TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/10 W255 2220585-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.02.2020
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Entscheidungsdatum

10.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W255 2220585-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Eva Jana MESSERSCHMIDT, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.05.2019, Zl. 18-1178588004-181117890, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.11.2019, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 21.11.2018 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Am 21.11.2018 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion XXXX die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei gab der BF zu seinem Fluchtgrund an, dass er zunächst im Bildungsministerium in Afghanistan gearbeitet habe, jedoch mit seinem Vorgesetzten Probleme bekommen und gekündigt habe. Er sei arbeitslos geworden. Ein Freund habe dem BF gesagt, dass er zu ihm nach XXXX kommen solle und es dort eine Arbeit gäbe. Der BF sei nach XXXX gefahren. Dort sei ihm gesagt worden, dass er als Koch arbeiten könne. Der Freund habe den BF zu einer großen Burg gebracht und der BF habe gekocht. Gegen 22:00 Uhr seien fünf Personen gekommen, drei davon maskiert. Diese Personen hätten dort gegessen. Der BF habe bei den Personen Säcke mit Kabel und Bombenmaterial gesehen. Er habe nicht schlafen können, sei aber in der Nacht noch in der Burg geblieben. Am nächsten Tag habe er gehört, wie die Personen sich unterhalten und gemeint hätten, dass alles geklappt habe und die Aufgabe gut erledigt worden sei. Der BF habe gewusst, dass das mit der Bombe zu tun hätte, aber nicht, wo genau etwas passiert sei. Später habe er bemerkt, dass zwei junge Männer hinzugekommen seien und eine Bombenweste präparieren hätten wollen. Der BF habe seinen Freund gefragt, wohin er ihn gebracht habe, weil das Leute seien, die Menschen umbringen würden. Der Freund habe gesagt, es seien Heilige, die den Heiligen Krieg führen würden. Als der Freund weg gewesen sei, sei der BF mit einem Fahrrad, das im Hof gestanden sei, zu einer 4 Kilometer entfernt gelegenen Polizeistation gefahren und habe dort erzählt, dass in der Burg etwas passiert sei. Die Polizei habe den BF ins Stadtzentrum gebracht. Von dort aus sei der BF zu seiner Familie nach XXXX zurückgefahren. Dann habe er wieder im Bildungsministerium gearbeitet. Eine Woche nach Arbeitsbeginn habe er einen Brief erhalten, in dem gestanden sei, dass er ein Verräter und Spion der Regierung sei. Es sei auch gestanden, dass jener Freund, der dem BF den Job in XXXX verschafft habe, von der Polizei festgenommen worden sei. Zehn Tage später habe der BF wieder einen Brief bekommen. Darin sei gestanden, dass der BF nur am Leben bleiben könne, wenn er zurückkomme, wieder als Koch arbeite und seinen Freund befreie. Andernfalls würde er in einer Woche umgebracht und seine Leiche vor dem Haus seiner Familie abgelegt werden. Als der BF das gelesen habe, seien innerhalb einer Woche fünf Personen umgebracht worden. Der BF habe alles seiner Familie erzählt und diese habe gemeint, dass der BF Afghanistan verlassen solle.

Der Freund des BF, der gerade in Untersuchungshaft sitze, habe der Polizei sicher gesagt, dass der BF auch dieser Gruppe angehöre, weshalb der BF sicher verhaftet werde, wenn er nach Afghanistan zurückkehren würde.

1.3. Am 08.04.2019 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion XXXX , einvernommen. Dabei gab der BF zu seinem Fluchtgrund an, dass er im XXXX gearbeitet, aber wenig verdient und daher eine andere Arbeit gesucht habe. Ein Freund habe den BF angerufen und gesagt, dass er eine Arbeitsstelle für ihn gefunden habe. Der BF sei von XXXX , wo er damals gelebt habe, in sein Heimatdorf in XXXX gefahren. Der Freund habe ihn in ein großes Haus gebracht und gesagt, dass er dort als Koch arbeiten könne. Die Gäste würden später kommen. Der BF habe gekocht. Später seien fünf unbekannte Personen mit verschleierten Gesichtern gekommen, es habe sich um Taliban gehandelt. In den Räumen in dem Haus habe der BF Säcke und Kanister gesehen. In den Säcken habe der BF verschiedene Kabel und Zündgegenstände gesehen. In der Nacht gegen 01:30 Uhr habe der BF vom Fenster aus gesehen, dass diese fünf Personen mit Kanistern weggegangen seien. Der BF habe nicht schlafen können. Am nächsten Tag seien die gleichen fünf Personen wiedergekommen, wären glücklich gewesen und hätten gelacht und gesagt, dass sie es geschafft hätten und alles gut gegangen sei. Sie hätten damit gemeint, was sie in der Nacht zuvor getan hätten. Kurz danach seien zwei dem BF unbekannte Personen gekommen. Nach dem Essen hätten die fünf Personen wieder begonnen, mit den Zündstoffen aus den Säcken und Kanistern bestimmte Jacken für Selbstmordattentäter herzurichten. Die zwei neuen Personen seien Selbstmordattentäter gewesen. Sie hätten zum BF gesagt, dass er den Raum verlassen und schlafen gehen solle. Der BF habe Angst gehabt. Gegen 1 Uhr Nachts hätten die fünf und die zwei Personen das Haus verlassen. Auch der Freund des BF habe das Haus verlassen. Gegen 02:00 oder 02:30 Uhr habe der BF von diesem Haus abhauen wollen. Er habe mit viel Mühe eine Scheibe aus einem Fenster abmontiert und sei herausgesprungen. Mit einem Fahrrad sei er dann ca. 4 Stunden Richtung Bezirkshauptmannschaft gefahren. Die Strecke dauere länger, aber da der BF Angst gehabt habe, sei er schnell gefahren und habe kein Gefühl gehabt, müde zu sein. Er sei in den Polizeiposten gegangen und habe Alles erzählt. Der Kommandant der Polizei hab den BF mit seinem Polizeiauto in die Provinzhauptstadt XXXX gebracht. Von dort sei der BF mit dem öffentlichen Verkehr nach XXXX gefahren. Der BF sei dann in XXXX in seine vorherige Arbeit im XXXX zurückgekehrt. Einmal habe er an der Haustür einen Drohbrief der Taliban entdeckt, in dem er beschuldigt worden sei, die Taliban verraten zu haben. Die Taliban hätten ihn beschuldigt, dass er einen von ihren Agenten verraten hätte, damit sei sein Freund gemeint gewesen. Dieser sei auch seit einer Woche verschwunden. Wenn der BF nicht zurückkehren würde, würden sie ihn umbringen. Sie hätten auch geschrieben, dass sein Freund von den Sicherheitsbehörden festgenommen worden sei und der BF für seine Entlassung bzw. Freilassung sorgen solle. Der BF habe den ersten Drohbrief nicht ernst genommen, ein Foto davon gemacht und ihn weggeworden. Zehn Tage später habe er wieder einen Brief gefunden. Darin sei er von den Taliban mit dem Tod bedroht worden. Mit diesem Brief sei dem BF dann klar gewesen, dass es die Taliban ernst meinen würden, zumal täglich mehrere Leute in seinem Dorf tot aufgefunden worden seien. Der BF habe seinem Vater die Sache erzählt. Dann habe er Afghanistan verlassen. Den zweiten Drohbrief habe der BF nicht fotografiert. Er habe ihn behalten, wisse aber nicht, wo er ihn zu Hause hingegeben habe.

Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan fürchte sich der BF vor der Regierung und den Taliban. Zudem sei er nun mit einer Schiitin verheiratet. Es gebe genug Streit zwischen Sunniten und Schiiten in Afghanistan. Wenn der BF jetzt nach Afghanistan zurückkehrt, würde man ihn nicht gemeinsam mit seiner Frau lassen. Im Hinblick auf seine behauptete Eheschließng mit der afghanischen Staatsangehörigen XXXX , geb. XXXX , legte der BF in der Einvernahme eine islamische Heiratsurkunde vor, die am XXXX ausgestellt und von XXXX unterschrieben wurde.

1.4. Mit Schrieben vom 30.04.2019 legte der BF die folgenden Dokumente vor:

* Schreiben von XXXX vom 16.04.2019 mit folgendem Inhalt:

"Heiratsurkunde Datum Fehler

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich wollte bescheid geben, dass beim ausfüllen der Heiratsurkunde von Frau XXXX und XXXX ein Datum Fehler passiert ist.

Die Richtige Datum wäre XXXX

Liebe Grüße

XXXX";

* Tazkira des BF;

* Arbeitsbestätigung des XXXX der Islamischen Republik Afghanistan betreffend den BF vom 08.08.2017 (Arbeitsdauer des BF von 2013 bis laufend);

* Dienstausweise des BF, ausgestellt vom XXXX der Islamischen Republik Afghanistan am 25.01.1393 (= 14.04.2014);

* 12th Grade Graduation Certificate des BF, ausgestellt vom XXXX der Islamischen Republik Afghanistan am XXXX ;

* Secondary School Transcript des BF, ausgestellt vom XXXX der Islamischen Republik Afghanistan;

* undatiertes Schreiben der " XXXX " der " XXXX University" (Bestätigung der Inskription des BF);

* Ausweis des BF, ausgestellt von der XXXX University Library;

* Student's ID Card des BF, ausgestellt von XXXX ;

* Ausweis des BF, ausgestellt von XXXX am 01.02.1395 (= 20.04.2016);

* Diverse Bestätigungsschreiben von XXXX für den BF;

* Certificate of Completion für den BF betreffend ein "Non Violent Communication Language Training" von XXXX , ausgestellt am 28.04.2016;

* Certificate des XXXX betreffend die Teilnahme des BF an einem "Non violent Communication" Workshop vom 29.10.2016 bis 09.11.2016.

1.5. Das BFA wies den Antrag des BF auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 21.05.2019, Zl. 18-1178588004-181117890, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.). Das BFA erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VI.).

1.6. Gegen den unter Punkt 1.5. genannten Bescheid richtet sich die vom BF fristgerecht erhobene Beschwerde. Darin wiederholte der BF im Wesentlichen, dass er Afghanistan aufgrund der Bedrohung durch die Taliban verlassen habe. Gemeinsam mit der Beschwerde übermittelte der BF Kopien jener beiden Drohbriefe, die er von den Taliban erhalten habe und die ihm zwischenzeitlich von seinen Verwandten in XXXX geschickt worden seien.

1.7. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 27.06.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

1.8. Mit Schreiben vom 22.07.2019 gab der BF bekannt, dass seine Lebensgefährtin XXXX schwanger sei und der XXXX voraussichtlicher Geburtstermin sei.

1.9. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 19.09.2019 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung W230 abgenommen und der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung W255 zugewiesen.

1.10. Mit Schreiben vom 03.10.2019 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem BF aktuelle Länderinformationen betreffend Afghanistan.

1.11. Mit Schreiben vom 09.10.2019 teilte der BF dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass er die in Österreich lebende Asylwerberin XXXX nach traditionellem islamischen Ritus geehelicht habe. Frau XXXX erwarte ein Kind vom BF. Der errechnete Geburtstermin sei XXXX . Dem Schreiben wurden eine Kopie des Mutter-Kind-Passes von Frau XXXX und eine Bestätigung der Gynäkologin von Frau XXXX beigelegt.

1.12. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 21.11.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Paschto sowie im Beisein des BF, seiner Rechtsvertretung und eines Vertreters des BFA eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Dabei wiederholte der BF im Wesentlichen sein Fluchtvorbringen, demzufolge er von einem Freund einen Job als Koch in der Provinz XXXX vermittelt bekommen und sich herausgestellt habe, dass er für Taliban, die Anschläge verüben, kochen sollte. Der BF sei in der zweiten Nacht von dort geflüchtet und habe nach seiner Rückkehr in XXXX Drohbriefe der Taliban erhalten. Dann habe er Afghanistan verlassen.

Im Zuge der Verhandlung wurden die Lebensgefährtin des BF, XXXX , und XXXX zum Familien- und Privatleben des BF in Österreich als Zeuginnen befragt.

Im Zuge der Verhandlung wurden das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, die UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018, die Anfragebeantwortung von ACCORD zu Afghanistan: "Lage von Personen aus sunnitisch-schiitischen Mischehen" vom 13.07.2017, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA zu

Afghanistan: "Interethnische Beziehungen, Mischehen" vom 25.09.2017 sowie die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA zu

Afghanistan: "Mischehen zwischen Sunniten und Schiiten" vom 11.11.2014 in das Verfahren eingebracht und dem BF die Möglichkeit gegeben, hierzu Stellung zu nehmen.

1.13. Mit Schreiben vom 05.12.2019 nahm der BF zu den im Zuge der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 21.11.2019 in das Verfahren eingebrachten Länderinformationen Stellung.

2. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des gegenständlich erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 21.11.2019, der Länderberichte zu Afghanistan sowie der Einsichtnahme in die Bezug habenden Verwaltungsakte betreffend die Lebensgefährtin des BF ( XXXX , geb. XXXX , GZ W134 2195235-1) sowie die Eltern und Geschwister der Lebensgefährtin des BF (GZ W134 2195251-1, W134 2195238-1, W134 2195240-1, W134 2195243-1, W134 2195247-1, W134 2195249-1, W134 2195255-1 und W134 2195257-1), der Einsichtnahme in das von der Österreichischen Botschaft in Islamabad geführte Visumverfahren betreffend den BF, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

2.1. Zur Person des BF:

2.1.1. Der BF heißt XXXX .

2.1.2. Der BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Muslim. Die Muttersprache des BF ist Paschto. Das äußere Erscheinungsbild des BF weist auf seine Volksgruppenzugehörigkeit hin. Der BF kann sich neben seiner Muttersprache auch in Dari und Englisch verständigen.

2.1.3. Der BF wurde am XXXX im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX (auch XXXX ), in der Provinz XXXX (auch XXXX) , geboren und hat dort gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern bis zur 6. Schulstufe gelebt. Nach der 6. Schulstufe übersiedelte der BF gemeinsam mit seinen Eltern, einem Bruder und sechs Schwestern in die Stadt XXXX , wo der BF bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan im Oktober 2017 lebte. Er wohnte im selben Haus mit seinen Eltern, seinem Bruder und den ledigen Schwestern.

2.1.4. Der BF besuchte in XXXX bis zur 12. Klasse die Schule und schloss diese positiv ab. Nach Abschluss der Schule studierte der BF bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan auf einer öffentlichen Universität in XXXX Journalismus. Dieses Studium betrieb er neben seinem Beruf als Abendstudium. Er stand kurz vor dem Abschluss des Studiums. Der BF arbeitete von 2013 bis Oktober 2017 als angelernter IT-Techniker in der IT-Abteilung des XXXX in XXXX . Der BF absolvierte in den Jahren 2013 bis 2017 diverse Englisch-Kurse beim Institut " XXXX " und unterrichtete gelegentlich auch selbst Schüler im Fach Englisch. Von 28.04.2016 bis 14.07.2016 und von 29.10.2016 bis 09.11.2016 besuchte er "Non violent Communication" Trainings bzw. Workshops, die von XXXX und dem XXXX durchgeführt wurden.

2.1.5. Die Eltern, der Bruder und fünf der sechs Schwestern des BF leben nach wie vor in der Stadt XXXX . Der BF steht in regelmäßigem Kontakt mit seiner Familie. Seiner Familie geht es gut. Der 33jährige Bruder des BF hat früher Englisch im XXXX unterrichtet und ist derzeit genauso wie der Vater des BF als Lehrer in einer Schule in XXXX tätig. Drei Schwestern des BF sind verheiratet. Eine Schwester des BF studiert, zwei Schwestern besuchen die Schule in XXXX , eine davon eine Privatschule. Eine Schwester des BF lebt in XXXX.

2.1.6. Zwei Tanten väterlicherseits des BF leben in XXXX . Zwei Cousins der Mutter des BF leben in XXXX .

2.1.7. Der BF ist gesund, arbeitsfähig und im erwerbsfähigen Alter. Er hat keine Kinder.

2.1.8. Der BF beantragte am 26.09.2017 bei der Österreichischen Botschaft in Islamabad ein Visum für die Einreise in Österreich. Er gab an, vom XXXX bis XXXX in Österreich bleiben zu wollen, um in Österreich Bekannte zu besuchen. Als Gastgeberin nannte er XXXX , geb. XXXX , wohnhaft in XXXX , XXXX . Er legte einen afghanischen Reisepass lautend auf " XXXX , geb. XXXX ", gültig von XXXX bis XXXX vor. Dem Reisepass ist zu entnehmen, dass der BF im September 2017 mehrfach in Pakistan ein- und ausgereist ist. Er legte eine Buchungsbestätigung für einen Hin- und Rückflug von XXXX nach XXXX mit XXXX vor (Hinflug am XXXX , Rückflug am XXXX ). Weiters gab er an, zum Zeitpunkt der Antragstellung als IT-Officer im XXXX der Islamischen Republik Afghanistan angestellt zu sein. Mit Schreiben der Österreichischen Botschaft in Islamabad vom 18.10.2017 wurde der BF darüber informiert, dass näher konkretisierte Bedenken gegen die Erteilung des Visums bestehen und der BF aufgefordert, hierzu schriftlich Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom selben Tag wurde der BF zusätzlich aufgefordert, aufgrund von Bedenken gegen die Erteilung des Visums persönlich bei der Österreichischen Botschaft in Islamabad vorzusprechen. Der BF reagierte nicht auf diese beiden Schreiben. Der Antrag auf Erteilung eines Visums wurde von der Österreichischen Botschaft in Islamabad am 03.11.2017 (rk zugestellt am 14.12.2017) abgewiesen, da die Österreichische Botschaft Islamabad die Angaben des BF als nicht glaubhaft beurteilte, seine Wiederausreiseabsicht aus Österreich nicht feststellbar war und er den Zweck des beabsichtigten Aufenthaltes in Österreich nicht nachgewiesen hat.

2.1.9. Der BF stellte nach unrechtmäßiger Einreise im österreichischen Bundesgebiet am 21.11.2018 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2.2. Zur Integration des BF in Österreich:

2.2.1. Der BF lernte unmittelbar nach seiner Einreise in Österreich Ende November 2018 die afghanische Staatsangehörige XXXX , geb. XXXX , schiitische Muslimin und der Volksgruppe der Hazara zugehörig, kennen und führt zum gegenständlichen Zeitpunkt eine Beziehung mit ihr. Der BF ist mit Hauptwohnsitz in XXXX XXXX ( XXXX ) gemeldet, seine Lebensgefährtin in XXXX ( XXXX ). Bis Mai 2019 sahen sich der BF und seine Lebensgefährtin selten persönlich. Seit Mai 2019 wohnen der BF und seine Lebensgefährtin zum Großteil gemeinsam in einem Hotel in XXXX , in XXXX , in dem ihnen Frau XXXX , geb. XXXX , die befreundete Betreiberin des Ferienhauses XXXX , kostenlos ein Zimmer zur Verfügung stellt. Der BF und seine Lebensgefährtin kehren regelmäßig in ihre Unterkünfte, die ihnen im Rahmen der Grundversorgung zur Verfügung gestellt werden und wo sie weiterhin mit Hauptwohnsitz gemeldet sind, zurück.

2.2.2. Am 15.01.2019 stellte das Standesamt XXXX beim BFA eine Anfrage betreffend eine zwischen dem BF und XXXX beabsichtigte Eheschließung in Österreich. Der BF und seine Lebensgefährtin haben bisher keine in Österreich nach österreichischem Recht gültige Ehe geschlossen. Sie haben an einem nicht näher feststellbaren Tag zwischen 21.11.2018 und 21.11.2019 nach islamischem Recht geheiratet. Ihre Lebensgemeinschaft bzw. Ehe nach islamischem Recht wird von der in Österreich lebenden Familie von XXXX , die darüber informiert ist, dass es sich beim BF um einen Sunniten und Paschtunen handelt, problemlos akzeptiert und befürwortet. Ihre Lebensgemeinschaft bzw. Ehe nach islamischem Recht wird auch von der in Afghanistan lebenden Familie des BF, die darüber informiert ist, dass es sich bei der Lebensgefährtin des BF um eine Schiitin und Hazara handelt, problemlos akzeptiert und befürwortet

2.2.3. XXXX ist vom BF schwanger. Der errechnete Geburtstermin ist

XXXX .

2.2.4. Die Lebensgefährtin des BF, XXXX , stammt aus der Stadt XXXX , ist dort aufgewachsen und hat dort die Schule besucht. Sie ist am XXXX gemeinsam mit ihren Eltern ( XXXX , geb. XXXX , und XXXX , geb. XXXX ), vier Schwestern ( XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX und XXXX , geb. XXXX ) und zwei Brüdern ( XXXX , geb. XXXX und XXXX , geb. XXXX ), alle afghanische Staatsangehörige, illegal in Österreich eingereist und hat am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Ihr Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des BFA vom 13.04.2018, Zl. 15-1096011905-151828255, bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Das BFA erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VI.). XXXX hat fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid des BFA erhoben. Das Beschwerdeverfahren ist derzeit zur GZ W134 2195235-1 beim Bundesverwaltungsgericht anhängig. Auch die Anträge auf internationalen Schutz der Eltern und der Geschwister der Lebensgefährtin des BF wurden jeweils in allen Spruchpunkten negativ entschieden und von den Betroffenen fristgerecht Beschwerde erhoben. Die Beschwerdeverfahren der Eltern und Geschwister der Lebensgefährtin des BF sind derzeit zu den GZ W134 2195251-1, W134 2195238-1, W134 2195240-1, W134 2195243-1, W134 2195247-1, W134 2195249-1, W134 2195255-1 und W134 2195257-1 beim Bundesverwaltungsgericht anhängig. Das BFA begründete die abweisenden Bescheide unter anderem damit, dass es der Lebensgefährtin des BF und ihrer Familie möglich wäre, nach XXXX zurückzukehren und dort wieder zu leben, zumal sie dort keine Verfolgung zu befürchten hätten.

2.2.5. Neben den Eltern und Geschwistern der Lebensgefährtin des BF leben auch zwei Onkel mütterlicherseits und zwei Tanten väterlicherseits in Österreich.

2.2.6. Der BF besucht keinen Deutschkurs. Der BF hat bisher keine Deutschprüfung absolviert.

2.2.7. Der BF ist in Österreich noch nie einer bezahlten Erwerbstätigkeit nachgegangen. Er hat sich in Österreich noch nie ehrenamtlich engagiert.

2.2.8. Der BF ist nicht Mitglied in einem Verein in Österreich.

2.2.9. Der BF bezieht seit seiner Ankunft in Österreich durchgehend Leistungen aus der Grundversorgung. Der BF verfügt über keine den eigenen Lebensbedarf deckenden finanziellen Mittel.

2.2.10. Der BF verfügt über keine Verwandten in Österreich. Er verfügt über keine sonstigen über die in den Punkten 2.2.1. bis 2.2.9. genannten, hinausgehenden sozialen Bindungen in Österreich.

2.2.11. Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

2.3. Zu den Fluchtgründen des BF und einer Rückkehr nach Afghanistan:

2.3.1. Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass er in Afghanistan einer konkret gegen ihn gerichteten Bedrohung/Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt war oder im Fall der Rückkehr nach Afghanistan sein würde. Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm vor seiner Ausreise aus Afghanistan von einem Freund ein Job als Koch in der Provinz XXXX (auch XXXX ) vermittelt worden wäre, der BF in diesem Zusammenhang mit Taliban in Berührung gekommen wäre, der BF von dort geflüchtet und von den Taliban bedroht worden wäre.

2.3.2. Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass er im Fall der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der Tatsache, dass er als sunnitischer Muslim in Österreich eine Beziehung mit einer schiitischen Muslimin führt, diese nach islamischem Recht geheiratet und diese von ihm schwanger ist, einer konkret gegen ihn gerichteten Bedrohung/Verfolgung durch Verwandte und/oder die Regierung und/oder Dritte ausgesetzt wäre.

2.3.3. Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass er im Fall der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der Tatsache, dass er als Paschtune in Österreich eine Beziehung mit einer Hazara führt, diese nach islamischem Recht geheiratet und diese von ihm schwanger ist, einer konkret gegen ihn gerichteten Bedrohung/Verfolgung durch Verwandte und/oder die Regierung und/oder Dritte ausgesetzt wäre.

2.3.4. Der BF wurde in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seiner Rasse, Nationalität, seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Es gibt insgesamt keinen stichhaltigen Hinweis, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt wäre.

2.3.5. Dem BF droht im Fall der Rückkehr in die XXXX ( XXXX ) ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

2.3.6. Dem BF droht im Fall der Rückkehr in die Stadt XXXX kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

2.3.7. Der BF wäre im Falle der Rückkehr in die Städte XXXX , Herat oder Mazar-e Sharif keiner konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt.

2.3.8. Der BF ist gesund, volljährig, anpassungsfähig, mobil und arbeitsfähig und hat keine Kinder. Er verfügt über zwölfjährige Schulbildung, Schulabschluss, vierjährige Berufserfahrung als IT-Techniker und gelegentlich Englischlehrer in Afghanistan. Er wuchs in Afghanistan in einem afghanischen Familienverband auf und ist mit den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und mit einer in Afghanistan gesprochenen Sprache vertraut. Angesichts seiner Bildung, seiner Sprachkenntnisse, seiner Arbeitsfähigkeit und seiner Berufserfahrung könnte er sich in den Städten XXXX , Herat und Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen und diese - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist in der Lage, in den Städten XXXX , Herat und Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Im Ergebnis ist von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des BF in Afghanistan auszugehen. Seine Eltern und Geschwister leben nach wie vor in der Stadt XXXX . Der BF steht in regelmäßigem Kontakt mit seinen Verwandten und es geht ihnen gut. Der BF könnte bei seiner Rückkehr wieder bei seinen Verwandten in XXXX leben und zumindest vorübergehend finanziell von ihnen unterstützt werden. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. In einer Gesamtbetrachtung sind XXXX , Herat und Mazar-e Sharif für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, vergleichsweise sichere und über die jeweiligen Flughäfen gut erreichbare Städte. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach XXXX , Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

Dem BF droht im Falle der Rückkehr nach XXXX oder Neuansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif somit kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit und er läuft auch nicht Gefahr, im Falle der Rückkehr nach XXXX oder Neuansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

2.3.9. Im Falle der Rückkehr (bzw. Neuansiedlung) nach XXXX , Herat oder Mazar-e Sharif läuft der BF auch nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten oder sich seine Gesundheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde. Es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

2.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

2.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand vom 13.11.2019:

1. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433.

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

1.1. Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

1.2. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019).

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o. D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019; vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019; vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

2. Sicherheitslage in der Provinz Wardak (Maidan Wardak)

Die Provinz Wardak, auch bekannt als Maidan Wardak, grenzt im Norden an Parwan und Bamyan, im Osten an Kabul und Logar und im Süden und Westen an Ghazni. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Chak-e-Wardak, Daimir Dad, Hissa-e-awali Behsud, Jaghatu, Jalrez, Markaz-e-Behsud, Maidan Shahr, Nerkh, Sayyid Abad (CSO 2019; vgl. IEC 2018w, UNOCHA 4.2014w, NPS o.D., OPr 1.2.2017). Die Provinzhauptstadt ist Maidan Shahr, die sich etwa 40 Kilometer südwestlich von Kabul befindet (WP 26.10.2016; vgl. OPr 1.2.2017).

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Wardak für den Zeitraum 2019-20 auf 648.866 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Tadschiken, Paschtunen und Hazara (OPr 1.2.2017; vgl. NPS o.D.).

Wardak ist aufgrund seiner strategischen Position - unter anderem kreuzen hier die Autobahn Richtung Westen und Osten, sowie Norden und Süden - und der Nähe zu Kabul eine bedeutsame Provinz (ARN 23.6.2019). Die Autobahn Kabul-Kandahar durchquert die Distrikte Maidan Shahr, Narkh und Saydabad (UNOCHA 4.2014w). Im Juni 2019 kündigte der afghanische Transportminister an, dass ein Stück der Straße nun asphaltiert würde (AN 30.6.2019). Eine Provinzstraße führt von Maidan Shahr nach Bamyan durch die Distrikte Jalrez, Hesa-e Awal-e Behsud, Markaz-e Behsud und den Haji-gak-Pass (UNOCHA 4.2014w). Die Taliban sind entlang dieser Straße präsent, dort kam es in der Vergangenheit zu Fällen von Erschießungen oder Entführungen von Passagieren (DA 11.6.2019; vgl. RY 2.6.2019; NYT 18.8.2018; WZ 4.1.2018), das Sammeln von "ushr" (eine prozentuelle Steuer - Anm.) (PAJ 5.11.2018). In gewissen Distrikten - wie z.B. Sayyid Abad und Daimir Dad - sollen die Taliban Posten auf der Autobahn aufgestellt haben (UNSG 7.12.2018; vgl. PAJ 27.10.2018; AP 7.10.2018; UNAMA 11.2018). Im Rahmen der Parlamentswahlen im Oktober 2018 sollen die Taliban in Maidan Wardak zudem Straßensperren errichtet haben, um die Bewohner vom Wählen abzuhalten (UNAMA 11.2018).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 hat die Provinz Wardak seit 2013 den Status "schlafmohnfrei" (UNDOC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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