Entscheidungsdatum
15.06.2020Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
VStG §49 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin Mag. Holl, LL.M. über die Beschwerde des Herrn A. B., vertreten durch RA, gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt …, vom 14.05.2020, Zl. …, betreffend der Übertretung nach dem Covid-19-Maßnahmengesetz
zu Recht:
I. Gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG und § 38 VwGVG iVm § 49 Abs. 2 VStG wird der Beschwerde Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis behoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang und maßgeblicher Sachverhalt
Über den nunmehrigen Beschwerdeführer wurde mit Strafverfügung des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt …, vom 28.4.2020, Zl. …, zugestellt an die Erwachsenenvertreterin am 30.4.2020, wegen einer näher dargelegten Übertretung der § 3 Abs. 3 und § 2 Covid-19-Maßnahmengesetz iVm § 1 der Verordnung gemäß § 2 Z 1 des Covid-19-Maßnahmengesetzes, BGBl. II Nr. 98/2020 idF BGBl. II Nr. 108/2020 eine Geldstrafe in der Höhe von 500,- Euro sowie für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 10 Stunden verhängt.
Mit E-Mail vom 7.5.2020 erhob die gerichtliche Erwachsenenvertreterin des Beschwerdeführers Fr. Dr. C. Einspruch gegen die Strafverfügung und erklärte u.a. Folgendes (Hervorhebung durch das Verwaltungsgericht):
„Zu Ihrem Aktenzeichen: … ersuchen wir um kulante Ausbuchung der Forderung, da meine Kurand ein sehr geringes Einkommen bezieht. Eine Rückzahlung würde seine Existenzsicherung gefährden.“
Fr. Dr. C. ist u.a. mit der Vertretung des Beschwerdeführers vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern betraut.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt …, vom 14.5.2020, Zl. …, wurde ausschließlich über die Höhe der verhängten Strafe abgesprochen und die Geldstrafe auf 360,- Euro bzw. die Ersatzfreiheitsstrafe auf 8 Stunden herabgesetzt. Begründet wurde diese Entscheidung – soweit für das gegenständliche Verfahren maßgeblich – im Wesentlichen wie folgt:
„Ihr fristgerecht eingebrachter Einspruch richtete sich lediglich gegen das Ausmaß der verhängten Geldstrafe(n). Da ausschließlich das Strafausmaß der Strafverfügung bekämpft wurde, ist die Strafverfügung hinsichtlich der angelasteten Übertretung(en) rechtskräftig geworden. Die erkennende Behörde ist nur noch über das Strafausmaß entscheidungsbefugt.
Die Vertreterin des Beschuldigten gab an, dass dieser nur über ein geringes Einkommen verfügt und durch die Strafe seine Existenzsicherung gefährdet sei.“
Das Straferkenntnis wurde der Erwachsenenvertreterin am 18.5.2020 zugestellt. Gegen dieses Straferkenntnis erhob sie am 19.5.2020 fristgerecht Beschwerde und bat erneut um „kulante Ausbuchung der offenen Strafe“. Sie legte ein psychiatrisches Sachverständigengutachten vom 10.1.2020 bei, wonach der Beschwerdeführer an einer chronifizierten schizoaffektiven Psychose – sohin an einer psychiatrischen Erkrankung – leide und nicht einsichts- und urteilsfähig sei.
Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte den Verfahrensakt samt Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien vor (ha. eingelangt am 8.6.2020).
II. Beweiswürdigung
Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt sowie durch Würdigung des Vorbringens der Erwachsenenvertreterin des Beschwerdeführers, insbesondere im Einspruch datiert mit 7.5.2020.
Die Feststellungen zur Strafverfügung vom 28.4.2020, zum Einspruch vom 7.5.2020 und zum Straferkenntnis vom 14.5.2020 ergeben sich aus den im Akt einliegenden Dokumenten, an deren Echtheit und Richtigkeit kein Zweifel besteht und die im Weiteren auch nicht bestritten wurden.
Der Umstand bzw. der Umfang der Erwachsenenvertretung (vormals Sachwalterschaft) ergibt sich aus dem Beschluss des Bezirksgerichts D. vom 28.9.2016 zur GZ: … in Zusammenhalt mit der Urkunde über die Bestellung eines Sachwalters vom 30.1.2018.
Das Beschwerdevorbringen samt dem beigelegten psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 10.1.2020 ist der E-Mail vom 19.5.2020 zu entnehmen.
III. Rechtsgrundlagen
Die hier maßgebliche Bestimmung des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG), BGBl. Nr. 52/1991 idF BGBl. I Nr. 57/2018, lautet wie folgt:
„§ 49. (1) Der Beschuldigte kann gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach deren Zustellung Einspruch erheben und dabei die seiner Verteidigung dienlichen Beweismittel vorbringen. Der Einspruch kann auch mündlich erhoben werden. Er ist bei der Behörde einzubringen, die die Strafverfügung erlassen hat.
(2) Wenn der Einspruch rechtzeitig eingebracht und nicht binnen zwei Wochen zurückgezogen wird, ist das ordentliche Verfahren einzuleiten. Der Einspruch gilt als Rechtfertigung im Sinne des § 40. Wenn im Einspruch ausdrücklich nur das Ausmaß der verhängten Strafe oder die Entscheidung über die Kosten angefochten wird, dann hat die Behörde, die die Strafverfügung erlassen hat, darüber zu entscheiden. In allen anderen Fällen tritt durch den Einspruch, soweit er nicht binnen zwei Wochen zurückgezogen wird, die gesamte Strafverfügung außer Kraft. In dem auf Grund des Einspruches ergehenden Straferkenntnis darf keine höhere Strafe verhängt werden als in der Strafverfügung.
(3) Wenn ein Einspruch nicht oder nicht rechtzeitig erhoben oder zurückgezogen wird, ist die Strafverfügung zu vollstrecken.“
IV. Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 49 Abs. 2 VStG - der aufgrund des § 38 VwGVG auch in Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten zur Anwendung kommt - hat die Behörde, welche die Strafverfügung erlassen hat, wenn im Einspruch ausdrücklich nur das Ausmaß der verhängten Strafe oder die Entscheidung über die Kosten angefochten wird, darüber zu entscheiden. Bei der Beurteilung des Umfangs eines Einspruchs ist ausweislich des Gesetzeswortlauts der Umstand maßgebend, ob "ausdrücklich nur" das Ausmaß der verhängten Strafe angefochten wird (vgl. VwGH 26.1.2007, 2006/02/0252, VwGH 9.5.1990, 89/03/0096). Bestehen über das Ausmaß der Anfechtung Zweifel seitens der Behörde, so hat diese davon auszugehen, dass sich der Einspruch gegen die gesamte Strafverfügung richtet (vgl. VwGH 23.3.2016, Ra 2015/02/0247). Für die Beurteilung der Frage, ob im gegen eine Strafverfügung gerichteten Einspruch ausdrücklich nur das Ausmaß der verhängten Strafe oder die Entscheidung über die Kosten angefochten wird, kommt es auf den Inhalt dieses Einspruchs in seiner Gesamtheit an. Maßgebend ist, ob bei objektiver Betrachtungsweise davon ausgegangen werden kann, dass der Beschuldigte auch den Schuldspruch bekämpft hat (vgl. VwGH 26.1.2007, 2006/02/0252, VwGH 24.10.2002, 99/15/0172, VwGH 18.10.1999, 98/17/0364, VwGH 22.4.1999, 99/07/0010, VwGH 15.5.1991, 91/02/0002).
Die Erwachsenenvertreterin, die für den Beschwerdeführer mit E-Mail vom 7.5.2020 Einspruch gegen die Strafverfügung einlegte (vgl. § 1503 Abs. 9 Z 10 ABGB), führte darin aus, dass um eine „Ausbuchung der Forderung“ ersucht werde. Es wurde dabei darauf hingewiesen, dass eine „Rückzahlung“ existenzgefährdend sei. Nach dem Wörterbuch DUDEN ist unter „ausbuchen“ auch „streichen“ zu verstehen. Mit dem Einspruch wurde damit die Streichung bzw. der Erlass der Strafe („Forderung“) als Ganzes begehrt. Dies steht auch im Einklang mit dem Vorbringen, dass eine „Rückzahlung“ existenzgefährdend, sohin gar nicht möglich bzw. nicht gewünscht sei. Da daher offenkundig die Aufhebung der gesamten Strafe begehrt wurde, darf nicht davon ausgegangen werden, dass nur die Strafhöhe bekämpft werden sollte.
Die Strafverfügung vom 28.4.2020 wurde somit nicht nur der Höhe, sondern auch dem Grunde nach bekämpft.
§ 49 Abs. 2 vierter Satz VStG sieht vor, dass durch den Einspruch gegen eine Strafverfügung, wenn dieser rechtzeitig eingebracht wurde und darin nicht ausdrücklich nur das Ausmaß der verhängten Strafe oder die Entscheidung über die Kosten angefochten wird, die gesamte Strafverfügung außer Kraft tritt (vgl. VwGH 3.5.2017, Ro 2016/03/0027).
Aufgrund des rechtzeitig und dem Grunde nach erhobenen Einspruchs des Beschwerdeführers ist die Strafverfügung vom 28.4.2020 ex lege außer Kraft getreten. Folglich hätte von der belangten Behörde ein ordentliches Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet werden müssen (Weilguni in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG² § 49 Rz 11 f).
Indem die belangte Behörde zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass mit dem Einspruch nur das Strafmaß bekämpft wurde, sie aus diesem Grund das ordentliche Verwaltungsstrafverfahren nicht eingeleitet und in der Folge mit Straferkenntnis vom 14.5.2020 nur über die Strafhöhe – nicht aber über die Übertretung dem Grunde nach – abgesprochen hat, hat sie ihre Entscheidungspflicht verletzt. Der Beschwerdeführer wurde – aufgrund der unrechtmäßigen Verweigerung der Einleitung des ordentlichen Verfahrens durch die belangte Behörde – in seinem einfachgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung eines ordentlichen Verfahrens gemäß § 49 Abs. 2 VStG verletzt (vgl. VfGH 8.3.1980, B337/76, wonach hierdurch auch eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gegeben sein kann).
Wertet die belangte Behörde den Einspruch des Beschuldigten fälschlicherweise als „ausdrücklich nur [gegen] das Ausmaß der verhängten Strafe“ und verweigert sie dadurch eine ihr zukommende Zuständigkeit zur Entscheidung über den Einspruch dem Grunde nach, so ist das Straferkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben (vgl. VwGH 20.11.1991, 91/02/0086, VwGH 15.5.1991, 91/02/0002, VwGH 22.3.1991, 89/18/0011, VwGH 9.5.1990, 89/03/0096, VwGH 21.9.1988, 88/03/0161). Die Aufhebung ist durch das Verwaltungsgericht Wien von Amts wegen aufzugreifen. Das angefochtene Straferkenntnis war daher – ohne näheres Eingehen auf das Beschwerdevorbringen – als rechtswidrig aufzuheben.
Es wird darauf hingewiesen, dass die belangte Behörde im fortgesetzten ordentlichen Verfahren insbesondere die Einsichts- und Urteilfähigkeit des Beschwerdeführers prüfen werden muss (vgl. § 3 Abs. 1 VStG).
Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG abgesehen werden, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Strafverfügung; Einspruch; UmfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.031.062.6463.2020Zuletzt aktualisiert am
14.07.2020