TE Lvwg Erkenntnis 2020/6/8 VGW-031/092/6228/2020

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Veröffentlicht am 08.06.2020
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Entscheidungsdatum

08.06.2020

Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

COVID-19-MaßnahmenG §2 Z1
COVID-19-MaßnahmenG §3 Abs3
COVID-19-MaßnahmenG-VO §1
COVID-19-Lockerungs-VO §13 Abs2 Z2
VStG §1 Abs2
VStG §45 Abs1 Z2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seinen Richter Mag. Dr. Kienast über die Beschwerde des Herrn A. B. gegen das Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den ... Bezirk, vom 2.6.2020, Zl. MBA/..., betreffend COVID-19-Maßnahmengesetz

zu Recht:

I. Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 38 VwGVG iVm § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt.

II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Verfahrensgang:

Mit Strafverfügung vom 6.5.2020 verhängte der Magistrat der Stadt Wien gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 3 COVID-19-MaßnahmenG eine Geldstrafe in der Höhe von € 500,--, weil er am 15.4.2020 um 11:30 Uhr einen öffentlichen Ort (Wien, ...platz, Parkanlage ...platz) betreten und gegenüber näher genannten anderen Personen den Mindestabstand von 1 m nicht eingehalten habe, obwohl zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 das Betreten öffentlicher Orte durch Verordnung gemäß § 2 Z 1 COVID-19-MaßnahmenG in der Zeit vom 16.3.2020 bis 30.4.2020 verboten (gewesen) sei. Der Aufenthalt sei auch nicht durch die unter § 2 dieser Verordnung aufgezählten Ausnahmen gerechtfertigt (gewesen).

Mit Schreiben vom 13.5.2020 erhob der Beschwerdeführer (rechtzeitig) Einspruch gegen diese Strafverfügung mit der Begründung, dass er nichts Verbotenes gemacht habe und Notstandshilfe beziehe.

Mit dem bekämpften Straferkenntnis vom 14.5.2020 verhängte der Magistrat der Stadt Wien gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 3 COVID-19-MaßnahmenG eine Geldstrafe in Höhe von € 360,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 8 Stunden), weil er am 15.4.2020 um 11:30 Uhr einen öffentlichen Ort (Wien, ...platz, Parkanlage ...platz) betreten und gegenüber anderen näher genannten Personen, mit denen er nicht im selben Haushalt lebt, den Mindestabstand von 1 m nicht eingehalten habe, „obwohl […] das Betreten öffentlicher Orte durch Verordnung gemäß § 2 Z 1 des COVID-19 Maßnahmengesetzes in der Zeit vom 16.3.2020 bis 30.4.2020 verboten ist. Der Aufenthalt am angeführten Ort ist auch nicht durch die unter § 2 dieser VO aufgezählten Ausnahmen gerechtfertigt.“

Der belangte Magistrat stellte im Straferkenntnis klar: „Eine Verwaltungsübertretung nach § 3 Abs. 3 und § 2 COVID-19 Maßnahmengesetz i.V.m. § 1 der VO gem. § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl. II Nr. 98/2020 i.d.F. BGBl. II Nr. 148/2020 begeht, wer einen öffentlichen Ort betritt, ohne dass dies durch einen der Ausnahmetatbestände gem. § 2 der VO gem. § 2 Z 1 des COVID-19 Maßnahmengesetzes, BGBl. II Nr. 98/2020 gerechtfertigt ist.“

Mit Schreiben vom 24.5.2020 erhob der Beschwerdeführer gegen dieses Straferkenntnis (rechtzeitig) Beschwerde, in der er wiederum auf den Bezug seiner Notstandshilfe und darauf verwies, keine strafbare Handlung gemacht zu haben.

Mit Note vom 29.5.2020 legte der belangte Magistrat der Stadt Wien die Beschwerde samt Akten dem erkennenden Verwaltungsgericht vor, wo sie am 2.6.2020 einlangten.

II. Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer wurde am 15.4.2020 um 11:30 Uhr von Sicherheitswachebeamten in der Parkanlage am ...platz in Wien auf einer Parkbank sitzend angetroffen, wobei er gegenüber anderen Personen, die er erst in der Parkanlage getroffen hat und die nicht in seinem gemeinsamen Haushalt leben, den Mindestabstand von 1 m nicht eingehalten hat.

Der Magistrat der Stadt Wien bestrafte den Beschwerdeführer zunächst mit Strafverfügung vom 6.5.2020 und sodann mit Straferkenntnis vom 14.5.2020, weil er am 15.4.2020 einen öffentlichen Ort betreten habe, obwohl das Betreten öffentlicher Orte gemäß § 1 der auf § 2 Z 1 COVID-19-MaßnahmenG gestützten Durchführungsverordnung verboten war und keine der nach § 2 dieser Verordnung aufgezählten Ausnahmen vorlag. Da der Beschwerdeführer somit einen öffentlichen Ort betreten hat, dessen Betreten aber gemäß § 2 des COVID-19-MaßnahmenG untersagt war, beging er eine Verwaltungsübertretung, die gemäß § 3 Abs. 3 COVID-19-MaßnahmenG zu bestrafen war. Der Magistrat der Stadt Wien wies im Spruch des bekämpften Straferkenntnis ausdrücklich auf die zeitliche Begrenzung des Verbots, öffentliche Orte zu betreten, hin, nämlich vom 16.3.2020 bis 30.4.2020.

2. Diese Feststellungen gründen im Verwaltungsakt und sind als solche unstrittig.

3. a) Nach § 1 Abs. 2 VStG richtet sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn, dass das zur Zeit der Fällung der verwaltungsbehördlichen Entscheidung geltende Recht günstiger wäre. Das „Günstigkeitsprinzip“ des § 1 Abs. 2 VStG bezieht sich damit auf die die Strafe betreffenden Bestimmungen. Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH kommt das „Günstigkeitsprinzip“ auch dann zur Anwendung, „wenn die Strafbarkeit eines Verwaltungsstraftatbestandes nach dem Zeitpunkt der Begehung zur Gänze wegfällt“ (vgl. VwGH 13.9.2016, Ra 2016/03/0083, unter Verweis auf VwGH 21.11.2013, 2012/01/075; 6.9.2012, 2012/09/0105, und 3.7.2014, 2012/17/0039). Dies ist zum einen dann der Fall, wenn für eine Verletzung eines Ge- oder Verbotes die Strafsanktion wegfällt, zum anderen, wenn – vorgelagert – (bereits) das Ge- oder Verbot zur Gänze wegfällt; letzteres liegt verfahrensgegenständlich vor:

b) § 2 COVID-19-MaßnahmenG, BGBl I Nr. 12/2020, in der seit seiner Erlassung unveränderten Fassung ermächtigt unter anderem den zuständigen Bundesminister, durch Verordnung einerseits „das Betreten von bestimmten Orten [zu] untersagen.“ Dabei kann sich das „Betretungsverbot […] auf bestimmte Zeiten beschränken.“ Andererseits („Darüber hinaus“) „kann geregelt werden, unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen jene bestimmten Orte betreten werden dürfen.“

Die aufgrund des § 2 COVID-19-MaßnahmenG vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (zunächst) erlassene (Durchführungs-)Verordnung, BGBl. II Nr. 98/2020, in der zur Tatzeit geltenden Fassung BGBl. II Nr. 148/2020, enthält zunächst in ihrem § 1 ein generelles Verbot des Betretens öffentlicher Orte („Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ist das Betreten öffentlicher Orte verboten.“) und in ihrem § 2 Ausnahmen von diesem Verbot („Ausgenommen von diesem Verbot gemäß § 1 sind Betretungen, […]“).

§ 3 Abs. 3 COVID-19-MaßnahmenG (in seiner seit seiner Erlassung unveränderten Fassung) erklärt zur Verwaltungsübertretung und stellt unter Strafe, wenn jemand „einen Ort betritt, dessen Betreten gemäß § 2 [COVID-19-MaßnahmenG] untersagt ist.“ Der in Abs. 3 par.cit. angeführte Verweis auf § 2 COVID-19-MaßnahmenG ist – da dieser § 2 selbst das Betreten keines bestimmten Ortes untersagt – im Sinne eines Verweises auf die aufgrund dieser Gesetzesbestimmung ergangene Durchführungsverordnung zu verstehen. Nach dieser (oben bereits angeführten) Verordnung (ihrem § 1) war zur Tatzeit das Betreten öffentlicher Orte verboten, sofern nicht eine der in § 2 dieser Verordnung aufgezählten Ausnahmen Platz greift (was im konkreten, hier zu entscheidenden Fall nicht der Fall war).

Diese Verordnung trat gemäß § 13 Abs. 2 Z 2 COVID-19-Lockerungsverordnung (COVID-19-LV), BGBl. II Nr. 197/2020, mit Ablauf des 30.4.2020 außer Kraft; sie wurde durch die COVID-19-LV ersetzt, die gleichfalls auf § 2 Z 1 COVID-19-MaßnahmenG gestützt ist.

Die COVID-19-LV normiert nun aber kein Betretungsverbot öffentlicher Orte mehr, sondern Voraussetzungen oder Auflagen, unter welchen öffentliche Orte betreten werden dürfen. Sie stützt sich folglich dabei nicht mehr auf die bundesgesetzliche Ermächtigung des § 2 COVID-19-MaßnahmenG zur Erlassung eines „Betretungsverbotes“ von bestimmten Orten, sondern auf den letzten Satz des § 2 COVID-19-MaßnahmenG, der – wie bereits ausgeführt – „darüber hinaus“ zu Regelungen ermächtigt, „unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen jene bestimmten Orte betreten werden dürfen.“ Aus dieser in § 2 COVIDC-19-MaßnahmenG enthaltenen gesetzlichen Differenzierung zwischen der Ermächtigung zur Verordnung eines „Betretungsverbotes“ einerseits und zur Verordnung von Voraussetzungen für das Betretung andererseits ist zu ersehen, dass mit Ablauf des 30.4.2020 – juristisch gesehen – ein „Systemwechsel“ stattgefunden hat: Nicht mehr ist generell das Betreten öffentlicher Orte verboten, vielmehr sind Handlungsweisen beim Betreten dieser öffentlichen Orte geboten.

Da somit jenes in § 1 der zur Tatzeit geltenden, auf § 2 COVID-19-MaßnahmenG gestützten Durchführungsverordnung enthaltene Verbot, dessen Verletzung dem Beschwerdeführer vorgeworfen wurde (Verstoß gegen das generelle Betretungsverbot), seit dem 1.5.2020 zur Gänze weggefallen ist, hätte der belangte Magistrat der Stadt Wien in seinem Straferkenntnis vom 14.5.2020 den Beschwerdeführer nicht (mehr) wegen Übertretung des § 1 dieser Verordnung bestrafen dürfen.

Das bekämpfte Straferkenntnis hätte somit nicht (mehr) erlassen werden dürfen; das erkennende Verwaltungsgericht hat dieses daher spruchgemäß aufzuheben und gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

c) An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass die Strafnorm des § 3 Abs. 3 COVID-19-MaßnahmenG (über den 30.4.2020 hinaus) unverändert weiter gilt, und damit weiterhin das Betreten eines Ortes unter Strafe stellt, dessen Betreten gemäß § 2 leg.cit. untersagt ist. Da nämlich das Betretungsverbot öffentlicher Orte, wie es in § 1 der zur Tatzeit geltenden Durchführungsverordnung positiviert war, aufgehoben wurde und seine Verletzung daher nach der COVID-19-LV keine Verwaltungsübertretung mehr bildet, fiel die Strafbarkeit dieses Verwaltungsstraftatbestands zur Gänze weg. Deshalb kann die Verletzung des Betretungsverbots auch nicht im Wege des in der Strafnorm des § 3 Abs. 3 leg.cit. enthaltenen Verweises auf § 2 leg.cit. zu einer Strafsanktion führen, weil auch dieser Verweis keine Verbindung mehr zu einem Betretungsverbot herzustellen vermag. Das bei Entscheidung durch den belangten Magistrat wie durch das erkennende Verwaltungsgericht geltende Recht ist folglich für den Beschwerdeführer günstiger und daher gemäß § 1 Abs. 2 VStG anzuwenden.

d) Das vom Beschwerdeführer gesetzte Verhalten ist nach Auffassung des erkennenden Verwaltungsgerichts auch nicht vom Tatbild des § 1 Abs. 1 COVID-19-LV erfasst („Beim Betreten öffentlicher Orte im Freien ist gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten.“), weil der Beschwerdeführer erst nach dem Betreten des ...platzes den Mindestabstand unterschritten hat. Aber selbst, wenn man das Tatbild des § 1 Abs. 1 COVID-19-LV als erfüllt ansähe, wäre sein Verhalten trotz Tatbildmäßigkeit nicht strafbar, weil die Strafnorm des § 3 Abs. 3 COVIDC-19-MaßnahmenG allein (verordnete) Betretungsverbote sanktioniert und eben nicht bestimmte Handlungsweisen (Nichteinhaltung des Mindestabstandes zu bestimmten anderen Menschen) während des Betretens von oder des Aufenthalts an öffentlichen Orten. Eine Subsumtion des tabildlichen Verhaltens unter die Strafnorm des § 3 Abs. 3 COVIDC-19-MaßnahmenG verbietet das aus Art 7 EMRG erfließende Verbot, Strafbestimmungen ausdehnend auszulegen (z.B. VwGH 20.5.1990, 90/01/0028). Der Unwert der Tat hat damit mit Ablauf des 30.40.2020 eine Änderung erfahren, sodass auch dieses Kriterium zu keinem anderen Ergebnis Anlass gibt.

Aber auch dann, wenn das Werturteil unverändert geblieben wäre, verböte Verfassungsrecht, einen Günstigkeitsvergleich zu unterlassen und die günstigere Rechtslage nicht anzuwenden: § 1 Abs. 2 VStG ist Einfallstor für die Anforderungen des Art 7 EMRK an einen entsprechend umfassenden Günstigkeitsvergleich (vgl. VfGH 14.6.2019, E 1610/2019). Nach dieser Verfassungsnorm ist auf Angeklagte – wenn unterschiedlich – jenes Strafgesetz anzuwenden, das für den Angeklagten am Günstigsten ist (EGMR 17.9.2009 [GK], Fall Scoppola gegen Italien [Nr. 2], Appl 10.249/03, Z 110). Die Anwendung des günstigeren Rechts ist dabei bedingungslos und damit auch dann geboten, wenn das gesetzliche Werturteil unverändert bleibt und bloß durch ein legistisches Versehen (kurzftistig) Straffreiheit besteht (vgl. wiederum VfGH 14.6.2019, E 1610/2019, und den diesem Erkenntnis zugrunde liegenden Sachverhalt).

Dass (verwaltungs)strafrechtlich Beschuldigte besonderen Schutz vor Bestrafung genießen, kommt nicht zuletzt im Grundsatz in dubio pro reo und auch im Verbot zum Ausdruck, Verwaltungsstraftatbestände ausdehnend auszulegen und damit die Strafbarkeit auszuweiten (vgl. z.B. VwGH 24.10.2019, Ra 2018/02/0266). Ebenso daraus, dass Art. 7 EMRK auch den Gesetzgeber (über die Vorgaben des Art 18 B-VG hinaus) zur Erlassung klar und eindeutig festgelegter Straftatbestände verpflichtet, ist abzuleiten, dass eine allenfalls auch dem Zeitdruck geschuldete sprachliche Unklarheit der hier gegenständlich anzuwendenden Normen nicht zulasten des Beschuldigten gehen darf (vgl. VfGH 12.10.1995, V 127/94 = VfSlg 14.319).

e) Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte in Hinblick auf § 44 Abs. 2 VwGVG entfallen.

f) Die ordentliche Revision ist zulässig, weil bislang keine Rechtsprechung des VwGH zu der hier aufgeworfenen (grundsätzlichen) Rechtsfrage besteht, wie das Verhältnis des COVIDC-19-MaßnahmenG und der auf dessen § 2 gestützten Durchführungsverordungen im Zusammenhang mit § 1 Abs. 2 VStG aufzulösen ist. Diese Rechtsfrage übersteigt auch von ihrer Bedeutung den konkreten Einzelfall.

Schlagworte

Betretungsverbot; öffentlicher Ort; Günstigkeitsprinzip

Anmerkung

VwGH v. 19.3.2021, Ro 2020/09/0012; Einstellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.031.092.6228.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.04.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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