TE Vfgh Erkenntnis 2020/6/8 E3703/2019 ua

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Veröffentlicht am 08.06.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen des Irans; keine ausreichende Auseinandersetzung mit der Apostasie, dem Atheismus sowie deren Folgen für das minderjährige Kind angesichts der Länderfeststellungen

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.877,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer sind iranische Staatsangehörige. Der minderjährige Zweitbeschwerdeführer (geboren am 12. Februar 2017) ist der Sohn des Erstbeschwerdeführers. Die Beschwerdeführer stellten am 17. März 2019 Anträge auf internationalen Schutz mit der Begründung, der Erstbeschwerdeführer sei aus dem Islam ausgetreten und keinem anderen Glauben beigetreten, habe sich gegenüber eines Mitgliedes der Basij-Miliz kritisch zum Islam geäußert und befürchte nun, deswegen verfolgt zu werden. Der Zweitbeschwerdeführer brachte keine eigenen Fluchtgründe vor.

2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies die Anträge mit Bescheiden vom 5. April 2019 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten und bezüglich des Status der subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach §57 AsylG 2005, erließ Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass eine Abschiebung in den Iran zulässig ist und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen.

3. Die gegen diese Entscheidungen erhobene (gemeinsame) Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 2. September 2019 mit der hier wesentlichen Begründung ab (Spruchpunkt A.), der Erstbeschwerdeführer habe weder glaubhaft machen können, dass ein Mitglied der Basij-Miliz ihn wegen kritischer Äußerungen zum Islam bedroht habe, noch, dass er im Fall der Rückkehr, anders als in den letzten dreizehn Jahren, seine Abkehr vom Islam nunmehr öffentlich machen werde beziehungsweise müsse und daher einer relevanten Verfolgung durch iranische Sicherheitsbehörden ausgesetzt sein werde.

4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Beschwerdeführer geltend machen, in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander nach ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz, BGBl 390/1973, verletzt zu sein und die kostenpflichtige Aufhebung des Erkenntnisses begehren. Begründend führt die Beschwerde aus, der Erstbeschwerdeführer werde gezwungen, seine im Verfahren festgestellte religiöse Überzeugung im Falle seiner Rückkehr geheim zu halten. Er habe sich über einen Zeitraum von dreizehn Jahren vom Islam distanziert; rund zwei Jahre vor seiner Flucht habe sich seine atheistische Überzeugung verfestigt. Seine religiöse Überzeugung sei wesentlicher Bestandteil seiner Identität, die er nicht ohne weiteres "ablegen" oder leugnen könne. Eine Auseinandersetzung mit den Folgen der Rückkehr für den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer habe das Bundesverwaltungsgericht unterlassen.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union liegt eine begründete Furcht des Asylwerbers vor asylrelevanter Verfolgung vor, wenn im Hinblick auf seine persönlichen Umstände anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Eine solche Verfolgung aus Gründen der Religion im Sinne des Art1 Abschnitt A Z2 GFK kann auch dann vorliegen, wenn sich eine Person insofern religiös betätigt, als sie den im Herkunftsstaat vorgeschriebenen Glauben nicht leben will, sondern sich durch das Unterlassen (erwarteter) religiöser Betätigungen zu ihrer Konfessionslosigkeit bekennt (zu Afghanistan EuGH 5.9.2012, verb. Rs C-71/11, C-99/11, Y ua, Rz 79 und EuGH 4.10.2018, Rs C-56/17, Fathi, Rz 88 und Rz 96 ff.; siehe zu Afghanistan VfGH 13.3.2019, E3767/2018; VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395, zum Iran ebenso VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0350). Dabei darf nicht darauf abgestellt werden, ob der Asylwerber die Gefahr einer Verfolgung möglicherweise dadurch vermeiden kann, dass er auf die betreffende religiöse Betätigung und folglich auf den Schutz, den die Anerkennung als Flüchtling garantieren soll, verzichtet (EuGH, Y ua, Rz 78 und Rz 80).

3.2. Das Bundesverwaltungsgericht hält die Apostasie des Erstbeschwerdeführers für erwiesen, verneint aber, dass er im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Iran seine Abwendung vom Islam "nach außen tragen würde, sodass ihm ein diesbezüglich auch politisches Verhalten vorgeworfen werden könnte". Darauf aufbauend verneint das Bundesverwaltungsgericht eine asylrelevante Bedrohung des Erstbeschwerdeführers; eine Bedrohung, die das Bundesverwaltungsgericht – wie sich aus den im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Länderberichten auch ergibt – grundsätzlich für gegeben erachten würde, wenn sich der Erstbeschwerdeführer "zum Atheismus bekennen würde und sich damit ins Visier der Sicherheitskräfte begeben würde".

Seine Beurteilung stützt das Bundesverwaltungsgericht wesentlich darauf, dass der Erstbeschwerdeführer insbesondere in der mündlichen Verhandlung nicht habe erklären können, warum – nachdem er vor seiner Ausreise seinen eigenen Angaben zufolge über dreizehn Jahre den Islam insoweit nicht mehr gelebt habe, als er die Gebete nicht mehr verrichtet, den Ramadan nicht eingehalten und die Moschee nicht mehr besucht habe, und dies zu keinen Problemen mit den iranischen Behörden geführt habe – "also nunmehr eine öffentliche Demonstration seiner Gesinnung, bzw seines fehlenden Glaubens, tatsächlich zu erwarten wäre."

In diesem Zusammenhang hat – wie sich aus dem im angefochtenen Erkenntnis diesbezüglich wörtlich zitierten Verhandlungsprotokoll ergibt – der Erstbeschwerdeführer auf die Frage, was er denn im Falle einer Rückkehr in der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit seiner Gesinnung machen würde, Folgendes geantwortet:

"Es gibt 2 Möglichkeiten, entweder fühlt man sich wie in einem Gefängnis, verurteilt zum Stillschweigen und dass man lügt und sagt 'Ich bin ein Moslem'. Die 2. Möglichkeit, man hat ja Freunde, und wenn man mit ihnen darüber redet, kann man 1, 2 oder 3 Mal lügen. Irgendwann muss man ja auch die Wahrheit erzählen."

3.3. Diese Aussage des Erstbeschwerdeführers würdigt das Bundesverwaltungsgericht dahingehend, dass der Erstbeschwerdeführer "im Endeffekt nur meint, man müsse einmal die Wahrheit sagen," wobei dennoch unklar bleibe, "warum diese Wahrheit – und in welcher Form – wem gegenüber ans Tageslicht kommen würde. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich der BF 1) – wie auch in den Länderberichten angegeben – nunmehr nach mehr als 13 Jahren, in denen er die Religion nicht ausübte und nach mehr als zwei Jahren, in denen er selbst meinte, er habe sich schließlich ganz bewusst vom Islam abgewandt, zum Atheismus bekennen würde und sich damit ins Visier der Sicherheitskräfte begeben würde, haben sich im Verfahren und nach den Angaben des BF 1) im Verfahren nicht ergeben."

Wieso sich aus der Aussage des Erstbeschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung diese Schlussfolgerung des Bundesverwaltungsgerichtes ergeben sollte, ist nicht nachvollziehbar. Vielmehr legt die Aussage doch gerade den Gewissenskonflikt des Erstbeschwerdeführers offen, die Konfessionslosigkeit nicht öffentlich leben zu können, sondern – um eine Verfolgung zu vermeiden – für sich behalten zu müssen. Indem das Bundesverwaltungsgericht dieses offensichtliche Parteivorbringen ignoriert und demzufolge keine Ermittlungen dahingehend anstellt, wie sich für den Erstbeschwerdeführer (zum Zweitbeschwerdeführer siehe sogleich) ein öffentliches Eingeständnis des Abfalls vom Islam vor dem Hintergrund der Länderberichte auswirken würde, verlangt es vom Erstbeschwerdeführer, dass er seine – an und für sich als glaubwürdig erachtete – Apostasie für sich behält, wenn er sich diesbezüglich vor Verfolgung schützen muss.

3.4. Dazu kommt, dass das Bundesverwaltungsgericht überhaupt nicht auf die Frage eingeht, wie sich die Konfessionslosigkeit des Erstbeschwerdeführers im Falle einer Rückkehr auf den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer auswirkt und ob die erzieherische Verantwortung für sein Kind möglicherweise die Gefahr verstärkt, dass diese Konfessionslosigkeit im Hinblick auf die religiöse Erziehung des Kindes zu einem öffentlichen Thema wird, das die Behörden auf den Erstbeschwerdeführer aufmerksam macht.

3.5. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch seine diesbezüglich nicht nachvollziehbare Beweiswürdigung das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers geradezu ignoriert und im Hinblick auf mögliche Folgen der Konfessionslosigkeit des Erstbeschwerdeführers, insbesondere auch in Bezug auf seine Verantwortung für den Zweitbeschwerdeführer, die gebotene Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen, womit das Bundesverwaltungsgericht sein Erkenntnis insgesamt mit Willkür belastet.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 479,60 und ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 218,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, Rückkehrentscheidung, Kinder

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E3703.2019

Zuletzt aktualisiert am

10.08.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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