Entscheidungsdatum
27.02.2019Index
E1MNorm
12010M019 EUV Art19 Abs1Text
Das Verwaltungsgericht Wien stellt aufgrund der Beschwerde der A. OG gegen den Spruchpunkt II) der Bescheidausfertigung des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den ... Bezirk, vom 19.6.2018, GZ: ..., mit welchem gemäß § 25 Abs. 5 Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz (BUAG) über den Einspruch der A. OG vom 24.5.2018 gegen den Rückstandsausweis der Bauarbeiter-Abfertigungs- und Urlaubskasse vom 25.4.2018 zur Zl. ..., aufgrund dessen am 27.4.2018 die gerichtliche Exekution zur Zl. ... bewilligt worden ist, nachfolgenden Vorabentscheidungsantrag an den Gerichtshof der Europäischen Union:
1) Sind Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV i.V.m. Art. 47 der Charta wie auch der Effektivitätsgrundsatz zumindest im Hinblick auf eine nationale Rechtsordnung, welche zum Zwecke der Absicherung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Gerichte in ihrer Verfassung ein Grundrecht auf die richterliche Geschäftszuteilung nach einer im Voraus nach allgemeinen Regeln bestimmten festen Geschäftsverteilung festschreibt, dahingehend auszulegen, dass der Gesetzgeber sicherstellen muss, dass diese grundrechtliche Garantie effektiv und nicht bloß theoretisch ist ?
1a) Zusatzfrage: Im Falle der Verneinung der Frage 1):
Gebieten Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV i.V.m. Art. 47 der Charta wie auch der Effektivitätsgrundsatz in einer das Grundrecht der festen Geschäftsverteilung in der Verfassung verankert habenden nationalen Rechtsordnung irgendwelche Gewährleistungspflichten des Gesetzgebers, und wenn ja, welche?
1b) Zusatzfragen: Im Falle der Bejahung der Frage 1)
1b- 1) Gebieten Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV i.V.m. Art. 47 der Charta wie auch der Effektivitätsgrundsatz zumindest hinsichtlich einer das Grundrecht der festen Geschäftsverteilung in der Verfassung verankert habenden nationalen Rechtsordnung die Nichtbeachtung einer die Aktenzuweisung an einen Richter betreffenden Anweisung bzw. Handlung durch ein nach dem Gesetz zu dieser Anweisung bzw. Handlung unzuständigen Organ?
1b- 2) Gebieten Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV i.V.m. Art. 47 der Charta wie auch der Effektivitätsgrundsatz zumindest hinsichtlich einer das Grundrecht der festen Geschäftsverteilung in der Verfassung verankert habenden nationalen Rechtsordnung, dass die innergerichtliche Geschäftsordnung einem mit der Zuteilung von Gerichtsakten befassten Organ wenn überhaupt, dann nur ein bereits im Voraus bestimmter enger Ermessensspielraum im Hinblick auf die Zuteilungsentscheidung eingeräumt werden darf?
2) Sind Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV i.V.m. Art. 47 der Charta wie auch der Effektivitätsgrundsatz zumindest im Hinblick auf eine nationale Rechtsordnung, welche zum Zwecke der Absicherung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Gerichte in ihrer Verfassung ein Grundrecht auf die richterliche Geschäftszuteilung nach einer im Voraus nach allgemeinen Regeln bestimmten festen Geschäftsverteilung festschreibt, dahingehend auszulegen, dass ein Richter, welcher Bedenken 1) gegen die Rechtmäßigkeit einer innergerichtlichen Geschäftsverteilung bzw. 2) gegen die Rechtmäßigkeit einer eine innergerichtliche Geschäftsverteilung vollziehenden innergerichtlichen, die Tätigkeit dieses Richters unmittelbar tangierenden Entscheidung (insbesondere Geschäftssachenzuweisungsentscheidung) hat, im Hinblick auf dieses Bedenken ein (diesen Richter insbesondere nicht finanziell belastendes) Rechtsmittel an ein anderes Gericht erheben können muss, welches über die volle Kognition zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des als rechtswidrig eingestuften Rechtsakts verfügt?
Verneinendenfalls: Gibt es irgendwelche andere vom Gesetzgeber zu gewährleistende Vorgaben, die sicherstellen, dass ein Richter in die Lage versetzt ist, die Rechtmäßigkeit der Einhaltung der ihn betreffenden gesetzlichen Vorgaben der Beachtung der gesetzlichen (insbesondere innergerichtlichen) Vorgaben der Geschäftszuteilung zu erreichen?
3) Sind Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV i.V.m. Art. 47 der Charta wie auch der Effektivitätsgrundsatz zumindest im Hinblick auf eine nationalen Rechtsordnung, welche zum Zwecke der Absicherung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Gerichte in ihrer Verfassung ein Grundrecht auf die richterliche Geschäftszuteilung nach einer im Voraus nach allgemeinen Regeln bestimmten festen Geschäftsverteilung festschreibt, dahingehend auszulegen, dass eine Partei eines Gerichtsverfahrens, welche Bedenken 1) gegen die Rechtmäßigkeit einer für die Erledigung ihres Verfahrens präjudiziellen Bestimmung der innergerichtlichen Geschäftsverteilung bzw. 2) gegen die Rechtmäßigkeit der Zuweisung dieses Verfahrens an einen bestimmten Richter hat, noch vor der Erlassung der Gerichtsentscheidung im Hinblick auf dieses Bedenken ein (diese Partei finanziell nicht übermäßig belastendes) Rechtsmittel an ein anderes Gericht erheben können muss, welches über die volle Kognition zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des als rechtswidrig eingestuften Rechtsakts verfügt?
Verneinendenfalls: Gibt es irgendwelche andere vom Gesetzgeber zu gewährleistende Vorgaben, die sicherstellen, dass eine Partei noch vor Erlassung der Gerichtsentscheidung in die Lage versetzt ist, die Rechtmäßigkeit der Einhaltung deren Grundrechts auf Beachtung des „gesetzlichen Richters“ zu erreichen?
4) Sind Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV i.V.m. Art. 47 der Charta wie auch der Effektivitätsgrundsatz zumindest im Hinblick auf eine nationalen Rechtsordnung, welche zum Zwecke der Absicherung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Gerichte in ihrer Verfassung ein Grundrecht auf die richterliche Geschäftszuteilung nach einer im Voraus nach allgemeinen Regeln bestimmten festen Geschäftsverteilung festschreibt, dahingehend auszulegen, dass die gerichtsinterne Geschäftsverteilung und die gerichtsinterne Akteneinlaufsdokumentation derart transparent und nachvollziehbar gestaltet sind, dass der Richter bzw. eine Partei ohne besonderen Aufwand in die Lage versetzt ist, die Übereinstimmung der konkreten Aktenzuteilung zu einem Richter bzw. einem bestimmten Richtersenat mit den Vorgaben der innergerichtlichen Geschäftseinteilung zu überprüfen?
Verneinendenfalls: Gibt es irgendwelche andere vom Gesetzgeber zu gewährleistende Vorgaben, die sicherstellen, dass ein Richter bzw. eine Partei in die Lage versetzt ist, sich Kenntnis von der Rechtmäßigkeit einer bestimmten Gerichtssachenzuteilung verschaffen zu können?
5) Sind Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV i.V.m. Art. 47 der Charta wie auch der Effektivitätsgrundsatz zumindest im Hinblick auf eine nationalen Rechtsordnung, welche zum Zwecke der Absicherung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Gerichte in ihrer Verfassung ein Grundrecht auf die richterliche Geschäftszuteilung nach einer im Voraus nach allgemeinen Regeln bestimmten festen Geschäftsverteilung festschreibt, dahingehend auszulegen, dass die Verfahrensparteien und der Richter eines Gerichtsverfahrens ohne besonderes eigenes Zutun in die Lage versetzt sein müssen, die Regelungen der Geschäftsverteilung inhaltlich nachzuvollziehen, sowie dass die Verfahrensparteien und der Richter auf diese Weise in der Lage sein muss, die Rechtmäßigkeit der erfolgten Zuteilung der Geschäftssache zu einem Richter bzw. bestimmten Richtersenat zu überprüfen
Verneinendenfalls: Gibt es irgendwelche andere vom Gesetzgeber zu gewährleistende Vorgaben, die sicherstellen, dass ein Richter bzw. eine Partei in die Lage versetzt wird, sich Kenntnis von der Rechtmäßigkeit einer bestimmten Gerichtssachenzuteilung verschaffen zu können?
6) Welche Handlungspflichten treffen einen Richter in Anbetracht seiner unionsrechtlichen Verpflichtung zur Beachtung der unionsrechtlichen Verfahrensvorgaben, welcher durch einen von ihm nicht bekämpfbaren (außergerichtlichen oder innergerichtlichen) Rechtsakt zu einer gegen das Unionsrecht verstoßenden und Parteienrechte verletzenden Handlung verpflichtet wird?
1. Maßgebliche rechtliche Bestimmungen und relevante Judikatur:
1.1. Rechtsnormen des EU-Rechts:
Art. 19 Abs. 1 und 2 EUV lautet wie folgt:
„(1) Der Gerichtshof der Europäischen Union umfasst den Gerichtshof, das Gericht und Fachgerichte. Er sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge.
Die Mitgliedstaaten schaffen die erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.
(2) Der Gerichtshof besteht aus einem Richter je Mitgliedstaat. Er wird von Generalanwälten unterstützt.
Das Gericht besteht aus mindestens einem Richter je Mitgliedstaat.
Als Richter und Generalanwälte des Gerichtshofs und als Richter des Gerichts sind Persönlichkeiten auszuwählen, die jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten und die Voraussetzungen der Artikel 253 und 254 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union erfüllen. Sie werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt. Die Wiederernennung ausscheidender Richter und Generalanwälte ist zulässig.“
Art. 31 der Charta samt Überschrift lautet wie folgt:
„Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen
(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen.
(2) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub.“
Art. 47 der Charta samt Überschrift lautet wie folgt:
„Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht
(1) Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.
(2) Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.
(3) Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.“
Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (kurz: RL 2003/88/EG) lautet:
"Jahresurlaub
(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.
(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden."
Nach Art. 17 dieser Richtlinie können die Mitgliedstaaten von bestimmten Bestimmungen dieser Richtlinie abweichen. Im Hinblick auf die Regelung des Art. 7 dieser Richtlinie ist allerdings keine Abweichung erlaubt.
1.2. Judikatur des Gerichtshofs zum Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88:
Nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 i.V.m. Art. 31 Abs. 2 der Charta hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen. Dieser Anspruch ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen.1
Dieser jedem Arbeitnehmer zustehende Anspruch ist zudem in Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte primärrechtlich ausdrücklich verankert.2
Die durch diese Bestimmung garantierten Ansprüche auf Jahresurlaub und auf Zahlung des Urlaubsentgelts stellen zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs dar.3 Zudem hat der Gerichtshof klargestellt, dass der Ausdruck „bezahlter Jahresurlaub“ in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 bedeutet, dass das Arbeitsentgelt für die Dauer des „Jahresurlaubs“ im Sinne dieser Richtlinie weiter zu gewähren ist, und dass der Arbeitnehmer für diese Ruhezeit das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten muss.4
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs wird mit dem in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 verankerten Anspruch auf Jahresurlaub der Zweck verfolgt, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen.5 Dementsprechend soll der garantierte Anspruch auf ein bezahltes Urlaubsentgelt es dem Arbeitnehmer ermöglichen, den Urlaub, auf den er Anspruch hat, auch tatsächlich zu nehmen.6
Zudem ergibt sich insbesondere aus dem ersten, vierten, siebten und achten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/08, dass diese auch das Ziel der Angleichung der innerstaatlichen Arbeitszeitvorschriften verfolgt.7
Aus dem Wortlaut des Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass es die Pflicht der Mitgliedstaaten ist, in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Voraussetzungen für die Wahrnehmung und die Umsetzung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub festzulegen und dabei die konkreten Umstände zu bezeichnen, unter denen die Arbeitnehmer diesen Anspruch geltend machen können.8 Insbesondere haben die Mitgliedstaaten geeignete gesetzliche Maßnahmen zu setzen, um mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG unvereinbare Praktiken zu unterbinden.9
1.3. Darstellung der relevanten Vorschriften des Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetzes und Ausführungen zur deren Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG:
Die Umsetzung des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG für einen gesetzlich näher bestimmten Kreis von in der Bauwirtschaft beschäftigten Arbeitnehmern (vgl. die §§ 2 und 3 BUAG) erfolgt durch die §§ 4 bis 12, 22 bis 23, 24 bis 29a Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz (BUAG)10:
Der gegenständlich bekämpfte und den Gegenstand des anhängigen Beschwerdeverfahrens bildende Bescheid wurde auf Grundlage der Bestimmung des § 25 BUAG erlassen. Durch diese Bestimmung wird der durch § 14 Abs. 2 BUAG als öffentliche Rechtsträgerin eingerichteten „Bauarbeiter Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK)“ das Recht zugesprochen, Bauunternehmen „Zuschläge“ und „Nebengebühren“ vorzuschreiben. Im Falle der Nichtbezahlung dieser „Zuschläge“ bzw. „Nebengebühren“ wird der Bauarbeiter Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) durch § 25 Abs. 3 BUAG das Recht zur Erlassung eines Rückstandsausweises zuerkannt. Bei einem Rückstandsausweis handelt es sich um einen hoheitlichen Rechtsakt, mit welchem eine fällige Forderung einer im Regelfall öffentlich-rechtlichen Körperschaft festgestellt wird. Wenn dieser Rückstandsausweis nicht beeinsprucht wird, ist dieser ein gültiger Exekutionstitel, und somit insbesondere in einem gerichtlichen Exekutionsverfahren vollstreckbar.
Gegen einen Rückstandsausweis gemäß § 25 Abs. 3 BUAG kann das durch diesen belastete Bauunternehmen ein Rechtsmittel namens „Einspruch“ an die Bezirksverwaltungsbehörde einbringen, welche sodann über diesen Einspruch mit einem Bescheid abzusprechen hat. Gegen einen solchen Bescheid steht dem belasteten Bauunternehmer gemäß Art. 132 i.V.m. Art. 130 und Art. 131 B-VG11 das Rechtsmittel der „Beschwerde“ an das zuständige Landesverwaltungsgericht zu. Solch eine Beschwerde ist der Gegenstand des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Wien.
Die Höhe der von der Bauarbeiter Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) durch einen Rückstandsausweis einem Bauunternehmen regelmäßig vorschreibbaren Forderung namens „Zuschlag“ wird durch die Bestimmungen der §§ 21 und 21a BUAG näher geregelt. § 25 Abs. 4 BUAG bestimmt die Höhe der von der Bauarbeiter Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) vorschreibbaren „Nebengebühr“.
Durch diese gesetzlich normierten Zahlungspflichten von Bauunternehmungen („Zuschlag“ und „Nebengebühr“) erfolgt die Finanzierung der Bauarbeiter Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK), deren Aufgabe wiederum darin besteht, bestimmte Entgeltansprüche, welche ein Dienstnehmer des verpflichteten Bauunternehmens gegen dieses Bauunternehmen hat, anstelle des verpflichteten Bauunternehmens dem Dienstnehmer dieses Bauunternehmens auszuzahlen. So normiert § 8 Abs. 1 letzter Satz BUAG, dass „der Anspruch [des Arbeitnehmers] auf Urlaubsentgelt sich gegen die Urlaubs- und Abfertigungskasse (richtet)“. Daher hat auch ein Arbeitnehmer, welchen ein Urlaubsentgelt ausbezahlt erhalten will, gemäß § 8 Abs. 2 BUAG bei der Bauarbeiter Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) einen entsprechenden Auszahlungsantrag einzubringen. Die Bauarbeiter Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) nimmt daher insbesondere im Umfang dieser (durch Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG garantierten) Arbeitnehmerentgeltansprüche eine Zahlerfunktion für das zur Zuschlags- und Nebengebührenzahlung verpflichtete Bauunternehmen wahr.12
Zu der von der Bauarbeiter Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) für die jeweiligen Bauunternehmer wahrzunehmenden Entgeltauszahlungsaufgabe zählt auch die Auszahlung der einem Arbeitnehmer zustehenden Urlaubsentgelte (vgl. § 8 BUAG) bzw. Urlaubsersatzleistungen (vgl. § 9 BUAG). Zudem erfolgt durch die §§ 4 bis 7 BUAG die nähere Konkretisierung der einem Arbeitnehmer eines durch die §§ 2 und 3 BUAG erfassten Bauunternehmens gegenüber dessen Dienstgeber geltend machbaren Urlaubsgewährungsansprüche (daher der geltend machbaren Urlaubsruhezeitansprüche).
Diese Art der Umsetzung der Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG durch die Zwischenschaltung einer Garantieeinrichtung erfolgt nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs in Übereinstimmung mit dem durch diese Richtlinienbestimmung verfolgten Schutzziel des Arbeitnehmerschutzes13 und werden die Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG durch viele nationale Rechtsordnungen auf diese Weise umgesetzt14.
Weiters hat der Gerichtshof zur Rolle der nationalen Gerichte bei einem Verfahren über eine Rechtsstreitigkeit zwischen Privatpersonen, in dem sich zeigt, dass die fragliche nationale Regelung gegen das Unionsrecht verstößt, klargestellt, dass es diesen Gerichten obliegt, den Rechtsschutz sicherzustellen, der sich für den Einzelnen aus den unionsrechtlichen Bestimmungen ergibt, wobei die nationalen Gericht die volle Wirkung der unionsrechtlichen Bestimmungen zu gewährleisten haben.15 In diesem Zusammenhang sind die Mitgliedstaaten auch verpflichtet, einem Arbeitnehmer die Möglichkeit der Wahrnehmung eines wirksamen Rechtsbehelfs i.S.d. Art. 47 der Charta einzuräumen.16
Wenn man sich vor Augen hält, dass die nach der oa Judikatur des Gerichtshofs zulässige Umsetzungsvariante der Zwischenschaltung einer Garantieeinrichtung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber auch Rechte und Pflichten im Verhältnis zwischen einer Garantieeinrichtung und einem Arbeitnehmer wie auch zwischen einer Garantieeinrichtung und einem Arbeitgeber schafft, kann im Lichte der Vorgaben des Art. 47 der Charta nach Ansicht des antragstellenden Gerichts nichts anderes für Rechtsstreite zwischen einem Arbeitnehmer und einer Garantieeinrichtung bzw. zwischen einem Arbeitgeber und einer Garantieeinrichtung gelten. Auch im Hinblick auf diese Rechtsverhältnisse haben daher die Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und der sonstigen unionsrechtlichen Bestimmungen (insbesondere von den Gerichten) beachtet zu werden.
Im Übrigen hat der Gerichtshof auch ausgesprochen, dass ein Vollstreckungsverfahren im Hinblick auf einen Hoheitsakt, durch welchen EU-Recht durchgeführt wurde, auch in Durchführung von EU-Recht ergeht.17
1.4. nationale Verfassungslage der Garantie des gesetzlichen Richters und des Gebots der festen Geschäftsverteilung im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit und dazu ergangene relevante Judikatur des österreichischen Verfassungsgerichtshofs:
Gemäß Art. 135 Abs. 2 Bundesverfassungsgesetz (B-VG)18 sind die von einem Verwaltungsgericht zu vollziehenden Verfahren nach einer festen und für ein Kalenderjahr im Voraus bestimmten Geschäftsverteilung den einzelnen Gerichtsabteilungen (Richtern) zuzuweisen. Auch bestimmt Art. 135 Abs. 2 B-VG, dass eine für ein Kalenderjahr erlassene Geschäftsverteilung nur in wenigen Sonderkonstellationen abgeändert werden darf. In allen Angelegenheiten der Geschäftsverteilung darf demnach nur ein eigens für diese Angelegenheiten eingerichtetes gerichtliches Kollegialorgan (Geschäftsverteilungsausschuss) Entscheidungen treffen. Nach dem Verständnis der österreichischen Bundesverfassung ist das Prinzip der „festen Geschäftsverteilung“ bei Gerichten eine zentrale Schutzbestimmung zur Sicherung der gerichtlichen Unabhängigkeit und zur Unterbindung von unsachlichen Einflussnahmen auf die gerichtliche Geschäftserledigung. Auch dient diese Regelung der Sicherung des äußeren Anscheins der verfassungsrechtlich (insbesondere die Verfassungsbestimmungen des Art. 83 Abs. B-VG19 und des Art. 6 Abs. 1 EMRK) garantierten Unparteilichkeit bzw. Unabhängigkeit der Gerichte. Daher stuft der Verfassungsgerichtshof jede Gerichtsentscheidung, welche von einem nach der gerichtlichen Geschäftsverteilung für das konkrete Gerichtsverfahren unzuständigen Richter getroffen worden ist als verfassungswidrig ein, und hebt diese Entscheidung deshalb auf, damit über diese Angelegenheit sodann der Richter, welcher nach der Geschäftsverteilung zuständig ist, entscheidet.20 Auch der Verwaltungsgerichtshof stuft eine von einem entgegen der Vorgaben der Geschäftsverteilung zuständig gemachten Richter erlassene Entscheidung als rechtswidrig ein, und hebt diese wegen Unzuständigkeit des Richters auf.21 Die Bestimmung des Art. 135 Abs. 2 B-VG wurde im Wesentlichen durch die §§ 14 und 18 des Gesetzes über das Verwaltungsgericht Wien (VGWG)22 umgesetzt.
Aufgrund der obangeführten Vorgaben des Art. 135 Abs. 2 B-VG und des § 18 VGWG wurde vom Geschäftsverteilungsausschuss des Verwaltungsgerichts Wien für das Jahr 2018 eine Geschäftsverteilung erlassen, in welcher insbesondere die Aktenzuteilung an Richter und die Aktenabnahme von einem Richter abschließend geregelt ist.23 Gemäß dem Punkt B 2 der Geschäftsverteilung darf ein einem Richter einmal zugeteilter Akt nur aufgrund eines vom gesamten Kollegialorgan „Geschäftsverteilungsausschuss“ zu fassenden Beschlusses abgenommen werden. Punkt B 4.1 wiederum normiert, wie im Falle einer nach Ansicht eines Richters erfolgten Fehlzuteilung eines Akts an diesen vorzugehen ist. Diesfalls hat der Richter die Pflicht, einen als „Unzuständigkeitseinrede“ bezeichneten Rechtsakt zu setzen, in welchem der Richter seine Annahme begründen muss, und zum Ausdruck bringen muss, wie die Aktenzuteilung korrekt erfolgen hätte müssen.
Auf Grundlage der Begründung dieser „Unzuständigkeitseinrede“ ist sodann unverzüglich vom Gerichtsprotokoll der diesem Richter zugewiesene Gerichtsakt erneut einem Richter zuzuweisen. Kein Gerichtsorgan ist befugt anzuordnen, dass diese aufgrund der Ausführungen der Begründung der „Unzuständigkeitseinrede“ vorzunehmende neuerliche Aktenzuweisung nach anderen Kriterien, als in der Begründung der „Unzuständigkeitseinrede“ dargelegt, zu erfolgen hat. Schon gar nicht darf ein Gerichtsorgan verfügen, dass diese neuerliche Aktenzuweisung zu unterbleiben hat. Als Korrektiv einer Fehleinschätzung dieses eine (erste) „Unzuständigkeitseinrede“ erhoben habenden Richters normiert die Geschäftsverteilung, dass auch der Richter, welchem aufgrund dieser (ersten) „Unzuständigkeitseinrede“ der Gerichtsakt zugewiesen worden ist, eine (zweite) „Unzuständigkeitseinrede“ einzubringen hat, wenn seines Erachtens auch dieser (zweite) Richter zur Aktenerledigung unzuständig ist. Nur in diesem Fall hat der Vorsitzende des Kollegialorgans „Geschäftsverteilungsausschuss“ (das ist der Gerichtspräsident) eine Befugnis, auf die Zuteilung des jeweiligen Gerichtsakts Einfluss zu nehmen. Nur diesfalls hat der Gerichtspräsident nämlich die Befugnis (und Pflicht) zu entscheiden, welcher Richter nach welcher konkreten Bestimmung der Geschäftsverteilung zur Aktenerledigung zuständig ist. Diese Entscheidung ist den betroffenen Richtern als Verfahrensparteien der beiden Unzuständigkeitseinredeverfahren zuzustellen.
1.5. relevante Judikatur des Gerichtshofs der Union zu Art. 7 der Charta bzw. zu Art. 6 Abs. 1 EMRK:
Art. 47 der Charta gewährleistet den durch Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 13 EMRK verankerten Grundrechtsschutz im Unionsrecht. Daher hat der Europäische Gerichtshof in seiner Judikatur lediglich Art. 47 der Charta heranzuziehen.24
Der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der auch im Art. 47 der Charta zum Ausdruck kommt.25
Nach Art. 47 Abs. 1 der Charta hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Nach Art. 47 Abs. 2 hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.
Nach den Erläuterungen zu Art. 47 der Charta, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Charta für deren Auslegung zu berücksichtigen sind, stützt sich Art. 47 Abs. 1 der Charta auf Art. 13 der am 4.11.1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), und entspricht Art. 47 Abs. 2 der Charta Art. 6 Abs. 1 EMRK.26
Nach Art. 2 EUV gründet sich die Union auf Werte wie die Rechtsstaatlichkeit, die allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft, die sich u. a. durch Gerechtigkeit auszeichnet, gemeinsam sind. Das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten und insbesondere zwischen deren Gerichten beruht auf der Prämisse, dass die Mitgliedstaaten eine Reihe gemeinsamer Werte teilen, auf die sich, wie es in Art. 2 EUV heißt, die Union gründet.27
U. a. aufgrund des in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV niedergelegten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit haben die Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet für die Anwendung und Wahrung des Unionsrechts zu sorgen.28
Damit in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen ein wirksamer Rechtsschutz gewährleistet ist, müssen sie die erforderlichen Rechtsbehelfe schaffen (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV), das heißt ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorsehen, mit dem in diesen Bereichen eine wirksame gerichtliche Kontrolle gewährleistet ist.29
Der Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Schutzes der Rechte aus dem Unionsrecht, von dem in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV die Rede ist, ist nämlich ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt; er ist in den Art. 6 und 13 der EMRK und unionsrechtlich auch in Art. 47 der Charta verankert.30
Schon das Vorhandensein einer wirksamen, zur Gewährleistung der Einhaltung des Unionsrechts dienenden gerichtlichen Kontrolle ist dem Wesen eines Rechtsstaats inhärent.31
Mangels einer einschlägigen Regelung der Union ist es Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, unter Beachtung des Art. 47 der Charta und der Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz, ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, mit dem die Einhaltung des Grundrechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährleistet werden kann; wobei insbesondere die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, zu regeln sind.32
Diese Pflicht der Mitgliedstaaten wird durch Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV wie auch Art. 47 der Charta bestätigt, wonach sie „die erforderlichen Rechtsbehelfe [schaffen], damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist“.33
Dabei sind die Mitgliedstaaten für den wirksamen Schutz dieser Rechte in jedem Einzelfall verantwortlich, und müssen diese insbesondere die Beachtung des in Art. 47 der Charta verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht gewährleisten.34
Insbesondere fordert der Effektivitätsgrundsatz, dass eine nationale Verfahrensvorschrift die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren darf.35
Art. 19 EUV, mit dem der Wert der in Art. 2 EUV proklamierten Rechtsstaatlichkeit konkretisiert wird, überträgt die Aufgabe, in der Rechtsordnung der Union die gerichtliche Kontrolle zu gewährleisten, nicht nur dem Gerichtshof, sondern auch den nationalen Gerichten.36
Die nationalen Gerichte erfüllen dabei in Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof eine Aufgabe, die ihnen gemeinsam übertragen ist, um die Wahrung des Rechts bei der Anwendung und Auslegung der Verträge zu sichern.37
Die Union ist eine Rechtsunion, in der den Betroffenen das Recht zusteht, die Rechtmäßigkeit nationaler Entscheidungen oder jeder anderen nationalen Handlung, mit der eine Handlung der Union auf sie angewandt wird, gerichtlich anzufechten.38
Weder mit dem AEUV noch mit Art. 19 EUV sollen zusätzlich zu den nach nationalem Recht bestehenden Rechtsbehelfen neue Klagemöglichkeiten zur Wahrung des Unionsrechts vor den nationalen Gerichten geschaffen werden.39 Dies gilt aber nicht, wenn es nach dem System der betreffenden nationalen Rechtsordnung keinen Rechtsbehelf gibt, mit dem zumindest inzident die Wahrung der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleistet werden könnte, oder wenn die einzige Möglichkeit für den Einzelnen, Zugang zu einem Gericht zu erlangen, darin bestünde, eine Rechtsverletzung begehen zu müssen.40
Die richterliche Unabhängigkeit i.S.d. Art. 47 der Charta ist dem Auftrag des Richters inhärent und ist auf der Ebene der Mitgliedsstaaten für die nationalen Gerichte durch diese Mitgliedstaaten zu gewährleisten.41
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bedeutet der Begriff der Unabhängigkeit, die dem Auftrag des Richters innewohnt, vor allem, dass die betreffende Stelle gegenüber der Stelle, die die mit einem Rechtsbehelf angefochtene Entscheidung erlassen hat, die Eigenschaft eines Dritten hat.42
Dieser Begriff umfasst zwei Aspekte. Der erste, externe, Aspekt setzt voraus, dass die Stelle vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteils ihrer Mitglieder im Hinblick auf die ihnen unterbreiteten Streitigkeiten gefährden könnten.43 Der zweite, interne, Aspekt steht mit dem Begriff der Unparteilichkeit im Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass hinsichtlich der Parteien des Rechtsstreits und ihrer jeweiligen Interessen an dessen Gegenstand ein gleicher Abstand gewahrt wird.44
Der Gerichtshof hat außerdem festgestellt, dass diese Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit voraussetzen, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung, die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für eine Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der genannten Stelle für Einflussnahmen von außen und an ihrer Neutralität in Bezug auf die einander gegenüberstehenden Interessen auszuräumen.45
Die Garantien, die die Zusammensetzung des Gerichts betreffen, sind folglich der Grundpfeiler des Rechts auf ein faires Verfahren, dessen Beachtung der Richter prüfen muss, wenn eine Verletzung dieses Rechts geltend gemacht wird. Dies ergibt sich auch aus Art. 47 Abs. 2 der Charta und Art. 6 Abs. 1 EMRK, wonach jede Person ein Recht darauf hat, dass ihre Sache von einem (zuvor) durch Gesetz errichteten Gericht verhandelt wird, und dem Umstand, dass der Begriff des Gesetzes insbesondere die gesetzlichen Vorschriften über die Errichtung und Zuständigkeit der Gerichte umfasst.46
Nach der Judikatur des EuGH haben die nationalen Gerichte, die im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden haben, für die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Bestimmung aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen, ohne die vorherige Beseitigung dieser nationalen Bestimmung auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren zu beantragen oder abzuwarten.47
Zudem hat der Gerichtshof bereits vor der Schaffung der Charta aus dem EU-Recht abgeleitet, dass ein EU-Recht anwendendes nationales Gericht durch das nationale Verfahrensgesetz in die Lage versetzt sein muss, „bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen Rechtsvorschriften auszuschalten, die unter Umständen ein wenn auch nur vorübergehendes Hindernis für die volle Wirksamkeit von Gemeinschaftsnormen bilden.48
Für den Fall, dass durch die nationale Verfahrensordnungsregelung es einem Gericht untersagt ist, im Rahmen des von diesem durchzuführenden (mangels Vorliegens von Zurückweisungsgründen zulässigen, erstgerichtlichen) Verfahrens die Frage der Beachtung eines EU-rechtlichen öffentlichen Interesses von Amts wegen zu prüfen, hat der Gerichtshof ausgesprochen, dass solch eine Regelung mit dem Unionsrecht nicht vereinbar ist.49
In diese Richtung zielte wohl auch der Verweis des Generalanwalts Saugmandsgaard in seinen Schlussausführungen vom 5.6.2018 zu C-234/17 (XC), als dieser in Rn 57-60 ausführte:
„57 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Umstand, dass es unter den Umständen des Ausgangsverfahrens nicht möglich ist, ein rechtskräftiges Strafurteil wegen einer Verletzung des Unionsrechts, insbesondere des in Art. 50 der Charta und in Art. 54 SDÜ niedergelegten Grundrechts, in Frage zu stellen, keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts darstellt.
2. Ausnahme: Infragestellung der Rechtskraft nationaler Entscheidungen, wenn der Betroffene nicht die Möglichkeit hatte, die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte geltend zu machen
58. Ich weise jedoch darauf hin, dass der Gerichtshof eine Ausnahme von der Rechtskraft nationaler Entscheidungen in dem Fall macht, in dem die Einhaltung dieses Grundsatzes dazu führen würde, dass ein nationales Verfahren geschützt wird, das gewisse strukturelle Merkmale aufweist, die die Ausübung der von der Rechtsordnung der Union verliehenen Rechte unmöglich machen oder überaus erschweren.
59. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof insbesondere entschieden, dass eine nationale Vorschrift, nach der in Steuerstreitigkeiten die Entscheidung in einer bestimmten Rechtssache, wenn sie einen auch für andere Rechtssachen grundlegenden Punkt betrifft, hinsichtlich dieses Punktes Bindungswirkung entfaltet, selbst wenn die aus diesem Anlass getroffenen Feststellungen einen anderen Veranlagungszeitraum betreffen, mit dem Grundsatz der Effektivität nicht vereinbar ist. Denn eine solche Regelung hätte zur Folge gehabt, dass der in der ersten Entscheidung angenommenen Auslegung, insbesondere hinsichtlich des Vorliegens einer missbräuchlichen Praxis im Bereich der Mehrwertsteuer, ohne die Möglichkeit der Berichtigung im Fall einer fehlerhaften Auslegung des Unionsrechts bindende Wirkung erga omnes zukommt( Urteil vom 3. September 2009, Fallimento Olimpiclub (C-2/08, EU:C:2009:506, Rn. 26 bis 32).
60. In einer anderen Rechtssache hat der Gerichtshof ausgeführt, dass der Grundsatz der Effektivität auch der Anwendung einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die ein nationales Gericht daran hindert, sämtliche Konsequenzen aus einem Verstoß gegen das Verbot der Durchführung staatlicher Beihilfen nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV zu ziehen, weil eine rechtskräftige nationale Gerichtsentscheidung vorliegt, in der festgestellt worden ist, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträge in Kraft bleiben, ohne jedoch die Frage zu prüfen, ob sie eine staatliche Beihilfe darstellen. In dem konkreten Fall hätte diese Vorschrift jegliche Kontrolle der Einhaltung des oben genannten Verbots verhindert (Urteil vom 11. November 2015, Klausner Holz Niedersachsen (C-505/14, EU:C:2015:742, Rn. 42 bis 46).“
1.6. relevante Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 EMRK:
Gemäß der ständigen Rechtsprechung des EGMR erfasst das durch Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerte Gebot der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit eines Gerichts auch die Sicherstellung der Unabhängigkeit des einzelnen Richters vor einer unsachlichen Einflussnahme durch Gerichtsorgane, wie etwa den Gerichtspräsidenten.50
Ausdrücklich hat der EGMR auch hervorgehoben, dass die durch Art. 6 Abs. 1 EMRK geforderte Garantie der Unparteilichkeit eines Gerichts auch entsprechende Sicherstellungen im Bereich der internen Gerichtsorganisation gebietet, wie etwa Regelungen zur Zulässigkeit der Abziehung eines Richters aus einem diesem zugewiesenen Gerichtsverfahren.51
Der EGMR hat die Frage, ob die Bestellung des Spruchkörpers im Einzelfall in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 EMRK fällt, lange Zeit offen gelassen (vgl. EGMR 1.10.1982, Nr. 8692/79, Ziff. 33 [Piersack]) und erst im Jahr 2000 bejaht (vgl. EGMR 4.5.2000, Nr. 31657/96 [Buscarini]).
Seither hat er Verletzungen in den Fällen festgestellt, in welchen Vorschriften des nationalen Rechts über die Zusammensetzung des Spruchkörpers offensichtlich missachtet worden waren52 oder sich eine nachträgliche Neuverteilung von Fällen nicht auf transparente, vorhersehbare Kriterien stützte.53
Im Hinblick auf die Einflussnahme eines Gerichtspräsidenten auf die Gerichtsaktenzuteilung erblickte der EGMR in seinem Urteil vom 5.10.2010, Nr. 19334/03 (DMD Group) eine Verletzung der Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK darin, dass die gerichtliche Geschäftssachenzuteilung nicht erschöpfend geregelt war und dem Präsidenten ein großer Ermessensspielraum eingeräumt war.54
Im Urteil Miracle Europe Kft gegen Ungarn vom 12.1.2016, Nr. 57774/13, befasste sich der Gerichtshof mit dem Transfer eines Zivilverfahrens vom örtlich zuständigen erstinstanzlichen Gericht zu einem anderen erstinstanzlichen Gericht. Das Fehlen von Bestimmungen für dieses Vorgehen bewirkte eine Konventionsverletzung, wobei erschwerend hinzutrat, dass die Umverteilung nicht von einem Organ der Rechtsprechung vorgenommen worden war und damit keinen Akt von Selbstverwaltung der Justiz darstellte (a.a.O., Ziff. 61 ff.). Über die konkreten Umstände des Falls hinausgehend wies der Gerichtshof in seinen Erwägungen auf die durch die Einräumung von Ermessen hervorgerufene Missbrauchsgefahr hin. So sei es beispielsweise möglich, Richter zu überlasten und auf diese Weise unter Druck zu setzen, oder auch, ihnen politisch heikle Fälle gezielt zuzuweisen oder aber vorzuenthalten (a.a.O., Ziff. 58). Im Ergebnis fordert daher der EGMR eine gesetzlich vorherbestimmte Zusammensetzung der Richterbank.
Mit dem Thema der Zuteilung von Fällen im Zusammenhang mit dem Anspruch auf den gesetzlich vorgesehenen Richter hat sich auch die Europäische Kommission für Demokratie durch Recht des Europarats (auch "Venedig-Kommission" genannt) befasst. In einem Bericht aus dem Jahr 2010 hält sie fest, zur Stärkung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz werde dringend empfohlen, die Reihenfolge der Zuteilung von Fällen an die einzelnen Richter auf der Grundlage abstrakter Kriterien festzulegen. Dies könne in alphabetischer Reihenfolge, mithilfe eines Computerprogramms oder nach anderen objektiven Kriterien erfolgen. Regeln und Ausnahmen sollten in Gesetzen oder Reglements verankert sein. Die Kommission räumt ein, dass es nicht durchwegs möglich sein dürfte, ein umfassendes abstraktes System einzurichten, welches keinen Raum für Entscheide im Einzelfall lasse. So sei es denkbar, dass der Arbeitsbelastung oder dem Spezialwissen eines Richters - insbesondere in komplexen Angelegenheiten - Rechnung zu tragen sei. Die Kriterien, nach denen der Gerichtspräsident die Zuteilung vornehme, sollten jedoch im Voraus definiert werden und die Zuteilung selbst der Überprüfung zugänglich sein.55
In Entsprechung dieser nun schon gefestigten Judikatur des EGMR geht das antragstellende Gericht davon aus, dass jedenfalls bei als Rechtsschutzinstanz i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK gesetzlich eingerichteten Gerichten die Geschäfte des Gerichts vorab durch eine feste Geschäftsverteilung bestimmt sein müssen, und dass jede Regelung, welche einem Gerichtsorgan (wie etwa dem Gerichtspräsidenten) die Befugnis zuspricht, an diesen Regelungen der Geschäftsverteilung vorbei oder sogar entgegen diesen Regelungen der festen Geschäftsverteilung zu bestimmen, welcher Richter eine bestimmte Gerichtssache zu erledigen hat, als ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK einzustufen ist. So wird etwa aus Art. 6 Abs. 1 EMRK in der österreichischen Rechtsliteratur abgeleitet, dass diese Bestimmung die Sicherung der Unabhängigkeit des Gerichts nicht nur gegen Einflüsse von außen, sondern auch gegen Einflüsse aus dem Bereich des Gerichts selbst vor Augen hat.56
Es sind daher wohl auch gesetzliche Regelungen, welche einem Gerichtsorgan bzw. der Justizverwaltung, wie etwa dem Gerichtspräsidenten, einen unnötigerweise weiten Ermessensspielraum im Hinblick auf die Zuweisung eines Gerichtsakts zu einem Richter eröffnen, nicht mit den Vorgaben des Art. 6. Abs. 1 EMRK in Übereinstimmung bringbar. So stuft etwa der österreichische Oberste Gerichtshof eine Regelung einer Geschäftsverteilung, durch welche einem Gerichtsorgan ein unnötig weiter Ermessensspielraum bei der Aktenzuweisung eingeräumt wird, als einen Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Garantie der festen Geschäftsverteilung ein.57 In diesem Sinne wird in der deutschen Rechtsliteratur auch die in Deutschland für alle Gerichte bestehende Rechtslage ausgelegt.58
In diesem Zusammenhang sei auch auf die Judikatur des EGMR verwiesen, wonach der Zweck der Garantien des Art. 6 EMRK auch darin liegt zu gewährleisten, dass Gerichte bzw. Richter nicht den Anschein einer Parteilichkeit erwecken, sodass bereits eine Rechtslage bzw. Konstellation, welche nicht den äußeren Anschein der richterlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit vermittelt, als Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK eingestuft wird.59
Ausdrücklich fordert der EGMR Garantien in objektiver Hinsicht, welche berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit eines Richters ausschließen.60
Offenkundig muss die gegenständlich problematisierte österreichische Rechtslage ernsthafte Zweifel an der garantierten Unparteilichkeit von Richtern erwecken, sodass diese auch unter diesem Gesichtspunkt als mit den Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK unvereinbar einzustufen ist.
Dazu kommt, dass nach der österreichischen Rechtslage auch eine Verfahrenspartei nicht befugt ist, die Unzuständigkeit eines Richters vor der Erlassung der Gerichtsentscheidung geltend zu machen; ist doch dieser Gesetzesverstoß erst mit der erlassenen Gerichtsentscheidung bekämpfbar. Nach der Judikatur des EGRM stellt nun aber bereits eine Rechtslage, welche einer Partei die Geltendmachung der Unzuständigkeit bzw. der Befangenheit des Richters vor dessen Entscheidung verunmöglicht, eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK dar (vgl. Kom 30.11.1987, Series A Nr. 127-B [H.]; EGMR 23.6.1994, 16.997/90 [De Moor]). Bei Zugrundelegung der Judikatur des EGMR verstößt daher auch aus diesem Grund die österreichische Rechtslage gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK, und insofern auch gegen Art. 47 der Charta.
Welch hoher Stellenwert den Rechtsschutzgarantien der EMRK zukommt, lässt sich auch daraus ersehen, dass nach der Judikatur des EGMR die EMRK fordert, dass deren Rechtsschutzgarantien nicht bloß theoretischer Natur sein dürfen, sondern dass auch insbesondere institutionell durch den Gesetzgeber Vorsorge getroffen werden muss, dass die Garantien der EMRK auch wirksam und effektiv sind.61
In Anbetracht dieser Forderung muss eine Gesetzeslage, welche genau eine solche Geltendmachung gezielt verhindert, zwingend als konventionswidrig einzustufen sein. Es kann wohl nicht mit der Zielsetzung der EMRK vereinbart werden, dass eine Konventionsverletzung nur dann nicht erfolgen soll, wenn diese der durch die EMRK geschützten Person tatsächlich zur Kenntnis gelangt, sodass eine Konventionsverletzung dann nach den Vorgaben der EMRK nicht unterbunden werden soll, wenn ausschließlich Gerichtsorgane aufgrund nur diesen Gerichtsorganen zugänglichen Quellen von dieser Konventionsverletzung Kenntnis erlangt haben. Ebenso wenig kann es mit den Zielsetzungen der EMRK vereinbart werden, dass eine Rechtsordnung ein Rechtsschutzorgan verpflichtet, die Vorgaben der EMRK zu verletzen, wobei diese Rechtsordnung es sogar ausdrücklich untersagt, dass das Rechtsschutzorgan, welches durch einen rechtswidrigen Rechtsakt eines Gerichtsorgans zu einem Verstoß gegen die EMRK verpflichtet worden ist, beantragen kann, dass dieser rechtswidrige Rechtsakt dieses Gerichtsorgans zurückgenommen wird. Genau diese dem Geist der EMRK widersprechende Gesetzeslage besteht, wie das Höchstgericht „Verwaltungsgerichtshof“ in ständiger Judikatur judiziert62, in Österreich.
Insofern ist die EMRK wohl dahingehend auszulegen, dass ein Richter verpflichtet ist, von ihm künftig zu setzende Verstöße gegen die Konvention hintanzuhalten. Die Verletzung dieser Verpflichtung wird zudem dem Organwalter zwingend dann vorzuwerfen sein, wenn dieser Organwalter von der Konventionswidrigkeit einer von ihm zu setzenden Handlung Kenntnis erlangt hat. Verschärft wird der Unrechtsgehalt einer solchen Konventionsverletzung durch den Richter, wenn zudem davon auszugehen ist, dass die von dieser Konventionsverletzung verletzten Personen mangels der Möglichkeit, von gerichtsinternen Vorgängen Kenntnis zu erlangen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit diese Konventionsverletzung nicht in Erfahrung bringen können und noch viel weniger in der Lage versetzt sein werden, diese Konventionsverletzung in einem allfällig angestrengten Rechtsmittelverfahren zu belegen; sodass feststeht, dass die Opfer dieser Konventionsverletzung mit Sicherheit nicht in der Lage sind, diese Konventionsverletzung erfolgreich geltend zu machen.
Es liegt auf der Hand, dass eine durch Art. 6 Abs. 1 EMRK normierte Garantie zur Beachtung einer gesetzlich normierten festen Geschäftsverteilung von Gerichten dann nur theoretischer Natur ist, wenn durch das Gesetz dem Richter, welcher durch diese Geschäftsverteilung oder aber durch eine zur Geschäftezuteilung ergangene Entscheidung (insbesondere eine innergerichtliche Zuteilungsentscheidung) zur Behandlung einer Gerichtssache verpflichtet wird, keine Möglichkeit eröffnet wird, eine seines Erachtens mit dieser Geschäftssachenzuteilung bewirkte Verletzung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 EMRK einer Kontrolle durch ein unabhängiges Rechtsschutzorgan i.S.d. Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 EMRK (welches wohl ebenfalls ein Gericht i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK sein muss) zuzuführen.
Da die Beachtung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 EMRK zudem wohl nicht im willkürlichen Belieben eines Organwalters liegen kann, wird zudem auch zu folgern sein, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK sogar den Gesetzgeber verpflichtet, jedem Richter ein subjektives und ohne eigenes Kostenrisiko und ohne unnötige Einbringungshürden wahrzunehmendes Recht auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer nach Einschätzung dieses Richters rechtswidrigen Geschäftssachenzuweisung an diesen durch ein unabhängiges, vom Gericht des Richters unterschiedenes Gericht i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK einzuräumen.63
Wenn man diese Gewährleistungsverpflichtung bejaht, wird man zum Ergebnis zu gelangen haben, dass diese Vorgabe dann nicht erfüllt ist, wenn durch das Gesetz einem Richter besondere Hürden in den Weg gestellt werden, welche eine Geltendmachung dieser richterlichen Pflicht, eine erfolgte Geschäftssachenzuteilung einer Überprüfung durch eine unabhängige Rechtsschutzinstanz i.S.d. Art. 6 Abs. 1 bzw. i.S.d. Art. 13 EMRK zuzuführen, zumindest deutlich erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen. Solch eine konventionswidrige Rechtslage würde nämlich selbst dann in Österreich bestehen, wenn der Verwaltungsgerichtshof die Parteistellung des Unterfertigers des Vorabentscheidungsantrags bejaht hätte. Denn auch in diesem Fall wäre ein Richter nur mit einem erheblichen Kostenrisiko in der Höhe von etwa einem Monatsgehalt oder mehr in die Lage versetzt, eine seines Erachtens konventionswidrig erfolgte Geschäftssachenzuteilung einer Überprüfung durch eine Rechtsschutzinstanz i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 13 EMRK zuzuführen. Nach der geltenden österreichischen Rechtslage trägt nämlich ein Richter im Fall der Erhebung einer Revision gegen eine Entscheidung eines Gerichtsorgans in Angelegenheiten der Geschäftsverteilung das volle Kostenrisiko, welches jedenfalls in der Höhe von etwa EUR 3000,-- (Anwaltskosten und Gerichtsgebühren) liegt. Dass solch eine Rechtslage im Hinblick auf die von einem Richter einzumahnende richterliche Unabhängigkeit und Unparteilichkeit letztlich erst recht die Effektivität der Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 EMRK im Hinblick auf diese vom Richter wahrzunehmende Verpflichtung aushebelt64, ist offenkundig.
Wie bereits zuvor ausgeführt, hat der österreichische Verwaltungsgerichtshof im gegenständlich problematisierten Beschluss vom 21.112018 ausgesprochen, dass ein Richter nicht einmal befugt ist, eine von diesem als zumindest sehr wahrscheinlich eingestufte Verletzung der EMRK durch die Weisung des Gerichtspräsidenten, einen (nach der Einschätzung des Richters) gegen die Vorgaben der EMRK verstoßenden Rechtsakt zu setzen, auch nur zu relevieren. Die österreichische Rechtsordnung räumt nämlich nach dieser im Übrigen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs65 dem Richter kein Recht ein, durch einen Rechtsbehelf an eine unabhängige Rechtsschutzinstanz i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 13 EMRK eine derartige gerichtsinterne Entscheidung, durch welche dieser Richter zur Verletzung der Konvention verpflichtet wird, einer Überprüfung unterziehen zu lassen.66
Im gegenständlich problematisierten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 21.112018 hat dieser klargestellt, dass selbst im gegenständlichen Fall, 1) in welchem der Gerichtspräsident wissentlich entgegen der gesetzlichen Vorgabe das Gerichtspersonal angewiesen hat, die gesetzlichen Zuteilungsvorgaben zu missachten, und 2) in welchem der Gerichtspräsident zudem angeordnet hat, entgegen der Regelung der gerichtsinternen Geschäftsverteilung ein einem Richter zur Erledigung zugewiesenes Rechtsmittel, diesem wieder wegzunehmen, und 3) in welchem der Gerichtspräsident außerdem entgegen der gerichtsinternen Geschäftsverteilung anordnet, dieses rechtswidrig abgenommene Gerichtsverfahren einem vom Gerichtspräsidenten bezeichneten anderen Gerichtsverfahren zuzuschlagen, dieses mehrfach qualifiziert absichtliche rechtswidrige Handeln des Geric