TE OGH 2020/4/17 33R16/20w

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Veröffentlicht am 17.04.2020
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden, den Richter Dr. Stiefsohn und den Patentanwalt Mag. Dr. Philipp Weinzinger in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch die Gassauer-Fleissner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei O*****, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei O*****, vertreten durch die Tonninger Schermaier & Partner Rechtsanwälte (GbR) in Wien, wegen zuletzt EUR 12.433.485 s. A. über die Rekurse der beklagten Partei und der Nebenintervenientin gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 17.12.2019, 19 Cg 9/19y-182, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 17.760,74 (darin EUR 2.960,12 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Begründung

Text

I. Sachverhalt:

Die Klägerin ist die Rechtsträgerin des „Centre *****“, das der Inhaber des am 8.2.1989 unter Inanspruchnahme einer französischen Priorität vom 7.6.1988 (FR 8807530) angemeldeten und mit Wirkung für Österreich erteilten (und mittlerweile am 1.2.2009 erloschenen) europäischen Patents AT E 121750 T2 (EP 0359593 B2; in der Folge kurz: Klagepatent) ist. Dieses Patent bezieht sich auf die Trennung von Proteinen einer Fraktion des menschlichen oder tierischen Plasmas durch Anionenaustauschchromatographie nach einer Technik, die es gestattet, in einem einzigen Schritt einen sehr hohen Reinigungsgrad insbesondere des Faktors VIII des Fibrinogens und des von-Willebrand-Faktors zu erhalten.

Mit der Behauptung, die Beklagte greife durch die Herstellung von „O*****®“ in das Klagepatent ein, erhob die Klägerin am 31.12.1991 eine Stufenklage (Art XLII Abs 3 EGZPO) wider die Beklagte (zuletzt modifiziert in ON 119).

Die Beklagte stellte jeden Patenteingriff in Abrede und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

Mit dem rechtskräftigen Teilurteil vom 23.11.2012 (ON 153) bejahte das Handelsgericht Wien die Patentverletzung und erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin über die im Einzelnen bezeichneten patentverletzenden Handlungen bis zum 1.2.2009 Rechnung zu legen. Zuletzt (ON 170) bezifferte die Klägerin ihren Zahlungsanspruch mit EUR 12.433.485 sA. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens mit dem wesentlichen Vorbringen, der Zahlungsanspruch sei verjährt und überhöht.

II. Anträge und Vorbringen der Parteien:

In der Tagsatzung vom 24.9.2019 (ON 176) beantragte die Beklagte die Unterbrechung des Verfahrens nach § 156 Abs 3 PatG. Mit dem Schriftsatz vom 27.9.2019 (ON 177) trat die Nebenintervenientin dem Verfahren bei und beantragte ebenfalls dessen Unterbrechung nach § 156 Abs 3 PatG. Die Beklagte und die Nebenintervenientin argumentierten zusammengefasst, zu N 6/2017 sei ein (zweites) Nichtigkeitsverfahren in Ansehung des Klagepatents beim österreichischen Patentamt anhängig. Die Parteien des Nichtigkeitsverfahrens seien die Nebenintervenientin und die Klägerin. Der Antrag habe eine hohe Aussicht auf Erfolg, weil das Klagepatent vom deutschen Bundesgerichtshof aufgrund des Standes der Technik, der auch dem Nichtigkeitsantrag zu Grunde gelegt worden sei, für nichtig erklärt worden sei. Zwar sei dieser Stand der Technik auch im ersten Nichtigkeitsverfahren vor dem österreichischen Patentamt behandelt worden, dessen Parteien die Beklagte und die Klägerin gewesen seien; die essenzielle technische Frage sei dort aber evident falsch behandelt worden. Zudem stütze sich der neuerliche Nichtigkeitsantrag auf Fakten, die im ersten Nichtigkeitsverfahren nicht verfahrensgegenständlich gewesen seien. Wegen mangelnder Parteienidentität im Vergleich zum ersten Nichtigkeitsverfahren liege keine entschiedene Sache vor.

Die Klägerin sprach sich gegen die Unterbrechung aus. Die Frage der Rechtsbeständigkeit des Klagepatents sei rechtskräftig entschieden.

III. Angefochtene Entscheidung:

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht die Unterbrechungsanträge ab. Die für das Rechnungslegungsbegehren bereits gelösten Vorfragen seien im weiteren Verfahren nicht nochmals inhaltlich zu prüfen. Im Teilurteil vom 23.11.2012 seien die Vorfragen der Rechtsbeständigkeit des Patents und der Patentverletzung durch die Beklagte rechtskräftig entschieden worden. Das Teilurteil entfalte insoweit eine Bindungswirkung für das Verfahren über die Höhe des Leistungsanspruchs der Klägerin.

IV. Rekurse:

Gegen diesen Beschluss richten sich die – inhaltlich übereinstimmenden – Rekurse der Beklagten und der Nebenintervenientin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss abzuändern und das Verfahren zu unterbrechen; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt, den Rekursen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

V. Rekursentscheidung:

1. Die Rekurse sind zulässig:

1.1. Nach § 192 Abs 2 ZPO können die nach den §§ 187-191 ZPO erlassenen Anordnungen, soweit sie nicht eine Unterbrechung des Verfahrens verfügen, durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. Die Abweisung eines Unterbrechungsantrags ist daher nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich unanfechtbar (RIS-Justiz RS0037071; RS0037003). Anderes gilt nur dann, wenn die Unterbrechung zwingend vorgeschrieben wäre (RIS-Justiz RS0037034; RS0037020).

1.2. § 156 PatG regelt die Behandlung der Vorfragen im gerichtlichen Verletzungsstreit nach den §§ 147 ff PatG. Nach Abs 1 leg cit kann das Gericht grundsätzlich die Gültigkeit oder Wirksamkeit eines Patents selbständig als Vorfrage beurteilen. Nur dann, wenn ein Urteil davon abhängt, ob ein Patent nichtig (§ 48 PatG) ist, und die Nichtigkeit nicht offenbar zu verneinen ist (Abs 3 leg cit in der gemäß § 175 Abs 3 PatG im vorliegenden Fall [Klagseinbringung am 31.12.1991] anzuwendenden Fassung vor der Patentrechtsnovelle 2005, BGBl I 2004/149) wäre die Unterbrechung zwingend vorgeschrieben (4 Ob 41/15f; Meinl in Stadler/Koller, PatG § 156 Rz 5 f, 16 ff; zur insofern gleichen Rechtslage vor der Patentrechtsnovelle 2005, BGBl I 2004/149, 4 Ob 155/02a).

Die Beklagte und die Nebenintervenientin haben ihren Unterbrechungsantrag auf § 156 Abs 3 PatG gestützt, sodass ihre Rekurse gegen den die Unterbrechung versagenden Beschluss zulässig sind.

2. Die Rekurse sind aber nicht berechtigt:

2.1. Bei einer Stufenklage (Art XLII Abs 3 EGZPO) ist zuerst das Verfahren über das Rechnungslegungsbegehren durchzuführen und darüber mit Teilurteil zu entscheiden (RIS-Justiz RS0108687; RS0035069). Der Zweck der Rechnungslegung besteht darin, den Berechtigten in die Lage zu versetzen, die Grundlage seiner Zahlungsansprüche gegen den Beklagten zu ermitteln, um ein Leistungsbegehren beziffern zu können (RIS-Justiz RS0019529 [T6, T13]; 4 Ob 120/17a). Es handelt sich um einen auf ein (existentes) Hauptbegehren bezogenen typischen Hilfsanspruch (RIS-Justiz RS0034907 [T3]). Ist nicht im Einzelfall die gesamte Stufenklage abzuweisen (vgl RIS-Justiz RS0035113; Konecny in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ II/1 Art XLII EGZPO Rz 123), hat das Gericht das Verfahren über den Rechnungslegungsanspruch (Manifestationsverfahren) vom Verfahren über den Leistungsanspruch getrennt zu führen und ein Teilurteil über den erstgenannten Anspruch zu fällen (RIS-Justiz RS0035069).

Über die gemeinsamen Grundlagen des Rechnungslegungs- und des Zahlungsbegehrens muss wegen ihrer engen Verbindung gemeinsam entschieden werden (RIS-Justiz RS0034978). Das bedeutet nicht, dass mit dem Rechnungslegungsbegehren bereits über das Zahlungsbegehren dem Grunde nach entschieden werden muss (4 Ob 243/17i), wohl aber, dass schon in der ersten Phase des Stufenklageverfahrens die Grundlagen des Zahlungsbegehrens insoweit zu prüfen sind, als sie sich mit den Grundlagen des Rechnungslegungsbegehrens decken (1 Ob 54/18z). Die Rechtskraft des Teilurteils über den Rechnungslegungsanspruch schließt folglich die Verhandlung, Beweisaufnahme und neuerliche Prüfung des bereits entschiedenen Klagsanspruchs aus (RIS-Justiz RS0035069). Die Erledigung des Rechnungslegungsbegehrens entfaltet insofern bindende Wirkung für das Zahlungsbegehren. Daraus folgt auch, dass die für das Rechnungslegungsbegehren bereits gelösten Vorfragen im weiteren Verfahren nicht nochmals inhaltlich zu prüfen sind (4 Ob 243/17i). Dazu gehört die Frage der Rechtsverletzung, über die bereits bei der Klärung des Rechnungslegungsbegehrens mit bindender Wirkung für das Zahlungsbegehren zu entscheiden ist (4 Ob 182/13p; 4 Ob 213/18d).

2.2. Das Erstgericht hat diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall richtig angewendet und die beantragte Verfahrensunterbrechung zutreffend versagt: Das rechtskräftige Teilurteil über das Rechnungslegungsbegehren bejahte – als Voraussetzung des Rechnungslegungsanspruchs – die Patentverletzung durch die Beklagte (deren Vorfrage wiederum die Rechtsbeständigkeit des Patents war). Die Patentverletzung ist daher der zweiten Phase des Verfahrens, der Verhandlung und Entscheidung über das Zahlungsbegehren, bindend zu Grunde zu legen.

2.3. Die von den Rekurswerbern dagegen ins Treffen geführten Argumente überzeugen nicht:

Sie berufen sich zunächst auf RIS-Justiz RS0040956, wonach die in einem Teilurteil getroffenen Tatsachenfeststellungen oder ausgesprochenen Rechtsansichten für sich allein keine für das weitere Verfahren bindenden Wirkungen haben können. Die in diesem Rechtssatz zusammengefassten Entscheidungen befassen sich aber allgemein mit Teilurteilen iSd § 391 Abs 1 ZPO, die über einzelne von mehreren in derselben Klage geltend gemachten Ansprüche oder über Teile eines Anspruchs absprechen, und nicht mit dem Sonderfall des Teilurteils über das Rechnungslegungsbegehren im Verfahren über die Stufenklage (Art XLII Abs 3 EGZPO).

Die weitere von den Rekurswerbern ins Treffen geführte Lehre (Klicka in Fasching/Konecny3 § 411 ZPO Rz 56 ff, 69, 74 und 85 ff) und Rechtsprechung (1 Ob 28/15x, 5 Ob 212/10b, 6 Ob 3/19p; RIS-Justiz RS0041342, RS0041285, RS0041188, RS0127052, RS0039843, RS0041180, RS0102102, RS0041582, RS0047398 und RS0120604) behandelt nicht die innerprozessuale Bindungswirkung des Teilurteils über das Rechnungslegungsbegehren für das Zahlungsbegehren im Verfahren über die Stufenklage (Art XLII Abs 3 EGZPO), sondern allgemein die Reichweite der aus der materiellen Rechtskraft folgenden außerprozessualen Bindungswirkung rechtskräftiger Entscheidungen (also deren Bindungswirkung für selbständige Folgeprozesse).

Die von den Rekurswerbern zitierte deutsche Lehre (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO31 § 254 Rz 10; Becker-Eberhard in Münchner Kommentar ZPO4 § 254 Rz 24) und Rechtsprechung (IX ZR 168/11; V ZR 180/97; I ZR 13/90; V ZR 114/66) bezieht sich auf die Stufenklage nach § 254 dZPO sowie die materielle Rechtskraft nach § 322 dZPO und ist auf die österreichische Rechtslage nicht übertragbar. Die Rekurswerber müssen dies unter Zitierung von 4 Ob 182/13p, 4 Ob 243/17i und 4 Ob 213/18d auch selbst einräumen. Anhaltspunkte dafür, dass diesen Entscheidungen des OGH – die allesamt in den letzten rund sechs Jahren ergangen sind, die jüngste vor rund einem Jahr – „offenbar eine nicht mehr vorherrschende Rechtsansicht zugrunde lag“, bleiben die Rekurswerber schuldig und sieht auch das Rekursgericht nicht.

Die dargelegte Rechtslage widerspricht auch nicht dem Grundsatz, dass die endgültige Entscheidung über den Bestand des Patents im Nichtigkeitsverfahren (mit dem Patentamt als erster Instanz) zu treffen ist (die Rekurswerber zitieren in diesem Zusammenhang die zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 2012/51, ergangenen Entscheidungen 4 Ob 251/05y und 17 Ob 26/08k). Die Frage der Rechtsbeständigkeit des Patents ist als Vorfrage der Rechtsverletzung zu klären. Im Verfahren über die Stufenklage (Art XLII EGZPO) hat dies aber – weil die Rechtsverletzung eine gemeinsame Grundlage des Rechnungslegungs- und des Zahlungsbegehrens ist – in der ersten Phase des Verfahrens, der Verhandlung über das Rechnungslegungsbegehrens zu geschehen. Wird die Rechtsverletzung im darüber ergehenden Teilurteil rechtskräftig bejaht, ist dies für das weitere Verfahren über den Zahlungsanspruch bindend und kann nicht neuerlich aufgerollt werden. Dies steht mit der Systematik und dem Zweck des § 156 PatG ohne weiteres im Einklang.

Anhaltspunkte dafür, dass die dargelegte Rechtslage, wie die Rekurswerber vorbringen, dem verfassungsrechtlichen Gebot der Trennung von Justiz und Verwaltung widerspräche, sieht das Rekursgericht nicht.

Den unberechtigten Rekursen ist somit der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des dem Zwischenstreit über die Unterbrechungsanträge zuzuordnenden Rekursverfahrens zu ersetzen. Eine Kostenersatzpflicht der Nebenintervenientin besteht nicht (RIS-Justiz RS0035816). Der verzeichnete Patentanwaltszuschlag steht der Klägerin hier nicht zu, weil im Rekursverfahren ausschließlich Rechtsfragen zu beantworten waren und die Fachkenntnisse des Patentanwalts für die Lösung dieser Fragen nicht erforderlich waren (17 Ob 19/08f; Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.431).

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf § 528 Abs 2 Z 2 ZPO (Konformatbeschluss).

Schlagworte

Gewerblicher Rechtsschutz - Patentrecht; Wirkung der rechtskräftigen Entscheidung über das Rechnungslegungsbegehren,

Textnummer

EW0001039

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2020:03300R00016.20W.0417.000

Im RIS seit

13.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.03.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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