TE OGH 2020/4/24 8ObA24/20t

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Veröffentlicht am 24.04.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Dr. Tassilo Wallentin, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Dr. Sieglinde Gahleitner, Rechtsanwältin in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, in eventu Unwirksamerklärung einer Entlassung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Jänner 2020, GZ 7 Ra 87/19v-35, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1 Eine vom Berufungsgericht im Spruch oder in den Entscheidungsgründen verneinte Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz ist nach ständiger Rechtsprechung eine den Obersten Gerichtshof bindende, nicht weiter anfechtbare Entscheidung (RIS-Justiz RS0042981). Daran vermag auch die Behauptung des Rechtsmittelwerbers nichts zu ändern, dem Berufungsgericht sei selbst ebenfalls eine Nichtigkeit unterlaufen; ebenso wenig die Anfechtung unter dem Gesichtspunkt eines anderen Rechtsmittelgrundes (RS0042981 [T14]). Auch die Geltendmachung eines vom Berufungsgericht verneinten (angeblichen) Mangels des Verfahrens erster Instanz ist nach ständiger Rechtsprechung im Revisionsverfahren nicht zulässig (RS0042963; RS0106371).

1.2 Daher sind weder die vermeintliche Nichtigkeit des Ersturteils iSd § 477 Abs 1 Z 9 ZPO noch der behauptete Begründungsmangel, weil das Erstgericht nicht „auf die einzeln geltend gemachten Entlassungsgründe rechtlich näher“ eingegangen sei, vom Obersten Gerichtshof zu überprüfen.

1.3 Die fälschliche Annahme einer Bindungswirkung wurde in der Rechtsprechung zwar schon als Fall eines auch in dritter Instanz wahrnehmbaren Stoffsammlungsmangels (9 ObA 117/91), als Mangel des Berufungsverfahrens selbst (vgl 10 Ob 144/05g; 1 Ob 35/02g) oder als Ursache für sekundäre Feststellungsmängel angesehen (vgl 4 Ob 111/07p; 5 Ob 220/10d mwN). Derartiges macht die Klägerin, die lediglich auf eine andere rechtliche Beurteilung der getroffenen Feststellungen abzielt, aber gar nicht geltend.

2.1 Im Vorverfahren wurde rechtskräftig zugunsten der hier Beklagten festgestellt, dass für die Klägerin des Anlassverfahrens im Zeitpunkt ihrer Entlassung (am 28. 2. 2017) kein Kündigungs- und Entlassungsschutz nach § 10 bzw § 12 MSchG bestand. Diese Frage ist für das hier von der Klägerin erhobene Hauptbegehren auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses präjudiziell. In einem solchen Fall hat der zweite Richter als Folge der Bindungswirkung von dem rechtskräftig festgestellten Anspruch bzw Rechtsverhältnis auszugehen und ohne weiteres seiner neuen Entscheidung zugrunde zu legen (6 Ob 3/19p).

2.2 Ungeachtet dessen erlaubt der festgestellte Sachverhalt die rechtliche Schlussfolgerung der Revisionswerberin allerdings ohnehin nicht, die Vereinbarung vom 24. 5. 2016 sei wegen Sittenwidrigkeit zur Gänze und nicht bloß zum Teil weggefallen, die bis 26. 5. 2017 vereinbarte Elternkarenz habe somit nicht vorzeitig geendet (vgl zum selben Sachverhalt 8 ObA 59/18m). Die Abweisung des Hauptbegehrens durch die Vorinstanzen begegnet daher keinen Bedenken. Gleiches gilt für die Abweisung des Eventualbegehrens:

3.1 Entlassungsgründe sind grundsätzlich unverzüglich geltend zu machen (RS0028965, RS0031799 ua). Der Grundsatz, dass die Entlassung unverzüglich auszusprechen ist, beruht auf dem Gedanken, dass ein Arbeitgeber, der eine Verfehlung seines Arbeitnehmers nicht sofort mit der Entlassung beantwortet, dessen Weiterbeschäftigung nicht als unzumutbar ansieht und auf die Ausübung des Entlassungsrechts im konkreten Fall verzichtet (RS0029249). Vorläufige Maßnahmen, etwa die bis zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage vorgenommene Suspendierung eines Arbeitnehmers, können die Annahme eines Verzichts des Arbeitgebers auf die Ausübung des Entlassungsrechts verhindern (RS0028987). Die Beurteilung, ob der Ausspruch der Entlassung verspätet erfolgt ist und der Dienstnehmer berechtigt davon ausgehen durfte, der Dienstgeber hätte auf die Geltendmachung des Entlassungsrechts verzichtet, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig (RS0029249 [T17]).

3.2 Der Hinweis der Klägerin darauf, dass zwischen der Einholung einer ersten Rechtsberatung am 22. 2. 2017 und dem Ausspruch der Entlassung mit Wirksamkeit 28. 2. 2017 nahezu sechs Tage vergangen seien, blendet aus, dass die Klägerin nach den Feststellungen bereits mit 24. 2. 2017 vom Dienst suspendiert wurde, womit sie keinen Zweifel daran haben konnte, dass die Beklagte die Entlassung in Betracht zieht (vgl 9 ObA 304/00x). Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Ausspruch der Entlassung durch die Leiterin der österreichischen Zweigniederlassung der Beklagten mit Schreiben vom 27. 2. 2017 nach Einholung eines strafrechtlichen Gutachtens und Besprechung mit den Eigentümervertretern nach Prüfung aller Vorgänge rechtzeitig war, hält sich daher im Rahmen der Rechtsprechung.

4. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

Textnummer

E128513

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00024.20T.0424.000

Im RIS seit

13.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.07.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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