Entscheidungsdatum
04.03.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W122 2198853-1/31E
Schriftliche Ausfertigung des am 02.12.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor ERNSTBRUNNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch WEH Rechtsanwalt GmbH, Wolfeggstraße 1, 6900 Bregenz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.05.2018, Zahl: XXXX , betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch „BF“), ein afghanischer Staatsbürger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Im Rahmen der am XXXX erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF an, dass sein älterer Bruder ein Ingenieur sei, der für die Amerikaner gearbeitet habe und vor ca. einer Woche legal nach Amerika ausgewandert sei. Aufgrund der Tätigkeit seines Bruders sei der BF von den Taliban bedroht worden. Aus diesem Grund und angesichts des Glaubenskrieges sei er von den Taliban angeschossen worden. Dabei habe es Tote gegeben. Ein Bekannter sei entführt und dessen jüngerer Bruder getötet worden. Der BF habe nun Angst um sein Leben.
I.3. Bei der ersten Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge „belangte Behörde“, auch „bB“) am 28.09.2016 legte der BF ein Konvolut an Kopien afghanischer Unterlagen, neben seinem afghanischen Führerschein und der Tazkira insbesondere Dienstausweise, die eine Tätigkeit bei den Amerikanern beweisen sollen, vor. Diese legte der BF im späteren Verfahren auch im Original vor. Außerdem legte er Lichtbilder vor, einige davon zum Beweis für Anschläge der Taliban auf Bauprojekte in Afghanistan, andere belegen die Teilnahme des BF an gemeinnützigen Tätigkeiten und seine damit einhergehende Integration in Österreich. Auch legte er weitere Integrationsunterlagen wie Empfehlungsschreiben und eine Deutschkursbesuchsbestätigung vor.
Der BF gab an, in XXXX , im Iran geboren worden zu sein. Er sei gesund und seine Muttersprache sei Dari. In seinem Heimatland würden sich noch sein Vater, sein jüngerer Bruder und seine drei Schwestern aufhalten. Er habe im Iran drei Jahre lang die Schule und anschließend in Afghanistan drei bis fünf Jahre lang die Koranschule besucht. Mit ca. neun oder zehn Jahren habe er angefangen zu arbeiten, wobei er gemeinsam mit seinem Vater Waren transportiert habe. Als die Amerikaner wegen der Taliban nach Afghanistan gekommen seien, habe er für einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren als Lackierer gearbeitet. Danach sei er als einfacher Arbeiter, etwa als Maler, bei den Amerikanern beschäftigt gewesen. Seine erste Arbeit sei im Jahre 2009 in der Provinz Farah gewesen. Diese habe acht bis neun Monate lang gedauert und sei ihm durch seinen Bruder, der an jenem Ort als Ingenieur tätig gewesen sei, vermittelt worden. Wegen der Gefährlichkeit der Lage habe ihn sein Vater in die Heimatstadt Herat zurückgerufen und er sei ohne seinen Bruder, der keine Wahl gehabt habe, nach Hause gefahren. Ein anderes Arbeitsprojekt habe im Jahr 2011 im Ort XXXX und im Tal XXXX für drei Monate stattgefunden. Bei diesem Mal sei eine Warnung seitens der Polizei ergangen, dass die Lage gefährlich sei und sie eventuell von den Taliban aufgegriffen werden könnten. Darauf habe der BF seine Arbeit beendet. Später seien vier Hazara von den Taliban getötet worden. Schließlich habe der BF bis 2015 immer wieder als Lackierer und noch bei zwei Projekten für die Amerikaner gearbeitet. Im Zusammenhang mit dem letzten Projekt gab der BF den Namen des Unternehmens, für das er ca. eineinhalb Monate bis Anfang Mai 2015 gearbeitet habe, an.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF im Wesentlichen an, dass er bei verschiedenen Projekten für die Amerikaner gearbeitet habe, wobei er diesen Tätigkeiten bis 2011 gemeinsam mit seinem Bruder ohne Angst nachgehen hätte können. Die beiden seien jedoch im Zuge der Projekte im Jahre 2015 bei vielen Ortsleuten dafür bekannt geworden, dass sie für verschiedene Projekte der Amerikaner gearbeitet hätten. Diese Leute hätten geglaubt, dass diese „bekannten Leute“ viel Geld hätten, weshalb diese bedroht, verschwinden oder getötet werden würden. Der Bruder des BF habe gemeint, dass sie nach so vielen verschiedenen Projekten bei den Ortsleuten bekannt geworden seien und die Lage gefährlich für sie sei. Sie würden nicht mehr in Afghanistan bleiben können, auch angesichts der Tatsache, dass einige Bekannte aus deren Wohnort und auch Schulkollegen getötet worden seien. In Herat habe es von 2013 bis 2015 Vorfälle gegeben, bei denen auch Arbeiter der Amerikaner verschollen seien oder getötet worden seien. Zudem seien die Fingerabdrücke des BF beim Militär gespeichert. Falls ihn die Taliban aufgreifen würden, könnten diese aufgrund der Fingerabdrücke durch ein System herausfinden, ob er für das Militär gearbeitet habe oder nicht. Jene, die beim Militär gearbeitet hätten, würden von den Taliban umgebracht werden. Sie hätten so viel während der Talibanzeit erlebt, von Hunger bis zur gefährlichen Lage am Arbeitsplatz, jedoch sei beim letzten Mal das Risiko hoch gewesen und er habe nicht mehr dort bleiben können. Sein älterer Bruder habe aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit bei den Amerikanern ein Visum erhalten, um nach Amerika auszureisen. Dies sei dem BF als einfacher Arbeiter nicht möglich gewesen, weshalb er einen Reisepass und ein Visum für den Iran beantragt habe. Folglich sei er nach zwei bis drei Wochen mit dem Auto in den Iran gefahren.
I.4. Auf die Anfrage an die Staatendokumentation hinsichtlich der Tätigkeit des BF bei den Amerikanern und der von ihm erwähnten Firma folgte die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 30.08.2017. Dieser sind allgemeine Informationen zur Firma XXXX zu entnehmen, jedoch keine näheren Angaben zu den Mitarbeitern. Demnach handle es sich hierbei um ein privates Unternehmen, das Autobahnen, Straßen und Brücken in Kabul errichte.
I.5. Am 03.04.2018 erfolgte eine zusätzliche Einvernahme des BF durch die bB, in der der BF nochmals zur Familiensituation in Afghanistan und zu seiner Integration in Österreich befragt wurde. Der BF legte unter anderem ein Unterstützungsschreiben vor, aus welchem hervorgeht, dass er sich beim Verein XXXX (in der Folge kurz „ XXXX “ bezeichnet) in einem aufrechten Praktikumsverhältnis befinde und einen Diplom-Jugendarbeit Lehrgang absolvieren werde.
I.6. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die bB den Antrag des BF auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.). Es wurde dem BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.-V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Beweiswürdigend führte die bB im Wesentlichen aus, dass der BF keine aktuelle Furcht vor Verfolgung in Afghanistan glaubhaft machen konnte und als Person unglaubwürdig sei. Es liege eine Steigerung des Fluchtvorbringens vor, auch habe der BF keine treffenden Beweismittel zum Beweis dafür, dass er bei einer Baufirma für die Amerikaner gearbeitet habe, vorgelegt. Insbesondere habe der BF bei der Einvernahme vor der bB keine persönlichen Erlebnisse geschildert, die für ihn eine Gefährdung darstellen hätten können. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der BF als einfacher Bauarbeiter in Teilen Afghanistans Bekanntheit erlangt hätte. Außerdem arbeite der BF nicht mehr für die Amerikaner und sei jahrelang abwesend gewesen, weshalb auch keine Bedrohungslage mehr vorliege. Bemerkenswert sei zudem, dass der BF zu keinem Zeitpunkt etwas zu seinem Aufgabenbereich und zu seinem Arbeitsort betreffend das letzte Projekt im Jahre 2015 angegeben habe. Weiters sei der BF auch aufgrund anderer Angaben persönlich unglaubwürdig. Er sei nicht in der Lage gewesen, sein Geburtsdatum, seinen Geburtsort, seine Heimatadresse oder die Kontaktverhältnisse zu seiner Familie plausibel und widerspruchsfrei darzulegen. Daher sei dem Vorbringen des BF zu einer Verfolgung durch die Taliban die Glaubwürdigkeit zu versagen gewesen. Eine Rückkehr in die Heimatprovinz oder nach Kabul bzw. Mazar-e Sharif sei möglich und dem BF auf jeden Fall zumutbar, insbesondere auch, weil er bei einer Rückkehr nach Afghanistan von seinen Verwandten Unterstützung erhalten werde.
I.7. Mit Verfahrensanordnung vom 17.05.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde mit Verfahrensanordnung vom 17.05.2018 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.
I.8. Gegen den Bescheid der bB richtete sich die am 14.06.2018 fristgerecht erhobene Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die bB hätte demnach keine oder nur oberflächliche Ermittlungen vorgenommen, etwa zur Verfolgung aufgrund der Tätigkeit des BF für die Amerikaner, zur Sicherheitslage im Heimatort des BF, zu seiner Einstellung gegenüber dem islamischen Glauben oder zur Situation der Hazara und Schiiten. Hinzu komme, dass die Verschaffung eines persönlichen Eindruckes nicht möglich gewesen sei, da das bescheiderlassende Organ der Behörde den BF nie persönlich gesehen habe. Ein weiterer Ermittlungsmangel sei es, dass der BF zu den vermeintlichen Widersprüchen wie zB zu seinem Alter nicht befragt worden sei, sodass er keine Möglichkeit gehabt habe, diese aufzuklären. Generell habe der BF nicht die Möglichkeit gehabt, der Beweiswürdigung entgegenzutreten. Schließlich habe die bB mangelhafte Ermittlungen in Bezug auf eine innerstaatliche Fluchtalternative durchgeführt und die Länderfeststellungen seien unvollständig und veraltet. Die bB habe zwar die Beweismittel mit allgemeinen Bezeichnungen angeführt, sich jedoch nicht mit der Integration und dem Inhalt der vorgelegten Beweise auseinandergesetzt. Dem BF drohe außerdem in Anbetracht seiner Ungläubigkeit eine Verfolgung aufgrund der Religion bzw. der Volksgruppenzugehörigkeit. Hinsichtlich seiner Weigerung, sich den Taliban anzuschließen, werde ihm von diesen eine feindliche politische Gesinnung unterstellt. Aufgrund der landesweiten vorherrschenden instabilen Sicherheitslage würde für den BF keine innerstaatliche Fluchtalternative vorliegen, sodass ihm zumindest subsidiärer Schutz hätte gewährt werden müssen.
I.9. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch „BVwG“) am 21.06.2018 von der bB vorgelegt.
I.10. Dem BVwG wurden am 10.12.2018 ein Zeugnis zur bestandenen Integrationsprüfung A1 und am 24.10.2018 zunächst in Kopie bzw. am 29.10.2018 im Original mehrere Militärunterlagen des BF übermittelt.
I.11. Am 18.12.2018 langte beim erkennenden Gericht ein Konvolut an Unterlagen ein, welches das BVwG der bB in Kopie zur Kenntnisnahme übermittelte. Darin enthalten sind insbesondere ein Unterstützungsschreiben des Vereines XXXX samt Einstellungszusage, ein Werkvertrag betreffend die Tätigkeit des BF als Zeitungsausträger, ein ÖSD-Zertifikat A2, zahlreiche Empfehlungsschreiben und Fotos, die die ehrenamtlichen Tätigkeiten und die Integration des BF belegen sowie Kopien afghanischer Militärunterlagen des BF und Lichtbilder zeigend den BF im Rahmen seiner Tätigkeit beim Militär.
I.12. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 20.12.2018 die erste öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein seines bevollmächtigten Vertreters persönlich teilnahm. Ein Vertreter der bB nahm an der Verhandlung nicht teil.
Im Zuge dieser Verhandlung gab der BF an, im Iran geboren worden zu sein und dort die ersten acht bzw. neun Lebensjahre verbracht zu haben. Mit zwölf Jahren habe er als Lehrling begonnen, in einer privaten Werkstatt in der Stadt Herat zu arbeiten. Er habe sich bisher in Farah, Herat und aufgrund seines Militärdienstes auch in Shindand aufgehalten. Zudem gab der BF an, dass er sein Geburtsdatum nicht wisse und somit mehrere Daten in Frage kommen würden.
Zu Beginn erläuterte der BF unter anderem, dass er bei der Erstbefragung durch die Polizei gemeint habe, im Zuge seiner Arbeit für die Armee unter Beschuss geraten zu sein. Im Folgenden erzählte er erstmals eingehend über seine Tätigkeit bei der Nationalarmee. Er habe ab 2007 für ein Jahr und acht Monate beim Militär gearbeitet. Anfang 2009 habe er damit aufgehört und wieder mit seiner Arbeit als Maler begonnen. Er habe jedoch nicht offiziell aufgehört, sondern sei geflüchtet. Grundsätzlich hätte der Dienst drei Jahre lang gedauert. Darauf sei der BF vom Militär gesucht worden, wozu der Kommandant dreimal in seiner Heimatstadt gewesen sei. Er habe einerseits Angst vor der Armee und andererseits Angst vor den Taliban, wobei die Angst vor den Taliban überwiege.
Die Taliban hätten ihm in Farah dreimal über ein Funkgerät gedroht, einmal am Ende des Jahres 2007 und zweimal im Jahre 2008. Der BF habe selbst wahrgenommen, wie die Taliban den Vorsteher des Dorfes XXXX terrorisiert hätten. Ansonsten habe er von vielen terroristischen Aktionen, Entführungen und Geldforderungen durch die Taliban mitbekommen.
Zuletzt wies der BF darauf hin, dass er für amerikanische Streitkräfte gearbeitet habe und deswegen bei einer allfälligen Rückkehr ebenfalls einer Bedrohung ausgesetzt werden würde. Auch aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara werde er diskriminiert, allen voran vor dem Hintergrund, dass er sowohl beim Militär als auch für amerikanische Firmen tätig gewesen sei.
Zu seiner Integration führte der BF aus, dass er Alkohol trinke, eine Freundin habe und den islamischen Glauben nicht praktiziere. Weiters arbeite er als Zeitungsausträger und sei somit selbständig, sodass er seine Versicherung und die Miete selber zahlen könne. Er bekomme seit sechs oder sieben Monaten kein Geld vom Staat. Außerdem sei er beim Verein XXXX ehrenamtlich beschäftigt, mache eine Ausbildung zum Sozialarbeiter und habe die Möglichkeit danach, als Betreuer beruflich tätig zu werden.
I.13. Die am 10.04.2019 beim BVwG eingelangte Urkundenvorlage, nämlich die Bestätigung über die erfolgreiche Absolvierung des Diplomlehrganges Jugendarbeit 2017-2019, eine Anmeldebestätigung für einen Kurs beim BFI und ein Dienstzettel der XXXX , wurde der bB zur Kenntnis und Abgabe einer allfälligen Stellungnahme übermittelt.
I.14. Die bB meldete am 14.06.2019, dass dem BF eine Beschäftigungsbewilligung für eine Tätigkeit bei einem Gasthaus während eines kurzen Zeitraumes vom 14.06.2019 bis 12.12.2019 ausgestellt wurde.
I.15. Laut dem beim erkennenden Gericht eingelangten Abschlussbericht der LPD Vorarlberg vom 09.09.2019 besteht beim BF der Verdacht auf Betrug bezüglich der Sozialleistungen aus der Grundversorgung. Demnach habe der BF in der Zeit von März 2018 bis September 2018 Leistungen aus der Grundversorgung erhalten, obwohl er seit März 2018 als Zeitungskolporteur gearbeitet habe. Diese Tätigkeit habe er erst am 18.04.2018 beim Betreuer der Caritas gemeldet.
I.16. Am 09.10.2019 übermittelte der BF im Wege seiner Rechtsvertretung eine Stellungnahme zu der Anzeige wegen des Verdachts auf Betrug und zu dem Länderberichtsmaterial. Zum Betrugsverdacht führte der BF aus, dass er zu keinem Zeitpunkt den Vorsatz gehabt habe, sich unrechtmäßig zu bereichern und dass er auch einen Schadenersatzbetrag geleistet habe. Er habe seinem Betreuer die Tätigkeit unverzüglich gemeldet und trage an der verspäteten Meldung seines Einkommens keine Schuld.
I.17. Am 04.11.2019 wurde dem BVwG ein Zeugnis zur Integrationsprüfung B1 übermittelt.
I.18. Mit Schreiben vom 20.11.2019 erstattete der BF eine Beschwerdeergänzung und beantragte die Einvernahme zweier Zeugen, die die Schutzwürdigkeit des Privatlebens und den Grad der Integration des BF in Österreich aufzeigen könnten.
I.19. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 02.12.2019 die zweite öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein seines bevollmächtigten Vertreters persönlich und ein Vertreter der bB teilnahmen.
Zu den Familienangehörigen und deren Wohnorte befragt, gab der BF an, dass sein Vater und sein jüngerer Bruder möglicherweise zwecks einer Arbeit nach Kabul gezogen seien. Er habe mit ihnen monatlich Kontakt. Die Familie sei unabhängig und brauche keine Hilfe.
Als er mit seiner Familie nach Afghanistan abgeschoben worden sei, sei er neun Jahre alt gewesen. Der BF sei ab dem sechsten Lebensjahr drei Jahre lang im Iran in die Schule gegangen, dann habe er zwei Jahre lang die Koranschule in Afghanistan besucht und in seinem neunten oder zehnten Lebensjahr daneben als Teppichknüpfer zu arbeiten begonnen. Sein Vater habe diese Teppiche auf dem Bazar verkauft. Diese Arbeit habe er ca. mit 16 Jahren aufgegeben und sei darauf als Autolackierer-Lehrling in einer Werkstatt in Herat tätig gewesen. Nach vier Jahren habe er bei der Afghanischen Nationalarmee seinen Dienst angetreten. Im Anschluss habe er während der darauffolgenden zwei oder drei Jahre mit seinem Bruder bei den Amerikanern als Maler und in seiner eigenen Werkstatt gearbeitet, bis er im Jahre 2015 ausgereist sei.
Zu den Gründen der Beendigung seines Militärdienstes befragt, meinte der BF im Wesentlichen, dass er infolge einer Auseinandersetzung wegen religiöser Umstände von einem Kollegen mit dem Messer gestochen worden sei. Es sei ihm nicht möglich gewesen, seinen Dienst in einer höheren Position zu verrichten, da er von anderen benachteiligt worden sei. Darüber hinaus habe der BF zweimal wöchentlich Drohanrufe seitens der Taliban erhalten, weshalb er seine SIM-Karten 13 bis 14 Mal gewechselt habe.
In der Zeit, in der er als Maler bei den Amerikanern tätig gewesen sei, habe er keine Anrufe von den Taliban mehr erhalten. Er sei dennoch vor den Taliban geflüchtet, da er und sein Bruder bei den Ortsleuten dafür Bekanntheit erlangt hätten, für die Amerikaner gearbeitet zu haben. Einige der Ortsleute seien auch Anhänger der Taliban gewesen. Die Bedrohungssituation beschrieb der BF dahingehend, dass er während seiner Arbeit von anderen Mitarbeitern beschimpft worden sei, auf eine Art, wie Hazara täglich beschimpft werden würden. Während der letzten Jahre vor seiner Flucht sei der BF von der Afghanischen Armee gesucht worden, weshalb sich der BF nicht daheim aufgehalten habe und in seiner Werkstatt oder bei seiner Schwester übernachtet habe. Um zunächst in den Iran auszureisen, habe der BF einen Reisepass und ein Visum beantragt, wobei er hierzu jemanden bestochen habe.
Bezüglich seiner Integration gab der BF an, eine Freundin zu haben. Er sei freiwillig bei der XXXX tätig und habe die Möglichkeit, auch künftig dort beschäftigt zu werden. Er habe eineinhalb Jahre lang eine Lehre absolviert und mittlerweile einen Deutschkurs auf dem Niveau B2 gemacht. In seiner Freizeit trainiere er, spiele Fußball und Basketball und betreibe Kampfsport. Zudem gab der BF an, nunmehr von der Grundversorgung und einem Zuverdienst in Höhe von € 110,-- zu leben. Auf Vorhalt des Verdachtes auf Betrug entschuldigte sich der BF und vermeinte, er habe nichts davon gewusst bzw. sei nicht informiert gewesen. Schließlich gab der BF noch an, dass ihm die Religion gleichgültig sei, er aber seine afghanischen Freunde nicht vom Islam abbringen möchte.
Der BF legte eine Deutschkursbestätigung B2, zahlreiche Empfehlungsschreiben, ein Zertifikat betreffend den Diplomlehrgang Jugendarbeit und ein Ansuchen um Arbeitsbewilligung für eine Saisonarbeit im Winter 2019/2020 vor. Zusätzlich gab ein Freund und Vereinsmitglied der XXXX eine Stellungnahme zur Integration zum ehrenamtlichen Engagement des BF ab.
I.20. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgte eine mündliche Verkündung des Erkenntnisses. Die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung wurde sowohl dem Rechtsvertreter des BF als auch dem Vertreter der bB persönlich ausgefolgt. Der BF beantragte fristgerecht beim BVwG die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.
II.1.1. Zum sozialen Hintergrund des BF:
Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari.
Der BF wurde nach seinen Angaben in XXXX im Iran geboren. Als er neun Jahre alt war, ist er gemeinsam mit seiner Familie aus dem Iran nach Afghanistan ausgewandert und hat bis zu seiner Ausreise in der Provinz Herat, in der Stadt Herat, im Dorf XXXX , gelebt. Der BF hat Afghanistan im Mai/Juni 2015 verlassen.
Er ist im erwerbsfähigen Alter und ist gesund.
Im Iran besuchte der BF drei Jahre lang die Schule, in Afghanistan ging der BF in eine Koranschule. Der BF hat in Afghanistan verschiedene berufliche Tätigkeiten etwa als Teppichknüpfer, Autolackierer, Soldat bei der afghanischen Nationalarmee oder Maler in einer amerikanischen Baufirma ausgeübt. Der BF verfügt über kein Vermögen. Er war in der Lage, sich selbst zu versorgen. Aufgrund seiner Einkünfte war der BF auch in der Lage, zum Lebensunterhalt seiner Familie beizutragen.
Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Die Familie des BF, bestehend aus seinem Vater, dem jüngeren Bruder und drei Schwestern, lebt in der Stadt Herat. Der ältere Bruder des BF ist ein Ingenieur und lebt in den USA. Die wirtschaftliche Situation der Familie ist gut.
Der BF hat zumindest noch einen Onkel und eine Tante, zu denen er keinen Kontakt pflegt.
Der BF hat monatlich Kontakt zu seinem jüngeren Bruder und seinem Vater in Afghanistan.
Der BF ist strafgerichtlich unbescholten. Nach seinen eigenen Angaben ist er in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und hatte keine Probleme mit Behörden und war politisch nicht aktiv.
II.1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der BF stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Seinen Antrag auf internationalen Schutz begründet der BF im Wesentlichen damit, dass er einerseits beim Militär tätig gewesen sei und von dort geflüchtet sei, weswegen er von der Afghanischen Nationalarmee verfolgt worden sei. Andererseits habe er gemeinsam mit seinem Bruder für Amerikaner gearbeitet und sie seien dafür bei den Ortsleuten bekannt geworden. Daher habe die Gefahr bestanden, dass er von den Taliban aufgefunden werden würde. Davon abgesehen, sei er kein gläubiger Mensch, weshalb ihm bei einer allfälligen Rückkehr auch eine Verfolgung aufgrund des Abfalles vom Islam drohen würde.
Dieses Vorbringen konnte der BF jedoch nicht glaubhaft machen, da es sich bei Gesamtbetrachtung sämtlicher im Verlauf des Verfahrens getätigten Angaben in entscheidenden Punkten als widersprüchlich sowie als nicht schlüssig und nicht plausibel erwiesen hat.
Festgestellt wird, dass der BF sowohl bei der Afghanischen Nationalarmee als auch bei verschiedenen amerikanischen Bauprojekten gearbeitet hat, sich aber die vorgebrachten Verfolgungshandlungen durch die Taliban nicht zugetragen haben.
Der BF war vor seiner Ausreise aus Afghanistan keiner konkreten individuellen Verfolgung oder Bedrohung – etwa durch die Taliban oder durch die Afghanische Nationalarmee – ausgesetzt.
Der BF ist in Afghanistan weder vorbestraft noch wurde er dort jemals inhaftiert und hatte auch mit den Behörden des Herkunftsstaates keine Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Es gibt insgesamt keinen stichhaltigen Hinweis, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer (asylrelevanten) Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt wäre.
Des Weiteren wird festgestellt, dass der BF keiner konkreten Verfolgung oder Bedrohung wegen seiner Gleichgültigkeit gegenüber der Religion in Afghanistan ausgesetzt ist und keine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte.
Insgesamt kann festgestellt werden, dass der BF keiner konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt ist und keine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte.
II.1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:
Eine Rückkehr des BF in seine Heimatprovinz Herat ist möglich.
Dem BF steht – abgesehen von seiner Rückkehr nach Herat – auch eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in der Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung. Der BF hat bis zu seiner Ausreise nicht in Mazar-e Sharif gelebt. Der BF kann Mazar-e Sharif von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen. Eine sichere Rückkehr nach Mazar-e Sharif ist für den BF möglich.
Die grundlegende Versorgung der afghanischen Bevölkerung ist in Mazar-e Sharif gewährleistet. Dem BF stehen bei einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif eine vorübergehende Unterkunft (Teehäuser), Trinkwasser, sanitäre Anlagen und lebensnotwendige Nahrungsmittel zur Verfügung. Die Gesundheitsversorgung ist in Mazar-e Sharif durch Krankenhäuser bzw. Gesundheitszentren sowie durch zwei Einrichtungen zur Betreuung von psychischen Krankheiten sichergestellt. Ferner ist Mazar-e Sharif ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan und ein Industriezentrum mit großen Produktionsbetrieben und einer großen Anzahl kleiner und mittlerer Unternehmen. Die allgemeinen Umstände in Mazar-e Sharif ermöglichen eine Rückkehr dorthin.
Der BF läuft im Falle einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er ist in der Lage, in Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden bzw. am Erwerbsleben teilzunehmen. Zudem war der BF bereits in Afghanistan in der Lage, sich selbst zu versorgen. Weiters hat er zum Unterhalt seiner Familie beigetragen.
Der BF hat die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.
Zudem ist es möglich, dass die in der Provinz Herat aufhältige Familie ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan beim Aufbau einer Existenzgrundlage in Mazar-e Sharif unterstützt.
Der BF verfügt über ein überdurchschnittliches Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit.
Der BF ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und der Sprache seines Herkunftsstaates vertraut.
Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif ausschließen, gibt es nicht. Der BF leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des BF.
Es ist dem BF möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
II.1.4. Zum Leben des BF in Österreich:
Der BF hält sich seit August 2015 in Österreich auf.
Der BF hat keine Familienangehörigen in Österreich.
Der BF pflegt in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern und Afghanen. Der BF hat eine Freundin, wobei diese Beziehung keine besonderen Merkmale der Abhängigkeit aufweist. Der BF ist kein Mitglied von politischen Parteien und war auch sonst nicht politisch aktiv. Neben den erwähnten Freundschaften, ist der BF ein aktives Mitglied im Verein XXXX . In seiner Freizeit trainiert der BF, übt Kampfsport aus und spielt gemeinsam mit Freunden Fußball oder Basketball. Schließlich wird das soziale Verhalten des BF in der Gesellschaft durch zahlreiche Referenzschreiben belegt. Daraus ist zu entnehmen, dass ihn das soziale Umfeld in Österreich als zuverlässig, besonders hilfsbereit und freundlich wahrnimmt.
Der BF besucht zwischenzeitlich Deutschkurse und weist dies durch Teilnahmebestätigungen und Zertifikate nach. Der BF verfügt über ein B1-Deutschzertifikat. Er ist in der Lage, bei klarer Standardsprache über vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. auf Deutsch zu reden. Darüber hinaus kann er über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben.
Der BF war von März 2018 bis Juni 2019 als Zeitungsausträger tätig. Da er keine Arbeitserlaubnis hat, war er in Österreich ansonsten nicht erwerbstätig. Der BF lebt von der Grundversorgung. Durch eine Beschäftigung im Ausmaß von 27 Stunden pro Monat erhält er einen Zuverdienst in Höhe von € 110,--. Ferner hat der BF von 2017 bis 2019 einen Diplomlehrgang Jugendarbeit absolviert und verfügt über eine schriftliche Einstellungszusage des Vereines XXXX . Der BF hat zahlreiche gemeinnützige bzw. ehrenamtliche Aufgaben übernommen und ist derzeit halbtags bei der XXXX in unterschiedlichen Projekten in der Jugendarbeit ehrenamtlich engagiert. Diesbezüglich legte der BF Bestätigungen vor.
II.1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan (in der Folge auch „LIB“) vom 13.11.2019, Seite 12).
II.1.5.1. Sicherheitslage:
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 13.11.2019, Seite 18). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89ff; LIB 13.11.2019, Seite 18ff).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden sind, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen, um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, Seite 19).
Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registriert. Im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, Seite 24).
Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angiffe – HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 01.06.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 01.12.2018 und 15.05.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, Seite 25).
II.1.5.2. Regierungsfeindliche Gruppierungen:
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, Seite 26).
II.1.5.2.1. Taliban
Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel – die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, Seite 26; Seite 29). Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest seien Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, Seite 27). Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, Seite 27).
II.1.5.2.2. Haqani-Netzwerk
Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB 13.11.2019, Seite 27).
II.1.5.2.3. Islamischer Staat (IS/Daesh)
Islamischer Staat Khorasan Provinz: Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB 13.11.2019, Seite 27f). Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungsziele bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab, konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB 13.11.2019, Seite 29).
II.1.5.2.4. Al-Qaida
Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, Seite 29).
II.1.5.3. Sicherheitsbehörden:
Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF – Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 13.11.2019, Seite 249).
Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (LIB 13.11.2019, Seite 250). Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, Seite 251).
II.1.5.4. Lage in der Herkunftsprovinz Herat des BF bzw. in der Provinzhauptstadt Herat:
II.1.5.4.1. Grundinformationen:
Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und ist eine der größten Provinzen Afghanistans. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (LIB 13.11.2019, S. 105). Die Provinz verfügt über 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB 13.11.2019, Seite 106). Im Zeitraum 01.01.2018 bis 30.06.2019 kamen rund 11.000 Binnenvertriebe in die Provinz Balkh (LIB 13.11.2019, Seite 60 f.). Aufgrund der Dürre, vorwiegend in den Provinzen Herat und Badghis, kommen ca. 287.000 IDPs hinzu. Die meisten von ihnen kamen in Lager in den Städten Herat oder Qala-e-Naw (Badghis) (LIB 13.11.2019, Seite 329).
II.1.5.4.2. Erreichbarkeit:
Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen erreichbar. Der Flughafen befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt (LIB 13.11.2019, Seite 106).
II.1.5.4.3. Sicherheitslage:
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. In der Stadt Herat steigt die Kriminalität und Gesetzlosigkeit (LIB 13.11.2019, Seite 106). Im Jahr 2018 gab es mit 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat einen Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen. Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LIB 13.11.2019, Seite 108 f.). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO – Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, Seite 89 und 99 f.).
II.1.5.4.4. Versorgungslage:
Herat ist im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 als IPC Stufe 2 klassifiziert (IPC - Integrated Phase Classification). In Phase 2, auch „stressed“ genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentlich, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD, Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 02.10.2019, 3.1.).
II.1.5.4.5. Wirtschaftliche Lage:
Wirtschaft in Herat bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt. Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer. Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt. Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat – wie auch in anderen afghanischen Städten – vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (LIB 13.11.2019, Seite 336).
II.1.5.4.6. Medizinische Versorgung:
Für die medizinische Versorgung bietet das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an, von denen die meisten die Impf- und allgemeinen ambulanten Einheiten aufsuchen. Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken. Die Anwohner von Herat beklagen jedoch, dass „viele private Gesundheitszentren die Gesundheitsversorgung in ein Unternehmen umgewandelt haben.“ Auch wird die geringe Qualität der Medikamente, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und die Fähigkeit der Ärzte, Krankheiten richtig zu diagnostizieren, kritisiert. Infolgedessen entscheidet sich eine Reihe von Heratis für eine Behandlung im Ausland (LIB 13.11.2019, Seite 346 f.).
II.1.5.5. Lage in der Provinz Balkh bzw. in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif:
II.1.5.5.1. Grundinformationen:
Balkh liegt im Norden Afghanistans. Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (LIB 13.11.2019, Seite 60 f.). Im Zeitraum 01.01.2018 bis 30.06.2019 kamen rund 30.000 Binnenvertriebe in die Provinz Balkh (LIB 13.11.2019, Seite 60 f.)
II.1.5.5.2. Erreichbarkeit:
Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) zu erreichen (LIB 13.11.2019, Seite 61 und 336).
II.1.5.5.3. Sicherheitslage:
Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren (LIB 13.11.2019, Seite 62). Im Jahr 2018 wurden 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, Seite 63). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Provinz Balkh sowie in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO – Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, Seite 89 und 92 f.).
II.1.5.5.4. Versorgungslage:
Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 „minimal“ (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 „stressed“ eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwendigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD, Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 02.10.2019, 3.1.).
II.1.5.5.5. Wirtschaftslage:
Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum. In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen. Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (LIB 13.11.2019, Seite 61 und 336)
II.1.5.5.6. Medizinische Versorgung:
In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer; jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken; 20% dieser Gesundheitskliniken finanzieren sich selbst, während 80% öffentlich finanziert sind. Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patient/innen in dieses Krankenhaus überwiesen. Für das durch einen Brand zerstörte Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (BFA 4.2018). Balkh gehörte bei einer Erhebung von 2016/2017 zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil an Frauen, welche einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben. Weiters gibt es in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (LIB 13.11.2019, Seite 347 und 351 f.).
II.1.5.6. Bewegungsfreiheit
Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB 13.11.2019, Seite 327).
II.1.5.7. Meldewesen
Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB 13.11.2019, Seite 328).
II.1.5.8. Allgemeine Menschenrechtslage
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 13.11.2019, Seite 264).
II.1.5.9. Korruption:
Die Korruption ist in Afghanistan sehr hoch. Es bestehen zwar strafrechtliche Sanktionen gegen Korruption, diese werden jedoch nicht effektiv umgesetzt. Korruption findet in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens statt, unter anderem in der Justiz, bei der Beschaffung von Gütern, bei Staatseinnahmen und bei der Bereitstellung von Leistungen des Staates (LIB 13.11.2019, Seite 254 f.).
II.1.5.10. Medizinische Versorgung:
Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt (LIB 13.11.2019, Seite 344).
Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden (LIB 13.11.2019, Seite 350).
II.1.5.11. Wirtschaft
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig (LIB 13.11.2019, Seite 333).
Am Arbeitsmarkt müssten jährlich 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen, wobei Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen können. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB 13.11.2019, Seite 334 f.).
Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Seite 29 f.).
II.1.5.12. Rückkehrer:
In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB 13.11.2019, Seite 353).
Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB 13.11.2019, Seite 354).
Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 13.11.2019, Seite 354).
Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB 13.11.2019, Seite 355).
Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB 13.11.2019, Seite 355).
Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB 13.11.2019, Seite 355).
Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB 13.11.2019, Seite 356).
Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (LIB 13.11.2019, Seite 356).
Die „Reception Assistance“ umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB 13.11.2019, S. 358).
In Kabul und im Umland sowie in Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Die Lebenshaltungskosten sind für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul höher als in ländlichen Gebieten (LIB 13.11.2019, S. 359).
Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten, da dies billiger ist. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte cha