TE Vfgh Erkenntnis 1996/6/10 B3413/95

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Veröffentlicht am 10.06.1996
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §6 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Privat- und Familienleben durch die Versagung der Aufenthaltsbewilligung mit der Begründung der verspäteten Antragstellung; verfassungskonforme Auslegung hinsichtlich der Zulässigkeit einer Antragstellung vom Inland aus aufgrund der persönlichen Verhältnisse des Antragstellers geboten

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen seines Rechtsvertreters, die mit S 18.000,- bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des ehemaligen Jugoslawien, lebt seit 1985 in Österreich und verfügt seitdem jeweils über gültige Sichtvermerke. Er ist mit einer österreichischen Staatsbürgerin seit 1988 verheiratet und hat mit ihr drei gemeinsame Kinder, die ebenfalls österreichische Staatsbürger sind, er ist in Wien beschäftigt.

2. Der letzte Sichtvermerk für den Beschwerdeführer lief am 6. März 1993 ab. Dem unwidersprochen gebliebenen Beschwerdevorbringen zufolge wurde dem Beschwerdeführer, als er am 9. März 1993 versuchte, einen Antrag auf Verlängerung des Sichtvermerkes bei der zuständigen Fremdenpolizeibehörde einzubringen, zuerst eine Verlängerung seines zum Zeitpunkt der beabsichtigten Antragstellung noch gültigen Reisepasses und danach die Verlängerung des ebenfalls noch gültigen Befreiungsscheines aufgetragen. Er versuchte danach die Einbringung durch seine Ehefrau; als er persönlich vorsprechen wollte, wurde ihm mitgeteilt, daß aufgrund des (am 1. Juli 1993) in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetzes eine andere Behörde, nämlich die Magistratsabteilung 62, zuständig sei. Daraufhin stellte der Beschwerdeführer am 2. Juli 1993 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. In der Folge wurde dem Beschwerdeführer jedoch mitgeteilt, daß der Antrag nicht weiter bearbeitet werden könne (nachdem er Mitte August zu einer Verhandlung geladen worden war), da er nur noch einen Erstantrag vom Ausland aus stellen könne. Der Beschwerdeführer stellte daher am 4. Mai 1994 bei der Österreichischen Botschaft Preßburg einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung.

Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 24. August 1994 mit der Begründung abgewiesen, daß der Antrag durch einen Dritten eingebracht worden sei, und sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung im Inland befunden habe.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit der Begründung, daß sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung im Inland befunden habe und sich seit Ablauf seines Sichtvermerkes illegal im Inland aufhalte (§6 Abs2 Aufenthaltsgesetz - AufG, BGBl. 466/1992 idF BGBl. 838/1992 und §5 Abs1 AufG iVm §10 Abs1 Z4 Fremdengesetz - FrG, BGBl. 838/1992), mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. September 1995 abgewiesen.

3. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, mit der insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

4. Der Bundesminister für Inneres hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid greift in das dem Beschwerdeführer gemäß Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwandte; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewandten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 16. Juni 1995, B 1611-1614/94, dargelegt hat, ist in den - vom Regelungssystem des §6 Abs2 AufG nicht erfaßten - Fällen, in denen sich Fremde zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, abhängig von der jeweiligen Gestaltung des Falles, im Wege der Analogie entweder die Regelung des §6 Abs2 erster Satz AufG, wonach Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vom Ausland aus zu stellen sind, oder aber §6 Abs2 zweiter Satz AufG, wonach solche Anträge auch vom Inland aus gestellt werden können, anzuwenden.

3. Die belangte Behörde hat im Falle des Beschwerdeführers, der bereits seit 10 Jahren rechtmäßig in Österreich lebt, mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet ist - auch die drei gemeinsamen Kinder sind österreichische Staatsbürger - und der hier beschäftigt und sozial integriert ist, durch die Versagung der Aufenthaltsbewilligung mit der Begründung der verspäteten Antragstellung dem §6 Abs2 AufG einen verfassungswidrigen, weil gegen Art8 EMRK verstoßenden Inhalt unterstellt.

Der angefochtene Bescheid war daher aus diesem Grunde aufzuheben.

III. Die Kostenentscheidung

gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von S 3.000,- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B3413.1995

Dokumentnummer

JFT_10039390_95B03413_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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