Entscheidungsdatum
05.06.2020Index
L82007 Bauordnung TirolNorm
BauO Tir 2016 §46 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol entscheidet durch seinen Richter Ing. Mag Peinstingl über die Beschwerde der Eigentümergemeinschaft des **1, vertreten durch die AA Gesellschaft m.b.H., BB, CC, DD, EE, FF, GG, JJ, KK und LL, alle vertreten durch RA MM, Adresse 1, Z, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Y vom 18.03.2020, Zahl ***, betreffend eine Angelegenheit nach der Tiroler Bauordnung 2020 wie folgt:
Es wird
zu Recht erkannt:
1. Der Beschwerde der Eigentümergemeinschaft des Gst **1 wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
Zudem wird der
Beschluss gefasst:
2. Die Beschwerden von BB, CC, DD, EE, FF, GG, JJ, KK und LL wird als unzulässig zurückgewiesen.
3. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang:
Mit dem angefochtenen Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Y wird „die Eigentümergemeinschaft des Gst **1 (Objekte Adresse 2), vertreten durch die Hausverwaltung AA GmbH, wiederum vertreten durch Frau NN dazu verpflichtet, die widerrechtlich auf den Grundstücken Nr **1 und **2, KG *** Y errichtete Steinstützmauer, wie am Absteck/Bestandsplan des OO vom 04.08.2026, GZL *** (welcher einen integrierenden Bestandteil des Bescheides bildet) darstellt dargestellt, bis längstens 30.06.2020 abzubrechen und gänzlich zu entfernen sowie den vorigen Zustand des Geländeverlaufs wiederherzustellen, um die Beeinträchtigung des betroffenen Nachbargrundstückes Nr **2 beenden.“
In der Zustellverfügung dieses Bescheides werden ua die vertretende Hausverwaltung der Eigentümergemeinschaft der Liegenschaft **1 KG Y sowie die weiteren nunmehrigen Beschwerdeführer genannt.
Gegen diesen baupolizeilichen Auftrag haben die oben genannten Personen, alle rechtsfreundlich vertreten, rechtzeitig Beschwerde an das Landesverwaltungsrecht Tirol erhoben.
In der Beschwerde wird ua ausgeführt, dass sich der Bescheid als Bescheidadressat an die „Eigentümergemeinschaft des Gst **1 (Objekte Adresse 2), vertreten durch die Hausverwaltung AA GmbH, wiederum vertreten durch Frau NN“ richtet und daher an Nichtigkeit leide.
II. Sachverhalt:
Die Verpflichtete nach dem hier angefochtenen baupolizeilichen Bescheid vom 08.03.2020 ist die Eigentümergemeinschaft der Liegenschaft Gp **1 KG Y.
III. Beweiswürdigung:
Dieser Sachverhalt steht aufgrund des Bescheidspruches fest. Zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes wird darin die Eigentümergemeinschaft der Liegenschaft Gp **1 KG Y verpflichtet.
Dieser Sachverhalt konnte auch ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zweifelsfrei festgestellt werden. Die mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.
IV. Rechtslage:
Tiroler Bauordnung 2018:
„§ 46
Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes
(1) Wurde eine bewilligungspflichtige oder anzeigepflichtige bauliche Anlage ohne die erforderliche Baubewilligung bzw. Bauanzeige errichtet, so hat die Behörde dem Eigentümer der baulichen Anlage deren Beseitigung und erforderlichenfalls die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes des Bauplatzes aufzutragen. Wurde eine solche bauliche Anlage ohne die erforderliche Baubewilligung bzw. Bauanzeige geändert, so hat die Behörde dem Eigentümer der baulichen Anlage die Herstellung des der Baubewilligung bzw. Bauanzeige entsprechenden Zustandes aufzutragen. Dies gilt auch, wenn ein Bauvorhaben abweichend von der Baubewilligung bzw. Bauanzeige ausgeführt wurde und diese Abweichung eine Änderung der baulichen Anlage darstellt, zu deren selbstständigen Vornahme eine Baubewilligung oder eine Bauanzeige erforderlich wäre. Ist die Herstellung des der Baubewilligung bzw. Bauanzeige entsprechenden Zustandes technisch nicht möglich oder wirtschaftlich nicht vertretbar, so hat die Behörde dem Eigentümer der baulichen Anlage stattdessen deren Beseitigung und erforderlichenfalls die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes des Bauplatzes aufzutragen.
(…)“
Wohnungseigentumsgesetz 2002 – WEG 2002:
„§ 2
(…)
5) Wohnungseigentümer ist ein Miteigentümer der Liegenschaft, dem Wohnungseigentum an einem darauf befindlichen Wohnungseigentumsobjekt zukommt. Alle Wohnungseigentümer bilden zur Verwaltung der Liegenschaft die Eigentümergemeinschaft; sie ist eine juristische Person mit Rechtsfähigkeit in dem durch § 18 Abs. 1 und 2 umschriebenen Umfang.
(…)
§ 18
(1) Die Eigentümergemeinschaft kann in Angelegenheiten der Verwaltung der Liegenschaft Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen sowie klagen und geklagt werden. Für Klagen gegen die Eigentümergemeinschaft ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel die Liegenschaft gelegen ist. Bei diesem Gericht kann auch ein Wohnungseigentümer von der Eigentümergemeinschaft geklagt werden. Forderungen gegen die Eigentümergemeinschaft können gegen die einzelnen Wohnungseigentümer nur nach Maßgabe des Abs. 4 zweiter Satz und nur durch gesonderte Klagsführung geltend gemacht werden.
(2) Die Wohnungseigentümer können der Eigentümergemeinschaft aus ihrem Miteigentum erfließende Unterlassungsansprüche sowie die Liegenschaft betreffende Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche abtreten, wodurch die Eigentümergemeinschaft diese Ansprüche erwirbt und in eigenem Namen geltend machen kann. Unterlässt die Eigentümergemeinschaft die Geltendmachung eines ihr abgetretenen Anspruchs und droht dadurch eine Frist für die Anspruchsverfolgung abzulaufen, so kann der betreffende Wohnungseigentümer den Anspruch für die Eigentümergemeinschaft geltend machen.
(3) Die Eigentümergemeinschaft wird vertreten:
1. wenn ein Verwalter bestellt ist,
a) durch den Verwalter,
b) in Fragen des rechtlichen Verhältnisses zwischen der Eigentümergemeinschaft und dem Verwalter durch die nach Miteigentumsanteilen zu berechnende Mehrheit der Wohnungseigentümer,
c) bei Bestellung eines Eigentümervertreters nach § 22 in dem von der Interessenkollision betroffenen Geschäftsbereich nur durch den Eigentümervertreter;
2. wenn kein Verwalter bestellt ist,
a) durch die nach Miteigentumsanteilen zu berechnende Mehrheit der Wohnungseigentümer,
b) bei Bestellung eines vorläufigen Verwalters nach § 23 nur durch diesen.
(4) Ein gegen die Eigentümergemeinschaft ergangener Exekutionstitel kann nur in die Rücklage (§ 31) oder in die von den Wohnungseigentümern geleisteten oder geschuldeten Zahlungen für Aufwendungen (§ 32) vollstreckt werden. Soweit die Forderung durch eine solche Exekution nicht hereingebracht werden kann, haften die Wohnungseigentümer für den Ausfall im Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile.“
Im Übrigen wird auf die Internetseite des Bundeskanzleramtes ris.bka.gv.at verwiesen.
V. Erwägungen:
Im angefochtenen Bescheid ordnete der Bürgermeister der Gemeinde Y der gegenständlichen Eigentümergemeinschaft die Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes nach § 46 Abs 1 TBO 2018 an.
Es stellt sich die Frage, ob als Verpflichteter eines derartigen baupolizeilichen Auftrages eine Eigentümergemeinschaft nach dem WEG 2002 in Anspruch genommen werden kann, mithin ein derartiger Bescheid überhaupt an eine Eigentümergemeinschaft adressiert werden kann.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl VwGH 28.05.2019, Ra 2018/05/2019) handelt es sich bei der Eigentümergemeinschaft gemäß § 2 Abs 5 WEG 2002 um eine juristische Person mit Rechtsfähigkeit in dem durch § 18 Abs 1 und 2 WEG 2002 umschriebenen Umfang. Aus § 18 Abs 1 WEG 2002 ergibt sich, dass - abgesehen von den Fällen des § 18 Abs 2 WEG 2002 - die Rechtsfähigkeit der Eigentümergemeinschaft auf Angelegenheiten der Verwaltung der Liegenschaft beschränkt ist. Nur in diesen Angelegenheiten kann die Eigentümergemeinschaft als solche Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen sowie klagen geklagt werden. Diese Einschränkung ist für die Parteifähigkeit im Verwaltungsverfahren zu beachten.
Aus § 9 AVG in Verbindung mit § 18 WEG 2002 ergibt sich, dass auch im Bereich des öffentlichen Rechts die Rechts- und Handlungsfähigkeit der Eigentümergemeinschaft auf die Angelegenheiten der Verwaltung der Liegenschaft beschränkt ist. Maßnahmen der Verwaltung sind solche der Geschäftsführung. Die Verwaltungshandlungen für die Eigentümergemeinschaft sind einerseits von bloßen Besitz- oder Gebrauchshandlungen einzelner Teilhaber, andererseits von den Verfügungen über das Gemeinschaftsgut oder einzelne Anteile daran zu unterscheiden. Die Abgrenzung zwischen Verwaltungshandlungen und Verfügungen ist dabei nach den Auswirkungen auf das gemeinschaftliche Gut bzw die Anteile der Miteigentümer zu ziehen. Zur Verwaltung gehört alles, was gemeinschaftliche Interessen bei der Nutzung und Erhaltung des Gemeinschaftsgutes beeinträchtigen könnte, während eine Verfügung die Substanz der Gemeinschafts- oder Anteilsrechte verändert (vgl VwGH 01.08.2018, Ro 2016/06/0026).
Das Landesverwaltungsgericht Tirol vertritt dazu in Ansehung dieser Rechtsprechung die Ansicht, dass ein Beseitigungsauftrag wie vorliegend (Abbruch einer Steinstützmauer) nicht einen Bereich betrifft, der zur allgemeinen Verwaltung der Liegenschaft (sog „ordentliche Verwaltung“ – insb. die ordnungsgemäße Erhaltung der allgemeinen Teile der Liegenschaft) gerechnet werden kann.
Die Eigentümergemeinschaft wurde vom Gesetzgeber auch nicht in der Weise ausgeformt, dass sie in Bezug auf einen Abbruchsauftrag gemäß der Wiener Bauordnung in die Rechtsstellung der Eigentümer (Miteigentümer) der Liegenschaft einzutreten hätte (vgl VwGH 22.10.2008, 2008/06/0065). Nichts Anderes gilt für einen baupolizeilichen Auftrag nach § 46 Abs 1 TBO 2018.
Deshalb war der angefochtene Bescheid im Hinblick auf die Beschwerde der Eigentümergemeinschaft des Gst **1 zu beheben.
Die Beschwerden der weiteren Beschwerdeführer waren schon deshalb als unzulässig zurückzuweisen, da sie nicht Adressaten des gegenständlichen baupolizeilichen Auftrages sind.
Für die Behörde besteht jedoch weiterhin die Möglichkeit, die Eigentümer der gegenständlichen Mauer nach § 46 Abs 1 TBO 2018 zu verpflichten, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Abschließend wird im Hinblick auf das Eigentum an der gegenständlichen Mauer, welches als Vorfrage zu beurteilen ist, wie folgt – nicht bindend - angemerkt:
Prinzipiell ist § 418 ABGB auf Grenzmauern, die zum Teil auf dem Grund des Nachbarn errichtet wurden, nicht anwendbar, da es sich um keine Gebäude handelt (vgl OGH RIS-Justiz RS0011098; RS0011100). Es gilt jedoch anderes, wenn die Mauer neben der Grenzfunktion auch eine statische Funktion einnimmt, um etwa das Abrutschen einer Böschung zu verhindern (vgl OGH RIS-Justiz RS0103698; Tanczos/Eliskases in Rummel/Lukas, ABGB4 § 854 ABGB Rz 4 (Stand 1.8.2015, rdb.at)).
VI. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Ing. Mag. Peinstingl
(Richter)
Schlagworte
Unrichtiger BescheidadressatEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2020:LVwG.2020.32.0974.1Zuletzt aktualisiert am
03.07.2020