TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/21 I406 2227420-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.01.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

21.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §19
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I406 2227420-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, StA. Tunesien gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.12.2019, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein tunesischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 27.08.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner am nächsten Tag durchgeführten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erklärte er zu seinen Fluchtgründen: "Ich habe gegen den derzeitigen Präsidenten demonstriert und dadurch Probleme mit der Polizei bekommen. Das sind alle meine Fluchtgründe. Ich habe sonst keinen Grund zum Verlassen meiner Heimat." Bei einer Rückkehr in die Heimat müsse er ins Gefängnis.

2. Am 09.12.2019 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA; belangte Behörde) einvernommen. Er verneinte die Frage nach gesundheitlichen Problemen und erklärte, "nur ein paar Magenprobleme, aber nichts Schlimmes" zu haben. Er habe bei der Erstbefragung unrichtige Angaben zu seinem Fluchtgrund gemacht; er habe keine Probleme mit der Regierung wegen einer Demonstration gehabt, sondern ein Problem mit einer Familie bekommen, mit der er im Handel gearbeitet habe. Diese Familie habe ihm sehr viel Geld geliehen, das er nicht zurückzahlen habe können. Deshalb wolle die Familie ihn umbringen und habe ihn zudem vor ungefähr zwei Jahren angezeigt. Er habe mittlerweile ein Gerichtsverfahren und könne deshalb nicht zurückkehren. Im Falle einer Rückkehr würde er für lange Zeit verhaftet werden. Der Beschwerdeführer verzichtete auf eine Stellungnahme zu den ihm ausgehändigten Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat.

3. Mit Bescheid vom 09.12.2019, Zl. XXXX wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 27.08.2019 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Tunesien (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Tunesien zulässig ist (Spruchpunkt V.), stellte fest, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.) und erkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII.).

4. Weiters traf die belangte Behörde folgende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat:

1. Politische Lage

Tunesien ist gemäß der Verfassung von 2014 ein freier, unabhängiger und souveräner Staat, dessen Religion der Islam, dessen Sprache das Arabische und dessen Regierungsform die Republik ist. Die erste Phase nach der Flucht des Präsidenten Ben Ali am 14.1.2011 prägten Übergangsregierungen, unterstützt von einer Hohen Instanz zur Verwirklichung der Ziele der Revolution als Ersatzparlament. Ferner betont die Verfassung den zivilen und rechtsstaatlichen Charakter des Regierungssystems. Die Verfassung sieht ein gemischtes Regierungssystem vor, in dem sowohl der Präsident als auch das Parlament direkt vom Volk gewählt werden. Die Mitglieder der Regierung werden vom Präsidenten ernannt und benötigen darüber hinaus das Vertrauen des Parlaments. Der Premierminister bestimmt die Richtlinien der Politik, mit Ausnahme der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die in der Zuständigkeit des Staatspräsidenten liegen (AA 18.9.2019a). Die Verfassung garantiert durch eine stärkere Gewaltenteilung und die Einrichtung eines Verfassungsgerichtshofs eine bessere Kontrolle der verschiedenen Gewalten. Außerdem wurde die Gleichstellung von Frauen festgeschrieben. Bezüglich der Rolle der Religion einigten sich die Abgeordneten auf einen zwiespältigen Text, der sowohl den zivilen Charakter des Staates sowie Glaubens- und Gewissensfreiheit garantiert, als auch den Schutz des Sakralen festschreibt (GIZ 9.2019a).

Aktuell ist ein tiefgreifender Umbruch in Tunesien in Gang (TS 14.10.2019). Tunesien hatte nach dem sogenannten Arabischen Frühling vor acht Jahren zwar tiefgreifende demokratische Reformen eingeleitet. Das Land kämpft aber mit großen wirtschaftlichen Problemen und hoher Arbeitslosigkeit. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist groß (DP 14.10.2019; vgl. TS 14.10.2019). Innerhalb weniger Wochen wurden aktuell im Herbst 2019 sowohl der Präsident als auch das Parlament neu gewählt (DP 14.10.2019; vgl. TS 14.10.2019). Am 15.9.2019 wurde ein neuer Präsident gewählt. 26 Kandidaten standen für die Nachfolge des am 25.7.2019 im Alter von 92 Jahren verstorbenen Staatschefs Beji Caid Essebsi zur Wahl. Caïd Essebsi war der erste Präsident seit Tunesiens Unabhängigkeit im Jahr 1956 (BAMF 29.7.2019).

Am Montag, den 14.10.2019, bestätigte das Wahlgremium offiziell den Sieg Kaïs Saïed im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen mit 72,71% der Stimmen um das Präsidentenamt in Tunesien (DP 14.10.2019; vgl. JA 14.10.2019; TS 14.10.2019). Der parteilose Saïed, der gesellschaftlich konservative Positionen vertritt, plant nach eigenen Angaben die Einführung eines dezentralen, basisdemokratisches Regierungssystems (DP 14.10.2019; vgl. TS 14.10.2019).

Bei einer Wahlbeteiligung von nur 45% lagen zwei Außenseiter vorn. Der für seine ultrakonservativen Ansichten bekannte parteilose Jurist Kaïs Saïed holte mit 18,4% der Stimmen das beste Ergebnis, gefolgt von dem aufgrund einer Anklage wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche seit August 2019 inhaftierten Medienunternehmer Nabil Karoui, der auf 15,6% der Stimmen kam. Es kam zur Stichwahl (BAMF 23.9.2019). In der am 13.10.2019 durchgeführten Stichwahl setzte sich der parteilose Verfassungsrechtler Kaïs Saïed gegen den Medienunternehmer Nabil Karoui mit 72,71% der Stimmen durch. Die unabhängige Wahlbehörde ISIE hatte beide Abstimmungsdurchgänge der Präsidentschaftswahl ohne Zwischenfälle organisiert. Stimmberechtigt waren circa sieben Millionen Menschen, die Wahlbeteiligung bei der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl lag bei 56%. Der 61 Jahre alte Saïed wurde Umfragen zufolge vor allem von jungen Tunesiern und Akademikern gewählt. Das Land kämpft mit massiven wirtschaftlichen Problemen (BAMF 21.10.2019).

Der politische Quereinsteiger Kaïes Saïed gilt als unbestechlich und politisch unerfahren. Den Tunesiern verspricht er neben der Bekämpfung der Korruption eine rigorose Überarbeitung der Verfassung und des Wahlsystems sowie mehr Demokratie auf lokaler Ebene. Saïed ist zudem für seine sehr konservativen Ansichten in gesellschaftlichen Fragen bekannt (BAMF 21.10.2019).

Bei der Parlamentswahl wurden die bislang etablierten Parteien deutlich abgestraft (DP 14.10.2019; vgl. TS 14.10.2019). Laut dem am 9.10.2019 veröffentlichten vorläufigen Wahlergebnis sicherte sich die moderat islamistische Partei Ennahda die meisten Stimmen bei den Parlamentswahlen (BAMF 14.10.2019; vgl. DP 14.10.2019) und 52 der insgesamt 217 Sitze im Parlament. Auf Platz zwei landete die Partei Qalb Tounes (Herz von Tunesien), geführt vom Präsidentschaftskandidaten Nabil Karoui, mit 38 Sitzen (BAMF 14.10.2019; vgl. DP 14.10.2019). Beide Parteien schließen eine Koalition aus. Das Parlament ist stark zersplittert, was eine Regierungsbildung nach Ansicht von Beobachtern schwierig machen könnte (DP 14.10.2019).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (18.9.2019a): Tunesien - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/-/219068, Zugriff 24.10.2019

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (14.10.2019):

Briefing Notes 14 Oktober 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018357/briefingnotes-kw42-2019.pdf, Zugriff 24.10.2019

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (23.9.2019):

Briefing Notes 23 September 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2016920/Deutschland___Bundesamt_f%C3%Bcr_Migration_und_Fl%C3%Bcchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_23.09._2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 24.10.2019

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (29.7.2019):

Briefing Notes 29. Juli 2019,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2014110/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_29.07.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 24.10.2019

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (16.9.2019):

Briefing Notes 16. September 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2016909/Deutschland___Bundesamt_f%C3%Bcr_Migration_und_Fl%C3%Bcchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_16.09.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 24.10.2019

-

DP - die Presse (14.10.2019): Erdrutschsieg von Parteilosem Saied bei Präsidentschaftswahl,

https://www.diepresse.com/5705812/erdrutschsieg-von-parteilosem-saied-bei-prasidentschaftswahl, Zugriff 24.10.2019

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (9.2019a): Tunesien - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 24.10.2019

-

JA - Jeune Afrique (14.10.2019): Tunisie: Kaïs Saïed élu président, d'après les résultats préliminaires officiels de l'Isie, https://www.jeuneafrique.com/842757/politique/tunisie-kais-saied-elu-president-dapres-les-resultats-preliminaires-officiels-de-lisie/, Zugriff 24.10.2019

-

TS - Tageschau.de (14.10.2019): Entscheidung in Stichwahl Parteiloser wird Präsident Tunesiens, https://www.tagesschau.de/ausland/tunesien-stichwahl-107.html, Zugriff 24.10.2019

2. Sicherheitslage

Die von der Regierung Essid als auch der Regierung Chahed angestrebte Verbesserung der Sicherheitslage im Inneren und der Anti-Terrorkampf bleiben trotz vermehrter Anstrengungen und zahlreichen Verhaftungs- und Durchsuchungsaktionen weiter eine Herausforderung. Nach den tragischen Anschlägen im Jahr 2015 auf das Bardo Museum, eine Hotelanlage in Sousse sowie einen Bus der Präsidialgarde blieben der Großraum Tunis sowie touristische Anlagen von gezielten Terroranschlägen verschont. Dies mag auch an dem intensiven und konsequenten Vorgehen der Sicherheitskräfte liegen. Dennoch wurde durch den schweren Angriff von IS-Milizen auf die tunesisch-libysche Grenzstadt Ben Guerdane im März 2016 ein neues Kapitel der Gefährdung aufgeschlagen. Hier konnten die Sicherheitskräfte, insbesondere das Militär, den Angriff durch ca. 100 vermeintliche IS-Kämpfer binnen kurzer Zeit niederschlagen. Dies zeigt, dass die Sicherheitskräfte sehr entschlossen gegen die latente und weiterhin präsente Gefährdung vorgehen (AA 2.3.2019).

Laut österreichischem Außenministerium gilt eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für die Saharagebiete, das Grenzgebiet zu Algerien und die westlichen Landesteile (BMEIA 14.10.2019). Reisewarnungen bestehen für die Region südlich der Orte Tozeur - Douz - Ksar Ghilane - Tataouine - Zarzis. Mit gewaltsamen Aktionen von Terrororganisationen ist zu rechnen. Das militärische Sperrgebiet an der Grenze zu Algerien in der Nähe des Berges Chaambi ist teilweise vermint und kann von den Sicherheitskräften kurzfristig ausgedehnt werden. Im Westen des Landes ist mit verstärkter Militär- und Polizeipräsenz zu rechnen; es finden bewaffnete Auseinandersetzungen mit Terroristengruppen statt. Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) im Rest des Landes - bis auf die Touristenzonen (BMEIA 14.10.2019).

Der nach der Attentatsserie von 2015 verhängte weiterhin andauernde Ausnahmezustand wird regelmäßig verlängert und gilt im ganzen Land (AA 21.10.2019; vgl. BMEIA 14.10.2019) und gewährt den Sicherheitsbehörden einen erweiterten Handlungsspielraum, der von der Zivilgesellschaft durchaus kritisch beobachtet wird (ÖB 11.2018). Mit vermehrten Polizeikontrollen ist landesweit weiterhin zu rechnen (AA 21.10.2019).

Die Sicherheitslage ist nach wie vor prekär, geprägt von täglichen Sicherheitsoperationen von Militär und Polizei und Meldungen über vereitelte Anschläge. Die Sorge der Infiltration aus Libyen und anderen Konfliktzonen zurückkehrenden Islamisten tunesischen Ursprungs ist groß. Auch mit Hilfe ausländischer logistischer Unterstützung wurden die Grenzkontrollen drastisch verschärft und es wird auch im Land nach Rückkehrern gefahndet (ÖB 11.2018). Neben dem IS sind weiterhin Gruppen aktiv, die Al Qaida oder anderen extremistisch-islamistischen Ideologien angehören. Beim mit Algerien seit Jahren geführten gemeinsamen Kampf gegen terroristische Gruppierungen im Grenzbereich besteht ein Pattverhältnis, das die Bewegungsfreiheit der Terrorzellen weitgehend einschränkt, aber nicht verhindert. Dennoch sind die Sicherheitskräfte auch hier bemüht, die Situation zunehmend unter Kontrolle zu bringen, wobei das Gelände den Terrorzellen gute Rückzugsmöglichkeiten bietet. Die Sicherheitslage in Libyen verfolgt die tunesische Regierung mit großer Sorge. Die Sicherheitskräfte an der Grenze zu Libyen, einschließlich Militär, wurden daher erheblich verstärkt (AA 2.3.2019).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (2.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005230/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Januar_2019%29%2C_02.03.2019.pdf, Zugriff 21.10.2019

-

AA - Auswärtiges Amt (21.10.2019): Tunesien - Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/tunesiensicherheit/219024, Zugriff 21.10.2019

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (1.7.2019): Briefing Notes, 1. Juli 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2013142/Deutschland___Bundesamt_f%C3%Bcr_Migration_und_Fl%C3%Bcchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_01.07.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 21.10.2019

-

BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (14.10.2019): Tunesien - Reiseinformationen, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tunesien/, Zugriff 21.10.2019

-

EDA - Eidgenössisches Department für Auswärtige Angelegenheiten (21.10.2019): Reisehinweise für Tunesien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/tunesien/reisehinweise-tunesien.html, Zugriff 21.10.2019

-

EDA - Eidgenössisches Department für Auswärtige Angelegenheiten (21.10.2019): Reisehinweise für Tunesien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/tunesien/reisehinweise-tunesien.html, Zugriff 21.10.2019

-

ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (11.2018): Asylländerbericht Tunesien,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2018250/TUNE_%C3%96B_Bericht_2018_11.pdf, Zugriff 21.10.2019

3. Rechtsschutz / Justizwesen

Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019; AA 2.3.2019). Im Allgemeinen respektiert die Regierung die richterliche Unabhängigkeit auch in der Praxis (USDOS 13.3.2019). Allerdings schreitet die Justizreform seit der Revolution nur langsam voran (FH 4.2.2019; vgl. AA 2.3.2019). Der Oberste Justizrat konnte seine Arbeit als neues Selbstverwaltungsorgan der Justiz erst aufnehmen, nachdem eine Gesetzesänderung die internen Konflikte der Richterschaft neutralisiert hatte. Als nächster Schritt soll die Konstituierung eines ordentlichen Verfassungsgerichts erfolgen; bislang wacht eine provisorische Instanz über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen vor ihrem Inkrafttreten (AA 2.3.2019).

Auch weiterhin finden sich zahlreiche Richter aus der Ben-Ali-Ära auf der Richterbank und aufeinander folgende Regierungen versuchen regelmäßig, die Gerichte zu manipulieren. Mit den 2016 verabschiedeten Rechtsvorschriften wurde der Oberste Justizrat eingesetzt, der für die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz und die Ernennung der Richter des Verfassungsgerichts zuständig ist. Die Ratsmitglieder wurden 2016 von Tausenden von Juristen gewählt. Das Gericht, das die Verfassungsmäßigkeit von Dekreten und Gesetzen bewerten soll, war jedoch 2018 weder eingerichtet noch formell ernannt (FH 4.2.2019).

Gesetzlich ist ein faires Verfahren vorgesehen, und die unabhängige Justiz gewährleistet dieses üblicherweise auch in der Praxis. Gemäß Angeklagten sind die gesetzlich garantierten Rechte nicht immer gewährleistet. Es gilt die Unschuldsvermutung. Angeklagte haben das Recht auf einen öffentlichen Prozess sowie auf einen Anwalt, der notfalls aus öffentlichen Mitteln bereitgestellt werden muss. Sie haben das Recht, zu Zeugenaussagen Stellung zu nehmen und eigene Zeugen aufzurufen. Sie müssen in Beweismittel Einsicht nehmen können und müssen über die gegen sie erhobenen Anklagepunkte informiert werden. Des Weiteren muss ihnen ausreichend Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung gewährt werden (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (2.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005230/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Januar_2019%29%2C_02.03.2019.pdf, Zugriff 14.10.2019

-

FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006463.html, Zugriff 14.10.2019

-

ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (11.2018): Asylländerbericht Tunesien,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2018250/TUNE_%C3%96B_Bericht_2018_11.pdf, Zugriff 16.10.2019

-

USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004225.html, Zugriff 14.10.2019

4. Sicherheitsbehörden

Dem Innenministerium untersteht die Polizei (Exekutivfunktion in Städten) und die Nationalgarde bzw. Gendarmerie (Exekutivfunktion in ländlichen Gebieten und Grenzsicherung). Zivile Behörden kontrollieren den Sicherheitsapparat, wie wohl es gemäß NGOs vereinzelt zu Misshandlungen von Häftlingen kommt (USDOS 13.3.2019; vgl. GIZ 9.2019a). Es mangelt an effektiven Strafverfolgungs- und Strafmechanismen bei Vergehen seitens der Sicherheitskräfte und diesbezügliche interne Untersuchungen sind von einem Mangel an Transparenz geprägt (USDOS 13.3.2019).

Der Sicherheitsapparat war unter dem Ben-Ali-Regime allgegenwärtig und sicherte dessen Machterhalt. Die Rolle der Sicherheitskräfte während des Umsturzes, aber teilweise auch bei gewaltsam aufgelösten Demonstrationen gegen die ersten beiden Interimsregierungen im Frühjahr 2011, vertieften den Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber den Sicherheitsorganen, insbesondere der Polizei und den Sondereinheiten des Innenministeriums. Die Kluft zwischen den Behörden für Inneres und der Bevölkerung konnte auch durch die Auflösung der Geheimpolizei ("police politique"), die Symbol der staatlichen Repression war, nicht wieder geschlossen werden. Die Demonstranten forderten u.a. den Austausch von führenden Mitarbeitern im Innenministerium. Diese Forderung wurde zunächst nicht im erhofften Maße umgesetzt. Erst mit einiger Verspätung zog das Innenministerium personelle Konsequenzen und Verantwortliche auf verschiedenen Ebenen wurden versetzt, entlassen oder in den Vorruhestand versetzt. Eine von allen internationalen Partnern für notwendig erachtete umfassende Reorganisation des tunesischen Innenministeriums einschließlich der nachgeordneten Behörden wurde bislang noch nicht angegangen, es wurde aber im Sommer 2015 ein internationaler Kooperationsmechanismus etabliert, der zu mehr Transparenz und Koordination der Unterstützung führte (AA 2.3.2019).

Das Militär genießt aufgrund seiner zurückhaltenden Rolle während der Revolution 2011 ein sehr hohes Ansehen in der Bevölkerung, welches bis dato anhält. Durch die derzeit starke Einbindung des Militärs in den Antiterrorkampf als auch bei der Sicherung der Grenzen (so ist z.B. der Süden Tunesiens militärische Sperrzone) ist das Militär nach wie vor wichtiger Stützpfeiler der äußeren, aber auch der inneren Sicherheit (AA 2.3.2019).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (2.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005230/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Januar_2019%29%2C_02.03.2019.pdf, Zugriff 14.10.2019

-

CIA - Central Intelligence Agency (8.10.2019): The World Factbook

-

Tunisia,

https://www.cia.gov/library/publications/resources/the-world-factbook/geos/ts.html, Zugriff 14.10.2019

-

GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2019a):

Tunesien, Geschichte & Staat,

https://www.liportal.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 14.10.2019

-

USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004225.html, Zugriff 14.10.2019

5. Folter und unmenschliche Behandlung

Artikel 23 der tunesischen Verfassung vom 26.1.2014 garantiert den Schutz der Menschenwürde und der körperlichen Unversehrtheit, verbietet seelische oder körperliche Folter und schließt eine Verjährung des Verbrechens der Folter aus. Mit der Ratifizierung des Zusatzprotokolls zur Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe am 29.6.2011 hat sich Tunesien zur Einrichtung eines nationalen Präventionsmechanismus verpflichtet. Eine innerstaatliche gesetzliche Grundlage wurde 2013 geschaffen. 2016 schließlich wählte das Parlament die Mitglieder der neuen "Nationalen Instanz zur Verhütung von Folter". Zu ihren Hauptaufgaben gehören unangemeldete Besuche an allen Orten des Freiheitsentzugs (AA 2.3.2019).

Auch wenn NGOs in den vergangenen Jahren einen Rückgang an Folterfällen festgestellt haben, so gibt es weiterhin glaubwürdige Berichte über Misshandlungen von Inhaftierten durch die Sicherheitskräfte (USDOS 13.3.2019). Polizei und Sicherheitskräfte wenden gelegentlich übermäßige Gewalt an. Es gab Berichte über Folter und andere Misshandlungen, ohne dass die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden (AI 26.2.2019). Tunesische und internationale Medien sowie spezialisierte NGOs, wie die Organisation Mondiale contre la Torture (OMCT) oder die Organisation contre la Torture en Tunisie (OCTT), berichten kontinuierlich über entsprechende Einzelfälle sowie Bestrebungen, rechtliche Schritte gegen die Verantwortlichen einzuleiten. Bislang sei es jedoch in keinem einzigen Fall gelungen, eine Verurteilung von Amtspersonen oder ehemaligen Amtspersonen wegen Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung zu erreichen. Abstrakte Befürchtungen, dass diese Delikte wieder zunehmen könnten, werden vor allem im Zusammenhang mit Terrorabwehrmaßnahmen geäußert (AA 2.3.2019; vgl. USDOS 13.3.2019).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (2.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005230/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Januar_2019%29%2C_02.03.2019.pdf, Zugriff 14.10.2019

-

AI - Amnesty International (26.2.2019): Human Rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Tunisia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003691/MDE3098892019ENGLISH.pdf, Zugriff 14.10.2019

-

USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004225.html, Zugriff 14.10.2019

6. Korruption

Tunesien nimmt auf dem Corruption Perceptions Index von Transparency International (2018) Platz 73 von 180 ein (TI 29.1.2019). Das Land schneidet nach dem Umbruch 2011 schlechter ab als noch unter Ben Ali. Vor allem die sogenannte kleine Korruption hat seitdem zugenommen. Im Alltag sind insbesondere Verkehrsdelikte und Verwaltungsangelegenheiten von Korruption betroffen, wo oft bestochen wird, um Verfahren zu beschleunigen oder Strafen zu entgehen (GIZ 9.2019a). Die Korruption bestimmt den sozialen Alltag von der banalen Bestechung eines Polizisten, bis zur Einschulung der Kinder in eine gut beleumundete Schule oder der Vergabe schlechter Schulnoten durch Lehrer/innen, die sich durch Nachhilfestunden ihr Gehalt aufbessern (ÖB 11.2018).

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor, und die Regierung hat einige Vorkehrungen getroffen, diese Gesetze umzusetzen, obwohl sie nicht immer wirksam sind. Es kam zu einer Reihe von Verhaftungen (USDOS 13.3.2019). Die Instanz zur Korruptionsbekämpfung sensibilisiert für das Thema und übergibt regelmäßig mutmaßliche Korruptionsfälle an die Justiz, wo diese jedoch nicht prioritär behandelt werden. Ende Mai 2017 hat die Regierung eine Kampagne gegen korrupte Geschäftsleute gestartet (GIZ 9.2019a). Eine Reihe von Verhaftungen und Ermittlungen richteten sich auch gegen Politiker, Journalisten, Polizisten und Zollbeamte. Zu den Vorwürfen gehörten Veruntreuung, Betrug und die Annahme von Bestechungsgeldern (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

-

GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2019a):

Tunesien, Geschichte & Staat,

https://www.liportal.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 16.10.2019

-

ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (11.2018): Asylländerbericht Tunesien,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2018250/TUNE_%C3%96B_Bericht_2018_11.pdf, Zugriff 16.10.2019

-

TI - Transparency International (29.1.2019 ): Corruption Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/country/TUN, Zugriff 16.10.2019

-

USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004225.html, Zugriff 16.10.2019

7. NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Eine Vielzahl nationaler und internationaler NGOs untersucht Menschenrechtsfälle und publiziert ihre Ergebnisse ohne Restriktionen durch die Regierung. Regierungsbeamte sind üblicherweise kooperativ und reagieren auf ihre Ansichten (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 23.4.2018). Die seit der Revolution sehr aktiv gewordene Zivilgesellschaft trägt ihren Beitrag zur Anprangerung und Bekämpfung von Missständen bei, hat jedoch noch nicht genügend Einfluss, auch tatsächlich spürbare Änderungen in Richtung mehr Respekt von bürgerlichen Rechten und Freiheiten herbeizuführen (ÖB 11.2018). Im Juli 2018 verabschiedete das Parlament ein umstrittenes neues Gesetz, welches alle NGOs verpflichtet, sich zu registrieren. Kritiker argumentieren, dass die Gesetzgebung verfassungswidrig sei und die Registrierungspflicht dazu dienen solle, die Überwachung und Aufsicht der Zivilgesellschaft durch die Regierung zu verstärken. Eine Nichtregistrierung kann zu einem Jahr Gefängnis und einer Geldstrafe von 4.000 US-Dollar führen (FH 4.2.2019).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (2.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005230/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Januar_2019%29%2C_02.03.2019.pdf, Zugriff 16.10.2019

-

FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Tunisia,

https://www.ecoi.net/de/dokument/2006463.html, Zugriff 14.10.2019

-

ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (11.2018): Asylländerbericht Tunesien,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2018250/TUNE_%C3%96B_Bericht_2018_11.pdf, Zugriff 16.10.2019

-

USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004225.html, Zugriff 16.10.2019

8. Wehrdienst und Rekrutierungen

Die tunesische Armee (Forces Armées Tunisiens, FAT) besteht aus den Landstreitkräften, der Marine und der Luftwaffe. Der verpflichtende Wehrdienst dauert ein Jahr und muss von männlichen Staatsbürgern im Alter von 20-23 Jahren abgeleistet werden. Freiwillig kann man sich bereits ab 18 Jahren zum Militärdienst melden. Die tunesische Staatsbürgerschaft ist Voraussetzung (CIA 8.10.2019; vgl. ÖB 11.2018; AA 2.3.2019).

Die einjährige Wehrpflicht kann auch in den Arbeitsverbänden des "Service National" abgeleistet werden. Einberufene können aufgrund von Freistellungsregelungen Teile der Wehrpflichtzeit durch Zahlung von entsprechenden Beiträgen verkürzen (AA 2.3.2019). Tunesien verfügt über eine "selektive" Wehrpflicht, was de facto bedeutet, dass die Mehrheit der Wehrpflichtigen nur einen einmonatigen Wehrdienst leisten und sich mittels Sondersteuer von den übrigen 11 Monaten befreien. Das Gesetz sieht zahlreiche Ausnahmen vor: so sind junge Männer in Ausbildung, Familienerhalter, über 30-jährige, rechtmäßig sich im Ausland Aufhaltende, u.a. vom Wehrdienst befreit. Gehaltsbezieher können sich vom Wehrdienst befreien lassen, indem sie einen Teil Ihres Bezugs zugunsten der Sozialkassen der Armee abführen. Die aktuelle Sicherheitslage hat zu einer grundlegenden Änderung des verpflichtenden Wehrdienstes geführt: de facto werden nur noch sich freiwillig Stellende und diese nur nach einer genauen Sicherheitsüberprüfung eingezogen (ÖB 11.2018).

Zum 1.7.2011 ist ein Wehrsold eingeführt worden. Seit März 2003 gibt es auch für junge Frauen die Möglichkeit zur Ableistung des Wehrdienstes. Kriegsdienstverweigerung und Fahnenflucht sind strafbar, entsprechende Verurteilungen aber nicht bekannt (AA 2.3.2019).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (2.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005230/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Januar_2019%29%2C_02.03.2019.pdf, Zugriff 14.10.2019

-

CIA - Central Intelligence Agency (8.10.2019): The World Factbook

-

Tunisia,

https://www.cia.gov/library/publications/resources/the-world-factbook/geos/ts.html, Zugriff 14.10.2019

-

ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (11.2018): Asylländerbericht Tunesien,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2018250/TUNE_%C3%96B_Bericht_2018_11.pdf, Zugriff 16.10.2019

9. Allgemeine Menschenrechtslage

Seit dem Volksaufstand und dem Beginn der Demokratisierung 2010/11 hat Tunesien deutliche Fortschritte beim Schutz der Menschenrechte gemacht (AA 18.9.2019a). Die tunesische Verfassung vom 26.1.2014 enthält umfangreiche Garantien bürgerlicher und politischer sowie wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Grundrechte. Tunesien hat die meisten Konventionen der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte einschließlich der entsprechenden Zusatzprotokolle ratifiziert. Vereinzelt noch bestehende Vorbehalte wurden 2011 größtenteils zurückgezogen (AA 2.3.2019; vgl. AA 9.2019a). Eine ständige Herausforderung bleibt die Anpassung der nationalen Rechtsordnung an die neue Verfassung sowie internationale Standards. Der Kampf gegen Folter und unmenschliche Behandlung bleibt eine große Herausforderung (AA 9.2019a).

Tunesien verfügt über eine Reihe an Institutionen, die sich mit Menschenrechten befassen. Das Land schneidet allerdings auch nach dem Umbruch in den Berichten internationaler Menschenrechtsorganisationen regelmäßig schlecht ab. Eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit, Folter von Häftlingen und Attacken gegen Oppositionelle listet der aktuelle Jahresbericht von Amnesty International auf. Seit dem Sturz Ben Alis hat sich die Situation zwar gebessert, allerdings kommt es nach wie vor zu Menschenrechtsverletzungen, so die Internationale Menschenrechtsliga (FIDH) (GIZ 9.2019a).

Im Vergleich zu den weitreichenden Einschränkungen von Meinungs- und Pressefreiheit vor der Revolution 2011 haben sich die Bedingungen für unabhängige Medienberichterstattung in den letzten Jahren grundlegend verbessert. Sowohl wurden wichtige rechtliche Grundlagen zum Schutz der freien Presse geschaffen, als auch die offiziellen und informellen Strukturen, die zur Unterdrückung freier Meinungsäußerung eingesetzt wurden, größtenteils abgeschafft. Die Meinungs- und Pressefreiheit, sowie auch das Recht auf Zugang zu Informationen und Kommunikationsnetzwerken wurden in den Artikeln 31 und 32 der Verfassung von 2014 ausdrücklich gestärkt. Die Medien berichten frei und offen in unterschiedlicher Qualität (AA 2.3.2019). Der Ausnahmezustand wird zur Rechtfertigung willkürlicher Einschränkungen der Bewegungsfreiheit verwendet (AI 26.2.2019).

Die Öffnung der Medienszene hat in den letzten Jahren zum Entstehen einer lebendigen, teilweise wildwüchsigen Medienlandschaft geführt, die Missstände offen thematisiert (AA 2.3.2019). Gesetzlich sind Meinungs- und Pressefreiheit somit gewährleistet und die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen, wie wohl es weiterhin Restriktionen gibt (USDOS 13.3.2019). Diese Restriktionen finden sich z. B. in Bezug auf sicherheitsrelevante Themen. Seit den Ausweitungen der Antiterrormaßnahmen hat sich diese Tendenz verstärkt. Journalisten und Blogger, die Kritik an Sicherheitskräften üben, müssen weiterhin mit Strafen rechnen. Ebenso existieren weiterhin Einschränkungen bei der Kritik an der Religion. Rechtlich verankert ist dies u.a. in Artikel 6 der Verfassung, der den "Schutz des Sakralen" garantiert. Es kommt immer wieder zu einzelnen Fällen von fragwürdiger Strafverfolgung von Journalisten und freischaffenden Bloggern. Entsprechende Verfahren gegen Zivilisten werden oft von Militärgerichten geführt - eine Praxis, die von tunesischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wird (AA 2.3.2019). Während Online- und Printmedien häufig regierungskritische Artikel veröffentlichen, üben Journalisten und Aktivisten dennoch zeitweise Selbstzensur als Resultat von Gewaltakten gegen Journalisten. Meinungsäußerungen, die "die öffentliche Ordnung oder Moral verletzen" oder "absichtlich Personen stören, auf eine Art und Weise, die den öffentlichen Anstand beleidigen" stehen weiterhin unter Strafe (USDOS 13.3.2019).

Die Verfassung garantiert das Recht auf friedliche Versammlungen und Demonstrationen (AA 2.3.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Zu Einschränkungen kommt es mehrfach aufgrund des weiterhin gültigen Ausnahmezustands. Die Übergänge zwischen legitimen Protesten gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik einerseits und periodisch auftretenden gewaltsamen Ausschreitungen und Plünderungen andererseits sind oft fließend. Grundsätzlich ist jedoch festzustellen, dass die Sicherheitsorgane friedliche Versammlungen und Demonstrationen in der Regel zuverlässig schützen, aber bei Rechtsverletzungen auch entsprechend robust auftreten. Nur vereinzelt kommt es dabei zu unverhältnismäßigem Einsatz polizeilicher Mittel (AA 2.3.2019).

Vereinigungsfreiheit ist gesetzlich gewährleistet (AA 2.3.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Im Zuge der Bekämpfung von Terrorismus und Geldwäsche wird derzeit eine Reform des Vereinsrechts vorbereitet, die von der tunesischen Zivilgesellschaft sehr kritisch beobachtet wird, hinsichtlich ihrer abschließenden Gestalt aber noch nicht beurteilt werden kann (AA 2.3.2019).

Die primäre Behörde der Regierung zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und zum Kampf gegen Bedrohungen der Menschenrechte ist das Justizministerium. Das Ministerium versagt allerdings dabei, Fälle von Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Innerhalb des Präsidentenbüros ist der Hohe Ausschuss für Menschenrechte und Grundfreiheiten eine von der Regierung finanzierte Agentur, die mit der Überwachung der Menschenrechte und der Beratung des Präsidenten betraut ist. Das Ministerium für die Beziehungen zu den Verfassungsorganen, der Zivilgesellschaft und den Menschenrechten ist für die Koordinierung der Regierungsaktivitäten im Zusammenhang mit den Menschenrechten zuständig. Die Wahrheits- und Würdekommission (IVD) wurde 2014 gegründet, um schwere Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (18.9.2019): Tunesien: Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/-/219068, Zugriff 16.10.2019

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten