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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art140;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Bumberger, Dr. Pallitsch und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Seidel, über die Beschwerde der Steyr-Daimler-Puch AG in Wien, vertreten durch
Dr. Ferdinand R. Graf, Rechtsanwalt in Wien I, Oppolzergasse 6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 11. Oktober 1993, Zl. 510.162/03-I 5/93, betreffend wasserpolizeilicher Auftrag, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 11. Oktober 1993 wurde der beschwerdeführenden Partei gestützt auf "§ 138 Abs. 1 WRG 1959" aufgetragen, bis 31. Dezember 1994 "Maßnahmen zu treffen, durch die gewährleistet ist, daß die lediglich thermisch belastenden Kühlwässer aus dem Nibelungenwerk in St. V. nicht mehr in die Schmutzwasserkanalisation der Stadtgemeinde St. V. gelangen können". Begründet wurde diese Entscheidung von der belangten Behörde im wesentlichen damit, die Beschwerdeführerin sei Einleiter im Sinne des § 32 Abs. 4 WRG 1959 in der Fassung der Wasserrechtsgesetznovelle 1990. Die in dieser Bestimmung genannten Kriterien für die Bewilligungsfreiheit entsprächen dem in § 32 Abs. 4 WRG 1959 vor Inkrafttreten der Wasserrechtsgesetznovelle 1990 genannten "Regelfall". Die Beschwerdeführerin sei zwar an das bestehende Kanalsystem angeschlossen, bei der Bewilligung dieses Kanalsystems sei jedoch auf die gegenständlichen Einleitungen, welche den Gesamtwirkungsgrad der Anlage bzw. deren Reinigungsleistung auch beeinträchtigten, nicht Bedacht genommen worden. Die Emissionen der mit thermischen Kühlwässern belasteten Abwässer könnten nur durch Vorbehandlungsmaßnahmen den vorgegebenen Grenzwerten entsprechen. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen für die Bewilligungsfreiheit sei für die derzeitige Form der Abwassereinleitung eine wasserrechtliche Bewilligung erforderlich. Eine eigenmächtige Neuerung liege im vorliegenden Fall im konsenslosen Einleiten der thermisch belasteten Kühlwässer in die öffentliche Kanalanlage und in weiterer Folge in den Vorfluter. Diese Einleitung widerspreche dem öffentlichen Interesse an der Reinhaltung der Gewässer.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich die beschwerdeführende Partei in ihrem Recht auf Nichterteilung eines wasserpolizeilichen Auftrages verletzt erachtet.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Verwaltungsgerichtshof hat aus Anlaß des Beschwerdefalles an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, festzustellen, daß in § 32 Abs. 4 WRG 1959 in der Fassung vor der Wasserrechtsgesetznovelle 1990, BGBl. Nr. 252/1990, die Worte "in der Regel" verfassungswidrig waren.
Mit Erkenntnis vom 1. Oktober 1997, G 57/95-9 u.a., hat der Verfassungsgerichtshof zu Recht erkannt, daß die Wortfolge "in der Regel" in § 32 Abs. 4 WRG 1959, Kundmachung der Bundesregierung BGBl. Nr. 215/1959, in der Fassung vor der Wasserrechtsgesetznovelle 1990, BGBl. Nr. 252, verfassungswidrig war.
Ist ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Abs. 4 ausgesprochen, daß ein Gesetz verfassungswidrig war, so sind nach Art. 140 Abs. 7 B-VG alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles ist jedoch das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist gemäß Abs. 5 gesetzt, so ist das Gesetz auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles anzuwenden.
Da es sich beim Beschwerdefall um einen der Anlaßfälle für die Gesetzaufhebung handelt, hat der Verwaltungsgerichtshof bei der Prüfung des angefochtenen Bescheides § 32 Abs. 4 WRG 1959, BGBl. Nr. 215/1959, in der Fassung vor der Wasserrechtsgesetznovelle 1990, BGBl. Nr. 252, in der durch das aufhebende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes bereinigten Fassung anzuwenden. Diese lautet nun wie folgt:
"Wer Einbringungen in eine bewilligte Kanalisationsanlage mit der Zustimmung ihres Eigentümers vornimmt, bedarf für den Anschluß keiner wasserrechtlichen Bewilligung. ..."
Demnach bedurfte die Indirekteinleitung bei Zustimmung des Kanalisationsunternehmens vor der Wasserrechtsgesetznovelle 1990 keiner wasserrechtlichen Bewilligung. (Bezüglich der Aufhebung des § 32 Abs. 4 erster Satz WRG 1959 in der Fassung der Wasserrechtsgesetznovelle 1990 als verfassungswidrig wird auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Juni 1997, G 51/95-12 u.a., verwiesen.)
Die belangte Behörde hat den hier zu beurteilenden wasserpolizeilichen Auftrag mit einer aus § 32 Abs. 4 WRG 1959 in der Fassung der Wasserrechtsgesetznovelle 1990 abzuleitenden wasserrechtlichen Bewilligungspflicht begründet. Zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides hat jedoch bereits § 33g WRG 1959 (eingefügt durch das Bundesgesetz vom 16. März 1993, BGBl. Nr. 185) dem Rechtsbestand angehört, welcher folgenden Wortlaut hat:
"(3) Indirekteinleiter (§ 32 Abs. 4), für die mit 1. Juli 1990 eine Bewilligungspflicht neu eingeführt wurde, gelten als bewilligt, wenn sie den für sie sonst geltenden Vorschriften gemäß betrieben werden. ..."
Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides hatte daher die belangte Behörde jedenfalls zu prüfen, ob mit der Wasserrechtsgesetznovelle 1990 für die Beschwerdeführerin eine Bewilligungspflicht neu eingeführt wurde. Dies hat die belangte Behörde - ohne ausdrücklich auf § 33g WRG 1959 zu verweisen - erkennbar verneint. Die belangte Behörde hat somit einen aus § 32 Abs. 4 erster Satz WRG 1959 in der Fassung vor der Wasserrechtsgesetznovelle 1990 abgeleiteten wasserrechtlichen Bewilligungstatbestand abgeleitet, der jedoch durch das Verfassungsgerichtshoferkenntnis vom 1. Oktober 1997, G 57/95-9 u.a., weggefallen ist. Durch den Wegfall dieses Bewilligungstatbestandes hat der angefochtene Bescheid aber seine Rechtsgrundlage verloren.
Aus den dargestellten Erwägungen erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1998070009.X00Im RIS seit
12.11.2001