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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §21 Abs7Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M C, vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof und Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Jänner 2020, W222 2225334-1/5E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Nepals und Angehöriger der Volksgruppe der Tharu aus der Provinz Kailali, stellte am 16. Juni 2016 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 12. August 2016 gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), ohne in die Sache einzutreten, als unzulässig zurückgewiesen wurde. Zudem stellte das BFA fest, dass Ungarn für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zuständig sei, ordnete die Außerlandesbringung des Revisionswerbers an und erklärte die Abschiebung für zulässig.
2 Am 5. Mai 2017 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass in Kailali Proteste seiner Volksgruppe stattgefunden hätten, bei denen Polizisten ums Leben gekommen seien. Der Revisionswerber sei fälschlich beschuldigt worden, dabei eine aktive Rolle gespielt zu haben.
3 Mit Bescheid vom 27. September 2019 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Nepal zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte das BFA mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde ohne Durchführung einer Verhandlung ab. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
5 Das BVwG schloss sich den beweiswürdigenden Überlegungen des BFA an, wonach es dem Revisionswerber nicht gelungen sei, sein Fluchtvorbringen schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei darzulegen. Die gesellschaftlichen Spannungen in Nepal würden insgesamt nicht jenes Ausmaß erreichen, um eine Gruppenverfolgung der Volksgruppe der Tharu als gegeben zu erachten. Im Fall einer Rückkehr des Revisionswerbers nach Nepal drohe ihm zudem keine reale Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte. Betreffend die Rückkehrentscheidung hielt das BVwG fest, dass die öffentlichen Interessen jene des Revisionswerbers überwögen. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung führte es schließlich aus, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine und sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen des Revisionswerbers nicht den Tatsachen entspreche.
6 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, dem BVwG seien gravierende Mängel bei der Feststellung des relevanten Sachverhalts unterlaufen, weil es sich in seiner Beweiswürdigung auf die aktenwidrigen Feststellungen des BFA gestützt habe. Des Weiteren rügt die Revision eine fehlerhafte Beweiswürdigung sowie eine Verletzung der Verhandlungspflicht.
7 Die Revision erweist sich als nicht zulässig.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Soweit der Revisionswerber vorbringt, das BFA habe in seinem Bescheid das Datum der Erstbefragung zu dem am 5. Mai 2017 gestellten Antrag auf internationalen Schutz, in der der Revisionswerber angegeben habe, beschuldigt worden zu sein, einen Polizisten umgebracht zu haben, fälschlich mit 16. April 2016 wiedergegeben, so trifft dies zu. Zum einen wird in der Revision jedoch nicht aufgezeigt, welche Relevanz dieser Fehler für die Beweiswürdigung des BVwG hätte, zum anderen wurde diese falsche Datumsbezeichnung vom BVwG auch gar nicht übernommen.
12 Insoweit sich die Revision gegen die Beweiswürdigung des BVwG wendet, ist auf die ständige hg. Rechtsprechung hinzuweisen, dass in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - nur dann vorliegt, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 3.3.2020, Ra 2019/18/0447, mwN).
13 Eine solche Unvertretbarkeit legt die Revision mit ihrem Vorbringen, das BVwG habe völlig unbegründet gelassen, was an den Angaben des Revisionswerbers unsubstantiiert und widersprüchlich im Vergleich zu der unrichtig und lückenhaft vom BVwG wiedergegebenen Erstbefragung sei, nicht dar.
14 Das BVwG führte in seiner Beweiswürdigung nämlich zutreffend aus, dass der Revisionswerber in seiner Erstbefragung am 16. Juni 2016 ein anderes Fluchtvorbringen zu Protokoll gebracht habe, als in den darauffolgenden Befragungen im gegenständlichen Verfahren, was vom BVwG vertretbar als glaubwürdigkeitsreduzierendes Indiz gewertet wurde. Dieser Widerspruch wird entgegen der Ansicht des Revisionswerbers auch nicht durch die falsche Bezeichnung des Datums der Erstbefragung zu dem am 5. Mai 2017 gestellten Antrag auf internationalen Schutz im Bescheid des BFA entkräftet.
15 Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das BVwG auch nicht verkannt, dass nach den Länderfeststellungen tatsächlich acht Polizisten bei Protesten in Kailali getötet worden seien, sondern in der Beweiswürdigung ausgeführt, dass der Revisionswerber nicht substantiiert darlegen habe können, inwiefern er an diesen Ausschreitungen beteiligt gewesen sei und woraus sich eine asylrelevante Bedrohung des Revisionswerbers ergeben hätte.
16 Mit dem Vorbringen, das BVwG habe nicht ausreichend begründet, warum es keinen unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen den angegebenen Ereignissen und der Ausreise des Revisionswerbers sehe, rügt der Revisionswerber schließlich einen Verfahrensmangel, ohne konkret darzulegen, inwiefern der behauptete Verfahrensmangel für den Ausgang des Verfahrens von Relevanz gewesen wäre (vgl. VwGH 18.2.2020, Ra 2020/18/0025, mwN).
17 Soweit die Revision einen Verstoß des BVwG gegen die Verhandlungspflicht geltend macht, ist zunächst festzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum auch hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt ist, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018).
18 Die Revision vermag mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht aufzuzeigen, dass das BVwG von diesen Leitlinien abgewichen wäre. Fallbezogen ist nicht ersichtlich, dass der Revisionswerber in seiner Beschwerde Behauptungen aufgestellt hätte, die die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich gemacht hätten. Zudem wird weder dargelegt, inwiefern der entscheidungsrelevante Sachverhalt aus der Aktenlage nicht geklärt wäre, noch liegen die in der Revision behaupteten Mängel in der Sachverhaltsermittlung vor.
19 Wenn die Revision vorbringt, das BVwG habe sich kein Bild über den Grad der Verbundenheit und finanziellen Abhängigkeit zwischen dem Revisionswerber und seinen im Bundesgebiet aufhältigen Geschwistern gemacht, vermag sie auch damit keine Verletzung der Verhandlungspflicht darzutun. Das BVwG hat im Rahmen der Interessenabwägung nämlich ohnehin berücksichtigt, dass der Revisionswerber eine Schwester und einen Bruder habe, die sich rechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet mit einem Aufenthaltstitel in Form einer „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ aufhielten und der Revisionswerber von seinem Bruder unterstützt werde. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fallen familiäre Beziehungen unter Erwachsenen jedoch nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 17.12.2019, Ro 2019/18/0006, mwN). Solche zusätzlichen Merkmale der Abhängigkeit hat der Revisionswerber jedoch nie vorgebracht.
20 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 22. Mai 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180082.L00Im RIS seit
09.07.2020Zuletzt aktualisiert am
14.07.2020