TE Vfgh Erkenntnis 2020/6/8 E942/2020

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.06.2020
beobachten
merken

Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §18 Abs1, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz eines irakischen Staatsangehörigen; mangelhafte Auseinandersetzung mit der journalistischen Tätigkeit des Beschwerdeführers in Anbetracht der getroffenen Länderfeststellungen

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Iraks und stammt aus der in der kurdischen Autonomieregion des Iraks gelegenen Stadt Sulaimaniyya. Er stellte am 4. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er an, dass er als Journalist in verschiedenen Zeitschriften Artikel über den IS sowie über einen, von einer mafiösen Gruppierung begangenen Mord an einem Journalisten geschrieben und dabei kritisiert habe, dass die Regierung dagegen nichts unternommen habe. Der IS und diese mafiöse Gruppierung hätten ihn mehrfach telefonisch und mit einem Drohbrief auch mit dem Tod bedroht.

Mit Bescheid vom 21. Dezember 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist. Ferner setzte es eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise.

2. Mit Erkenntnis vom 3. Februar 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab. In seiner Begründung stellt das Bundesverwaltungsgericht zunächst fest, dass der Beschwerdeführer im Irak als Journalist tätig gewesen sei. Sein Fluchtvorbringen, er sei auf Grund von Zeitschriftenartikeln, in denen er kritisch über den IS bzw Regierungsmitglieder berichtet habe, bedroht und verfolgt worden, hält das Bundesverwaltungsgericht für nicht glaubwürdig. Dies begründet es mit Widersprüchlichkeiten in den Aussagen des Beschwerdeführers und der Unglaubwürdigkeit der vom Beschwerdeführer geschilderten Verfolgungshandlungen. Auf die Inhalte der vom Beschwerdeführer vorgelegten, in kurdischer Sprache abgefassten Zeitschriftenartikel könne das Bundesverwaltungsgericht nicht eingehen, da der Beschwerdeführer die Artikel – obwohl ihm das Bundesverwaltungsgericht unter Hinweis auf diese Folge einen fristgebundenen Verbesserungsauftrag erteilt habe – nicht von einem fachkundigen Dolmetscher übersetzen habe lassen.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt in seinem Erkenntnis fest, dass zu den "wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak" unter anderem "Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit" und "Gewalt gegen Journalisten" zählten, wobei es diese Länderfeststellungen auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 20. November 2018 (mit letzter eingefügter Kurzinformation vom 30. Oktober 2019; im Folgenden: Länderinformationsblatt) stützt. Im selben Länderinformationsblatt finden sich in der Folge – das Bundesverwaltungsgericht übernimmt diese Aussagen nicht mehr – nähere, spezifisch Journalisten betreffende Informationen: So wird der Irak "für Journalisten" als "eines der gefährlichsten Länder der Welt" bezeichnet (Länderinformationsblatt, S 75). Spezifisch in Bezug auf die kurdische Autonomieregion wird ausgeführt, dass "Journalisten und Medien, die kritisch über die KRG-Führung" berichteten, unter anderem mit Verhaftungen und Drohungen durch Sicherheitskräfte und Aufsichtsbehörden konfrontiert seien. Zudem habe es "zahlreiche Fälle von Gewalt, Inhaftierung und Todesdrohungen gegen Medienschaffende" gegeben (Länderinformationsblatt, S 76). Schließlich werden Journalisten als "besonders gefährdet[e]" Berufsgruppe im Irak genannt (Länderinformationsblatt, S 115).

Diese Ausführungen decken sich im Wesentlichen auch mit den (nicht vom Bundesverwaltungsgericht berücksichtigten) UNHCR-Erwägungen vom Mai 2019 zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen. Dort heißt es unter anderem (S 96 ff.):

"Im ganzen Irak sind Journalisten und andere Medienschaffende Berichten zufolge dem Risiko von Belästigung, Einschüchterung, körperlichen Angriffen, Beschlagnahme oder Zerstörung von Ausrüstung, willkürlicher Verhaftung, Verfolgung (zB wegen Verleumdungsklagen) und in manchen Fällen von Entführung und Tötung durch unterschiedliche Akteure wie zentrale, regionale oder lokale Behörden, die ISF und damit verbundene Kräfte, ISIS sowie durch Politiker, Stammesangehörige und Geschäftsleute und deren Sicherheitspersonal ausgesetzt. Besonders betroffen sind davon Berichten zufolge Journalisten und andere Medienschaffende, die über Demonstrationen berichten, kontroverse politische oder andere sensible Themen wie Korruption, Machtmissbrauch, schwache Regierungskapazität oder die mangelhafte Sicherheitslage untersuchen oder die als kritisch gegenüber Regierungsbeamten und mit der Regierung verbundenen Personen wahrgenommen werden. […]

In der Autonomen Region Kurdistan sind Journalisten und andere Medienschaffende, die kritische Berichterstattung über politische und andere sensible Themen betreiben, Berichten zufolge Einschüchterung, körperlichen Angriffen, Beschlagnahme oder Zerstörung von Ausrüstung, willkürlichen Festnahmen und politisch motivierter strafrechtlicher Verfolgung (zB aufgrund von Verleumdungs- oder Terrorismusvorwürfen), und zwar vorwiegend durch die Behörden der Regionalregierung Kurdistan, ausgesetzt. In einigen Fällen wurden Journalisten laut Berichten auch Opfer von Entführungen und Tötungen. […]

UNHCR vertritt die Ansicht, dass Journalisten und andere Medienschaffende, die kritische Berichterstattung über politische und andere sensible Themen betreiben, abhängig von den spezifischen Umständen des jeweiligen Falls aufgrund ihrer tatsächlichen oder der ihnen unterstellten politischen Meinung, ihrer religiösen Ansichten und/oder aus anderen maßgeblichen Gründen wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz benötigen."

2.2. Der Beschwerdeführer bringt sowohl vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht vor, als Journalist tätig gewesen zu sein und sich in Zeitschriftenartikeln kritisch über den IS und die kurdische Regierung geäußert zu haben. Als Beleg dafür legt er auf Kurdisch verfasste Zeitschriftenartikel vor. Das Bundesverwaltungsgericht stellt in seinem Erkenntnis fest, dass der aus der kurdischen Autonomieregion des Iraks stammende Beschwerdeführer als Journalist tätig gewesen sei und führt im Rahmen der Beweiswürdigung aus, dass der Beschwerdeführer einen "Artikel über ISIS" in der "Zeitschrift Levin" vorgelegt habe.

2.3. Von den Inhalten der vorgelegten Zeitschriftenartikel vermeint das Bundesverwaltungsgericht allerdings, "dass diese nicht berücksichtigt werden können, da sie in kurdischer Sprache abgefasst sind und der Beschwerdeführer diese trotz Verbesserungsauftrag […] nicht […] von einem fachkundigen Dolmetscher übersetzen lassen hat". Dabei ergibt sich aus der im Akt einliegenden Niederschrift der öffentlichen mündlichen Verhandlung, dass der Beschwerdeführer dort dem Bundesverwaltungsgericht Inhalte dieser Artikel in Auszügen präsentiert hat, die auch der anwesende Dolmetscher bestätigt hat. In der Verhandlung wurden die auf einem USB-Stick gespeicherten Artikel durchgesehen und der Beschwerdeführer bzw der Dolmetscher haben einzelne Inhalte zusammengefasst. So geht aus der Niederschrift hervor, dass sich die fraglichen Artikel mit Vorwürfen gegen den für Energie zuständigen Minister im Zusammenhang mit der Ölförderung in der kurdischen Autonomieregion, mit dem IS als terroristische Organisation und mit der Ermordung eines Journalisten in der kurdischen Autonomieregion beschäftigen.

2.4. Indem das Bundesverwaltungsgericht vor dem Hintergrund der einschlägigen Länderberichte eine nähere Auseinandersetzung mit der journalistischen Tätigkeit des Beschwerdeführers und einer möglichen Bedrohung im Herkunftsstaat auf Grund dieser Tätigkeit unterlässt, hat es in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen (in diesem Zusammenhang ist das Bundesverwaltungsgericht auch auf die in §18 Abs1 AsylG 2005 normierte amtswegige Ermittlungspflicht hinzuweisen, vgl VfSlg 20.215/2017 mwN).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E942.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.07.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten