs. 1 PG verletzt.

§ 9 Abs. 1 des gemäß § 106 Abs. 1 Z. 2 LDG 1984, BGBl. Nr. 302, anwendbaren Pensionsgesetzes 1965 (PG), BGBl. Nr. 340, lautet:

"§ 9 (1) Ist der Beamte ohne sein vorsätzliches Verschulden zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden, so hat ihm seine oberste Dienstbehörde aus Anlaß der Versetzung in den Ruhestand den Zeitraum, der für die Erlangung des Ruhegenusses im Ausmaß der Ruhegenußbemessungsgrundlage erforderlich ist, höchstens jedoch zehn Jahre, zu seiner ruhegenußfähigen Bundesdienstzeit zuzurechnen."

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde die in einem Verfahren nach § 9 PG 1965 entscheidende Rechtsfrage, ob der Beamte noch "zu einem zumutbaren Erwerb" fähig ist, nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Versetzung des Beamten in den Ruhestand zu lösen; hiebei hat sie zunächst auf der Grundlage eines mängelfreien und schlüssigen ärztlichen Gutachtens die Frage zu beantworten, ob der Beamte überhaupt noch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit fähig ist; bejahendenfalls hat sie sodann auf der Grundlage dieses sowie eines mängelfreien und schlüssigen berufskundlichen Gutachtens die Frage zu klären, ob dem Beamten jene Erwerbstätigkeiten, die er nach seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit vom medizinischen Standpunkt aus noch auszuüben vermag, zugemutet werden können (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Februar 1992, Zl. 90/12/0140, und vom 27. November 1996, Zl. 95/12/0053).

Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit sind die Verhältnisse bei der Ruhestandsversetzung (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Juni 1987, Zl. 87/12/0033, und vom 29. Februar 1988, Zl. 87/12/0170). Bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit handelt es sich um eine Rechtsfrage. Daraus folgt, daß nicht der ärztliche Sachverständige die Erwerbsunfähigkeit festzustellen hat, sondern die zur Entscheidung dieser Rechtsfrage berufene Behörde. Aufgabe des ärztlichen Sachverständigen ist es bloß, der zur Entscheidung berufenen Behörde bei der Feststellung des Sachverhaltes fachtechnisch geschulte Hilfe zu leisten (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 1995, Zl. 94/12/0142).

Die Behörde hat medizinische Gutachten, die im Ruhestandversetzungsverfahren herangezogen wurden, auch im Verfahren nach § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 zu berücksichtigen und die dort festgestellten Leidenszustände (sofern sie medizinisch fundiert sind) in ihre Überlegungen miteinzubeziehen (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. November 1994, Zl. 94/12/0162).

In einem dem Standpunkt des Beamten nicht vollinhaltlich Rechnung tragenden Bescheid hat die Behörde entsprechend den §§ 58 Abs. 2, 60 AVG und § 1 des Dienstrechtsverfahrensgesetzes in einer sowohl die Wahrnehmung der Rechte durch den Beamten als auch die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof ermöglichenden Art und Weise die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen (ständige Rechtsprechung, siehe z.B. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Februar 1992, Zl. 90/12/0140).

Aus der Tatsache der erfolgten Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit ergibt sich nicht schon, daß eine Unfähigkeit zu einem zumutbaren Erwerb im Sinne des § 9 Abs. 1 PG 1965 im Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung vorlag (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. November 1982, Zl. 82/09/0151); es ist aber das zur Versetzung in den Ruhestand herangezogene ärztliche Gutachten im Sinne der oben angeführten Judikatur in das Ermittlungsverfahren der Behörde zur Feststellung der Erwerbsunfähigkeit miteinzubeziehen. Die Behörde hat unter Mitberücksichtigung des/der Gutachten(s) des/der ärztlichen Sachverständigen im Ruhestandsversetzungsverfahren festzustellen, welche Erwerbstätigkeiten (Berufe) der Beamte aufgrund der ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit noch ausüben kann. Dies setzt neben der medizinischen Begutachtung und Würdigung durch die Dienstbehörde eine berufskundliche Beurteilung voraus, wobei beide Verfahrensschritte ausreichend, das ist in einer die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof ermöglichenden Art und Weise, in der Begründung dargelegt werden müssen (ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, siehe z.B. Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Oktober 1987, Zl. 86/12/0015, oder vom 16. Dezember 1992, Zl. 91/12/0243). Widersprüche in zwei verschiedenen vorliegenden Gutachten sind von der Dienstbehörde zu würdigen bzw. das Ermittlungsverfahren entsprechend fortzusetzen, bis allfällige Unklarheiten in der Beurteilung durch die Sachverständigen beseitigt sind.

Als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bringt der Beschwerdeführer vor, die von der belangten Behörde veranlaßten Gutachtensergänzungen hätten zwar zu einem etwas vollständigeren Bild als bei Erlassung des Bescheides im ersten Verfahrensgang geführt, es lägen jedoch wesentliche Schlüssigkeitsmängel vor. Wie der Bescheidbegründung entnommen werden könne, habe der amtsärztliche Sachverständige nunmehr näher den dem depressiven Bereich zugehörigen Leidenszustand beschrieben. Die Auswirkungen reichten demnach von einer verlangsamten Sprache über Durchschlafstörungen, Appetitlosigkeit und Verstopfung bis zu einer testpsychologisch festgestellten Hirnleistungsminderung. Vermieden werden sollten dementsprechend u.a. starke Beanspruchung des Seh- und Hörvermögens, Bildschirmtätigkeit und Parteienverkehr. Davon ausgehend habe der ärztliche Sachverständige den Beschwerdeführer als für Bürotätigkeit bzw. Bibliotheksdienst geeignet erklärt. Der berufskundliche Sachverständige habe in Bezug auf Bürotätigkeit als allein in Frage kommende Verwendung "Sachbearbeiter" angeführt. Unter den Anforderungen, die für eine solche Verwendung bestünden, nenne er die "in praktischer Berufsarbeit erworbenen Erfahrungen". Damit werde eine Voraussetzung genannt, die der Beschwerdeführer nicht erfülle und nicht erfüllen könne. Der Beschwerdeführer habe die vom Sachverständigen als notwendig erklärte Erfahrung nicht. Hinzu komme, daß ihm offensichtlich auch deren Erwerbung nicht möglich sei, weil er durch die psychische Beeinträchtigung der Belastung einer Einarbeitung ohne die erwähnten Erfahrungen nicht gewachsen sein könne. Dies müsse zumindest angenommen werden, wenn man die vorerwähnten Krankheitsauswirkungen berücksichtige und zudem noch in Rechnung stelle, was der ärztliche Sachverständige in Bezug auf eine weitere Ausübung des Lehrberufes an voraussichtlichen negativen Auswirkungen nenne. Er spreche hier ausdrücklich von einer "mangelnden Belastbarkeit" und eine solche müsse unvermeidlich ein Hindernis dafür sein, den besonderen Anforderungen der Einarbeitung in einem neuen Beruf zu entsprechen. Entweder hätte die belangte Behörde daher unmittelbar erkennen müssen, daß der Beruf des Sachbearbeiters für ihn nicht in Frage komme oder sie hätte nochmals den ärztlichen Sachverständigen zu einer ergänzenden Begutachtung zu den vorangeführten Ausführungen des berufskundlichen Sachverständigen veranlassen müssen. Es hätte sich ergeben, daß der Beschwerdeführer die Einarbeitung in einen Sachbearbeiterberuf nicht schaffen könne oder damit zumindest die Gefahr einer Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes verbunden wäre, deren Inkaufnahme unzumutbar sei. Bezüglich eines Bibliotheksdienstes spreche der berufskundliche Sachverständige von "Bediensteten bzw. Referenten", deren Tätigkeit u.a. die "üblichen Informations- und Beratungsaufgaben im Rahmen des Buchverleihes" inkludiere. Das stelle offensichtlich eine Art von Parteienverkehr dar, und ob man dieses Wort nun als unmittelbar anwendbar ansehe oder nicht, müßten doch jedenfalls die damit verbundenen Belastungen die gleichen sein. Damit scheide aber gemäß dem erwähnten Inhalt des ärztlichen Sachverständigengutachtens auch diese berufliche Tätigkeit aus. Es möge wohl an sich anzunehmen sein, daß ein berufskundlicher Sachverständiger bei seiner Nennung von Berufsmöglichkeiten alles berücksichtige, was der ärztliche Sachverständige an Einschränkungen angegeben habe. Wenn jedoch die obigen eindeutigen Hinweise darauf bestünden, daß er das nicht in gehöriger Form getan habe, so könne eine solche Annahme nicht mehr Gültigkeit haben. Außerdem sei hier eine Besonderheit zu beachten. Der ärztliche Sachverständige habe seinerseits bereits Bürotätigkeit bzw. Bibliotheksdienst als Berufsmöglichkeiten angegeben. Dies im letzten Absatz seines Gutachtens, auf welches der berufskundliche Sachverständige Bezug nehme. Anscheinend habe der berufskundliche Sachverständige hier vorausgesetzt, daß sich der ärztliche Sachverständige bei seiner Nennung von Bürotätigkeit bzw. Bibliotheksdienst als Berufsmöglichkeiten bewußt gewesen sei, daß damit die zuvor erörterten Erfordernisse puncto Erfahrung, Einarbeitung und Parteiengehör verbunden seien. Tatsächlich sei sich der ärztliche Sachverständigen dessen aber offensichtlich nicht bewußt gewesen. Mindestens sei es in entscheidender Weise unklar, wie die beiden Gutachten miteinander in Einklang zu bringen sein sollten. Bezüglich der mit einem Bibliotheksdienst verbundenen Bildschirmarbeit gelte entsprechendes, sei aber die Unklarheit sogar noch größer. Ausgegangen könne wohl davon werden, daß ein Bibliotheksbediensteter mit einer Verwendungswertigkeit, welche der Verwendungsgruppe B entspreche, entweder auch oder vor allem im Parteienverkehr (Beratung der Benutzer) eingesetzt sei oder daß eine Beschränkung der Tätigkeit auf Bestellwesen und dgl. höchstens im Rahmen sehr großer Bibliotheken erfolgen könne, welche ihrerseits ausnahmslos EDV-mässig organisiert seien, sodaß damit auch unvermeidlich die Bildschirmarbeit verbunden sei. Das sei entweder als notorisch anzusehen oder die belangte Behörde hätte dazu eine Ergänzung der Begutachtung durch den berufskundlichen Sachverständigen veranlassen müssen. Dies umso mehr, als der Beschwerdeführer im ergänzenden Verfahren ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Bildschirmarbeit für einen Bibliotheksbediensteten hingewiesen habe. Das Ermittlungsverfahren sei somit in mehrfacher Hinsicht mangelhaft geblieben. Eine schlüssige Begutachtung liege vor allem in der Kombination (dem Ineinandergreifen) von ärztlichem und berufskundlichem Sachverständigengutachten nicht vor. Auch die Bescheidbegründung sei unzureichend, weil sie auf die im Sinne der vorigen Ausführungen offenen Fragen nicht eingehe und ihr daher nicht zu entnehmen sei, ob die belangte Behörde die Widersprüche zwischen den Gutachten nicht erkannt habe oder ob und aus welchen Gründen sie diese als unerheblich erachtet habe.

Die Beschwerde ist berechtigt:

Die belangte Behörde stützt sich in ihrer Begründung des angefochtenen Bescheides auf die oben wiedergegebenen (ergänzenden) Gutachten des Amtsarztes bzw. des berufskundlichen Sachverständigen und wirft dem Beschwerdeführer vor, er habe diesen Gutachten keine fachlich entsprechenden Einwendungen entgegengesetzt.

Es ist der belangten Behörde zuzugestehen, daß ein von einem tauglichen Sachverständigen erstelltes, mit den Erfahrungen des Lebens und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch stehendes Gutachten in seiner Beweiskraft nur durch ein gleichwertiges Gutachten bekämpft werden kann. Die die Beibringung eines "qualifizierten" (Gegen)gutachtens betreffende Mitwirkungspflicht der Partei im Verwaltungsverfahren hat allerdings das Vorliegen eines mängelfreien Sachverständigengutachtens, auf das sich die Behörde bei ihrer Entscheidung in rechtlich unbedenklicher Weise stützen darf, zur Voraussetzung (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. April 1984, Zlen. 83/07/0381, 0382).

Diese Voraussetzungen sind jedoch im Beschwerdefall deshalb nicht gegeben, weil die von der belangten Behörde der Ergänzung des berufskundlichen Gutachtens vom 11. Februar 1993 zugemessene Aussage im Zusammenhalt mit den Ergebnissen des Gutachtens des Amtsarztes unschlüssig erscheint. Der Sachverständige für Berufskunde bringt unter Bezugnahme auf den letzten Absatz des medizinischen Gutachtens ("Für Bürotätigkeit bzw. Bibliotheksdienst ist SOL Julius K. unter Beachtung der obgen. Einschränkungen mit hoher Wahrscheinlichkeit geeignet") zum Ausdruck, daß die Problematik, ob beim Beschwerdeführer noch jenes Mindestmaß an Kontakt- und Anpassungsfähigkeit im Umgang mit Mitarbeitern und Kunden erwartet werden könne, eigentlich ohne Belang sei, und beschreibt die beiden vom Amtsarzt vorgeschlagenen Tätigkeiten unter anderem wie folgt: Ein b-wertiger Sachbearbeiter müsse u. a. fallweise Auskünfte erteilen, wofür er auch über mündliches sprachliches Ausdrucksvermögen verfügen müsse; zwischenzeitlich wirke er auch bei diversen Außendienstverrichtungen mit. Außerdem solle er über "gesunde" Augen und Ohren verfügen. Diese Aussage läßt sich mit dem amtsärztlichen Gutachten, wonach starke Beanspruchung des Seh- und Hörvermögens, sowie Parteienverkehr zu vermeiden sei, nicht ohne weitere Erörterung in Einklang bringen.

Auch ein Bibliotheksdienst bringt nach dem berufskundlichen Gutachten ("Nebenbei hat er ....Leihgebühren zu berechnen und den jeweiligen Betrag zu kassieren", "...neben der üblichen Informations- und Beratungsaufgaben ..") jedenfalls Parteienverkehr mit sich, von dem der medizinische Sachverständige abgeraten hatte.

Diese Widersprüche zwischen den beiden Gutachten aufzuklären und das Ermittlungsverfahren entsprechend fortzusetzen, bis allfällige Unklarheiten in der Beurteilung durch die Sachverständigen beseitigt sind, wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen. Da nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde, wäre ihr dieser Mangel nicht unterlaufen, zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtliche BeurteilungSachverständiger Entfall der BeiziehungMaßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltGutachten Verwertung aus anderen VerfahrenSachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1993120174.X00

Im RIS seit

12.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

27.06.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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