Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AVG §39Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und MMag. Ginthör sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des Q R F, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. März 2020, W260 2200666-1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der aus Afghanistan stammende Revisionswerber stellte am 14. Juni 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Mit Bescheid vom 4. Juni 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte es mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die gegen den Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 30. März 2020 als unbegründet ab und erklärt die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Die Revision wendet sich in ihrem Vorbringen zur Begründung ihrer Zulässigkeit gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten und macht im Rahmen der Bekämpfung der Beweiswürdigung geltend, bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit seien die Minderjährigkeit des Revisionswerbers sowie der Umstand, dass die Erstbefragung nicht den vorwiegenden Zweck habe, sich mit der Fluchtgeschichte zu beschäftigen, zu berücksichtigen.
8 Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtsicherheit beeinträchtigenden Weise vorgenommen hat (vgl. dazu VwGH 19.5.2020, Ra 2019/14/0599, mwN). Die Beweiswürdigung ist damit nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 13.5.2020, Ra 2020/20/0133).
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl ist es aber nicht generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429, mwN).
10 Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist es weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zwischen der Erstbefragung und späteren Angaben einzubeziehen; es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind (vgl. VwGH 12.8.2019, Ra 2019/20/0366, mwN).
11 Das Bundesverwaltungsgericht hat im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, weshalb es davon ausging, dass die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers auch auf den Umstand, dass dieser sein späteres Fluchtvorbringen in der Erstbefragung, in der er das Verlassen des Heimatstaates mit Armut und der unsicheren Lage begründete, mit keinem Wort erwähnt habe, zurückzuführen sei. Es stützte sich in seinen beweiswürdigenden Überlegungen aber - entgegen dem Revisionsvorbringen - nicht ausschließlich auf die Nichterwähnung des ausreisekausalen Vorfalles in der Erstbefragung, sondern darüber hinaus auf zusätzliche, für sich tragende Erwägungen. Das Bundesverwaltungsgericht nahm im Erkenntnis zudem auf das geringe Alter des Revisionswerbers an mehreren Stellen Bezug, setzte sich - nach Durchführung einer Verhandlung - mit dem Fluchtvorbringen des (im Zeitpunkt der Verhandlung volljährigen) Revisionswerbers ausführlich auseinander und stufte dieses anhand näher dargelegter, nicht als unschlüssig anzusehender Überlegungen (Ungereimtheiten und Unstimmigkeiten bei der eigentlichen Fluchtgeschichte) als unglaubwürdig ein.
12 Es gelingt dem Revisionswerber mit seinem Vorbringen nicht, darzulegen, dass die Beweiswürdigung an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leidet. Er versucht letztlich lediglich aufzuzeigen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre, was aber nach dem oben Gesagten im Revisionsverfahren nicht weiter beachtlich ist.
13 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiters vor, das Bundesverwaltungsgericht habe bei der Annahme des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif zwar Feststellungen zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus getroffen, die sich auf den Stand in Österreich und Afghanistan am 30. März 2020 hinsichtlich der Zahl der Erkrankungen, Todesfälle und zum allgemeinen Verlauf der Krankheit bezogen hätten. Zu diesem Zeitpunkt sei aber schon klar gewesen, dass die Verbreitung von Covid-19 in Afghanistan die Situation für die Bevölkerung und in der Folge auch die Rückkehrsituation für Rückkehrer aus Europa, Pakistan und dem Iran massiv verändere. Im Sinne der Aktualität der Länderfeststellungen hätte nicht nur ein kurzer Abriss beschränkt aussagekräftiger Zahlen wiedergegeben werden, sondern die Beeinflussung der Lebensumstände und die Situation für potentielle Rückkehrer aus Europa umfassend untersucht und neu beurteilt werden müssen; vor allem unter Berücksichtigung, dass der Revisionswerber Afghanistan als Minderjähriger verlassen habe und zuvor noch nicht am Arbeitsmarkt in Afghanistan tätig gewesen sei.
14 Werden Verfahrensmängel - wie hier Feststellungs- und Ermittlungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 26.2.2020, Ra 2020/20/0049, mwN). Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 9.1.2020, Ra 2019/19/0550, mwN). Eine dem Genüge tuende Relevanzdarlegung ist der Revision jedoch nicht zu entnehmen.
15 Bei der Prüfung, ob dem Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht, berücksichtigte das Bundesverwaltungsgericht Länderberichte, die EASO-Guidelines von Juni 2019 wie auch die UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018. Es kam vor dem Hintergrund der fallbezogenen, die individuelle Situation des Revisionswerbers näher beleuchtenden Feststellungen, wonach der junge, gesunde, arbeitsfähige und mittlerweile volljährige Revisionswerber, der über Schulbildung und im Bundesgebiet gesammelte Arbeitserfahrung verfüge und mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und der dortigen Sprache vertraut sei, zum Ergebnis, dass dieser in der Stadt Mazar-e Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative vorfinde, deren Inanspruchnahme ihm auch ohne soziales Netz zumutbar sei (vgl. zum Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001; 26.3.2020, Ra 2019/14/0079, jeweils mwN). Dieser Beurteilung setzt die Revision nichts Stichhaltiges entgegen.
16 Das Bundesverwaltungsgericht traf im Rahmen dieser Prüfung auch Feststellungen zur Situation in Bezug auf Covid-19 mit Stand 30. März 2020 (dem Datum des Erkenntnisses) zu den bestätigten Krankheitsfällen in Österreich (8.958)und Afghanistan (ca. 40) und beschrieb den Verlauf einer solchen Viruserkrankung, vor allem im Hinblick auf Risiokogruppen. Weiters führte es aus, dass der Revisionswerber nicht Angehöriger einer Risikogruppe sei.
17 Abgesehen davon, dass die Revision den dazu getroffenen Feststellungen nicht entgegentritt, beruft sie sich zur wirtschaftlichen Situation in Afghanistan auf einen „aktuellen Situationsbericht in Bezug auf Covid-19“ von F. S. vom 27. März 2020 hinsichtlich der Auswirkungen der Pandemie auf die Situation der Menschen vor Ort und von Rückkehrern.
18 Es mag - abgesehen davon, dass ein Ermittlungsmangel nicht erkennbar ist - zutreffen, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in Afghanistan aufgrund der Maßnahmen gegen die Verbreitung von Covid-19 verschlechtert haben. Um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es aber nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist (vgl. VwGH 28.4.2020, Ra 2020/14/0158 bis 0161, mwN). Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (VwGH 22.4.2020, Ra 2020/18/0098, mwN).
19 Die Revision vermag mit den pauschalen, auf die allgemeine Situation in Afghanistan bezogenen Ausführungen nicht darzutun, dass das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Beurteilung von diesen Leitlinien abgewichen wäre. Zum Einen zeigt sie nicht fallbezogen und konkret den Revisionswerber betreffend auf, welche individuellen Feststellungen zur Person des Revisionswerbers mit Blick auf die „Covid-19 Situation“ zu treffen gewesen wären. Zum Anderen legt die Revision mit ihrem Hinweis auf den oben genannten „Situationsbericht in Bezug auf Covid-19“ weder dar, dass in der Stadt Mazar-e Sharif solche exzeptionellen Umstände vorlägen, die eine Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte des Revisionswerbers darstellten, noch dass dem - ungeachtet der schwierigeren wirtschaftlichen Lage - gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerber eine Ansiedlung unter Berücksichtigung der aktuellen Lage - auch in Bezug auf die Sicherheitslage - dort nicht zumutbar wäre (vgl. VwGH 27.5.2020, Ra 2019/14/0394, mwN).
20 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - zurückzuweisen.
Wien, am 23. Juni 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200188.L00Im RIS seit
22.07.2020Zuletzt aktualisiert am
22.07.2020