TE Vfgh Erkenntnis 1996/6/10 B818/95, B819/95

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.06.1996
beobachten
merken

Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §5

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mangels Vorliegen einer ortsüblichen Unterkunft; Unterlassen der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit jeweils S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres vom 16. Februar 1995 wurden die Anträge eines libanesischen Staatsangehörigen und seiner Ehefrau vom 11. Oktober 1993 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung unter Berufung auf §5 Abs1 AufG abgewiesen. Aus den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakten ergibt sich, daß sich die Beschwerdeführer seit 1990, zuletzt auf Grund einer mit 31. August 1993 befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß §10 Abs4 des Fremdengesetzes in Österreich aufhalten. Auch ihre 1991, 1992 und 1993 in Österreich geborenen Kinder leben hier. Der Ehemann und Vater war in der Zeit zwischen 1991 und 1993 nachweislich beschäftigt; für die Zeit vom 5. August 1993 bis zum 4. August 1995 war ihm eine Arbeitserlaubnis gemäß §14 a des Ausländerbeschäftigungsgesetzes erteilt worden; jedenfalls noch im Jänner 1995 bezog er Arbeitslosengeld.

Die belangte Behörde begründet die die Aufenthaltsbewilligung versagenden Bescheide mit folgenden gleichlautenden Ausführungen:

"Sie haben am 11.10.1993 an die oben genannte Behörde einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt.

Die genannte Behörde hat diesen Antrag mit der Begründung abgewiesen, daß die Antragstellung nicht gesetzeskonform erfolgt sei.

Gegen diese Beurteilung haben Sie im wesentlichen eingewendet, daß Sie rechtzeitig um eine Bewilligung angesucht hätten und auch sonst alle Voraussetzungen erfüllen würden.

Diese Einwendungen haben allerdings nicht belegen können, aus welchen Gründen die Ermessensausübung der Behörde bei der Beurteilung der Ortsüblichkeit der Wohnung gesetzwidrig gewesen wäre. Gerade die Notwendigkeit, in einem ohnedies sensiblen Wohnbereich die weitere Zuwanderung sorgfältig zu steuern, macht es erforderlich, strenge Maßstäbe an die Beurteilung der Ortsüblichkeit von Wohnverhältnissen von Zuwanderern anzulegen. Ist eine für Inländer ortsübliche Unterkunft für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert, so darf gemäß §5 Abs1 des Aufenthaltsgesetzes eine Bewilligung nicht erteilt werden.

Diese Beurteilung zeigt in Ihrem Fall, daß nach Ihren eigenen Angaben Sie mit Ihrer Familie, welche gesamt aus 5 Personen besteht, auf lediglich 30 m2 wohnen. Die Ihnen zur Verfügung gestellte Wohnung besteht aus einem Zimmer und einer Küche. Das WC befindet sich am Gang und wird somit von anderen Menschen mitbenützt. Für eine Familie von 5 Personen, wovon 3 minderjährige Kinder sind, kann die erkennende Behörde daher nicht von einem ortsüblichen hygienischen und sanitären Zustand bei der gegenständlichen Wohnung ausgehen. Eine derartige Beengtheit und das Fehlen einer Standardausstattung im Hygienebereich in der Wohnung können somit keinesfalls als ortsüblich qualifiziert werden.

Im Hinblick auf dieses Vorbringen und die angeführten gesetzlichen Voraussetzung war daher spruchgemäß zu entscheiden."

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerden, mit denen die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerden erwogen:

1. a) Die angefochtenen, eine Aufenthaltsbewilligung nach dem AufG versagenden Bescheide greifen in das den Beschwerdeführern durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein, da sich die Beschwerdeführer schon seit längerer Zeit - offenbar - rechtmäßig in Österreich aufhalten, hier mit ihren in Österreich geborenen minderjährigen Kindern leben und der Ehemann und Vater ein gewisses Mindestmaß an arbeitsrechtlicher Integration in Österreich erreicht hat.

b) Ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

c) Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis VfGH 16.3.1995, B2259/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungsbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

d) Die belangte Behörde hat aber in den angefochtenen Bescheiden eine solche iS des Art8 EMRK gebotenen Interessenabwägung nicht vorgenommen.

Die angefochtenen Bescheide waren daher aus diesem Grund aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist jeweils Umsatzsteuer von S 3.000,-- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B818.1995

Dokumentnummer

JFT_10039390_95B00818_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten