TE Vwgh Erkenntnis 2020/5/26 Ra 2018/11/0195

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Veröffentlicht am 26.05.2020
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Index

E6J
E6O
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
40/01 Verwaltungsverfahren
60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

AVRAG 1993 §7b Abs3
AVRAG 1993 §7b Abs8 Z1
AVRAG 1993 §7i Abs4
B-VG Art133 Abs4
LSD-BG 2016 §19 Abs1
LSD-BG 2016 §26 Abs1 Z1
VStG §51h
VwGVG 2014 §47
VwGVG 2014 §47 Abs4
62018CJ0064 Maksimovic VORAB
62018CO0645 Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld VORAB

Beachte


Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Ra 2018/11/0060 E 15.09.2020

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick, den Hofrat Dr. Grünstäudl, die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des M U in S, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 21. März 2017, Zl. 405-7/218/1/12-2017, betreffend Übertretungen des AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Salzburg), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        1. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 8. November 2016 wurde der Revisionswerber schuldig erkannt, er habe es als gemäß § 9 VStG zur Vertretung nach Außen Berufener einer Gesellschaft mit Sitz in Slowenien zu verantworten, dass sieben namentlich genannte Arbeitnehmer an eine Baustelle im Inland entsendet worden seien, obwohl keine rechtzeitige Meldung an die Zentrale Koordinationsstelle für die Kontrolle der illegalen Beschäftigung erstattet worden sei. Dadurch habe der Revisionswerber § 7b Abs. 3 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) verletzt, weswegen gegen ihn gemäß § 7b Abs. 8 Z 1 AVRAG jeweils eine Geldstrafe verhängt und ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vorgeschrieben werde.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis hob das Verwaltungsgericht - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - das Straferkenntnis hinsichtlich eines der genannten Arbeitnehmer auf und stellte das Strafverfahren in diesem Umfang gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein. Im Übrigen gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde keine Folge und sprach aus, dass der Revisionswerber einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe und dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3        Als entscheidungsrelevanten Sachverhalt stellte das Verwaltungsgericht fest, dass hinsichtlich der genannten Arbeitnehmer die ZKO-Meldung nicht rechtzeitig erfolgt sei.

4        Hinsichtlich der Strafbemessung sei jeweils die Mindeststrafe verhängt worden.

5        Mit Beschluss vom 26. Juni 2018, E 1362/2017-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde mit Beschluss vom 16. Juli 2018, E 1362/2017-8, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision. Die belangte Behörde hat auf eine Revisionsbeantwortung verzichtet.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8        2.1. § 47 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

„Schluss der Verhandlung

§ 47. (1) ...

(3) Nach Schluss der Beweisaufnahme ist den Parteien Gelegenheit zu ihren Schlussausführungen zu geben. Dem Beschuldigten steht das Recht zu, sich als letzter zu äußern. Niederschriften bedürfen nicht der Unterschrift der Zeugen.

(4) Hierauf ist die Verhandlung zu schließen. Im Verfahren vor dem Senat zieht sich dieser zur Beratung und Abstimmung zurück. Der Spruch des Erkenntnisses und seine wesentliche Begründung sind nach Möglichkeit sofort zu beschließen und zu verkünden.“

9        2.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes - AVRAG, BGBl. Nr. 459/1993, in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 44/2016, lauten auszugsweise:

„Ansprüche gegen ausländische Arbeitgeber/innen mit Sitz in einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat

§ 7b. ...

(3) Arbeitgeber/innen im Sinne des Abs. 1 haben die Beschäftigung von Arbeitnehmer/innen, die zur Erbringung einer Arbeitsleistung nach Österreich entsandt werden, spätestens eine Woche vor der jeweiligen Arbeitsaufnahme der Zentralen Koordinationsstelle für die Kontrolle der illegalen Beschäftigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz und dem Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz des Bundesministeriums für Finanzen zu melden und dem/der im Abs. 1 Z 4 bezeichneten Beauftragten, sofern nur ein/e Arbeitnehmer/in entsandt wird, diesem/dieser, die Meldung in Abschrift auszuhändigen oder in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen. Die Meldung hat ausschließlich automationsunterstützt über die elektronischen Formulare des Bundesministeriums für Finanzen zu erfolgen. In Katastrophenfällen, bei unaufschiebbaren Arbeiten und bei kurzfristig zu erledigenden Aufträgen ist die Meldung unverzüglich vor Arbeitsaufnahme zu erstatten. ...

...

(8) Wer als Arbeitgeber/in im Sinne des Abs. 1

1.   die Meldung oder die Meldung über nachträgliche Änderungen bei den Angaben (Änderungsmeldung) entgegen Abs. 3 nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig erstattet oder

...

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jede/n Arbeitnehmer/in mit Geldstrafe von 500 Euro bis 5 000 Euro, im Wiederholungsfall von 1 000 Euro bis 10 000 Euro zu bestrafen. Bei grenzüberschreitender Entsendung gilt die Verwaltungsübertretung als in dem Sprengel der Bezirksverwaltungsbehörde begangen, in dem der Arbeits(Einsatz)ort der nach Österreich entsandten Arbeitnehmer/innen liegt, bei wechselnden Arbeits(Einsatz)orten am Ort der Kontrolle.

...“

10       3. Die Revision ist zulässig, weil sie zu Recht vorbringt, das Verwaltungsgericht habe es unterlassen, das angefochtene Erkenntnis mündlich zu verkünden, obwohl keine Partei auf die Verkündung verzichtet habe.

11       4. Die Revision ist auch begründet.

12       4.1. Nach § 47 Abs. 4 letzter Satz VwGVG sind in Verfahren in Verwaltungsstrafsachen nach dem Schluss der Verhandlung der Spruch des Erkenntnisses und seine wesentliche Begründung nach Möglichkeit sofort zu beschließen und zu verkünden.

13       4.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass eine Partei, die in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich auf die (Erstreckung einer Verhandlung zur) Verkündung des Erkenntnisses verzichtet, durch die Unterlassung der mündlichen Verkündung in ihren Rechten nicht verletzt sein kann (vgl. VwGH 16.5.2019, Ra 2018/02/0198; 26.2.2019, Ra 2018/03/0134, mwN).

14       Im Revisionsfall hat der Beschuldigtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 8. Februar 2017 in seiner Schlussäußerung Folgendes ausgeführt:

„... Im Übrigen werden die gestellten Anträge aufrechterhalten. Es wird außerdem um Übermittlung eines Protokolls der heutigen Verhandlung zugleich mit der Entscheidung in der Sache ersucht. ...“

Aus der Verhandlungsschrift ergibt sich weiter, dass der Verhandlungsleiter „festgestellt“ habe, dass die Entscheidung in der Sache schriftlich ergehe.

15       Damit ist ein Verzicht auf die Verkündung des Erkenntnisses durch den Revisionswerber, welcher nach der oben zitierten Rechtsprechung ausdrücklich zu erfolgen hätte, fallbezogen nicht erfolgt. Aus der Verhandlungsschrift (oder dem Erkenntnis) ergibt sich auch nicht, dass das Verwaltungsgericht auf Grund der zitierten Ausführungen des Beschuldigtenvertreters von einem Verzicht auf die Verkündung ausgegangen wäre.

16       4.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 11. September 2019, Ra 2019/02/0110, in einer Verwaltungsstrafsache zur Verkündung des Erkenntnisses nach § 47 Abs. 4 letzter Satz VwGVG Folgendes ausgeführt:

„Die Verkündung der Entscheidung direkt nach der Verhandlung stellt den gesetzlichen, wenn auch in der Praxis nicht immer umsetzbaren, Regelfall dar. Ist eine anschließende Verkündung nicht möglich, etwa wegen der Komplexität der Sach- oder Rechtslage, hat die Entscheidung schriftlich zu ergehen (vgl. Walbert-Satek in Bumberger/Lampert/Larcher/Weber, VwGVG, Rz 7 zu § 47 und die dort angeführte Literatur und Judikatur).

...“

17       Im Revisionsfall hat das Verwaltungsgericht weder in der mündlichen Verhandlung noch im schriftlichen Erkenntnis begründet, warum es ihm nicht möglich (gewesen) sei, das Erkenntnis nach Schluss der Verhandlung sofort zu beschließen und zu verkünden. Eine solche Begründung wäre - infolge ihrer Einzelfallbezogenheit - im Regelfall, wenn sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgt, nicht revisibel. Im Revisionsfall ist auch nicht offensichtlich, dass die Verkündung des Spruches des Erkenntnisses und seiner wesentlichen Begründung nach dem Schluss der Verhandlung nicht möglich gewesen wäre (vgl. VwGH 17.4.2020, Ra 2020/04/0029).

18       5. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen eingegangen zu werden bräuchte.

19       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

20       6. Im fortzusetzenden Verfahren werden überdies das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12. September 2019, Maksimovic ua, C-64/18 ua, und der Beschluss des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Dezember 2019, NE, C-645/18, zu beachten sein. Wie der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 15. Oktober 2019, Ra 2019/11/0033 bis 0034, unter Berufung auf das Urteil in der Rechtssache Maksimovic ua bereits ausgesprochen hat, zieht eine Verletzung der Verpflichtung zur Bereitstellung von Lohnunterlagen hinsichtlich mehrerer Arbeitnehmer nur mehr eine einzige Strafe nach sich, da dies zwingende Rechtsfolge des Erfordernisses ist, die Unionsrechtskonformität bei möglichst weitgehender Erhaltung des nationalen Rechts herzustellen. Dies gilt im Hinblick auf den Beschluss in der Rechtssache NE betreffend die Unionsrechtskonformität u.a. des § 19 Abs. 1 iVm. § 26 Abs. 1 Z 1 LSD-BG (der Nachfolgeregelung des § 7b Abs. 3 iVm. Abs. 8 Z 1 AVRAG) auch für die Anwendung des im Revisionsfall einschlägigen § 7b Abs. 8 Z 1 AVRAG (vgl. dazu bereits VfGH 27.11.2019, E 2047/2019 ua; 27.11.2019, E 2893/2019 ua; 27.11.2019, E 3530/2019 ua).

Wien, am 26. Mai 2020

Gerichtsentscheidung

EuGH 62018CJ0064 Maksimovic VORAB
EuGH 62018CO0645 Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018110195.L00

Im RIS seit

09.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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