TE OGH 2020/4/22 4Ob52/20f

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Veröffentlicht am 22.04.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers *****verbund, *****, vertreten durch Dr. Roland Kassowitz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Beklagte B***** GmbH, *****, vertreten durch Weixelbaumer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Rechnungslegung und Leistung nach Art XLII EGZPO (Streitwert 1 Mio EUR), über die außerordentliche Revision der Beklagten gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Jänner 2020, GZ 5 R 109/19i-18, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Bei Auslegung einer Willenserklärung nach den §§ 914 ff ABGB ist zunächst vom Wortsinn auszugehen, dabei aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien zu erforschen (RIS-Justiz RS0017915 [T22]). Ist ein (übereinstimmender) konkreter Parteiwille nicht zu ermitteln, kommt der objektiven Vertragsauslegung unter Berücksichtigung des üblichen Verständnisses bestimmter Formulierungen und der redlichen Verkehrsübung entscheidende Bedeutung zu (RS0017797 [T18]). Auch dem Zweck der Regelung, den beide Teile redlicherweise unterstellen mussten, kommt maßgebliche Bedeutung zu (RS0017915 [T23]). Maßgebend ist also weder allein der Wille des Erklärenden noch die subjektive Auslegung des Erklärungsempfängers. Die Erklärung ist vielmehr so zu verstehen, wie ein redlicher Erklärungsempfänger die Erklärung verstehen konnte (RS0014205 [T30]). Bei der Vertragsauslegung können auch die sonstigen von den Parteien vor und bei Abschluss des Vertrags abgegebenen Erklärungen herangezogen werden (RS0017934).

1.2. Treten nach Abschluss der Vereinbarung Problemfälle auf, die von den Parteien nicht bedacht und daher auch nicht ausdrücklich geregelt wurden, ist unter Berücksichtigung der übrigen Vertragsbestimmungen und des von den Parteien verfolgten Zwecks sowie unter Heranziehung der Verkehrssitte zu prüfen, welche Lösung redliche und vernünftige Parteien für diesen Fall vereinbart hätten (ergänzende Vertragsauslegung, RS0113932 [T3]; vgl auch RS0017758). Eine ergänzende Vertragsauslegung hat nur dann Platz zu greifen, wenn eine „Vertragslücke“ vorliegt, der Vertrag also planwidrig unvollständig geblieben ist (vgl RS0017829 [T2]). Eine solche „Vertragslücke“ kann auch erst durch die spätere Entwicklung entstehen (RS0017746 [T19]; RS0017899 [T19]). Selbst wenn man von der Notwendigkeit einer Regelung ausgeht, greift in einem solchen Fall primär das dispositive Recht ein, dessen Zweck es gerade ist, für im Vertrag nicht geregelte Fragen Regeln zur Verfügung zu stellen (RS0017829 [T1]; RS0017899 [T16]).

1.3. Die Zweifelsregel des § 915 ABGB kommt nur zur Anwendung, wenn die erklärte Absicht der Parteien mit den Auslegungsregeln des § 914 ABGB nicht ermittelt werden kann (RS0109295; RS0017951). Kann mit den Auslegungsregeln des § 914 ABGB das Auslangen gefunden werden, liegt der Fall des § 915 2. Halbsatz ABGB (undeutliche Äußerung) nicht vor (RS0017752).

2.1. Im vorliegenden Fall haben die Parteien in ihrem Liegenschaftskaufvertrag eine Besserungsklausel vereinbart, wonach dem Kaufpreis die maximal zu verbauende Nettogrundrissfläche des in der Bebauungsstudie ausgewiesenen Gebäudes von 10.405 m² zugrunde liegt; bei Erhöhung dieser Fläche solle sich der Kaufpreis um einen bestimmten Betrag je m² der Mehrung erhöhen. Grundlage der Vertragsverhandlungen waren einerseits die von der beklagten Käuferin vorgelegte Bebauungsstudie, wonach auf dem Bauplatz ein (in einem einzigen Gebäude untergebrachtes) orthopädisches Rehabilitationszentrum errichtet werde, und andererseits ein von der klagenden Verkäuferin eingeholtes Verkehrswertgutachten, dem diese Planung zugrunde lag und das ausdrücklich festhält, dass bei einer größeren Bebaubarkeit eine Neubewertung zu erfolgen habe.

Nach erfolgtem Verkauf hat die beklagte Käuferin auf der Liegenschaft (entgegen der ursprünglichen Bebauungsstudie) nicht nur das vorgesehene Gebäude, sondern noch ein weiteres Gebäude (für ein neurologisches Rehabilitationszentrum) errichtet. Der Kläger fordert nunmehr unter Berufung auf die vertragliche Besserungsklausel einen entsprechend höheren Kaufpreis, und zwar (mangels Bekanntgabe des nunmehrigen genauen Verbauungsausmaßes durch die Beklagte) im Wege der Stufenklage, gerichtet auf Rechnungslegung und anschließende Zahlung.

2.2. Die Beklagte hält dem (hinsichtlich der Rechnungslegung) stattgebenden Teilurteil des Berufungsgerichts in ihrer außerordentlichen Revision im Wesentlichen entgegen, die Besserungszusage habe sich nur auf den ursprünglich geplanten Gebäudekomplex, nicht aber auf den nachträglich realisierten weiteren Gebäudekomplex bezogen. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht eine ergänzende Vertragsauslegung vorgenommen (überdies mit falschem Ergebnis), weil sich schon aus dem eindeutigen Wortlaut der Besserungsklausel ergebe, dass diese nur auf den Bau des zunächst geplanten Gebäudekomplexes bezogen gewesen sei.

2.3. Das Berufungsgericht hat im Zusammenhang mit der Auslegung der gegenständlichen Vertragsbestimmung erwogen, dass die Formulierung der Besserungsklausel zwar durchaus aus der Sphäre des Klägers stamme, darin aber gerade keine Einschränkung auf die Errichtung des zunächst geplanten Gebäudekomplexes enthalten sei. Bei Abschluss des Kaufvertrags und der Vereinbarung des Kaufpreises seien die Parteien von einer maximal zu verbauenden Fläche ausgegangen und hätten dabei das vom Kläger beauftragte Gutachten zugrunde gelegt, das ausdrücklich festhalte, dass bei einer größeren Bebaubarkeit eine Neubewertung zu erfolgen habe. Wäre bereits bei Abschluss des Kaufvertrags bekannt gewesen, dass eine wesentlich größere Fläche verbaut werden könne, hätte das Gutachten einen höheren Verkehrswert ergeben, und redliche und vernünftige Vertragsparteien hätten – davon ausgehend – auch einen höheren Kaufpreis vereinbart. Sinn und Zweck der Besserungsklausel habe daher nur sein können, dass der Verkäufer bei einer Vergrößerung der bebauten Fläche eine entsprechende Nachzahlung zum Kaufpreis erhalte.

3.1. Fragen der Vertragsauslegung kommt in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Sofern keine auffallende Fehlbeurteilung, also eine krasse Verkennung der Auslegungsgrundsätze vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss, entziehen sie sich zufolge ihrer Einzelfallbezogenheit im Allgemeinen generellen Aussagen (RS0044298 [T39]).

3.2. Eine derartige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts bei seiner Vertragsauslegung liegt hier nicht vor. Dass sich danach die Besserungsklausel auf sämtliche Neubauten bezieht und nicht nur auf den zunächst geplanten Gebäudekomplex, ist schon deshalb plausibel, weil die Machbarkeitsstudie, die Grundlage für das vom Kläger beauftragte Sachverständigengutachten zur Ermittlung des Verkehrswerts des Bauplatzes war, von der Beklagtenseite stammte. Unter diesen Umständen ist der Wunsch nach Absicherung des Verkäufers durch diese Klausel somit nachvollziehbar, und es ist kein Grund ersichtlich, weshalb eine Kaufpreiserhöhung nur für jenen Fall zu gelten hätte, dass das ursprünglich geplante Bauwerk geringfügig größer ausfällt als geplant, nicht aber für den Fall, dass sogar ein weiterer Gebäudekomplex errichtet wird.

Die Revision ist daher in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen zurückzuweisen.

Textnummer

E128478

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00052.20F.0422.000

Im RIS seit

09.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.07.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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