Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** A*****, vertreten durch Dr. Rafaela Golda-Zajc, Rechtsanwältin in Mondsee, gegen die beklagte Partei M***** A*****, vertreten durch Dr. Hartmut Ramsauer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 4. Dezember 2019, GZ 21 R 243/19p-77, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 29. Juli 2019, GZ 48 C 13/17w-73, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Aufgrund der Wirkungen der materiellen Rechtskraft des Scheidungsausspruchs (und auch nach den Ausführungen des Beklagten in der Revision) ist unverrückbar davon auszugehen, dass er zumindest einen Scheidungsgrund verwirklichte, der eine Scheidung aus seinem Verschulden rechtfertigte und nicht nach § 57 Abs 1 EheG präkludiert war. Gemäß § 59 Abs 2 EheG können dann aber Eheverfehlungen, auf die eine Scheidung aus Verschulden nicht mehr gestützt werden kann, auch nach Ablauf der Fristen des § 57 EheG zur Unterstützung einer auf andere Eheverfehlungen gegründeten Scheidungsklage herangezogen werden (RIS-Justiz RS0056907). Auch in die Verschuldensabwägung können verfristete Eheverfehlungen einbezogen werden (RS0057209). Ausgeschlossen ist lediglich die hilfsweise Geltendmachung solcher Eheverfehlungen, die vom beleidigten Teil gar nicht als ehestörend empfunden wurden (RS0043434).
Dass das Berufungsgericht dem Beklagten als Verschulden an der Ehescheidung gemäß § 59 Abs 2 EheG die – an sich gemäß § 57 Abs 2 EheG verfristete – Verletzung der ehelichen Beistandspflicht anlastete, der Klägerin im Sommer 2002 kein Geld mehr zur Verfügung gestellt und die Bankomatkarte und den Autoschlüssel abgenommen zu haben und sie während ihres vierwöchigen Krankenhausaufenthalts im Oktober 2005 nur zwei Mal besucht zu haben, ist durch die höchstgerichtliche Judikatur gedeckt (vgl zur Berücksichtigung an sich gemäß § 57 Abs 2 EheG verfristeter Eheverfehlungen nach § 59 Abs 2 EheG bereits 4 Ob 247/01d). Warum mehr als zehn Jahre zurückliegende Verfehlungen nicht mehr zu berücksichtigen sein sollten, vermag der Revisionswerber nicht zu erklären und übersieht offenbar, dass die Formulierung in § 59 Abs 2 EheG („nach Ablauf der Fristen des § 57“) eindeutig auch die Zehn-Jahres-Frist des § 57 Abs 2 EheG erfasst.
Dass die Klägerin diese Eheverfehlungen als nicht ehestörend empfunden hätte, steht gerade nicht fest. Sie trug sich nämlich bereits im Sommer 2002, als ihr der Beklagte kein Geld mehr zur Verfügung gestellt hatte, mit dem Gedanken, die Ehe nicht mehr fortzusetzen, und hätte sich häufigere Besuche von ihm erwartet, als sie sich im Oktober 2005 zur Krebsbehandlung auf der Isolierstation befand. Diesbezüglich fehlen – entgegen der Ansicht des Beklagten – keine rechtlich relevanten Feststellungen. Wenn er damit argumentiert, die Klägerin habe diese Eheverfehlungen nicht als ehestörend empfunden, geht er nicht von den getroffenen Feststellungen aus.
2. Eine unheilbare Ehezerrüttung ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (RS0056832). Die Beurteilung, ob und seit wann eine Ehe unheilbar zerrüttet ist, ist eine Frage des Einzelfalls, die – von Fällen korrekturbedürftiger Fehlbeurteilung abgesehen – keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufwirft (RS0043423 [T8]; RS0056832 [T5]).
Eine solche Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht liegt hier nicht vor, wenn es die unheilbare Zerrüttung der Ehe bereits mit Ende März 2017 annahm, weil zu diesem Zeitpunkt bereits für beide Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht mehr vorstellbar und aufgrund der zwischen den Parteien bereits davor erfolgten Vorfälle auch objektiv nicht mehr zu erwarten gewesen sei. Nach den Feststellungen war die Ehe für die Klägerin bereits seit Mitte 2016 unheilbar zerrüttet, der Beklagte empfand die Ehe jedenfalls zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt in den ersten drei Monaten des Jahres 2017 als unheilbar zerrüttet.
Das der Klägerin vom Beklagten für die Zeit danach als Eheverfehlung angelastete Verhalten ist – wovon das Berufungsgericht ohne Fehlbeurteilung ausging – für die Verschuldensabwägung aber ohne Bedeutung (RS0057338). Dass die im April 2017 von der Klägerin ungerechtfertigt erstattete Strafanzeige noch einen Beitrag zur Zerrüttung leisten konnte, also die Zerrüttung noch nicht endgültig eingetreten war, vermag der Revisionswerber nicht nachvollziehbar darzulegen. Überdies vernachlässigt er auch seine eigenen nachträglichen Eheverfehlungen, die ihm das Berufungsgericht nicht zusätzlich anlastete.
3. Wenn das Berufungsgericht unter Berücksichtigung der Gesamtumstände die Eheverfehlungen des Beklagten als von überwiegender Bedeutung für die unheilbare Zerrüttung der Ehe beurteilt hat, ist dies nicht korrekturbedürftig. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Textnummer
E128491European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00080.20A.0525.000Im RIS seit
10.07.2020Zuletzt aktualisiert am
18.11.2021