Entscheidungsdatum
13.02.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W119 2134046-2/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingsdienst gem GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.4.2017, Zahl 16-1119581205-160940232, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und § 52 FPG als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des bekämpften Bescheides wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Dauer des Einreiseverbots gemäß § 53 FPG auf 30 Monate herabgesetzt wird.
III. Gemäß § 55 Abs. 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Volksrepublik China, reiste am 2.7.2016 mit einem von der Österreichischen Botschaft in Peking am 20.6.2016 ausgestellten Touristenvisum über den Flughafen Schwechat in das Bundesgebiet ein und stellte am 6.7.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz
In einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 6.7.2016 brachte die Beschwerdeführerin zu den Gründen befragt, warum sie ihr Herkunftsland verlassen habe, im Wesentlichen vor, dass ihr Mann beim Glücksspiel viel Geld verspiele und sie immer seine Schulden bezahlen müsse. Sie arbeite in China als Masseurin und verdiene mittelmäßig. Die finanzielle Lage hätte sich sehr verschlechtert, weshalb sie beschlossen habe, das Land zu verlassen.
Die Beschwerdeführerin stamme aus der Ortschaft XXXX im gleichnamigen Kreis in der Provinz Guangxi, sei verheiratet, gehöre der Volksgruppe der Han an, habe 6 Jahre die Grund- und 3 Jahre die Hauptschule besucht und sei Masseurin gewesen. In der Heimat befänden sich noch ihre Eltern, der Ehegatte, der im Jahr 2000 geborene Sohn sowie drei Brüder. Zu ihrer Religionszugehörigkeit befragt, gab die Beschwerdeführerin an, der Religion "Yinxinzenyi" anzugehören.
Am 10.8.2016 wurde die Beschwerdeführerin niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) einvernommen. Dabei gab sie im Wesentlichen an, dass sie "Yinxinzenyi gläubig" sei und sich wegen ihrer Religion in China nicht wohl fühle. Dazu brachte sie näher befragt vor: "Es gab einen Vorfall, es war am 02.11.2015. Die Polizei ist zum Dorf XXXX gekommen, dort habe ich gewohnt. Ich wohnte bei meiner Mutter. Die Polizei suchte mich, ich war aber nicht zuhause. Die Polizei hat mich gesucht, weil in China sind wir nicht erlaubt, christlich zu sein." Nachgefragt erklärte die Beschwerdeführerin dazu, dass sie von einem Unbekannten denunziert worden sei. Ob sie daraufhin gesucht worden wäre, wisse sie nicht, da sie mit einer Freundin nach Guigang gegangen sei, nachdem ihre Mutter ihr das erzählt hätte. In XXXX seien am 7.2.2016 vier Polizisten "unter der Wohnung", in der sie sich mit ihrer Freundin und der Wohnungseigentümerin aufgehalten habe, gewesen und sie sei mit den zwei anderen Frauen über die Hintertür geflüchtet. Erst am nächsten Tag wären sie zurückgekommen und hätten dann noch bis ungefähr Ende Februar 2016 dort gewohnt. Danach seien Sie nach XXXX gegangen, wo sie bis zum 30.6.2016 geblieben und dann mit ihrer Freundin ausgereist sei. Sie wären "nicht registriert" gewesen. Seit Februar 2016 habe es keine Polizeikontrollen und auch sonst keine Probleme mit der Polizei mehr gegeben.
Es sei gegen die Beschwerdeführerin auch kein Gerichtsverfahren anhängig und sie sei niemals in Haft oder festgenommen und auch niemals konkret bedroht und verfolgt worden. Nachgefragt, ob sie von Februar 2016 bis zu ihrer Ausreise normal leben hätte können, gab die Beschwerdeführerin an, dass sie viel gebetet und sich in ihrer Wohnung aufgehalten hätten, aber alles normal gewesen sei.
Es treffe zu, dass ihr Mann ein Spieler wäre und Schulden hätte. Ihr Gatte sei auch gläubig geworden und kümmere sich um ihr Kind.
Für das Visum habe sie 9.000 Euro (an das "Reisebüro") bezahlt. Die Beschwerdeführerin habe bis zum 1.11.2015 als Masseurin gearbeitet und sich seither durch ihre Ersparnisse finanziert. In China würden sich ihre Eltern, der Ehegatte, ihr (sechzehnjähriger) Sohn, drei Brüder sowie ihre Schwiegermutter aufhalten. Die Beschwerdeführerin wolle nicht nach China zurückkehren, es gebe dort Leute, die sie suchen würden. Auf die Frage, welche Leute sie suchen würden, gab sie an: "Der Nachbar beobachtet, deshalb kann ich nicht zurück. Er zeigt immer an." Bei einer Rückkehr würde sie die gleichen Probleme befürchten.
Mit Schreiben vom 8.8.2016 übermittelte die österreichische Botschaft in Peking die Visaanträge der Beschwerdeführerin und ihrer Freundin an das Bundesamt. Unter den beigelegten Dokumenten ist u.a. eine Bestätigung einer chinesischen Firma aus XXXX vom 27.5.2016, wonach die Beschwerdeführerin als Designerin für das Unternehmen arbeiten und monatlich 10.500 RMB verdienen würde. In einer E-Mail vom 14.8.2016 informierte das Bundesamt die österreichische Botschaft in Peking, dass es sich bei den Lohn- und Arbeitsbestätigungen um Totalfälschungen handle. Am 15.8.2016 wurde der belangten Behörde seitens der ÖB Peking mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin und ihre Freundin ihre Anträge persönlich an der Visaannahmestelle in XXXX eingebracht hätten.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 15.8.2016, Zl. 16-1119581205-160940232, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat China (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach China zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 FPG wurde gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 55 Abs. 1a bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt V.) Einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin wurde gemäß bei § 18 Abs. 1 Z 2 und 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).
In Erledigung der dagegen erhobenen Beschwerde behob das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 12.9.2016, GZ W182 2134046-1/2E, den genannten Bescheid und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) an das Bundesamt zurück.
Am 28.9.2016 stellte das Bundesamt eine Anfrage an die Staatendokumentation zur Glaubensgemeinschaft "Yinxinzenyi". Diese wurde am 16.1.2017 dahingehend beantwortet, dass sie aufgrund der spezifischen Art der Fragestellungen nach eigener ergebnisloser Eigenrecherche an Accord übermittelt worden sei. Auch Accord habe keinen Beleg dafür finden können, ob es sich bei Yin Xin Cheng Yi um eine Religionsgemeinschaft handle und dazu selbst ergebnislos Experten befragt.
Am 24.3.2017 wurde die Beschwerdeführerin nochmals vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Dabei erklärte sie zunächst gesund zu sein und im Verfahren bis dato den Dolmetsch gut verstanden zu haben. Bevor sie unterschrieben habe, sei ihr das Protokoll auch vorgelesen worden. Weiters legte sie eine Bestätigung eines Pfarrers darüber vor, dass sie regelmäßig zum römisch-katholischen Sonntagsgottesdienst komme. Nach ihrem Mitfeiern sei zu urteilen, dass es sich um eine sehr fromme Frau handle, die in ihrem Glauben tief verwurzelt sei.
Die Beschwerdeführerin hielt ihre Angaben aufrecht, Christin zu sein, sie gehe oft in die Kirche. Persönliche Beziehungen in Österreich habe sie nur mit der Frau, mit der sie gemeinsam in Österreich eingereist sei. Mit dieser sei sie befreundet.
Ihrer Familie würde noch in China leben, es handle sich dabei um ihre Mutter und die drei Brüder. Der Vater sei im April des letzten Jahres gestorben. Die Beschwerdeführerin habe auch ein Kind¿ sie sei ungefähr seit Jänner 2016 geschieden. Nachgefragt, wieso sie bisher angegeben habe, verheiratet zu sein, erwiderte die Beschwerdeführerin, nur gefragt worden zu sein, ob sie einen Mann habe, und nicht, ob sie geschieden wäre. Nachweisen könne sie die Scheidung nicht, weil sie nie offiziell geheiratet hätten. Auf Vorlage der Eheurkunde hin, die bei der Botschaft abgegeben wurde, gab die Beschwerdeführerin an, dass es sich um eine Eheurkunde handle, der Name darauf sei ihrer, es handle sich auch um ihr Foto. Der Mann darauf sei aber nicht ihr Ehemann und diese Urkunde nicht echt.
Der Beschwerdeführerin wurde ihr Visaantrag samt abgegebenem Kontoauszug nochmals vorgelegt und es wurde nachgefragt, ob es sich um ihren Kontoauszug handle. Dazu erklärte sie, die Unterlagen und auch den Kontoauszug persönlich bei der Botschaft abgegeben zu haben, es handle sich um ihren Kontoauszug. Vorgehalten, die Botschaft habe bestätigt, dass es sich um eine Fälschung handle und es nicht ihr Kontoauszug sein könne, erwiderte die Beschwerdeführerin, sie hätte die Bankkarte abgegeben, was die Agentur gemacht habe, wisse sie nicht. Nochmals nachgefragt, ob es ihr Kontoauszug sei, erwiderte die Beschwerdeführerin, sie könne schwören, ihrer Kontokarte bei der Agentur abgegeben zu haben. Ob es sich um ihren Kontoauszug handle oder nicht, daran könne sie sich nicht erinnern. Mit Ja oder Nein könne sie die Frage nicht beantworten. Die Bestätigung der Firma darüber, dass sie seit August 2010 als Designerin arbeite und 10 500 pro Monat verdiene, kenne sie nicht. Die Unterlagen habe sie jedoch persönlich bei der österreichischen Botschaft abgegeben, nachdem sie sie von der Agentur erhalten habe. Bei der Botschaft habe sie angegeben, als Tourist nach Österreich reisen zu wollen. Sie hätte die Unterlagen nur abgegeben, aber keine Ahnung, was darinstehe. Nachgefragt, ob man es so zusammenfassen könne, dass bis auf Namen, Geburtsdatum und Staatsbürgerschaft alles falsch bzw. gefälscht gewesen sei, einzig zu dem Zweck, sich einen Einreisetitel in den Schengenraum zu erschleichen, erklärte die Beschwerdeführerin nochmals, sie habe die Unterlagen von der Agentur bekommen und abgegeben.
Nachgefragt, wie die Beschwerdeführerin in China ihren Glauben ausgeübt habe, erklärte sie, zu Hause alleine die Bibel gelesen und gesungen sowie an privaten Treffen teilgenommen zu haben. Manchmal seien sie zu dritt und manchmal zu fünft gewesen und hätten über die Bibel und deren Inhalte diskutiert. Die Treffen hätten ein- oder zweimal in der Woche bei einer Privatperson stattgefunden. Sie hätten dabei nur über die Bibel diskutiert, sonst hätten sie nichts erreichen wollen. Was konterrevolutionär bedeute, wisse sie nicht. Glaubensobersten habe es keinen gegeben, jedoch einen Priester, der sehr viele Kirchen besucht und deshalb wenig Zeit gehabt habe. Sie hätten nur privat zusammenkommen können, weil der Staat Gläubige verfolge. Zum katholischen Glauben gebe es keinen großen Unterschied, es gebe nur Jesus, sie alle würden an den selben Gott glauben. Sie würde sich als Christin bezeichnen und fühle sich in der hiesigen Kirche sehr wohl.
Die Beschwerdeführerin sei freiwillig aus China ausgereist und in Lebensgefahr gewesen, weil sie ein Christus glaube. Deswegen hätte sie auch ihr Kind nicht mitnehmen können. Seit 2015 wäre sie gesucht worden. Anfang März 2016 habe sie ihren Reisepass beantragt und sei dann über den Flughafen legal mit ihren eigenen Dokumenten ausgereist. Ihr Name sei nicht im System, deshalb habe sie unbehelligt ausreisen können. Es sei jedoch möglich, dass sie bei einer Rückkehr festgenommen werden würde.
Mit dem gegenständlichen, im Spruch angeführten, Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Volksrepublik China abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 57 Asylgesetz nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG in die Volksrepublik China zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 FPG wurde gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 55 Abs. 1a bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt V.) Einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin wurde gemäß bei § 18 Abs. 1 Z 2 und 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).
Dagegen wurde in vollem Umfang Beschwerde erhoben, in der im Wesentlichen das bisherige Vorbringen der Beschwerdeführerin wiederholt und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt wurde.
Mit Beschluss vom 9.5.2017, GZ W119 2134046-2/3Z, erkannte das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung zu.
Am 8.1.2020 hielt das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Chinesisch eine öffentliche mündliche Verhandlung ab, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei nicht teilnahm.
Dabei legte die Beschwerdeführerin zunächst Unterlagen zu ihrem Leben als Christin in Österreich vor, zwei Fotos von der Pfarre, eine Bestätigung der Pfarrerin, Fotos über ihre Teilnahme an Demonstrationen sowie eine Bestätigung einer Glaubensschwester, weiters Unterlagen zu Deutschkursen sowie eine Bestätigung über ihre ehrenamtliche Tätigkeit.
Zunächst erklärte die Beschwerdeführerin, in einem näher genannten Dorf im XXXX in der Provinz XXXX geboren zu sein und immer dort gelebt zu haben. Seit ihrer Geburt bis einen Tag vor ihrer Abreise sei sie in ihrem Kreis gewesen. Bis 1998 habe sie bei ihren Eltern gewohnt, dann hätte sie geheiratet und mit ihrem Ehemann in einem anderen Dorf, konkret dem Nachbardorf, gelebt. Die Eheschließung hätte zu Hause stattgefunden und sie hätten alle Verwandten und Nachbarn eingeladen. Die Ehe sei jedoch nicht registriert worden. Mittlerweile sei sie geschieden. Der Grund für die Scheidung sei, dass ihr Ehemann anfangs für ihre Religion gewesen wäre und danach Angst vor Verfolgung bekommen hätte. In China gebe es eine Vorschrift darüber, dass wenn jemand gläubig sei, auch die Familie verfolgt werde. Auch dürften die Familienangehörigen nicht weiterarbeiten und die Kinder nicht die Schule besuchen. Ältere Personen würden auch von der Krankenversicherung abgemeldet. Deswegen habe sich ihr Gatte im Interesse seiner Familie von ihr getrennt. Auf Vorhalt hin, sie hätte bei ihrer Einvernahme am 10.8.2016 dezidiert angegeben, dass ihr Mann auch gläubig wäre, meinte die Beschwerdeführerin, es könne sein, dass jemand dies falsch getippt habe. Die Rückübersetzung sei inhaltlich, aber nicht Satz für Satz gewesen.
Andere Probleme hätte sie mit ihrem Mann nicht gehabt. Vorgehalten, dass sie bei ihrer Erstbefragung angegeben habe, ihr Ehemann sei Spieler gewesen und sie hätten seine Schulden bezahlen müssen, fragte die Beschwerdeführerin zunächst nach, ob sie das so gesagt hätte. Am Anfang ihrer Antragstellung hätte sie die ganze Geschichte erzählen wollen, aber keine Gelegenheit dazu gehabt. Nochmals vorgehalten, dass sie dasselbe auch anlässlich der Einvernahme beim Bundesamt am 10.8.2016 vorgebracht habe, erwiderte sie: "Das war ein Missverständnis, Ich habe das gesagt, dass er spielsüchtig war und Schulden hat. Ich habe noch nicht fertig gesprochen."
Ihr Sohn sei im Jahr XXXX geboren, jetzt XXXX Jahre alt und lebe bei ihrem Mann. Sie selbst sei Masseurin gewesen und habe in China die Pflichtschule besucht. Ihre Mutter habe keine Religion.
Die Beschwerdeführerin selbst hätte sich im Juni 2013 den Glauben zugewandt, dieser nenne sich "Yin xin chen yi" und sei christlich. Nachgefragt, wodurch er sich vom protestantischen oder katholischen Glauben unterscheide, antwortete die Beschwerdeführerin: "Der Unterschied ist, wenn ein Christ betet, betet er zu Jesus Christus. Die Protestanten beten für Maria." Ihr Glaube sei gleich wie Jesus Christus, der die Hauptfigur sei. Sie würden auch die Bibel lesen und eine Sonntagsmesse als Hautmesse haben. Wenn die Zeit geeignet sei, würden sie auch unter der Woche mit Glaubensschwestern die Bibel lesen. Bei der Sonntagsmesse gebe es auch Priester, verschiedene Priester, Prediger und Empfänger. Bei den Empfängern handle es sich um die Gastgeber, wenn sie sich bei einer Familie der Glaubensschwestern oder Brüder treffen würden. Sie seien eine Glaubensgemeinschaft in Familienform. Es habe immer nur private Treffen gegeben, die Beschwerdeführerin selbst sei nie die Empfängerin gewesen. Die Familie werde ausgewählt, wenn die Umgebung gut und sicher sei, was bei ihr nicht der Fall gewesen wäre. Dort wo sie wohne, gebe es viele Leute, die zum Majon-Spiel kämen. Diese Spielorte würden auch oft von der Polizei kontrolliert, weswegen sie davor Angst gehabt hätten. Wenn in China jemand einer Religion angehöre, könne es sein, dass er angezeigt werde. Sie selbst sei niemals angezeigt worden, habe aber trotzdem Angst.
China habe sie deshalb verlassen, weil sie an Jesus Christus glaube, an diesen Messen teilnehmen wolle und weil jemand sie ("uns") angezeigt habe. Vorgehalten, sie hätte zuerst gesagt, dass sie niemand angezeigt habe, erwiderte die Beschwerdeführerin: "Sie haben mich gefragt ob ich zu Hause angezeigt wurde. Zu Hause hat es keine Anzeige gegeben. Diese Anzeige erfolgte, weil ich zu anderen Familien gegangen bin." Nochmals vorgehalten, dass die Frage der erkennenden Richterin gelautet habe, ob die Beschwerdeführerin jemals angezeigt worden sei, antwortete diese: "Zu Hause wurde ich nicht angezeigt. Niemand hat es so bemerkt, dass ich einer Religion angehörte." Konkret sei sie angezeigt worden, als sie zu einer Freundin gegangen sei, um ihre Religion weiterzuverbreiten. Dabei sei sie gesehen worden. Dies sei am 2.11.2015 gewesen. Wiederum vorgehalten, dass die Beschwerdeführerin beim Bundesamt zu diesem Datum angegeben habe, dass sie die Polizei in ihrer Wohnung, in der sie gemeinsam mit ihrer Mutter gelebt habe, gesucht hätte, erwiderte die Beschwerdeführerin: "Ja, der Bekannte ist dort in dem Dorf." Auf weiteres Nachfragen hin, welcher Bekannte, erläuterte sie, ein Schulfreund und ein Arbeitskollege, es seien zwei Personen gewesen. Sie hätte diese beiden Personen aufgesucht, der Nachbar habe das gesehen und sie sei dann angezeigt worden. Nach der Anzeige sei die Polizei zu ihrer Mutter gegangen. Als die Beschwerdeführerin zurückgekehrt sei, habe ihr ihre Mutter mitgeteilt, dass die Polizei wegen der Predigt der Beschwerdeführerin zweimal gekommen wäre. Nachgefragt, warum sie das beim Bundesamt nicht angegeben habe, erwiderte die Beschwerdeführerin, sie hätte es gesagt. Am Abend sei sie nach Hause gegangen und ihre Mutter habe ihr mitgeteilt, dass die Polizei sie aufgesucht hätte, ihr ein ganz altes Haus gezeigt, in dem niemand wohne und wo sie sicher sein könne. Dieses Haus befinde sich hinter dem neuen Haus ihrer Eltern aber mit einem Abstand. In der Nacht vom Zweiten hätten sie und ihre Kollegen sich in diesem Hause versteckt. Vor der Dämmerung seien ihre Eltern in das Haus gekommen und hätten sie aufgefordert, zu fliehen, bevor es hell werde. Dann sei die Beschwerdeführerin mit ihrer Kollegin, die derselben Religion angehöre, zu deren Wohnung gegangen, die sich im Kreis XXXX befinde. Dort hätten sie sich bis zum 7.11. aufgehalten und seien dann nach XXXX gegangen, wo ihr ihre (Glaubens-) Schwester auch eine andere Schwester der Glaubensgemeinschaft vorgestellt hätte, mit der sie schließlich am 30.6.2016 China verlassen habe.
Zu ihren gefälschten Unterlagen für die Visumserteilung erklärte die Beschwerdeführerin, sie hätte nichts gefälscht, sondern ein Reisebüro gegen Bezahlung beauftragt. Vorgehalten, beim Bundesamt zugegeben zu haben, dass es sich auf der vorgelegten Heiratsurkunde nicht um ihren Ehemann handle, rechtfertigte sich die Beschwerdeführerin damit, dass diese Unterlagen vom Reisebüro angefertigt worden seien. Ohne solche Dokumente hätte sie China nicht verlassen können.
Nachgefragt, wie sie aus China ausreisen habe können, wenn sie polizeilich gesucht worden sei, erwiderte sie, sie hätte geglaubt, wenn sie ihr Dorf verlassen habe, würde sie kein Problem mehr haben. Dann sei sie auch am 7.2.2016 bei ihrer Glaubensschwester von einem Nachbarn angezeigt worden. Nachgefragt, warum sie dies bis jetzt nicht erwähnt habe, erwiderte die Beschwerdeführerin: "Das ist ja die Wahrheit, weil ich einer Religion angehöre. Weil jemand mich gesehen hat, dass ich einer Religion angehöre, wurde ich angezeigt."
Es stimme nicht, dass sie beim Bundesamt davon nichts erwähnt habe.
Von XXXX seien sie nach XXXX gegangen, und zwar am 7.2.2016. Dort habe eine Cousine für sie eine Wohnung gefunden. Auf Vorhalt, sie hätte bei der belangten Behörde angegeben, im März dorthin gezogen zu sein, korrigierte sich die Beschwerdeführerin demensprechend. Nachgefragt, warum sie ihre Cousine im bisherigen Verfahren nicht erwähnt habe, antwortete die Beschwerdeführerin: "Ich wurde gefragt, wo ich mich in Nanning befand. Ich habe die Wohnung gemietet. Ich habe geglaubt, wenn ich XXXX verlasse, werde ich in XXXX sicher sein. Als ich in XXXX ankam und die Wohnung mieten wollte, habe ich an der Wand verschiedene Slogans gesehen. Es lautet, wenn jemand einen anzeigt, der einer Religion angehört, wird dieser belohnt. Illegale Versammlung wird verboten. Die Anzeige wird belohnt. Wir haben uns auf XXXX gefreut, weil wir glaubten, dass XXXX sicherer ist. Als wir diese Slogans an der Wand gelesen haben, haben wir wieder Angst bekommen. Wir haben die Wohnung gemietet, aber wir haben uns nicht getraut, die Wohnung zu verlassen. Wir haben Angst, wenn wir aus der Wohnung kommen, würden wir entdeckt werden. Wir haben in der Wohnung gebetet. Wir haben an den lieben Herrn Gott gedacht. Wir haben ja nichts in der Wohnung und wir haben uns nicht getraut, einkaufen zu gehen."
Am 15.8.2013 sei sie mit zwei anderen Schwestern in einer Badewanne einer Wohnung einer Glaubensschwester oder eines Bruders getauft worden. Kirchen gebe es in ihrer Glaubensgemeinschaft nicht, sie seien nur zu Hause. Vorgehalten, sie hätte bei der belangten Behörde angegeben, dass ein Priester Kirchen besuchen und betreuen musste, erwiderte sie, er sei der Pfarrer.
In Österreich gehe die Beschwerdeführerin in eine Glaubensgemeinschaft. Mehrfach nachgefragt, um welche Kirche es sich handle, antwortete die Beschwerdeführerin, es sei auch Jesus Christus und dann, sie hätte es vergessen. Sie gehe seit Juli 2019 dorthin, bete und besuche die Messe. Zu Weihnachten gebe es verschiedene Veranstaltungen., es sei "die Erinnerung an die Auferstehung von Jesus Christus", Ostern heiße Wiedererleben, "nach der Kreuzigung drei Tage später wieder auferstehen" Weihnachten sei "die Geburt des Jesus Christus. Ostern -Drei Tage nach der Kreuzigung, wiederauferstehen. Wieder ins Leben gekommen".
Auf Frage des Rechtsberaters hin, wie diese Zusammenkünfte in China entstanden seien, erklärte die Beschwerdeführerin: "Meine Glaubensgemeinschaft ist eine Familie. Wir gehen immer zu einer Familie. Wir sind sehr vorsichtig, bei jedem Treffen. Wir haben Angst, dass uns jemand sieht. Wir sind sehr vorsichtig bei jedem Treffen. Treffen sind auch nicht jedes Mal gelungen. Wenn wir zu einem Treffpunkt kommen, kann es sein, dass etwas passiert. Z.B.:
Wenn wir oft zu einer Familie gehen, wird dies manchmal von den Nachbarn entdeckt, dann kann es sein, dass der Nachbar uns anzeigt. Es kann sein, dass der Gastgeber uns entgegenkommt und sagt, dass wir nicht kommen sollen. Wir haben ein Symbol, ein Stein vor dem Haus. Wenn die Familie in Gefahr ist, steht der Stein vor der Tür. Wenn wir vorbeifahren und den Stein sehen, werden wir nicht hineingehen. Jedes Mal, wenn wir zu einer Familie fahren, werden wir immer schauen, ob jemand hinter uns ist. Wenn wir nicht aufpassen sollten, könnten auch andere Glaubensschwestern und Brüder mithineingezogen werden. Beim Treffen haben wir auch leise gesungen, wir haben uns nicht laut getraut. Wir haben immer die Fenster zu gemacht und wir hatten Angst, dass wir gesehen werden."
Die Demonstration in Österreich, von der sie Fotos vorgelegt habe, sei gegen die Verfolgung. Sie wäre verfolgt und hätte sich verpflichtet gefühlt, an Demonstrationen teilzunehmen. Den Namen der Meneschenrechtsorganisation, die diese veranstaltet habe, kenne sie nicht, sie sei nur Teilnehmerin gewesen.
Die Dolmetscherin übersetzte auf Nachfrage hin "Yin xin chen yi" wortwörtlich mit "Wegen des Glaubens kommt es zu Freundschaft". Die Rechtsberatung vermutete dazu, dass damit die "Solafide Bewegung" gemeint sei und legte dazu einen Artikel vor. Auf Englisch heiße Solafide "Justification by Faith". Aus diesem Artikel gehe hervor, dass diese Bewegung in China weit verbreitet sei. Zur Problematik der Verfolgung von Personen, die sich außerhalb dieser Drei-Selbst-Bewegung christlich betätigen, wurden diverse Berichte vorgelegt.
Diese Dokumente zeigten, dass gerade seit etwa Beginn 2018 Christen, denen auch eine oppositionelle Gesinnung vorgeworfen werde, seitens der Partei und damit auch der Regierung mit Verfolgung zu rechnen hätten. Deshalb gehe die Rechtsberatung auch davon aus, dass die Beschwerdeführerin als Angehörige der "Solafide Bewegung" im Fall einer Rückkehr eine solche Verfolgung zu erwarten hätte.
Dem Rechtsberater werden die in das Verfahren eingeführten Länderberichte übergeben und ihm eine Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt.
Am 22.1.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht die Stellungnahme der Beschwerdeführerin zu den im Rahmen der mündlichen Verhandlung eingebrachten Länderberichten ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Volksrepublik China, stammt aus dem Kreis XXXX in der Provinz XXXX und gehört der Volksgruppe der Han an. Ihre Identität steht fest.
Sie reiste am 2.7.2016 mit einem von der Österreichischen Botschaft in Peking am 20.6.2016 ausgestellten Touristenvisum über den Flughafen Schwechat in das Bundesgebiet ein und stellte am 6.7.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
In der Heimat besuchte die Beschwerdeführerin sechs Jahre die Grundschule und drei Jahre die Hauptschule. Anschließend war sie als Masseurin tätig. Die Beschwerdeführerin ist gesund und arbeitsfähig. Festgestellt wird daher, dass die Beschwerdeführerin in der Lage ist, durch eigene Erwerbstätigkeit in China ihren Unterhalt zu sichern.
In der Heimat befinden sich noch die Mutter der Beschwerdeführerin, ihr mittlerweile volljähriger Sohn sowie drei Brüder.
Die Beschwerdeführerin konnte nicht glaubhaft machen, in der Heimat ernsthaft von Verfolgung bedroht zu sein.
Die Beschwerdeführerin hat in Österreich weder Verwandte oder Familienangehörige noch einen Partner.
Die Beschwerdeführerin besuchte einen Deutschkurs A2, konnte jedoch kein Zertifikat vorlegen. Ansonsten absolvierte sie keine weiteren Ausbildungen im Bundesgebiet.
Die Beschwerdeführerin war in Österreich nicht erwerbstätig und erwirtschaftete kein eigenes Einkommen.
Sie konnte eine Bestätigung der Diakonie über die Verrichtung von ehrenamtlichen tätigkeiten (ca. 4 bis 5 Stunden wöchentlich) sowie eine Unterstützungserklärung vom 28.12.2019 vorlegen, laut der sie regelmäßig an ökumenischen Begegnungs-Cafes einer Evangelischen Pfarrgemeinde teilnimmt und sich an praktischen Arbeiten beteiligt, bereits am 24.3.2017 verfügte sie über ein Unterstützungsschreiben eines römisch-katholischen Pfarrers. Sie besucht seit Juli 2019 die evangeliche Kirche, davor eine römisch-katholische.
Anlässlich ihres Visaantrages legte die Beschwerdeführerin gefälschte Dokumente vor.
Feststellungen zur Situation in der Volksrepublik China:
(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 14.11.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 10. 7. 2019)
Politische Lage
Die Volksrepublik China ist mit geschätzten 1,374 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2016) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 26.7.2017).
China ist in 22 Provinzen, die fünf Autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) unterteilt. Nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme", welcher der chinesisch-britischen "Gemeinsamen Erklärung" von 1984 über den Souveränitätsübergang im Jahr 1997 zugrunde liegt, kann Hongkong für 50 Jahre sein bisheriges Gesellschaftssystem aufrecht erhalten und einen hohen Grad an Autonomie genießen. Trotz starker öffentlicher Kritik in Hongkong hält die chinesische Regierung bezüglich einer möglichen Wahlrechtsreform für eine allgemeine Wahl des Hongkonger Regierungschefs (Chief Executive) an den Vorgaben fest, die der Ständige Ausschuss des Pekinger Nationalen Volkskongresses 2014 zur Vorabauswahl von Kandidaten gemacht hat. Dies hat in Hongkong zur Blockade der vorgesehenen Reform geführt und zu einem Erstarken von Bestrebungen nach größerer Autonomie, vereinzelt sogar zu Rufen nach Unabhängigkeit, auf die Peking scharf reagiert. Nach einem ähnlichen Abkommen wurde Macau am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Lösung der Taiwanfrage durch friedliche Wiedervereinigung bleibt eines der Hauptziele chinesischer Politik (AA 4.2017a).
Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" (AA 4.2017a). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 3.3.2017). Die KP ist der entscheidende Machtträger. Nach dem Parteistatut wählt der alle fünf Jahre zusammentretende Parteitag das Zentralkomitee (376 Mitglieder, davon 205 mit Stimmrecht), das wiederum das Politbüro (25 Mitglieder) wählt. Ranghöchstes Parteiorgan und engster Führungskern ist der zurzeit siebenköpfige "Ständige Ausschuss" des Politbüros. Dieser gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor im Konsens der Parteiführung erarbeitet (AA 4.2017a; vgl. USDOS 3.3.2017).
An der Spitze der Volksrepublik China steht der Staatspräsident, der gleichzeitig Generalsekretär der KP und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist und somit alle entscheidenden Machtpositionen auf sich vereinigt. Der Ministerpräsident (seit März 2013 Li Keqiang) leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem "inneren Kabinett" aus vier stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung. Alle Mitglieder der Exekutive sind gleichzeitig führende Mitglieder der streng hierarchisch gegliederten Parteiführung (Ständiger Ausschuss, Politbüro, Zentralkomitee), wo die eigentliche Strategiebildung und Entscheidungsfindung erfolgt (AA 4.2017a).
Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt. Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 1.2017a). Der NVK ist formal das höchste Organ der Staatsmacht. NVK-Vorsitzender ist seit März 2013 Zhang Dejiang (AA 4.2017a). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung. Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 1.2017a). Eine parlamentarische oder sonstige organisierte Opposition gibt es nicht. Die in der sogenannten Politischen Konsultativkonferenz organisierten acht "demokratischen Parteien" sind unter Führung der KP Chinas zusammengeschlossen; das Gremium hat lediglich eine beratende Funktion (AA 4.2017a).
Beim 18. Kongress der KP China im November 2012 wurde, nach einem Jahrzehnt, ein Führungswechsel vollzogen (AI 23.5.2013). Bei diesem Parteitag wurden die Weichen für einen Generationswechsel gestellt und für die nächsten fünf Jahre ein neues Zentralkomitee, Politbüro und ein neuer Ständiger Ausschuss bestimmt (AA 4.2017a). Xi Jinping wurde zum Generalsekretär der KP und zum Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission gekürt. Seit dem 12. Nationalen Volkskongress im März 2013 ist Xi Jinping auch Präsident Chinas (AA 4.2017a; vgl. FH 1.2017a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 3.3.2017). Die neue Staatsführung soll - wenngleich die Amtszeit offiziell zunächst fünf Jahre beträgt - mit der Möglichkeit einer Verlängerung durch eine zweite, ebenfalls fünfjährige, Amtsperiode bis 2022 (und möglicherweise auch darüber hinaus) an der Macht bleiben (HRW 12.1.2017). Vorrangige Ziele der Regierung sind eine weitere Entwicklung Chinas und Wahrung der politischen und sozialen Stabilität durch Machterhalt der KP. Politische Stabilität gilt als Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Reformen. Äußere (u.a. nachlassende Exportkonjunktur) und innere (u.a. alternde Gesellschaft, Umweltschäden, Wohlfahrtsgefälle) Faktoren machen weitere Reformen besonders dringlich. Die Rolle der Partei in allen Bereichen der Gesellschaft soll gestärkt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reformierung und Stärkung der Partei. Prioritäten sind Kampf gegen die Korruption und Verschwendung, Abbau des zunehmenden Wohlstandsgefälles, Schaffung nachhaltigeren Wachstums, verstärkte Förderung der Landbevölkerung, Ausbau des Bildungs- und des Gesundheitswesens, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere Umweltschutz und Nahrungsmittelsicherheit. Urbanisierung ist und bleibt Wachstumsmotor, bringt aber gleichzeitig neue soziale Anforderungen und Problemlagen mit sich. Erste Ansätze für die zukünftige Lösung dieser grundlegenden sozialen und ökologischen Entwicklungsprobleme sind sichtbar geworden, haben deren Dimension aber zugleich deutlich aufgezeigt (AA 4.2017a).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 2.8.2017
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AI - Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Annual Report 2013 - China,
http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html, Zugriff 2.8.2017
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CIA - Central Intelligence Agency (26.7.2017): The World Factbook
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China,
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ch.html, Zugriff 2.8.2017
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FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/339947/483077_de.html, Zugriff 2.8.2017
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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/334766/476520_de.html, Zugriff 28.8.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 2.8.2017
Sicherheitslage
Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China stark zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Land und fehlende Rechtsmittel. Auch stellen die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen Gründe für Proteste dar. Nachdem die Anzahl sogenannter. "Massenzwischenfälle" über Jahre hinweg rasch zunahm, werden hierzu seit 2008 (mehr als 200.000 Proteste) keine Statistiken mehr veröffentlicht. Zwei Aktivisten, die seit 2013 durch eigene, über Twitter veröffentlichte Statistiken diese Lücke zu schließen versuchten, wurden im Juni 2016 verhaftet. Die lokalen Behörden verfolgen in Reaktion zumeist eine Mischstrategie aus engmaschiger Kontrolle, die ein Übergreifen nach außen verhindern soll, gepaart mit einem zumindest partiellen Eingehen auf die Anliegen (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 15.12.2016)
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 31.8.2017
Rechtsschutz/Justizwesen
Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen. Dem steht jedoch der Anspruch der Kommunistischen Partei (KP) auf ungeteilte Macht gegenüber. Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden ausdrücklich abgelehnt. Von der Verwirklichung rechtsstaatlicher Normen und einem Verfassungsstaat ist China noch weit entfernt. Im Alltag sind viele Chinesen weiterhin mit Willkür und Rechtlosigkeit konfrontiert (AA 4.2017a). Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China folglich nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 15.12.2016). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2016). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KP zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen durch die Anwendung sog. "Leitlinien". Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen diejenigen, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, diesen "Leitlinien" der politisch-juristischen Ausschüsse (FH 1.2017a). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines "sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung" unter dem Motto "yi fa zhi guo", wörtlich "den Gesetzen entsprechend das Land regieren". Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, dh. der Partei, keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 11.2016).
Die wichtigste Einrichtung der KP zur Kontrolle des Rechtssystems ist die Kommission des Zentralkomitees für Politik und Recht (ZKPR). Das ZKPR ist in unterschiedlichen Unter-Formaten auf jeder gerichtlichen Ebene verankert, wobei die jeweiligen Ebenen der übergeordneten Ebene verantwortlich sind. Die Macht des Komitees, das auf allen Ebenen auf Verfahren Einfluss nimmt, wurde auch seit den Beschlüssen des Vierten Plenums der KP im Oktober 2014 bewusst nicht angetastet (ÖB 11.2016).
Die Richter-Ernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahmen seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen "Unabhängigkeit" von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es - vor allem auf unterer Gerichtsebene - noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 11.2016).
Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) unter seinem als besonders "linientreu" geltenden Präsidenten und die Oberste Staatsanwaltschaft haben in ihren Berichten an den Nationalen Volkskongress im März 2014 in erster Linie gefordert, "Falschurteile" der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die Regierung widmet sowohl der juristischen Ausbildung als auch der institutionellen Stärkung von Gerichten und Staatsanwaltschaften seit mehreren Jahren große Aufmerksamkeit (AA 15.12.2016).
Das umstrittene System der "Umerziehung durch Arbeit" ("laojiao") wurde aufgrund entsprechender Beschlüsse des 3. Plenums des ZK im November 2013 offiziell am 28.12.2013 abgeschafft. Es liegen Erkenntnisse vor, wonach diese Haftanstalten lediglich umbenannt wurden, etwa in Lager für Drogenrehabilitation, rechtliche Erziehungszentren oder diese als schwarze Gefängnisse weiter genutzt werden (AA 15.12.2016).
Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt den "Schutz der Menschenrechte" an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft sitzenden Personen innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Zudem besteht diese Informationspflicht nicht, wenn durch diese Information die Ermittlungen behindert würden - in diesen Fällen müssen Angehörige erst nach 37 Tagen informiert werden. Was eine "Behinderung der Ermittlung" bedeutet, liegt im Ermessen der Polizei, es gibt kein Rechtsmittel dagegen. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befindet, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein. Der Aufenthaltsort kann auch außerhalb offizieller Einrichtungen liegen. Diese Möglichkeit wurde mit der Strafprozessnovelle 2012 eingeführt und von Rechtsexperten wie dem Rapporteur der UN-Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances wegen des inhärenten Folterrisikos als völkerrechtswidrig kritisiert (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).
Willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest ("soft detention") ohne gerichtliche Verfahren kommen häufig vor. Die Staatsorgane griffen verstärkt auf den "Hausarrest an einem festgelegten Ort" zurück - eine Form der geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei erlaubt, eine Person für die Dauer von bis zu sechs Monaten außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand der eigenen Wahl, zu Familienangehörigen oder anderen Personen der Außenwelt festzuhalten. Dadurch wurden diese Personen der Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Inhaftierungspraxis dient dazu, die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern - einschließlich der von Rechtsanwälten, politisch engagierten Bürgern und Angehörigen von Religionsgemeinschaften - zu unterbinden (ÖB 11.2016; vgl. AA 15.12.2016, AI 22.2.2017).
Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem "Verwaltungsstrafen" verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer "Verwaltungshaft" (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten "black jails" kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 15.12.2016).
Das 2013 in Kraft getretene revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert v.a. die Stellung des Verdächtigen/Angeklagten und der Verteidigung im Strafprozess; die Umsetzung steht aber in der Praxis in weiten Teilen noch aus. Auch der Zeugenschutz wird gestärkt. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Durchsetzung dieser Regeln viele Jahre erfordern wird (AA 15.12.2016). Der Schutz jugendlicher Straftäter wurde erhöht (ÖB 11.2014).
2014 wurden schrittweise weitere Reformen eingeleitet, darunter die Anordnung an Richter, Entscheidungen über ein öffentliches Onlineportal zugänglich zu machen sowie ein Pilotprojekt in sechs Provinzen um die Aufsicht über Bestellungen und Gehälter auf eine höhere bürokratische Ebene zu verlagern. Beim vierten Parteiplenum im Oktober 2014 standen Rechtsreformen im Mittelpunkt. Die Betonung der Vorherrschaft der Partei über das Rechtssystem und die Ablehnung von Aktionen, die die Unabhängigkeit der Justiz erhöhen würden, wurde jedoch beibehalten. Dies führte zu Skepsis hinsichtlich der tatsächlichen Bedeutung der Reform (FH 1.2015a).
Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch Tatbestände der "Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StG) ersetzt. Danach können vor allem Personen bestraft werden, die einen politischen Umsturz/Separatismus anstreben oder das Ansehen der VR China beeinträchtigen. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 15.12.2016). Die Regierung hat weitere Gesetze zur nationalen Sicherheit ausgearbeitet und verabschieden lassen, die eine ernste Gefahr für den Schutz der Menschenrechte darstellen. Das massive landesweite Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und politisch engagierte Bürger hielt das ganze Jahr über an (AI 22.2.2017). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang bei der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. U.a. wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 15.12.2016).
Auch 2016 setzten sich die Übergriffe der Behörden auf Menschenrechtsanwälte das ganze Jahr hindurch mit Verhaftungen und strafrechtlichen Verfolgungen fort (FH 1.2017a). Rechtsanwälte, die in kontroversen Fällen tätig wurden, mussten mit Drangsalierungen und Drohungen seitens der Behörden rechnen, und in einigen Fällen wurde ihnen die weitere berufliche Tätigkeit verboten. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Zugang der Bürger zu einem gerechten Gerichtsverfahren sehr stark eingeschränkt war. Mangelhafte nationale Gesetze und systemische Probleme im Strafrechtssystem hatten weitverbreitete Folter und anderweitige Misshandlungen sowie unfaire Gerichtsverfahren zur Folge (AI 22.2.2017).
Seit der offiziellen Abschaffung der administrativen "Umerziehung durch Arbeit" im Jänner 2014 werden Menschenrechtsaktivisten vermehrt auf Basis der Strafrechtstatbestände der Unruhestiftung oder des Separatismus verurteilt und somit in Strafhaft gesperrt, wobei aufgrund der vagen Tatbestände ein strafrechtsrelevanter Sachverhalt relativ leicht kreiert werden kann (ÖB 11.2016). Häufig wurden Anklagen wegen "Untergrabung der staatlichen Ordnung", "Untergrabung der Staatsmacht", "Anstiftung zum Separatismus" "Anstiftung zu Subversion" oder "Weitergabe von Staatsgeheimnissen", sowie "Weitergabe nachrichtendienstlicher Informationen an das Ausland" erhoben und langjährige Gefängnisstrafen verhängt (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).
Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen zu. Allein in Peking versammeln sich täglich Hunderte von Petenten vor den Toren des staatlichen Petitionsamts, um ihre Beschwerde vorzutragen. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge werden pro Jahr landesweit ca. 10 Mio. Eingaben eingereicht. Petenten aus den verschiedenen Provinzen werden häufig von Schlägertrupps im Auftrag der Provinzregierungen aufgespürt und in ihre Heimatregionen zurückgebracht. Zwischen Februar und April 2014 wurden verschiedene Reformen des Petitionssystems verabschiedet, die eine schnellere Bearbeitung und Umstellung auf mehr Online-Plattformen beinhaltet. Das4. Plenum des Zentralkomitees der KP hat im Oktober 2014 weitere Schritte zur Regelung des Petitionswesens getroffen, deren Umsetzung aber noch aussteht. Diese Reformen werden von Beobachtern dafür kritisiert, dass sie die Effektivität der Bearbeitung der Petitionen kaum steigern, sondern vor allem dazu dienen, Petitionäre von den Straßen Pekings fernzuhalten (AA 15.12.2016).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 2.8.2017
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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China
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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/336465/479116_de.html, Zugriff am 18.8.2017
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FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/china, Zugriff 17.8.2017
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FH - Freedom House (1.2015a): Freedom in the World 2015 - China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html, Zugriff 20.8.2015