TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/31 W218 2168029-2

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Veröffentlicht am 31.01.2020
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Entscheidungsdatum

31.01.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §32 Abs1 Z1

Spruch

W218 2168029-2/11E

W218 2168022-2/2E

W218 2168033-2/2E

W218 2168016-2/2E

W218 2168021-2/2E

Schriftliche Ausfertigung des am 17.01.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Benedikta TAURER über den Antrag auf Wiederaufnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 03.12.2019 betreffend der Verfahren XXXX , alle StA. Afghanistan) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.01.2020, zu Recht erkannt:

A)

Dem Antrag auf Wiederaufnahme wird stattgegeben.

Das mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.11.2019, Zl. W218 2168029-1/10E, XXXX , rechtskräftig abgeschlossene Verfahren wird auf Antrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.12.2019 gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 VwGVG wiederaufgenommen.

Zeitgleich treten die im Familienverfahren erlassenen Asylzuerkennungen XXXX ebenfalls außer Kraft und die Verfahren werden wiederaufgenommen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Nach Durchführung einer Verhandlung wurde mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 11.11.2019 dem Antrag auf internationalen Schutz stattgegeben und den (ehemaligen) beschwerdeführenden Parteien XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 iVm § 34 AsylG 2005 im Familienverfahren der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Begründend wurde ausgeführt, dass die (ehemalige) Beschwerdeführerin XXXX (künftig BF4 genannt) glaubhaft machen konnte, dass sie so einen Gesinnungswandel durchgemacht habe und daher in Österreich im Sinne einer "westlichen Orientierung" lebe, dass ihr deswegen unter den derzeitigen Umständen ein Leben im Herkunftsstaat nicht zumutbar sei. Aufgrund des Familienlebens wurde auch den anderen Beschwerdeführern der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

2. Am 02.12.2019 wurde die BF4 mit ihrer Mutter beim BFA in Graz vorstellig und beantragte die Ausstellung eines Konventionsreisepasses. Dazu legte sie ein Passfoto bei, auf dem sie mit hochgewickeltem Kopftuch abgebildet war. Nach Vorhalt der zuständigen Sachbearbeiterin betreffend die "westliche Orientierung" bestand die Genannte auf der Verwendung dieses Fotos für den Konventionsreisepass.

Nach Ansicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sei in diesem Verhalten zu erkennen, dass BF4 offensichtlich darauf bedacht sei, in ihrem Reisedokument im Einklang mit den traditionellen muslimischen Kleidungsvorschriften abgebildet zu sein. Daher sei nicht nachvollziehbar, warum eine junge Frau mit "tatsächlicher" westlicher Orientierung gerade zur BVwG Verhandlung ohne Kopftuch erscheine und dabei auch angeben "es würde ihr so gefallen", nur um dann kurz darauf und unbedingt mit einem solchen im Reisedokument abgebildet werden zu wollen.

Da das Erkenntnis des BVwG offensichtlich auf falschen Angaben der Genannten basierte, ersucht das BFA um Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens.

3. Das Bundesverwaltungsgericht hat über den gestellten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens am 17.01.2020 eine öffentliche, mündliche Verhandlung durchgeführt. Im Zuge dieser Verhandlung wurde Beweis erhoben durch Parteienvernehmung der BF4 sowie der antragstellenden Behörde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die ehemals beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige von Afghanistan und Angehörige XXXX . Sie reisten am 19.11.2015 in Österreich ein und stellten einen Antrag auf internationalen Schutz.

Diese Anträge wurden mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark vom 31.07.2017, XXXX , jeweils gemäß §§ 3, 8, 10, 57 AsylG 2005 und 46, 52, 55 FPG 2005 abgewiesen.

Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 11.11.2019 wurde dem Antrag auf internationalen Schutz der minderjährigen BF4 stattgegeben und den anderen beschwerdeführenden Parteien im Zuge der Familienzugehörigkeit der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Aufgrund des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde neuerlich eine mündliche Verhandlung am 17.01.2020 durchgeführt.

Festgestellt wird, dass ein Wiederaufnahmegrund vorhanden ist, da das Erkenntnis des BVwG durch falsche Aussagen herbeigeführt wurde.

Festgestellt wird, dass es sich bei dem vorgelegten Passfoto um ein neues Beweismittel handelt, das in Verbindung mit den Aussagen der BF4 dazu geeignet sein kann, ein anderes Ergebnis herbeizuführen.

Festgellt wird, dass der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens fristgerecht gestellt wurde.

Festgestellt wird, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Familienangehörigen, denen Asyl im Wege der Familienzugehörigkeit zuerkannt wurde, mangels gesetzlicher Grundlage nicht mehr vorliegen, weshalb diese ebenso außer Kraft treten. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt daher die mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.11.2019, Zl. XXXX , rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG wieder auf.

2. Beweiswürdigung:

Die Beschwerdeführerin vermittelte in der mündlichen Verhandlung vom 11.11.2019 den Eindruck einer selbstbestimmt leben wollenden jungen Frau, die nicht mehr bereit ist, sich den afghanischen Sitten und Gewohnheiten zu unterwerfen und dadurch Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein könnte.

Im Zuge der Beweisaufnahme in der Verhandlung am 17.01.2020 entstand allerdings der Eindruck, dass sie den afghanischen Traditionen nicht völlig abgeneigt ist und teilweise durchaus bereit ist sich anzupassen. Jedenfalls vermittelte die BF in der Verhandlung am 17.01.2020 einen anderen Eindruck, als den, der in der Verhandlung am 11.11.2019 entstand. Dies vor allem durch ihr gesamtes Auftreten und Erscheinungsbild. Beispielsweise gab sie in der Verhandlung am 11.11.2019 an, in 5-6 Jahren heiraten zu wollen, diesmal gab sie an, in ca 1-2 Jahren, also mit ca 18 Jahren heiraten zu wollen. In der Verhandlung am 11.11.2019 war sie noch mit einem österreichischen Christen liiert, diesmal ist sie mit einem afghanischen Asylwerber liiert. Hinzu kommt, dass sie angab, nach der VH vor dem Bundesverwaltungsgericht erst wieder das Kopftuch getragen zu haben, es käme immer auf ihren "Style" an. Dies steht allerdings in krassem Widerspruch zu ihrem gesamten Auftreten und Erscheinungsbild in der VH im November, also zwei Monate vor der diesmal durchgeführten Verhandlung. Der erkennenden Richterin ist bewusst, dass das Tragen eines Kopftuches lediglich ein Indiz für eine innere Einstellung sein kann, allerdings ist es nicht nachvollziehbar, dass eine junge Frau, die im November 2019 den Eindruck einer selbstbewussten und selbstbestimmt leben wollenden jungen Frau in Österreich vermittelt, lediglich zwei Monate später einen völlig anderen Eindruck hinterlässt. Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass eine junge Frau, die sich von den islamischen Traditionen abgewendet hat und vorbringt, sich diesen auch nicht mehr unterwerfen zu wollen bzw. zu können, nun davon berichtet, dass sie - wenn sie mit türkischen Freundinnen, die ein Kopftuch tragen - unterwegs ist, ebenfalls ein Kopftuch trägt, dies lässt den Schluss zu, dass sie sehr wohl bereit ist, sich den Traditionen zu unterwerfen, so wie sie nun auch auf einmal bereit ist, mit 18 Jahren zu heiraten und nicht mehr vorbringt, dass sie zuerst ihre Ausbildung abschließen möchte.

Im Zuge der Verhandlung am 17.01.2020 konnte die Beschwerdeführerin nicht glaubhaft und nachvollziehbar darlegen, warum sie auf die Ablichtung des vorgelegten Fotos bestanden hat, vielmehr ergibt sich der Verdacht, dass die beschwerdeführenden Parteien beabsichtigen, demnächst eine Reise in ein islamisches Land zu unternehmen, da auch die Mutter mit Kopftuch abgebildet ist, und dies für ein österreichisches Dokument, das lediglich als Ausweisdokument dienen soll, nicht notwendig wäre. Angemerkt wird, dass es den beschwerdeführenden Parteien selbstverständlich unbenommen bleibt, wie sie sich auf einem Passfoto ablichten lassen, sich dadurch allerdings der Verdacht aufdrängt, dass die BF4 durchaus bereit ist, sich den Traditionen ihres Herkunftsstaates anzupassen und nicht auf ihr selbstbestimmtes Leben besteht.

Nach dem Grund der Ausstellung eines Konventionsreisepasses befragt, gibt BF4 an, dass ihr 11jähriger Bruder, der im Spital sei, darauf bestanden habe - dazu wird angemerkt, dass dies jeglicher Glaubhaftigkeit entbehrt, da nicht einmal ansatzweise nachvollzogen werden kann und es jeglicher Lebenserfahrung widerspricht, dass ausgerechnet der 11jährige in der Familie auf ein Reisedokument bestehen soll.

Da es sich bei all diesen Eindrücken um einen anderen Gesamteindruck als in der Verhandlung im November handelt, wird dem Antrag auf Wiederaufnahme stattgegeben, das Verfahren daher in Stand vor der Erlassung des mündlich verkündeten Erkenntnisses gesetzt und das Verfahren der gesamten Familie neu geführt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn 1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder 2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.

Gemäß § 32 Abs. 2 VwGVG ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen.

Der Verwaltungsgerichtshof hielt mit Erkenntnis vom 31.8.2015, Ro 2015/11/0012 (vgl. auch VwGH 28.06.2016, Ra 2015/10/0136), unter Verweis auf die Materialien zu § 32 VwGVG fest, dass die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet seien und daher auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden könne.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen (vgl. u. a. VwGH 08.09.2015, Ra 2014/18/0089, mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hielt in seiner Judikatur fest, dass ein "neu entstandenes Beweismittel", wie die spätere Erklärung eines Zeugen, grundsätzlich geeignet sein kann, gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG (bzw. gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG) zur Wiederaufnahme des Verfahrens zu führen (idS etwa VwGH 14.11.2012, 2010/08/0165, und 19.04.2007, 2004/09/0159).

Des Weiteren müssen die neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel entweder allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens die Eignung aufweisen, einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid (hier: anders lautende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes) herbeizuführen. Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist (vgl. VfGH 20.02.2014, U 2298/2013); ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist. Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund ungeachtet des Erfordernisses seiner Neuheit also nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt (und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit) die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche die Behörde entweder den den Gegenstand des Wiederaufnahmeantrages bildenden Bescheid oder (zumindest) die zum Ergebnis dieses Bescheides führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (VwGH 22.02.2001, 2000/04/0195; 19.04.2007, 2004/09/0159; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 42 ff.; Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 32 VwGVG Anm. 9)

Eine Wiederaufnahme setzt nicht Gewissheit darüber voraus, dass die Entscheidung im wiederaufzunehmenden Verfahren anders gelautet hätte. Für die Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens genügt es, dass diese Voraussetzung mit einiger Wahrscheinlichkeit zutrifft; ob sie tatsächlich vorliegt, ist erst in dem wiederaufgenommenen Verfahren zu entscheiden

Mit Irreführungsabsicht hat die Partei dann gehandelt, wenn sie vorsätzlich, also wider besseren Wissens, falsche Angaben gemacht oder entscheidungsrelevante Umstände verschwiegen hat (VwGH 25.4.1995, 94/20/0779) und damit das Ziel verfolgte, daraus einen (vielleicht) sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen (VwGH 10.9.2003, 2003/18/062; 29.1.2004, 2001/20/0346; 8.6.2006, 2004/01/0470). Die Behörde hat aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen in freier Beweiswürdigung auf das eventuelle Vorliegen einer solchen Absicht zu schließen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG, § 69 Rz 14).

Der Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG hat nach herrschender Ansicht absoluten Charakter; es kommt nicht darauf an, ob ohne das verpönte Verhalten voraussichtlich ein anders lautender Bescheid ergangen wäre (VwGH 08.06.2006, 2004/01/0470; vgl. auch VwGH 25.09.1990, Zl. 86/07/0071, VwGH 6.11.1972, 1915/70; siehe weiters Hengstschläger/Leeb, AVG, § 69 Rz 27). Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts hat die Bewilligung bzw. Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens nicht allein die Zulässigkeit einer neuerlichen Entscheidung der schon einmal entschiedenen Sache zur Folge, sondern darüber hinaus auch die Aufhebung der seinerzeitigen Entscheidung (VwGH 21.11.2002, 2001/07/0027). Der das vorangegangene, das Verwaltungsverfahren abschließende Bescheid tritt bereits im Zeitpunkt der Erlassung (Zustellung) der Bewilligung (Verfügung) der Wiederaufnahme des Verfahrens außer Kraft (VwGH 23.03.1977, 1341/75 [verstärkter Senat], VwGH 13.11.1986, 86/08/0163, VwGH 17.11.1995, 93/08/0114).

Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein neu entstandenes Beweismittel, nämlich die Vorlage eines Passfotos mit Kopftuch, das die wesentliche Orientierung berechtigt in Zweifel zieht. Diese Tatsache konnte zu keinem früheren Zeitpunkt geltend gemacht werden, da der Antrag auf Ausstellung eines Konventionsreisepasses erst nach dem Erkenntnis gestellt wurde.

Hinzu kommt, dass die BF4 offensichtlich bewusst in der Verhandlung vom 11.11.2019 einen falschen Eindruck erweckt hat zum Zweck der Asylerlangung.

Die in Frage stehenden Angaben der BF4 waren von wesentlicher Bedeutung im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht und in weiterer Folge im Verfahren der Familienmitglieder zu deren Antrag auf internationalen Schutz, da die sogenannte "westliche Orientierung" der BF4 für die Asylzuerkennung ausschlaggebend war und ihr daher eine Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht zugemutet werden konnte. Im Gegensatz dazu sind in der Verhandlung am 17.01.2020 berechtigte Zweifel an dieser gelebten "westlichen Orientierung" hervorgekommen, die geeignet sein können, ein voraussichtlich im Hauptinhalt des Spruches anderslautendes Erkenntnis herbeizuführen (vgl. VwGH 19.04.2007, 2004/09/0159).

Gem. § 34 AsylG 2005 erhalten Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 den gleichen Schutzumfang.

Da mit gegenständlichem Erkenntnis die Asylzuerkennung an BF4 außer Kraft getreten ist, liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Familienangehörigen, denen Asyl im Wege der Familienzugehörigkeit zuerkannt wurde mangels einer gesetzlichen Grundlage nicht mehr vor, weshalb diese ebenso außer Kraft treten.

Der Antrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde rechtzeitig gestellt, da er am Tag nach Bekanntwerden der neuen Tatsache gestellt wurde.

Das Bundesverwaltungsgericht nimmt daher die mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.11.2019 XXXX , rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG wieder auf.

Mit Erlassung des gegenständlichen Erkenntnisses tritt das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.11.2019, Zl. W218 2168029-1/10E, ex tunc außer Kraft (vgl. Hengstschläger-Leeb, AVG § 70 AVG Rz 6).

Zu beachten ist weiters, dass der Umstand, dass, wenn eine Entscheidung eines Familienangehörigen aufgehoben wird, dies im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 4 AsylG auch auf die übrigen Familienmitglieder durchschlägt und zur Rechtswidrigkeit der sie betreffenden Entscheidungen führt (VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011). Unter Anwendung dieses Gedankens und unter Berücksichtigung des Gebots, dass die Verfahren der Familienmitglieder im Familienverfahren "unter einem zu führen" sind (§ 34 Abs. 4 zweiter Halbsatz AsylG) schlägt der Grund für Wiederaufnahme des Verfahrens der BF4 auch auf die Familienmitglieder durch.

Daher treten die im Familienverfahren erlassenen Asylzuerkennungen

XXXX ( XXXX )

XXXX ( XXXX )

XXXX ( XXXX )

XXXX ( XXXX )

XXXX ( XXXX )

zeitgleich ebenfalls außer Kraft.

Diese Verfahren sind ebenfalls neu zu führen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. die oben im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu Spruchteil A angeführten zahlreichen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Sofern die oben angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und der Verfassungsgerichtshofes zu (zum Teil) alten Rechtslagen erging, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar (vgl. dazu insb. Notwendigkeit einer maßgeblichen Verfolgungswahrscheinlichkeit und dem Ungenügen der entfernten Möglichkeit einer Verfolgung VwGH 21.12.2000, 2000/01/0132; 23.09.1998, 98/01/0224; 26.11.1998, 98/20/0309, u.v.a; sowie zur Bewertung der aktuellen [Rückkehr-]situation in Afghanistan EGMR AGR/Niederlande, 12.01.2016, 13.442/08 und das dementsprechende rezente Erkenntnis des VwGH vom 23.02.2016, Zl. Ra 2015/01/0134-7). Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist die zur asylrechtlichen Ausweisung ergangene zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes übertragbar. Die fehlenden Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 ergeben sich aus der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung, jene für den Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 aus durch den klaren Wortlaut der Bestimmung eindeutig umschriebene Sachverhaltselemente, deren Vorliegen im Fall des Beschwerdeführers nicht einmal behauptet wurde. Die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat knüpft an die zitierte Rechtsprechung zu den Spruchpunkten I. und II. des angefochtenen Bescheides an.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

falsche Angaben, Irreführung, westliche Orientierung,
Wiederaufnahme, Wiederaufnahmeantrag, Wiederaufnahmegrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W218.2168029.2.00

Zuletzt aktualisiert am

02.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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