TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/10 W142 2128850-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.03.2020
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Entscheidungsdatum

10.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W142 2128850-1/21E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.06.2106, Zl. 1049104800-140324332, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der volljährige Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger von Afghanistan und stellte am 24.12.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Bei seiner Erstbefragung gab der BF an, er heiße XXXX , sei am XXXX geboren und ledig. Seine Muttersprache sei Dari. Er sei Moslem und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Er habe im Iran acht Jahre lang die Grundschule besucht. Zuletzt habe er den Beruf eines Malers ausgeübt. Er habe noch seine Eltern, einen Bruder und eine Schwester. In Afghanistan habe er in Pame Nara gelebt, im Iran habe er in Maschhad gelebt. Er lebe seit 16 Jahren mit seiner Familie im Iran. Die finanzielle Situation sei schlecht gewesen. Auch sei die finanzielle Situation der Familie schlecht und arbeite der Vater im Iran. Die Kosten für die Schleppung hätten ca. 5.000 USD ausgemacht.
Als Fluchtgrund gab der BF an, er werde als afghanischer Staatsbürger im Iran schlecht behandelt und bekomme kaum Arbeit, meist nur geringfügige Schwarzarbeit. Weiters sei er von der Schule ausgeschlossen worden, weil er Afghane sei. Sonst habe er keine weiteren Fluchtgründe. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan habe er keinen Bezug, da er nie dort gelebt habe. Im Iran habe er derzeit nichts zu befürchten.
3. Am 24.02.2016 wurde der BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich in der Sprache Dari einvernommen. Der BF gab an, sich psychisch und physisch in der Lage zu sein, Angaben zu seinem Asylverfahren zu machen. Er sei gesund, nehme keine Medikamente und sei nicht in ärztlicher Behandlung. Er habe bis dato die Wahrheit gesagt und könne sich an seine Angaben in der Erstbefragung erinnern. Der Dolmetscher in der Erstbefragung sei Paschtune gewesen, habe kein Dari gesprochen und habe seine Sprache nicht richtig verstanden. Er habe ihn nicht einwandfrei verstanden. Richtigerweise sei sein Name XXXX , geboren XXXX .
Zu seinem Leben in Afghanistan führte er ergänzend aus, schiitischer Moslem zu sein. Er sei in Afghanistan geboren. Sein Vater sei Mitglied einer islamischen Hazara-Partei (Harakat-e Eslmai) gewesen. Er sei in der Partei sehr aktiv gewesen, diese habe gegen die Taliban gekämpft. Die Taliban hätten immer gegen die schiitischen Moslems bzw. Hazara und ihre Religion gekämpft. Sie hätten gesagt, sie seien keine Moslems und seien gewalttätig gewesen. Weil sein Vater in der Partei gewesen sei, hätten sie seinen Vater bedroht. Sie hätten gesagt, er und seine Familie würden getötet werden. In der Zeit habe sein Vater entschieden mit ihnen Afghanistan zu verlassen. Die Taliban hätten den Vater in Afghanistan festgenommen und gefoltert. Seit damals habe sein Vater einen psychischen Schaden. Sein Vater habe an Kämpfen teilgenommen. Die Funktion seines Vaters bei der Partei wisse er nicht genau, er sei zwei Jahre alt gewesen und sein Vater habe nicht gerne darüber geredet. Er wisse auch nicht, was die Taliban mit seinem Vater bei der Festnahme gemacht habe, wie lange bzw. wann sie diesen festgenommen hätten und ob diese Partei nur in Herat gewesen sei. Er habe mit seiner Familie in der Provinz Herat gelebt und habe keine Verwandten mehr in Afghanistan. Alle seien im Iran. Er sei auch nicht mehr in Afghanistan gewesen.
Zu seinem Leben im Iran gab er an, in Maschhad bei seiner Familie (Eltern, Bruder und Schwester) aufgewachsen zu sein. Er habe keine öffentliche Schule besuchen können, er habe aber eine Schule für Afghanen acht Jahre lang besucht. Mit 14 Jahren habe er angefangen am Bau zu arbeiten (Hilfsarbeiter). Er habe gemeinsam mit dem Vater die Familie erhalten. Einen Beruf erlernt habe er nicht und er sei immer illegal im Iran gewesen. Sein Vater habe die Flucht finanziert. Sein Vater sei Schneider. Seine ganze Familie wohne noch in Maschhad in einem Mietshaus. Er habe jede Woche 2-3 Mal Kontakt zu den Eltern. Weitere Familienangehörige außerhalb Afghanistans oder dem Iran habe er nicht. Der Familie im Iran gehe es schlecht, sein Vater müsse arbeiten damit die Familie im Iran überlebe. Es herrsche eine schlechte Wirtschaftslage. Sein Vater habe Angst und sei krank. Sie hätten auch keine Dokumente.
Zu seinen Fluchtgründen gab der BF wie folgt an (Schreibfehler korrigiert):

[..]

Das wichtigste das ich sagen möchte ist, dass mein Leben im Iran in Gefahr war. Ich hatte keine Dokumente und keinen legalen Aufenthalt und hatte mit den Behörden und der Bevölkerung immer Probleme. Sie haben uns nicht als Menschen behandelt. Sie haben uns immer beschimpft und erniedrigt und bei jeder Kontrolle mussten wir Geld bezahlen. Sogar die Grundwehrdiener vom Militär haben uns schikaniert und auch diese mussten wir immer bestechen. Ich habe zuerst meinem Vater geholfen, dann musste ich meine Familie unterstützen und schwarz arbeiten. Bei Kontrollen musste ich immer Geld bezahlen. Bevor ich den Iran verlassen habe, bei einer Polizeikontrolle, sie haben mich erwischt und nach Dokumenten verlangt. Sie haben mich erniedrigt und beschimpft. Ich habe mich versucht mit Geld freizukaufen, aber sie haben mich auf die Station mitgenommen. Dort haben sie mir gesagt, es gibt 2 Möglichkeiten; 1. Ich werde nach Afghanistan abgeschoben oder ich werde nach Syrien geschickt und muss dort gegen den islamischen Staat kämpfen. Wenn ich aus Syrien zurückkomme, bekomme ich einen legalen Aufenthalt für immer. Sie haben sogar von der Staatsbürgerschaft geredet. Ich hatte große Angst und habe weinend gebeten nicht nach Afghanistan abgeschoben zu werden, da ich Schiit und Hazara bin und Angst vor den Taliban habe. Ich habe angeboten mehr Geld für meine Freilassung zu bezahlen. Sie haben das nicht akzeptiert. Wenn ich nicht nach Afghanistan möchte, muss ich nach Syrien gehen, sagten sie mir. Ich akzeptierte, dass ich nach Syrien gehe und habe dafür unterschrieben. Ich gab ihnen die Adresse, die Telefonnummer und den Namen meines Vaters. Sie sagten mir, ich darf jetzt gehen, aber ich soll mich vorbereiten gegen den „Islamischen Staat“ kämpfen zu müssen. Ich nahm an, weil ich Angst hatte nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Zuhause erzählte ich das meinen Eltern und mein Vater sagte, dass die Situation jetzt sehr gefährlich für mich ist und wir müssen nicht an diesem Krieg teilnehmen. Binnen einer Woche habe ich den Iran verlassen. Wäre ich im Iran geblieben der Iran hätte mich abgeschoben oder ich hätte nach Syrien gehen müssen. Ich hatte große Angst und bin deswegen nach Europa gegangen. Im Iran ist ein Afghane immer mit Beleidigungen und Beschimpfungen konfrontiert. Bei der Arbeit und auf der Straße. Es gibt Parks mit Schildern, dass der Eintritt für Afghanen verboten ist.
F: Haben Sie alle Fluchtgründe genannt?

A: Ja
F: Was würde Sie erwarten, wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren müssten?

A: Ich werde sicherlich getötet. Der Taliban wird mich töten. Außerdem habe ich niemanden

in Afghanistan.

[..]
Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme legte der BF folgende Unterlagen vor:
-         Referenzschreiben der Stadt Villach,

-        Arbeitsnachweise der Stadt Villach für die Zeiträume September, Oktober und Dezember 2015 sowie Jänner und März 2016;

-        Teilnahmebestätigung der Volkshochschule für einen Kurs (Besser Lesen, Schreiben und Rechnen) von Oktober 2014 – Juni 2015.
4. Am 03.05.2016 fand eine weitere Einvernahme des BF in der Sprache Dari statt. Mit dem BF wurden die Feststellungen der Staatendokumentation zu seinem Herkunftsstaat Afghanistan erörtert. Der BF gab dazu an, dass die Hazara in Afghanistan diskriminiert werden würden. Vor ein paar Tagen seien Hazara auf dem Weg von Ghazni nach Kandahar umgebracht worden. Für Hazara sei Afghanistan unsicher.
Im Zuge der Einvernahme brachte der BF folgende Unterlagen in Vorlage:
-         Arbeitsnachweis der Stadt Villach für den Zeitraum April 2016;

-        Bestätigung, wonach der BF am Vorbereitungslehrgang zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses seit 29.02.2016 teilnehme (Abschluss wäre der 23.06.2016),

-        Bescheinigung für die Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Grundkurs.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 13.06.2016 wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde der Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem BF unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. In Spruchpunkt IV. wurde festgehalten, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Das Bundesamt stellte fest, dass der BF afghanischer Staatsangehöriger sei, sich zum schiitisch-muslimischen Glauben bekenne und der Volksgruppe der Hazara angehöre. Seine Identität habe nicht festgestellt werden können. Er leide an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten. Vor seiner Ausreise habe er gemeinsam mit seiner Familie in Maschhad (Iran) gelebt. Die Familienangehörigen würden nach wie vor im Iran leben. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF sein Herkunftsland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe.
Beweiswürdigend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass die allgemeine schlechte Situation im Iran das Zentrum seines Vorbringens gewesen sei. Soweit er angegeben hat, dass seine Familie Afghanistan verlassen habe, da der Vater Mitglied der Hazara-Partei „Harakat e-Islami“ gewesen sei und sehr aktiv im Kampf gegen die Taliban teilgenommen habe, so sei dies nicht glaubwürdig. Es sei nicht glaubwürdig, dass die Taliban den Vater einerseits mit dem Umbringen bedroht, festgenommen und gefoltert hätten, ihn aber andererseits wieder freigelassen hätten. Der BF habe bei der Einvernahme auch nur sehr wenige Angaben machen können. Auch bei Wahrheitsannahme der Angaben des BF liege aufgrund der langen Abwesenheit des BF keine Bedrohung durch Dritte vor. Es sei nicht lebensnah, dass man den BF bei einer Rückkehr mit seinem Vater in Verbindung bringen könne, da er Afghanistan im Kleinkindalter verlassen habe. Die Behörde gelange zur Ansicht, dass die Familie des BF Afghanistan aufgrund der wirtschaftlichen Situation und der allgemeinen schlechten Sicherheitslage vor 18 Jahren in den Iran verlassen habe. Eine konkrete gegen ihn gerichtete, individuelle Verfolgung habe der BF in der Einvernahme nicht glaubhaft darlegen können. Er sei in Afghanistan weder aufgrund der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt worden. Auch wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara liege keine Bedrohungssituation für Afghanistan vor. Es sei glaubhaft, dass er beschlossen habe den Iran aufgrund des illegalen Aufenthaltes und der drohenden Abschiebung zu verlassen.
Betreffend die Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzes wurde ausgeführt, dass der BF gesund und arbeitsfähig sei. Er könne nach Kabul zurückkehren und würde dazu in der Lage sein, sich mit einer Tätigkeit ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Auch könne er Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Er würde nicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten.

Zur Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass der BF illegal eingereist sei und keine Familienangehörigen in Österreich habe. Er habe Deutschkurse besucht. Eine besondere Integration bestehe nicht. Er sei nicht selbsterhaltungsfähig.
6. Gegen den Bescheid des BFA richtet sich die vollumfängliche Beschwerde. Es wurden unrichtige Sachverhaltsfeststellungen, mangelhafte Begründung, unrichtige rechtliche Beurteilung und Verfahrensmängel geltend gemacht. Der BF sei Staatsangehöriger Afghanistans und habe seine Familie Afghanistan aufgrund von wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung und mangels der Fähigkeit des Heimatlandes den BF vor Übergriffen zu schützen verlassen. Der BF habe in Afghanistan keinerlei familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte, er würde im Falle einer Rückkehr in eine aussichtlose Situation geraten. Die Behörde sei nicht darauf eingegangen, dass der BF sein ganzes Leben im Iran gelebt habe und sein Herkunftsland nie kennengelernt habe. Er habe keinerlei familiäre, wirtschaftliche oder soziale Bezugspunkte mehr zu Afghanistan. Er wäre komplett auf sich alleine gestellt und habe keine Zukunftsperspektiven. Bei einer Abschiebung nach Afghanistan würde er in eine auswegslose Situation geraten. Eine IFA würde ihm nicht zur Verfügung stehen. Zur Sicherheitslage bzw. zur politischen Lage wurde auf Berichte aus dem Jahr 2016 verwiesen.
7. Am 29.01.2018 wurde ein Auszug aus der Gewerbeinformation vorgelegt, wonach der BF seit XXXX das Gewerbe Hausbetreuung (Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten) innehabe.
8. Am 17.05.2018 langte ein Auszug aus der Gewerbeinformation ein, wonach der BF seit XXXX ein Frisörgewerbe innehabe.
9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 01.04.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein des Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt entschuldigt nicht teilnahm.
Der BF gab an, dass es ihm gut gehe und er gesund sei. Er nehme keine Medikamente ein. Er habe keine Verwandten in Afghanistan. Er sei im Iran zu Hause von einem Afghanen mit höherer Bildung acht Jahre lang unterrichtet worden. Im Iran habe er viele Arbeiten durchgeführt (Schneider, Autolackierer, Frisör) zudem habe er auf der Baustelle und in der Küche gearbeitet. Mit seinem Vater habe er als Schneider zusammengearbeitet. Diese Arbeiten könne er in Afghanistan nicht verrichten, da er noch nicht in Afghanistan gewesen sei und mit der dortigen Kultur nicht vertraut sei.

Befragt, wieso seine Familie Afghanistan verlassen habe, gab der BF wie folgt an (Schreibfehler korrigiert):

[…]

BF: So wie ich es bereits bei meinen Einvernahmen bekanntgegeben habe, war mein Vater Mitglied des Mujahedin und sie haben gegen Taliban gekämpft. Die Taliban haben meinen Vater bedroht und ihn auch geschlagen, eigentlich gefoltert, dass er jetzt durch diese Folterung gesundheitliche Probleme hat und deswegen haben sie das Land verlassen, weil die Taliban gedroht haben, nicht nur meinen Vater selbst, sondern seine ganze Familie zu töten. Wenn er Afghanistan nicht verlässt, wird er mit seiner ganzen Familie getötet.
R: Vor dem BFA haben Sie gesagt, dass Ihr Vater einer islamischen Hazara-Partei namens Harakat-e Eslmai gewesen ist. Ist diese Partei die gleiche, wie die zuvor genannte?

BF: Ja, das ist dieselbe Partei.
R: War Ihr Vater einfaches Mitglied dieser Partei?

BF: Er war ein normales Mitglied der Partei.
R: Hat Ihr Vater Geschwister?

BF: Mein Vater hat zwei Schwestern und zwei Brüder.
R: Hat Ihre Mutter Geschwister?

BF: Meine Mutter hat drei Schwestern und einen Bruder.
R: Haben Sie noch Großeltern?

BF: Meine Opas sind beide verstorben, aber meine Großmütter leben beide noch.
R: Wo leben Ihre Großmütter?

BF: Beide im Iran.
R: Können Sie mir die genaue Adresse angeben, wo Ihre Familie im Iran lebt?

BF: In der Stadt Mashhad, XXXX .
R: An dieser Adresse leben Ihre Eltern, Ihre Geschwister und Ihre Großmütter?

BF: Dort lebt nur meine Familie, meine Eltern und meine Geschwister. Meine Großmütter leben von ihnen getrennt.
R: Wo leben Ihre Großmütter?

BF: Das weiß ich nicht. Es ist so, dass sie immer wieder die Wohnadresse wechseln, wenn die Miete steigt bzw. der Mietvertrag zu Ende ist, dann wechseln sie die Wohnung. Für mich war das nicht wichtig, deshalb habe ich aktuell nicht nach der Adresse gefragt.
[…]

R: Wieso haben Sie vor der Erstbehörde angegeben, dass Sie keine Familienangehörigen außerhalb Afghanistans oder dem Iran haben. Heute geben Sie mir an, dass Sie Familienangehörige in Dänemark, Holland und Deutschland zu haben.

BF: Vielleicht war das ein Missverständnis, weil ich gesagt habe, dass ich in Afghanistan niemanden mehr habe und sich meine Familie im Iran und teils in Europa befindet.
R: Aber Ihnen ist die niederschriftliche Einvernahme vom 24.02.2016 rückübersetzt worden und Sie haben jede Seite der Einvernahme unterschrieben.

BF: Nein, ich habe gesagt, dass ich niemanden in Afghanistan habe und dass sich meine Familie zum Teil im Iran befindet und zum anderen Teil in Europa.
R: Stimmt Ihr Geburtsdatum XXXX ?

BF: Ja.
R: Und Ihr Name ist auch richtig, nämlich XXXX ?

BF: Mein erster Dolmetscher war ein Pashtune, der hat mich nicht richtig verstanden und ich habe ihn auch nicht richtig verstanden. Wenn ich ihm meinen richtigen Namen XXXX gesagt habe, hat er immer XXXX gesagt. Damit will ich sagen, dass er meinen Familiennamen falsch verstanden hat.

R: Aber Sie sind vor dem Bundesamt immer in der Sprache Dari einvernommen worden?

BF: Ja, der letzte Dolmetscher war aus dem Iran und hat Dari gesprochen. Der hat so schnell gesprochen und ich habe mich geschämt nachzufragen.
R: Wie viel hat die Reise nach Österreich gekostet?

BF: 5000 USD.
R: Woher hatten Sie so viel Geld?

BF: Mein Vater hat ein bisschen Geld gehabt. Ich selber habe ich auch etwas Geld gehabt. Ich habe gearbeitet. Meine Mutter hat Schmuck verkauft und meine Schwester hat mir auch ein bisschen Geld gegeben.
R: Wieso haben Sie den Iran verlassen?

BF: Ich weiß selber nicht, welche Nationalität ich habe, weil bei den Iranern war ich ein Afghane, für die Afghanen war ich ein Iraner. Außerdem gab es im Iran keine Rechte und die Iraner sind Nationalisten und sind gegen die Afghanen. Wir hatten nicht das Recht, uns im Iran zu bilden oder richtig zu arbeiten. Ich bin dort aufgewachsen und habe mein Leben lang dort gelebt, bin mit der Kultur dort aufgewachsen und bekannt geworden. Trotzdem wurde ich nie akzeptiert und das Leben war für mich dort sehr schwer. Die letzten Jahre war mein Leben dort in Gefahr.
R: Wieso war Ihr Leben im Iran in Gefahr?

BF: Es war so, dass die iranische Behörde junge Afghanen zwangsweise in den Krieg nach Syrien geschickt haben. Ich bin auch einmal festgenommen worden. Ich habe schwarzgearbeitet auf einer Baustelle und wollte nach der Arbeit nach Hause. Dann ist ein Polizeiauto neben mir gefahren und hat angehalten. Er hat nach meinen Papieren gefragt, ich hatte aber keine Papiere für den Iran. Ich habe dann ein bisschen Schmiergeld bezahlt, so funktionieren die iranischen Polizisten. Dann haben sie mich in Ruhe gelassen. Aber der Polizist hat dieses Schmiergeld nicht angenommen, hat mich in sein Auto gegeben und ist mit mir zur Polizeistation gefahren. Sie haben mir gesagt: „Du hast zwei Möglichkeiten. Die eine ist, da du hier schwarz aufhältig bist und keine Papiere hast, werden wir dich nach Afghanistan abschieben und du kannst in deiner Heimat machen, was du willst“. Ich hatte große Angst, dass die iranische Polizei mich wirklich nach Afghanistan abschiebt. Die zweite Möglichkeit war, dass sie mich in den Krieg nach Syrien schicken, wo ich auch für mich und meine gesamte Familie einen Aufenthalt im Iran bekäme und dass ich auch monatlich einen Geldbetrag auf mein Konto bekomme. Ich habe dem dann zugestimmt und habe ein Formular bekommen, wo draufstand, wie ich heiße und wie meine Wohnadresse ist. Ich habe dieses Formular ausgefüllt und ihm zugestimmt. Sie hatten auch meine Telefonnummer und sagten mir, sie werden mich dann anrufen und falls ich nicht erreichbar sein würde, würden sie mich und die gesamte Familie nach Afghanistan abschieben.
R: Wann haben Sie das Formular unterschrieben?

BF: Es war, bevor ich hergekommen bin.
R: Können Sie sich an den Tag oder an den Monat erinnern?

BF: Eine Woche, bevor ich den Iran verlassen habe.
R: Wann haben Sie den Iran verlassen?

BF: Genau kann ich mich nicht erinnern. In diesen vier Jahren ist so viel passiert, dass ich mich nicht erinnern kann.
R: Wie sind Sie vom Iran nach Österreich gelangt?

BF: Vom Iran bin ich in die Türkei gereist, habe zweieinhalb Monate in der Türkei verbracht. Ich habe dann 3.300 USD bezahlt und bin dann nach Griechenland weitergereist, war einen Monat in Griechenland. Ich habe dann 1.500 Euro bezahlt, dass ich nach Serbien gebracht werde und von dort aus nach Österreich.
[…]
R: Was würde Ihnen passieren, wenn Sie nach Afghanistan reisen müssten?

BF: Wie ich bereits gesagt habe, ich weiß nicht wer ich bin, ich kenne dort niemanden. Außerdem, wegen dieser Probleme habe ich Angst.
R: Vor welchen Problemen haben Sie Angst?

BF: Dass ich Moslem, Schiit und Hazara bin. Ich habe dort niemanden und ich habe dort keine Zukunft. Es ist ein islamischer Staat. Ich habe kein Gutes gegenüber dem Islam. Religion bedeutet mir nichts. Ich selber war noch nie in Afghanistan, aber allein, dass man Schiit oder Hazara ist, werden wir von den Taliban und anderen Gruppierungen getötet. Das allles habe ich aus den Nachrichten.
[…]
Zu seinem Leben in Österreich gab er an, dass er Deutschkurse (A1 und A2) besucht habe, zwei Jahre bei der Gemeinde gearbeitet habe. Er habe sich als Frisör selbstständig gemacht (Gewerbeberechtigung) und drei Monate lang gearbeitet. Sein Geschäftspartner habe dann die Abgaben nicht bezahlt. Das Geschäft sei noch offen, aber er habe sein Gewerbe abgemeldet. Er bekomme Geld vom Staat. Wenn er einen positiven Bescheid bekomme, habe ihm ein Kollege gesagt, dass er bei ihm als Frisör arbeiten könne.
Mit dem BF wurden das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 01.03.2019), die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 sowie eine Landkarte von Afghanistan erörtert.
Der BF gab dazu an, dass alles, was in seiner Heimat passiere der Grund sei, warum er sich nicht mehr für den Islam interessiere. Weil er schiitischer Hazara und Moslem sei, werde er getötet. Er wolle in keinem Teil Afghanistans leben und kenne Afghanistan nicht. Er wisse bis zum heutigen Tage nicht, welcher Nationalität er angehöre. In Afghanistan wolle man ihn nicht und im Iran auch nicht.

Der Rechtsvertreter des BF gab abschließend an, dass in Herat eine Dürre bestehe und auch eine Infrastruktur nicht gegeben sei. Der BF habe mehrere Deutschkurse besucht und habe versucht selbstständig zu sein.
Im Zuge der Verhandlung legte der BF folgende Unterlagen vor:

-        Antrag auf Saisonbewilligung (ab 10.07.2017 bis 15.10.2017) für eine geringfügige Beschäftigung als Abwäscher, Entlohnung EUR 105 für 8 Wochenstunden;

-        Mitgliedskarte eines Fitnessstudios;

-        Rotes Kreuz Unterstützungskarte;

-        Dankschreiben betreffen die Unterstützung bei der Ausrichtung des Nooruz-Festes (Speisenzubereitung)

-        Schreiben, wonach der BF die B1-Prüfung nicht bestanden habe;

-        Kurszeugnis der Volkshochschule „Deutsch als Zweitsprache für AsylwerberInnen-Gruppe 4“. Der BF zeige, dass er einen Modelltest auf A2-Niveau weitgehend korrekt bewältigen könne;

-        Teilnahmebestätigung der Volkshochschule für den Kurs „Deutsch als Zweitsprache für AsylwerberInnen“;

-        Bestätigung, wonach der BF am 23. und 24.11.2016 eine Informationsveranstaltung des ÖIF besucht habe:

-        Teilnahmebestätigung der Volkshochschule für den Kurs „Besser Lesen, Schreiben und Rechnen BLS 14/15-25“ von Oktober 2014 bis Juli 2015;

-        Dankschreiben für die Unterstützung bei der Ausrichtung eines traditionellen, afghanischen Festes;

-        Protokoll über eine Beschuldigtenvernehmung des BF bei der Finanzpolizei (Verdacht auf Vorenthalten von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung gemäß § 153c StGB);

-        ÖSD Zertifikat A1;

-        ÖSD Zertifikat B1 (nicht bestanden);

-        Arbeitsnachweise Stadt Villach für die Zeiträume September, Oktober, Dezember 2015, Jänner, März, April, Mai, Juni, August, September, Oktober, November, Dezember 2016, Jänner, März, April, Juni 2017.
10. Am 15.10.2019 übermittelte der BF dem Bundesverwaltungsgericht eine Teilnahmebestätigung eines Werte und Orientierungskurses des Österreichischen Integrationsfonds vom 24.11.2016.
11. Am 24.01.2020 wurde dem BF und der belangten Behörde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan (Stand 13.11.2019), die UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender (30.08.2018) und die EASO-Leitlinien zu Afghanistan (Juni 2019) zur Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Wochen übermittelt. Beim Bundesverwaltungsgericht langte keine Stellungnahme ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF:
Der BF ist volljährig. Seine Identität konnte mangels der Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente nicht festgestellt werden.
Der BF ist ein Staatsangehöriger Afghanistans. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Der BF hat keine Kinder und ist nicht verheiratet.
Die Muttersprache des BF ist Dari, er verfügt über Deutschkennntisse.
Der BF wurde in Afghanistan in der Provinz Herat geboren, verließ sein Herkunftsland jedoch als Kleinkind bereits im Alter von etwa zwei Jahren gemeinsam mit seiner Familie und lebte fortan (bis zu seiner Ausreise nach Europa) im Iran in der Stadt Maschhad.
Der BF hat im Iran keine offizielle Schule besucht, er wurde aber von zu Hause aus von einem Afghanen mit höherer Schulbildung acht Jahre lang unterrichtet. Zudem hat der BF im Iran einige Jahre lang (als Schneider, Autolackierer, Frisör) gearbeitet. Der BF hat auch Berufserfahrung in der Baubranche und in der Küche, darüber hinaus hat er seinem Vater in der Schneiderei geholfen.
Die Familie des BF hält sich nach wie vor im Iran auf, der BF steht mit seiner Familie auch in regelmäßigem Kontakt.
Der BF war zwar nur für kurze Zeit als Kleinkind in Afghanistan aufhältig, er ist jedoch mit der afghanischen Kultur vertraut und in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen.
Der BF leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen, die einer Rückkehr nach Afghanistan entgegenstehen würden oder ihn in seiner Arbeits- oder Leistungsfähigkeit einschränken würden. Er hat während des Verfahrens keine gesundheitlichen Probleme vorgebracht.
Der BF ist arbeitsfähig sowie leistungsfähig und kann bei einer Rückkehr Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen.
Der BF wurde mit Urteil des LG Klagenfurt vom XXXX wegen § 153c (1) StGB. (Vorenthalten von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine an seine Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seine politische Überzeugung anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.
Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret der BF als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara bzw. dass jeder Staatsangehörige von Afghanistan in seinem Heimatland psychischer oder physischer Gewalt aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre bzw. eine solche im Falle seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hätte.

Dem BF droht individuell und konkret, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die Taliban oder die afghanische Regierung.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Der BF ist gesund, volljährig, anpassungsfähig, arbeits- und leistungsfähig, kinderlos und nicht verheiratet.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in seine Geburtsstadt Herat oder alternativ Mazar-e Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen, ohne in eine auswegslose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall einer Rückkehr in die Städte Herat oder Mazar-e Sharif mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.

Es ist dem BF möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif läuft er nicht Gefahr, aufgrund seines Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten oder dass sich seine Gesundheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde. Es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstünden.

Er kann die Städte Herat und Mazar-e Sharif von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Der BF kann bei einer Rückkehr Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen.

1.4. Zum (Privat) Leben des BF in Österreich:

Der BF hält sich seit etwa fünf Jahren und zwei Monaten im Bundesgebiet auf. Er hat zwar von September 2015 bis Juni 2017 gemeinnützige Arbeiten bei einer Gemeinde verrichtet, im Jahr 2018 zwei Gewerbe (Hausbetreuung seit XXXX und Frisör seit XXXX ) angemeldet, er bezieht aber dennoch seit seiner Einreise nach Österreich laufend Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Das Gewerbe „Frisör“ wurde mit XXXX und das Gewerbe „Hausbetreuung“ wurde mit XXXX gelöscht. Der BF wohnt in einer Unterkunft für Asylwerber und hat bereits einige Deutschkurse besucht und hat eine Prüfungsbestätigung für Deutsch A1 vorgelegt. Die B1 Prüfung hat er jedoch nicht bestanden. Der BF hat zudem eine Bestätigung vorgelegt, wonach er an einem Vorbereitungslehrgang zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses teilnehme. Zudem hat er an Kursen der Volkshochschule, einer Informationsveranstaltung des ÖIF und einem Erste-Hilfe-Grundkurs teilgenommen. In seiner Freizeit geht der BF ins Fitnessstudio trainieren. Der BF hat auch bei der Ausrichtung von (afghanischen) Festen mitgeholfen. Der BF gehört keiner religiösen Verbindung und keiner sonstigen Gruppierung in Österreich an. Er hat in Österreich keine Schule besucht.

Der BF führt kein Familienleben in Österreich und hat auch sonst keine sonstigen engen sozialen Bindungen.
1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Unter Bezugnahme auf das aktuellste Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 13.11.2019), die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 sowie den EASO-Bericht zu Afghanistan von Juni 2019 werden folgende entscheidungsrelevante, die Person des BF individuell betreffende Feststellungen zu Lage in Afghanistan getroffen:

1. Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) – bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) – mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als “Marionette“ des Westens betrachten – auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die „große Ratsversammlung“ (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

2. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison – was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt – dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten – als Reaktion auf einen Anschlag – absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit – insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle – eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle – ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet – 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).
Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) – dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September – im Gegensatz zu 2019 – von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl – Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) – 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten „Geldbußen“ und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effekti

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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