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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Unsachlichkeit der Legaldefinition des Familienangehörigen im AsylG 2005 mangels Möglichkeit der Ableitung des Schutzstatus des gesetzlichen Vertreters auf ein minderjähriges Kind trotz einem – bereits vor der Einreise bestehenden – Eltern-Kind-ähnlichen VerhältnisRechtssatz
Aufhebung des §2 Abs1 Z22 AsylG 2005 idF BGBl I 56/2018 mit Ablauf des 30.06.2021 auf Grund des von Amts wegen eingeleiteten Prüfungsverfahrens; Abweisung der Gerichtsanträge auf Aufhebung von §34 Abs1, 2, 4 und 5 AsylG 2005 idF BGBl I 145/2017 (das BVwG schließt sich in seinen Ausführungen den vom VfGH im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken an; kein weiteres Verfahren zu diesen Anträgen im Hinblick auf §19 Abs3 Z4 VfGG).
Umfasst der Gesetzesprüfungsantrag auch Bestimmungen, die mit den präjudiziellen, den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden Bestimmungen in einem so konkreten Regelungszusammenhang stehen, dass es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ihre Aufhebung - im Fall des Zutreffens der Bedenken - erforderlich sein könnte, sind diese Bestimmungen also nicht offensichtlich trennbar, so ist der Antrag insgesamt zulässig. Im Anlassverfahren hätte sich das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) auf Grund des Verwandtschaftsverhältnisses des Beschwerdeführers zu seiner gesetzlichen Vertreterin (Schwester) mit den Voraussetzungen des §34 Abs1, 2, 4 und 5 AsylG 2005 iVm der Legaldefinition des §2 Abs1 Z22 AsylG 2005 auseinandersetzen müssen, weil gemäß §34 Abs5 AsylG 2005 die Bestimmungen der Abs1 bis 4 leg cit sinngemäß für das Verfahren vor dem BVwG gelten. Dass das BVwG die Familienangehörigeneigenschaft letztlich verneint hat und im angefochtenen Erkenntnis eine Bezugnahme auf §34 AsylG 2005 fehlt, vermag hingegen an der Präjudizialität der maßgeblichen Bestimmungen nichts zu ändern.
Aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage ergibt sich zunächst nur, dass die Aufnahme des gesetzlichen Vertreters in die Definition des Familienangehörigen in §2 Abs1 Z22 AsylG 2005 in Umsetzung von Art2 litj dritter Gedankenstrich der Status-RL erfolgt sei. Im Erwägungsgrund 19 der Status-RL wird hiebei insbesondere betont, dass "den unterschiedlichen besonderen Umständen der Abhängigkeit Rechnung zu tragen [ist]". Der Bundesregierung ist aber beizupflichten, dass der Regelungszweck des §2 Abs1 Z22 iVm §34 AsylG 2005 offensichtlich darin besteht, dem gesetzlichen Vertreter, der nicht Elternteil ist, die Wahrnehmung seiner Aufgaben in Bezug auf den von ihm Vertretenen auch im schutzgewährenden Staat zu ermöglichen, und zwar derart, dass der dem Vertretenen gewährte Schutz auf den gesetzlichen Vertreter erstreckt wird. Der praktisch häufigste Fall ist hier die Vertretung von Minderjährigen; die Regelung dient in diesen Fällen dem Kindeswohl.
Ein minderjähriges Kind steht zu seinem gesetzlichen Vertreter in vielen Fällen in einem Verhältnis, das dem zwischen Eltern und Kind entspricht, wie es von §34 AsylG 2005 besonders geschützt wird. Derartige Fälle werden aber von der in Rede stehenden Regelung - die insbesondere das Kindeswohl schützen soll - nicht ausreichend berücksichtigt, weil damit keine Ableitung des Schutzstatus vom gesetzlichen Vertreter auf das Kind ermöglicht wird, auch wenn zwischen dem gesetzlichen Vertreter und dem Vertretenen ein Eltern-Kind-ähnliches Verhältnis, wie oben beschrieben, vor der Einreise besteht. Damit erweist sich die Regelung als in sich unsachlich.
Der VfGH geht davon aus, dass sich der Sitz der angenommenen Verfassungswidrigkeit ausschließlich in §2 Abs1 Z22 AsylG 2005 befindet und dies den geringstmöglichen Aufhebungsumfang im Hinblick auf den dem Anlassfall zugrunde liegenden Sachverhalt darstellt.
(Anlassfall E698/2019, E v 27.06.2020, Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses; Quasi-Anlassfall E699/2019, E v 27.06.2020).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Asylrecht, Kinder, Vertreter, VfGH / Präjudizialität, VfGH / PrüfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:G298.2019Zuletzt aktualisiert am
08.06.2022