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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
ASVG §293Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision der V T O, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 8. Oktober 2019, VGW-151/088/10087/2019-13, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien (VwG) die Beschwerde der Revisionswerberin, einer nigerianischen Staatsangehörigen, gegen den, ihren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ zur Familienzusammenführung mit ihrem Ehemann, abweisenden Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (Behörde) ab und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.
Dies wurde im Wesentlichen mit nicht ausreichenden Unterhaltsmitteln begründet. Das VwG stellte - soweit für das gegenständliche Verfahren relevant - fest, der Ehemann der Revisionswerberin bringe aus einer Vollzeitbeschäftigung monatlich durchschnittlich € 1.483,28 ins Verdienen; nach Abzug der Miete, der Strom- und Gaskosten, von Kreditrückzahlungen und Versicherungsprämien sowie unter Berücksichtigung der „freien Station“ stünden ihm monatlich € 1.099,13 zur Deckung der Lebensbedürfnisse zur Verfügung; erforderlich wären für ein im gemeinsamen Haushalt lebendes Ehepaar € 1.398,97. Die Einkünfte aus einer Nebenbeschäftigung könnten nicht berücksichtigt werden, weil - so das VwG in seiner Beweiswürdigung - es sich dabei „um keine dauerhafte und durchgehende Tätigkeit handelt, sondern wenn überhaupt eine nur zeitweise Beschäftigung mit nur zeitweiser Entlohnung.“ Darüber hinaus habe der Ehemann der Revisionswerberin die Nebenbeschäftigung nur im Hinblick auf das Antragsverfahren seiner Ehefrau angenommen. Für das VwG stehe fest, dass er „eine in welchem Umfang auch immer ausgeübte [Nebenbeschäftigung] im Falle des Zuzugs der [Revisionswerberin] jedenfalls einstellen würde“. Es stünde dem angestrebten Ziel der Familienzusammenführung entgegen, wenn der Ehemann an allen Wochentagen - ohne einen einzigen Tag durchgehender Ruhezeit - beruflichen Tätigkeiten nachginge. Das Fehlen der ausreichenden Unterhaltsmittel werde auch nicht im Wege einer Abwägung gemäß § 11 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) substituiert.
2 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
3 Die Behörde nahm von der Einbringung einer Revisionsbeantwortung Abstand.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
4 In ihrer Zulässigkeitsbegründung rügt die Revision einen Begründungsmangel, weil sowohl die Aktenlage als auch die Vernehmung der Zeugen ergeben habe, dass der Ehemann der Revisionswerberin bei der P.H. GmbH beschäftigt sei; das Dienstverhältnis sei ungekündigt. Das angefochtene Erkenntnis weiche von der hg. Rechtsprechung hinsichtlich der Berücksichtigung einer vor kurzem aufgenommenen geringfügigen Beschäftigung ab (Hinweis auf VwGH 8.10.2019, Ra 2018/22/0292).
5 Die Revision ist angesichts dieses Vorbringens zulässig, sie ist auch begründet.
6 Das VwG stellte fest, der Ehemann der Revisionswerberin sei am 1. Februar 2019 als geringfügig beschäftigter Arbeitnehmer bei der P.H. GmbH angemeldet worden; er verrichte an den zwei Wochentagen, an denen er nicht im Rahmen seiner Vollbeschäftigung tätig sei, diverse Reinigungs- und Lagerarbeiten in einem nicht näher feststehenden zeitlichen Umfang. Für die Monate April und Mai seien jedoch keine Zahlungseingänge von der P.H. GmbH auf das Konto des Ehemannes der Revisionswerberin ersichtlich. Der Ehemann habe selbst angegeben, die Entlohnung für seine Tätigkeit ausschließlich per Kontoüberweisung und nie bar erhalten zu haben.
7 Den vorgelegten Verfahrensakten sind Lohn/Gehaltsabrechnungen der P.H. GmbH den Ehemann der Revisionswerberin betreffend für die Monate Jänner bis September 2019 zu entnehmen. Es trifft jedoch zu, dass - wie das VwG feststellte - für die Monate April und Mai 2019 keine entsprechenden Überweisungen auf das Konto des Ehemannes der Revisionswerberin nachgewiesen wurden.
8 Das VwG verneinte nicht, dass der Ehemann der Revisionswerberin bei der P.H. GmbH beschäftigt war und daraus Einkünfte erzielte, es beurteilte diese Tätigkeit jedoch als nicht dauerhaft und nicht durchgehend und ließ daher die gesamten Einkünfte aus der Nebentätigkeit unberücksichtigt. Dies ist jedoch nicht nachvollziehbar. Selbst wenn der Ehemann der Revisionswerberin für April und Mai 2019 keine Einkünfte aus seiner Nebentätigkeit erzielt haben sollte, wären dennoch die nachgewiesenen Einkünfte im Rahmen der Einkommensprognose zu berücksichtigen gewesen.
9 Das zweite Argument des VwG, der Ehemann der Revisionswerberin habe die Nebenbeschäftigung nur im Hinblick auf das Antragsverfahren seiner Ehefrau angenommen und werde diese im Fall des Zuzugs seiner Ehefrau „jedenfalls einstellen“, erweist sich nämlich als nicht tragfähig. Selbst wenn die Nebentätigkeit nur zum Zweck des Nachweises ausreichender Unterhaltsmittel aufgenommen worden sein sollte, sind die im Rahmen dieser Tätigkeit erzielten Einkünfte grundsätzlich im Rahmen der Prognoseentscheidung gemäß § 11 Abs. 5 NAG zu berücksichtigen. Einerseits wurde nicht festgestellt, dass die Nebenbeschäftigung befristet sei, andererseits vermag die Annahme, die Revisionswerberin sei aufgrund ihrer mangelnden familiären und sozialen Anknüpfungspunkte auf die Verfügbarkeit ihres Ehemannes angewiesen und die zusätzliche Nebenbeschäftigung des Ehemannes stehe dem Ziel der Familienzusammenführung, insbesondere dem einer partnerschaftlichen Beziehung inhärenten Aspekt eines eingehenden gemeinsamen Zeitvertreibes, entgegen, nicht ohne weiteres die rechtliche Schlussfolgerung zu rechtfertigen, er werde diese Tätigkeit nicht weiter ausüben. Der hg. Rechtsprechung zufolge wäre grundsätzlich auch eine zweite Nebenbeschäftigung im Rahmen einer Einkommensprognose zu berücksichtigen (vgl. VwGH 23.11.2017, Ra 2017/22/0144, Rn. 17). Der Aufenthaltstitel für die Revisionswerberin würde nur für ein Jahr erteilt; für eine Verlängerung müsste erneut das Vorhandensein ausreichender Unterhaltsmittel nachgewiesen werden (vgl. VwGH 8.10.2019, Ra 2018/22/0292, Rn. 13, mwN).
10 Vor diesem Hintergrund rügt die Revisionswerberin zu Recht, dass das im Rahmen seiner Nebenbeschäftigung erzielte Einkommen ihres Ehemannes bei der Beurteilung ausreichender Unterhaltsmittel zu berücksichtigen gewesen wäre.
11 Da das VwG dies verkannte, war das angefochtene Erkenntnis schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben. Auf das übrige Revisionsvorbringen war daher nicht mehr einzugehen.
12 Somit war auch der in der Revision erstatteten Anregung, ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur Auslegung des Art. 7 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2003/86/EG zu richten, nicht näher zu treten.
13 Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
14 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 30. April 2020
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220003.L00Im RIS seit
09.07.2020Zuletzt aktualisiert am
14.07.2020