TE Lvwg Erkenntnis 2019/11/15 VGW-001/016/6475/2019

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.11.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

15.11.2019

Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AGesVG §2 Abs1
VStG §45 Abs1 Z1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter MMag. Dr. Böhm-Gratzl über die Beschwerde des A. B., ..., Wien, zuletzt vertreten durch Dr. C. D., vom 9.4.2019 gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat ..., vom 7.3.2019, Zl. VStV/..., betreffend eine Übertretung des § 2 Abs. 1 Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz – AGesVG, BGBl. I Nr. 68/2017, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 31.10.2019 durch mündliche Verkündung

zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, wird das angefochtene Straferkenntnis behoben und wird das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG eingestellt.

II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

III. Gemäß § 25a Abs. 4 VwGG ist gegen dieses Erkenntnis eine Revision wegen Verletzung in Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG) nicht zulässig. Im Übrigen ist gemäß Abs. 1 par. cit. eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat ..., vom 7.3.2019 wurde dem Beschwerdeführer wie folgt zur Last gelegt:

„Datum/Zeit: 11.08.2018, 23:52 Uhr - 11.08.2018, 23:57 Uhr

Ort: Wien, E.

Sie haben sich zum angeführten Zeitpunkt am angeführten Ort, und somit an einem öffentlichen Ort, aufgehalten und Ihre Gesichtszüge durch andere Gegenstände laut Beschreibung in einer Weise verborgen, dass Sie nicht mehr erkennbar waren.

Tragen einer Sturmhaube unmittelbar vor einer Auseinandersetzung“

(Unkorrigiertes Originalzitat)

Hiedurch habe der Beschwerdeführer § 2 Abs. 1 AGesVG verletzt und wurde über ihn nach ebendieser Gesetzesbestimmung eine Geldstrafe iHv EUR 70,– bzw. für den Fall ihrer Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von einem Tag und elf Stunden verhängt.

Hiegegen richtet sich die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde vom 9.4.2019, in welcher das zur Last gelegte Verhalten bestritten wird und mit welcher beantragt wird, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben, in eventu von der Fortführung des Strafverfahrens abzusehen, in eventu das Strafausmaß herabzusetzen. U.a. wird hiezu wie folgt ausgeführt:

„Zweck des AGesVG ist gemäß Erläuterungen zum Ministerialentwurf ‚die Förderung der Integration durch die Stärkung der Teilhabe am gesellschaftlichen Zusammenleben‘ und der ‚Sicherung des friedlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion in einer pluralistischen Gesellschaft‘. Dieser Schutzzweck, also das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion, wird im gegenständlichen Fall augenscheinlich nicht verfolgt.

Die Behörde erwähnt mit keinem Wort, dass meine Handlungen irgendwie in Verbindung mit dem eigentlichen Schutzzweck der Norm stehen. Die vorgenommene Auslegung der Behörde kann mit dem Schutzzweck der Norm des AGesVG nicht in Einklang gebracht werden, weshalb die Behörde in unvertretbarer Weise von der Annahme des Vorliegens eines Verwaltungsstraftatbestandes ausgegangen ist und die Bestrafung zu Unrecht erfolgt ist.“

(Unkorrigiertes Originalzitat)

Die belangte Behörde nahm von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung Abstand und legte den bezughabenden Verwaltungsakt dem erkennenden Gericht (einlangend am 9.5.2019) vor.

Das Verwaltungsgericht Wien führte sodann in gegenständlicher Rechtsache am 31.10.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, zu welcher alle Verfahrensparteien ordnungsgemäß geladen wurden. Während die belangte Behörde mit hg. Eingabe vom 29.8.2019 auf eine Verhandlungsteilnahme verzichtet hatte, erschien der Beschwerdeführer in Begleitung seiner nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertretung. Zudem wurden Insp. F. (Meldungsleger) und Insp. G. zeugenschaftlich einvernommen. Unmittelbar im Anschluss an die Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mit seinen wesentlichen Entscheidungsgründen mündlich verkündet. Das Verhandlungsprotokoll wurde der nicht anwesenden Verfahrenspartei mit hg. Schreiben vom 31.10.2019 übermittelt.

Mit hg. Eingabe vom 11.11.2019 beantragte die belangte Behörde die schriftliche Ausfertigung der mündlich verkündeten Entscheidung, welche hiemit ergeht.

Das Verwaltungsgericht Wien stellt folgenden Sachverhalt fest:

Der Beschwerdeführer hat am 11.8.2018, 23.52 bis 23.57 Uhr, in  Wien, E., innerhalb einer Gruppe von rund 40, größtenteils vermummten Personen eine Sturmhaube getragen, um im Zuge einer körperlichen Auseinandersetzung mit Fans eines anderen Fußballclubs die Feststellung seiner Identität zu verhindern.

Unmittelbar nach Beginn dieser Auseinandersetzung sind vor Ort anwesende Polizeibeamte, u.a. Insp. F. und Insp. G., eingeschritten, haben in ihrem Zivilfahrzeug sitzend die Gruppe der nunmehr vor ihnen flüchtenden, vermummten Personen verfolgt, ist der Beschwerdeführer in weiterer Folge gemeinsam mit drei weiteren Personen in ein Fahrzeug eingestiegen, um mit jenem die Flucht fortzusetzen, und konnte jenes Fahrzeug schließlich in der Nähe des Tatortes von den Beamten angehalten werden, wobei nach Durchsuchung desselben u.a. drei Sturmhauben vorgefunden wurden.

Zur Beweiswürdigung:

Diese Feststellungen gründen sich auf den glaubhaften Aussagen der als Zeugen vernommenen Insp. F. und Insp. G., die auf Grund des von ihnen geleisteten Diensteides in besonderem Maße zur wahrheitsgemäßen Darstellung verpflichtet sind und andernfalls mit dienst- und strafrechtlichen Sanktionen zu rechnen hätten. Es handelt sich überdies um szenekundige Beamte, denen Situationen wie die gegenständliche vertraut sind, und von denen eine wahrheitsgetreue Schilderung der Vorgänge angenommen werden kann. Auch ist kein Grund ersichtlich, warum jene den Beschwerdeführer wahrheitswidrig belasten sollten (vgl. etwa VwGH 12.4.1996, 96/02/0025).

Beide Zeugen hatten als Fahrer bzw. Beifahrer des u.a. den Beschwerdeführer verfolgenden Fahrzeuges die beste Sicht auf das Geschehen vor ihnen und haben beide übereinstimmend angegeben, dass jene Gruppe der Flüchtenden, unter welchen sich auch der Beschwerdeführer befunden hat, definitiv vermummt war. Diese Gruppe von zuletzt vier Personen ist in das später angehaltene Fahrzeug eingestiegen und ist während der Nachfahrt niemand aus- oder zugestiegen. Hg. besteht somit kein Zweifel, dass sich der Beschwerdeführer in dieser Gruppe befunden hat und dass er im Tatzeitpunkt vermummt war. Insofern im Fluchtfahrzeug bloß drei Sturmhauben gefunden wurden, ist nicht auszuschließen, dass sich einer der Flüchtenden vor dem Einsteigen in das Fahrzeug – von den Zeugen unbemerkt – seiner Sturmhaube entledigt hat.

Dass das Tragen der Sturmhaube in concreto die Feststellung der Identität des Beschwerdeführers verhindern sollte, erschließt sich aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit weiteren Personen am Tatort die Fans eines anderen Fußballclubs attackiert hat. Es erscheint dabei naheliegend, dass er die Wiedererkennung seiner Person verunmöglichen wollte. Beide Zeugen haben auf Grund ihrer Erfahrung als szenekundige Beamte diese Annahme geteilt.

Demgegenüber wird das Beschwerdevorbringen als bloße Schutzbehauptung gewertet. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien wollte sich der Beschwerdeführer auch nicht dazu äußern.

Die Sache ist daher entscheidungsreif und konnte von der Einvernahme weiterer Zeugen abgesehen werden. V.a. hatten die beiden vernommenen Zeugen, wie oben bereits ausgeführt, auf Grund ihrer Eigenschaft als Lenker und Beifahrer des nachfahrenden Kfz die beste Sicht auf das Geschehen und stimmten ihre Angaben – soweit entscheidungserheblich – überein.

Das Verwaltungsgericht Wien hat in rechtlicher Hinsicht hiezu erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 AGesVG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu EUR 150,– zu bestrafen, wer an öffentlichen Orten oder in öffentlichen Gebäuden seine Gesichtszüge durch Kleidung oder andere Gegenstände in einer Weise verhüllt oder verbirgt, dass sie nicht mehr erkennbar sind.

Das AGesVG kennt keine Legaldefinition der hier verwendeten Begriffe „verhüllt“ und „verbirgt“. Wie bereits aus Abs. 2 par. cit. hervorgeht, welcher Ausnahmen für künstlerische, kulturelle und traditionelle Veranstaltungen, für sportliche Tätigkeiten oder Ausnahmen aus gesundheitlichen oder beruflichen Gründen vorsieht, wird jedoch nicht jede Form der „Verhüllung“ oder „Verbergung“ in diesem Sinne nach dem AGesVG geahndet. Folglich ist der Inhalt der hier maßgeblichen Rechtsbegriffe vom erkennenden Gericht interpretativ zu klären.

Gegenstand der Auslegung einer Norm ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich der Gesetzestext als Träger des in ihm niedergelegten Sinnes, um dessen Verständnis es bei der Auslegung geht. Ziel der Auslegung ist die Ermittlung des rechtlich maßgeblichen, des normativen Sinnes des Gesetzes. Jede Gesetzesauslegung (im Sinne des § 6 ABGB) hat mit der Erforschung des Wortsinnes zu beginnen, wobei zu fragen ist, welche Bedeutung einem Ausdruck oder Satz nach dem allgemeinen Sprachgebrauch des Gesetzgebers zukommt. Wird auf diesem Weg keine Eindeutigkeit des Gesetzeswortlautes erkannt, ist insbesondere auch der Regelungszusammenhang, in dem die anzuwendende Norm steht, zu berücksichtigen (vgl. hiezu zB VwGH 19.12.2017, Ro 2017/08/0017, mwN). Dabei darf aber einem Gesetz in der Anwendung kein anderer Verstand beigelegt werden, als welcher aus der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und der klaren Absicht des Gesetzgebers hervorleuchtet (vgl. etwa VwGH 19.10.2011, 2011/08/0090; 28.3.2017, Ra 2014/08/0056).

Die Absicht des Gesetzgebers lässt sich aus den bezughabenden Gesetzesmaterialien erschließen (vgl. zB VwGH 27.2.2019, Ro 2018/15/0022, mwN). In den Erläuterungen jener Regierungsvorlage, welche u.a. das AGesVG zum Inhalt hatte, wird wie nachstehend ausgeführt (vgl. ErläutRV 1586 BlgNR 25. GP, 11):

„Dieses Bundesgesetz zielt auf die Förderung der Integration durch die Stärkung der Teilhabe am gesellschaftlichen Zusammenleben ab. Gleichzeitig dient es der Sicherung des friedlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion in einer pluralistischen Gesellschaft.

[…] Die Ermöglichung zwischenmenschlicher Kommunikation ist eine wesentliche Funktionsbedingung für ein friedliches Zusammenleben in einem demokratischen Rechtsstaat. Für Kommunikation bildet das Erkennen des Anderen bzw. dessen Gesichts eine notwendige Voraussetzung.“

In den Stenografischen Protokollen der 179. Sitzung des Nationalrates der 25. GP vom 16.5.2017, in welcher die Beschlussfassung u.a. des AGesVG erfolgt ist, finden sich folgende Wortmeldungen von Mitgliedern des Nationalrates, welche der bezughabenden Regierungsvorlage ihre Zustimmung erteilt haben (vgl. aaO, 191 ff.):

„Was die Gesichtsverhüllung betrifft, bin ich sowieso der Meinung, dass es richtig ist, da Schritte zu setzen. Die komplette Körperverhüllung ist das Signal des politischen Islamismus. Das sage nicht bloß ich, das kann man in unzähligen Artikeln nachlesen, in der ‚Zeit‘, ob das Alice Schwarzer oder Iris Radisch, die Feuilletonchefin, ist oder andere, die da Artikel geschrieben haben und sich wirklich sehr kritisch damit auseinandersetzen. Auch in der innermuslimischen Debatte, das weiß ich, gibt es viele – ob es Professoren, ob es MuslimInnen sind –, die sich an den Lehrstühlen der Universitäten damit auseinandersetzen und das auch kritisieren.

Aus dem Koran ist weder das Kopftuch und schon gar nicht die Ganzkörperverhüllung ableitbar. Ich finde, da sollten wir fast beide daran interessiert sein, dass die einen innerhalb dieser Glaubensgemeinschaft stärker gegen diejenigen auftreten, gegen die wir faktisch schon mit der Polizei, mithilfe von Sicherheitseinrichtungen und Ähnlichem Antiterrormaßnahmen machen müssen. Das muss man schon im Vorfeld in den Griff zu bekommen versuchen, und da glaube ich schon auch, dass das in die richtige Richtung geht.“

„Wenn ich hinausgehe, dann will ich den Menschen ins Gesicht schauen, sie sehen können. […] Man muss in einer offenen Gesellschaft verlangen können, dass sich die Menschen, die zu uns kommen, nicht zuhängen können, sodass man bestenfalls die Augenschlitze sieht. Das ist nicht in Ordnung. Daher ist dieses Verbot gerechtfertigt, genauso wie jenes betreffend die Koranverteilung. […] Wir nehmen Menschen unter gewissen Bedingungen auf, das ist auch gesetzlich klar geregelt. […] Es kann aber nicht so sein, dass wir uns nach dem richten müssen, was die Menschen aus den Ländern, aus denen sie kommen, kennen. Es muss schon noch so sein, dass wir unsere Kultur und unsere Traditionen fortsetzen können. Es muss auch Pflichten geben, und grundsätzlich sollen sich diese Menschen an unserem Leben orientieren. Genau das wird mit diesen gesetzlichen Regelungen erreicht.“

„Noch ein Wort zum Vollverschleierungsverbot: Es wurde im Ausschuss immer wieder betont, dass es angeblich Beispiele aus anderen Ländern wie etwa Frankreich gibt, die zeigen, dass das zahnlos ist, weil der reiche Sultan die Strafe bezahlt und die Frauen trotzdem vollverschleiert bleiben. Es haben aber praktisch alle – das war auch heute in den Beiträgen zu hören – betont, dass sie der Vollverschleierung gegenüber negativ eingestellt sind und das durchaus auch als Problem ansehen. Ich verstehe daher die Haltung mancher Teile der Opposition nicht, denn es ist auch Aufgabe eines Staates, durch Gesetze und Verordnungen, auch wenn sie vielleicht nicht so viele Menschen betreffen – diese werden aber immer mehr, das wissen wir auch –, daher eher symbolisch sind, zu zeigen, was bei uns gewünscht ist und was eben nicht gewünscht ist, was wir aus guten Gründen ablehnen. Das genau tut dieses Gesetz mit dem Gesichtsverhüllungsverbot, das auch legistisch wasserdicht ist und durch einen Spruch des EGMR abgesichert ist.

Die Frage, die Kollege Scherak bezüglich der vollverschleierten Frauen aufgeworfen hat, nämlich ob sich Frauen, die eine Burka tragen, integrieren können, wollen oder dürfen, diese Frage zu beantworten überlasse ich dann doch der Fantasie des Einzelnen.“

„Ich stehe nach wie vor zu meiner Meinung zu den Burkaträgerinnen. Ich glaube nicht, dass wir mit diesem Gesetz erreichen werden, die Frauen zu befreien, so wie es vielleicht jemand im Hinterkopf hat. Das ist Symbolpolitik; aber dieses Arbeitsmarktintegrationsgesetz ist mir sehr wichtig, denn mit diesem Gesetz werden wir Tausenden Menschen helfen, aber wahrscheinlich in Österreich insgesamt 70 Burkaträgerinnen bestrafen.“

„Es ist mir wichtig, noch eines zum Burkaverbot zu sagen, denn viele Zuschauer wundern sich vielleicht, warum wir ständig von einem Burkaverbot reden und sie vielleicht in ihrer Umgebung noch gar keine Frau mit Ganzkörperschleier gesehen haben: Das Burkaverbot ist für uns ein Signal. Damit signalisieren wir: Das hat in unserem Land keinen Platz! Symbole, die sich gegen die Freiheit, gegen die Gleichberechtigung richten, haben bei uns keinen Platz! Ein Symbol einer Gegengesellschaft wollen wir nicht! Wir wollen das friedliche Zusammenleben in unserem Land erhalten und auch absichern!“

„Eine offene Gesellschaft, meine sehr geehrten Damen und Herren, muss das Recht haben, sich zur Wehr zu setzen, und genau aus diesem Grund beinhaltet das Integrationsgesetz auch Maßnahmen gegen Symbole einer Gegengesellschaft wie das Gesichtsverhüllungsverbot oder das sogenannte Burkaverbot. Die Burka ist das Symbol des politischen Islams, das bewusst nach Österreich getragen wird. Das wollen wir in Österreich nicht, meine Damen und Herren! Beides, das Verbot der Vollverschleierung und das Verbot von Koranverteilaktionen durch Salafisten, sind starke Signale für unsere Leitkultur und gegen Parallelgesellschaften.“

„Ich möchte auch zum Thema Vollverschleierung, also zur kompletten Gesichtsverhüllung etwas sagen: Da sollen wir nicht wegschauen. Ich glaube, dass – in dem Sinn, dass Österreich eine offene Gesellschaft ist – auch die offene Kommunikation dazugehört. Sprechen wir da die Wirklichkeit an: Was bedeutet Vollverschleierung in der Schule? Was bedeutet Vollverschleierung für das Lehrer-Schüler-Verhältnis? Was bedeutet das im Spital? Was bedeutet das bei Amtshandlungen? Was bedeutet das in der Nachbarschaft? Aus all diesen Gründen sage ich klar Ja dazu, dass wir diese Maßnahme gegen die Vollverschleierung durchsetzen. Eine offene Gesellschaft soll sich auch verteidigen können und ihre Grundsätze ganz klar formulieren und benennen.“

(Unkorrigierte Originalzitate)

Im Lichte der vorstehend wiedergegebenen Materialien kommt das Verwaltungsgericht Wien bei historisch-teleologischer Interpretation der Rechtsbegriffe „verhüllt“ und „verbirgt“ im Sinne des § 2 Abs. 1 AGesVG zum Schluss, dass der Gesetzgeber mit Erlassung dieser Bestimmung alleine die „Verhüllung“ bzw. „Verbergung“ von Gesichtszügen aus religiösen Gründen erfassen und ahnden wollte.

Dieses Ergebnis korrespondiert auch mit dem Gebot, dass Verwaltungsstraftatbestände nicht ausdehnend auszulegen sind (vgl. hiezu etwa VwGH 17.11.2009, 2009/06/0166; 31.7.2014, Ro 2014/02/0099).

Im konkreten Fall erfolgte die Benutzung einer Sturmhaube jedoch nicht aus religiösen Gründen, sondern zur Verhinderung einer Identitätsfeststellung im Zuge einer körperlichen Auseinandersetzung. Dieses Verhalten des Beschwerdeführers wird demnach nicht von § 2 Abs. 1 AGesVG erfasst.

Auch sonst ist hg. keine Rechtsnorm ersichtlich, die das im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses vorgeworfene Verhalten unter Verwaltungsstrafe stellen würde. Insbesondere ist mangels Vorliegen einer „Versammlung“ im Sinne des Versammlungsgesetzes (vgl. etwa VfGH 28.9.2018, V 1/2018; VwGH 22.3.2018, Ra 2017/01/0359, jeweils mwN) dessen § 9 Abs. 1 nicht auf den zur Last gelegten Sachverhalt anwendbar.

Eine Befugnis des Verwaltungsgerichtes zur Ausdehnung des Gegenstands des Beschwerdeverfahrens über die Sache des Verwaltungsstrafverfahrens im Sinne des § 50 Abs. 1 VwGVG hinaus wurde durch den Gesetzgeber nicht geschaffen und würde dies eine unzulässige Erweiterung des Tatvorwurfs und damit der Sache des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht darstellen (vgl. hiezu bspw. VwGH 5.11.2014, Ra 2014/09/0018).

Es war demnach spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die im Spruch zitierte Gesetzesstelle.

Zum Revisionsausspruch:

Die ordentliche Revision ist – vorbehaltlich nachstehender Ausführungen – zulässig, da eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, zumal es – soweit hg. ersichtlich – an höchstgerichtlicher Judikatur zu § 2 Abs. 1 AGesVG fehlt.

Im Übrigen ist eine Revision wegen Verletzung in Rechten (Art. 133 Abs. 6 B-VG) gemäß § 25a Abs. 4 VwGG unzulässig, zumal wegen Übertretung des § 2 Abs. 1 AGesVG bloß eine Geldstrafe von bis zu EUR 150,– und keine (primäre; vgl. hiezu etwa VwGH 29.10.2014, Ra 2014/01/0113) Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im angefochtenen Straferkenntnis eine Geldstrafe von EUR 70,– verhängt wurde.

Schlagworte

Verhüllungsverbot; Verhüllung; Verbergung; Verhüllung aus religiösen Gründen; religiöser Grund; Verhinderung einer Identitätsfeststellung; körperliche Auseinandersetzung

Anmerkung

VwGH v. 18.6.2020, Ro 2020/01/0006; Aufhebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.001.016.6475.2019

Zuletzt aktualisiert am

09.07.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten