RS Vfgh 2020/6/8 E942/2020

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 08.06.2020
beobachten
merken

Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §18 Abs1, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz eines irakischen Staatsangehörigen; mangelhafte Auseinandersetzung mit der journalistischen Tätigkeit des Beschwerdeführers in Anbetracht der getroffenen Länderfeststellungen

Rechtssatz

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) stellt in seinem Erkenntnis fest, dass zu den "wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak" unter anderem "Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit" und "Gewalt gegen Journalisten" zählten, wobei es diese Länderfeststellungen auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation stützt. Im selben Länderinformationsblatt finden sich in der Folge - das BVwG übernimmt diese Aussagen nicht mehr - nähere, spezifisch Journalisten betreffende Informationen: So wird der Irak "für Journalisten" als "eines der gefährlichsten Länder der Welt" bezeichnet. Spezifisch in Bezug auf die kurdische Autonomieregion wird ausgeführt, dass "Journalisten und Medien, die kritisch über die KRG-Führung" berichteten, unter anderem mit Verhaftungen und Drohungen durch Sicherheitskräfte und Aufsichtsbehörden konfrontiert seien. Zudem habe es "zahlreiche Fälle von Gewalt, Inhaftierung und Todesdrohungen gegen Medienschaffende" gegeben. Schließlich werden Journalisten als "besonders gefährdet[e]" Berufsgruppe im Irak genannt. Diese Ausführungen decken sich im Wesentlichen auch mit den (nicht berücksichtigten) UNHCR-Erwägungen vom Mai 2019 zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen.

Der Beschwerdeführer bringt sowohl vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als auch vor dem BVwG vor, als Journalist tätig gewesen zu sein und sich in Zeitschriftenartikeln kritisch über den IS und die kurdische Regierung geäußert zu haben. Als Beleg dafür legt er auf Kurdisch verfasste Zeitschriftenartikel vor. Das BVwG stellt in seinem Erkenntnis fest, dass der aus der kurdischen Autonomieregion des Iraks stammende Beschwerdeführer als Journalist tätig gewesen sei und führt im Rahmen der Beweiswürdigung aus, dass der Beschwerdeführer einen "Artikel über ISIS" in der "Zeitschrift Levin" vorgelegt habe.

Von den Inhalten der vorgelegten Zeitschriftenartikel vermeint das BVwG allerdings, "dass diese nicht berücksichtigt werden können, da sie in kurdischer Sprache abgefasst sind und der Beschwerdeführer diese trotz Verbesserungsauftrag [...] nicht [...] von einem fachkundigen Dolmetscher übersetzen lassen hat". Dabei ergibt sich aus der im Akt einliegenden Niederschrift der öffentlichen mündlichen Verhandlung, dass der Beschwerdeführer dort dem BVwG Inhalte dieser Artikel in Auszügen präsentiert hat, die auch der anwesende Dolmetscher bestätigt hat. In der Verhandlung wurden die auf einem USB-Stick gespeicherten Artikel durchgesehen und der Beschwerdeführer bzw der Dolmetscher haben einzelne Inhalte zusammengefasst. So geht aus der Niederschrift hervor, dass sich die fraglichen Artikel mit Vorwürfen gegen den für Energie zuständigen Minister im Zusammenhang mit der Ölförderung in der kurdischen Autonomieregion, mit dem IS als terroristische Organisation und mit der Ermordung eines Journalisten in der kurdischen Autonomieregion beschäftigen.

Indem das BVwG vor dem Hintergrund der einschlägigen Länderberichte eine nähere Auseinandersetzung mit der journalistischen Tätigkeit des Beschwerdeführers und einer möglichen Bedrohung im Herkunftsstaat auf Grund dieser Tätigkeit unterlässt, hat es in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen (in diesem Zusammenhang ist das BVwG auch auf die in §18 Abs1 AsylG 2005 normierte amtswegige Ermittlungspflicht hinzuweisen).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E942.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.07.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten