TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/3 W170 2176143-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.02.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

03.02.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W170 2176143-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas MARTH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 05.10.2017, Zl. 1097017903-151886000/BMI-BFA_KNT_AST_01_TEAM_02, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 28 Abs. 2

Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018, in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 53/2019, abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2019, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

XXXX (in Folge auch: beschwerdeführende Partei) hat am 27.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit im Spruch bezeichneten Bescheid vom 05.10.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, dem aber hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten stattgegeben wurde.

Gegen die Abweisung des Antrags hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet sich die rechtzeitige Beschwerde vom 02.11.2017, die vom Bundesamt am 10.11.2017 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt wurde.

Am 18.10.2019 wurde die Rechtssache der zuvor zuständigen Gerichtsabteilung W150 abgenommen und der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung W170 zugeteilt.

Am 07.01.2020 wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die rechtzeitige und zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. XXXX ist ein volljähriger syrischer Staatsangehöriger, dessen Identität feststeht und der in Österreich unbescholten ist.

1.2. XXXX stammt aus der Stadt XXXX im Gouvernement Idlib (in Folge: Herkunftsgebiet), das Herkunftsgebiet ist in der Hand der Rebellen, im Jänner 2019 drängte die Jihadistenallianz Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) die protürkische National Liberation Front (NLF) zurück und übernahm die Kontrolle über die Provinz Idlib und die Randgebiete angrenzender Provinzen. Das Regime bzw. das syrische Militär hat in der Stadt XXXX keinen Zugriff auf XXXX .

Die Sicherheitslage im Herkunftsgebiet ist derart, dass für jeden Zivilisten eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht, aber es ist derzeit und in unmittelbarer Zukunft nicht damit zu rechnen, dass das syrische Regime die Macht im Herkunftsgebiet wieder übernehmen kann.

Das Herkunftsgebiet kann über die Landgrenze von der Türkei kommend sicher erreicht werden, es sind drei Grenzübergänge geöffnet, nämlich der Grenzübergang

* (türkisch) Cilvegözü bzw. (syrisch) Bab al-Hawa, dieser befindet sich in der Hand der Hay'at Tahrir al-Sham;

* (türkisch) Öncüpinar bzw. (syrisch) Bab al-Salam, dieser befindet sich in der Hand türkisch gestützten oppositionellen Gruppierungen bzw. der Freien Syrischen Armee und

* (türkisch) Karkamis bzw. (syrisch) Jarabulus, auch dieser befindet sich in der Hand türkisch gestützten oppositionellen Gruppierungen bzw. der Freien Syrischen Armee.

Daher ist XXXX eine sichere Reise in sein Herkunftsgebiet über den Landweg unter Benützung der genannten Grenzübergänge möglich, von diesem Grenzübertritt würde das syrische Regime nichts erfahren.

1.3. XXXX ist wehrdienstpflichtig, er hat seinen Wehrdienst noch nicht abgeleistet und ist von diesem nicht befreit, er befindet sich in einem Alter und Gesundheitszustand, der ihn als Soldat für das syrische Regime bzw. die syrische Armee besonders interessant macht. Allerdings könnte das syrische Regime bzw. die syrische Armee im Herkunftsgebiet nicht auf XXXX greifen und kann dieser ohne Kontakt zum syrischen Regime bzw. dessen Sicherheitskräfte nach Syrien einreisen.

Im Herkunftsgebiet droht XXXX zwar die Möglichkeit, nicht aber die hinreichende Wahrscheinlichkeit, durch die dort herrschende HTS zwangsrekrutiert zu werden, auch wenn er sich einem sozialen Druck ausgesetzt sehen könnte, sich der HTS anzuschließen.

Ansonsten droht XXXX im Herkunftsgebiet - von den allgemeinen Kriegsgefahren abgesehen - keine Verfolgung, er hatte zwar mit der Al-Nusra-Front Probleme, derzeit drohen ihm aber keine Probleme in der Stadt XXXX .

Die Familie des XXXX lebt in der Stadt XXXX , im Gouvernement Idlib ohne mit der HTS Probleme zu haben, sein 1994 geborener Bruder hat ebenso keine Probleme mit der HTS.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweiswürdigung zu 1.1.: Die Feststellungen ergeben sich aus der Aktenlage, insbesondere aus den vorgelegten Dokumenten der beschwerdeführenden Partei hinsichtlich der Feststellung der Identität und aus der in das Verfahren eingeführten Strafregisterauskunft hinsichtlich der Unbescholtenheit der beschwerdeführenden Partei.

2.2. Beweiswürdigung zu 1.2.: Die Feststellung des Herkunftsgebietes basiert auf den im Verfahren gleichbleibenden, glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei, hinsichtlich der Frage, wer im Herkunftsgebiet die Macht in der Hand hat, aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.5.2019, letzte Aktualisierung eingefügt am 17.10.2019 (in Folge: LIB) sowie einer am 02.01.2020 durchgeführten Nachschau auf https://syria.liveuamap.com/. Dies wurde den Parteien auch in der Verhandlung unwidersprochen vorgehalten.

Ebenso ergeben sich die Feststellungen zu Sicherheitslage im Herkunftsgebiet aus dem LIB, hinsichtlich der Frage, ob derzeit und in unmittelbarer Zukunft damit zu rechnen, dass das syrische Regime die Macht im Herkunftsgebiet wieder übernehmen kann, ist darauf hinzuweisen, dass das LIB hiezu ausführt, dass nach dem LIB (siehe LIB, Pkt. 2.2.) die Provinz Idlib einerseits seit den Anfängen des Konfliktes eine Oppositionshochburg ist, in der im März 2015 oppositionelle Gruppierungen die Kontrolle über die Provinz übernahmen und andererseits trotz dauernder Angriffe seit Mai 2017 Vereinbarungen zwischen Russland und Iran (als Verbündete des syrischen Regimes) einerseits, und der Türkei (als Unterstützer der Rebellen) andererseits, getroffen wurden, die - trotz militärischer Operationen syrischer Einheiten in diesem Gebiet und die Eroberung etwa der Hälfte der vereinbarten Deeskalationszone durch diese - insbesondere auf Grund der Unterstützung durch die Türkei derzeit und noch in naher Zukunft als stabil anzusehen ist. Sobald sich diesbezüglich die Situation ändert, wäre von einer geänderten Tatsachenlage auszugehen und würde die Rechtskraftwirkung dieses Erkenntnisses nicht mehr bestehen.

Hinsichtlich der Feststellungen, wie das Herkunftsgebiet erreicht werden kann, ist auf das LIB, das diesbezüglich den Parteien unwidersprochen vorgehalten wurde, zu verweisen.

Daraus ergibt sich auch die Feststellung, dass der beschwerdeführenden Partei eine sichere Reise in sein Herkunftsgebiet möglich ist und das Regime vom diesfalls nötigen Grenzübertritt nichts erfahren würde.

2.3. Beweiswürdigung zu 1.3.: Hinsichtlich der Feststellungen ist auf das LIB (in Bezug auf die syrische Rechtslage zur Wehrpflicht), die im Verfahren bisher glaubhaften, mit den Wahrnehmungen des erkennenden Richters in Einklang zu bringenden Ausführungen der beschwerdeführenden Partei zu verweisen.

Dass der beschwerdeführende Partei im Herkunftsgebiet zwar die Möglichkeit, nicht aber die hinreichende Wahrscheinlichkeit droht, durch die dort herrschende HTS zwangsrekrutiert zu werden, auch wenn diese sich einem sozialen Druck ausgesetzt sehen könnte, sich der HTS anzuschließen, ergibt sich aus dem LIB, das diesbezüglich den Parteien auch in der Verhandlung unwidersprochen vorgehalten wurde sowie aus dem Umstand, dass der 1994 geborene Bruder der beschwerdeführenden Partei unbehelligt bei der Familie der beschwerdeführenden Partei lebt. Die beschwerdeführende Partei, die mit ihrer Familie in Kontakt ist, hat ihre Befürchtungen in Bezug auf das Herkunftsgebiet auch ausdrücklich nur für den Fall der Rückeroberung durch das syrische Regime formuliert; im Moment hätte sie nach ihren Ausführungen im Herkunftsgebiet keine Probleme.

Daraus ergibt sich auch, dass der beschwerdeführenden Partei ansonsten im Herkunftsgebiet - von den allgemeinen Kriegsgefahren abgesehen - keine Verfolgung droht.

Dass die Familie der beschwerdeführenden Partei in der Stadt XXXX , im Gouvernement Idlib ohne mit der HTS Probleme zu haben, lebt und auch der 1994 geborene Bruder keine Probleme mit der HTS hat, ergibt sich aus den diesbezüglich gleichbleibenden Ausführungen der beschwerdeführenden Partei.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1. Gemäß § 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 53/2019 (in Folge: AsylG), ist Asylwerbern auf Antrag der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diesen im Herkunftsstaat - das ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder im Falle der Staatenlosigkeit, der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes und hier zweifellos Syrien - Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in Folge: GFK), droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat. Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht einer Person, die sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; ebenso droht entsprechende Verfolgung einer Person, die staatenlos ist und sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes ihres gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Es ist entscheidend, ob glaubhaft ist, dass den Fremden in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung droht. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation der Asylwerber unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde (VwGH 24.06.2010, 2007/01/1199).

2. In der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wird ausgeführt, dass drohende Bestrafung wegen der Weigerung der Teilnahme an einem von der Völkergemeinschaft verurteilten Kriegseinsatz dann zur Asylgewährung führen könne, wenn dem jeweiligen Asylwerber eine feindliche politische Gesinnung unterstellt werde (siehe etwa VwGH 21.12.2000, 2000/01/0072). Der Verwaltungsgerichtshof vertritt darüber hinaus ausdrücklich die Auffassung, dass unter dem Gesichtspunkt des Zwangs zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen - etwa gegen die Zivilbevölkerung - auch eine bloße Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung darstellen kann (VwGH 25.03.2003, 2001/01/0009). Dies ist auch in Art. 9 Abs. 2 lit e der Richtlinie 2011/95/EU ausdrücklich festgehalten Daher wäre eine (drohende) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 der genannten Richtlinie fallen, eine (drohende) asylrelevante Verfolgung.

3. Dies ist aber hier nicht der Fall, da die beschwerdeführende Partei in ihrem Herkunftsgebiet - das sie ohne Kontakt mit der Regierung erreichen kann - für das Regime bzw. dessen Organe nicht greifbar ist und der beschwerdeführenden Partei von der im Herkunftsgebiet die Macht in der Hand habenden HTS auch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Zwangsrekrutierung droht; das bloße Risiko einer solchen besteht (in Syrien wohl überall und immer), dies alleine ist aber nicht ausreichend, um der Beschwerde stattzugeben.

4. Darüber hinaus besteht nach den nachvollziehbaren Angaben der beschwerdeführenden Partei keine Verfolgungsangst im Herkunftsgebiet, solange das Regime dort nicht wieder an die Macht kommt. Diese Machtübernahme ist aber nicht unmittelbar bevorstehend. Auch lebt die Familie der beschwerdeführenden Partei und insbesondere deren Bruder ohne Probleme im Herkunftsgebiet.

5. Daher ist die Beschwerde mangels der Glaubhaftmachung einer asylrelevanten Verfolgung im Herkunftsgebiet abzuweisen, die Rechtskraft dieser Entscheidung würde aber durch die Rückeroberung des Herkunftsgebietes durch das Regime als relevante Änderung im Tatsachenbereich jedenfalls durchbrochen werden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 104/2019, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2019 (in Folge: B-VG), zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im Wesentlichen spielen in der gegenständlichen Entscheidung nur Tatsachenfragen eine Rolle, es ist daher keine relevante, offene Rechtsfrage zu erkennen und die Revision nicht zulässig.

Schlagworte

Asylantragstellung, asylrechtlich relevante Verfolgung,
Asylverfahren, begründete Furcht vor Verfolgung, Fluchtgründe,
Glaubhaftmachung, Glaubwürdigkeit, maßgebliche Wahrscheinlichkeit,
mündliche Verhandlung, unterstellte politische Gesinnung,
Verfolgungsgefahr, Verfolgungshandlung, wohlbegründete Furcht,
Zwangsrekrutierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W170.2176143.1.00

Zuletzt aktualisiert am

30.06.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten