Entscheidungsdatum
17.02.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W276 2204604-1/9E
W276 2204607-1/10E
W276 2204611-1/9E
W276 2204609-1/9E
Schriftliche Ausfertigung des am 04.12.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Gert WALLISCH als Einzelrichter über die Beschwerde von 1) XXXX , geboren am XXXX , 2) XXXX , geboren am XXXX , 3) XXXX , geboren am XXXX und
4) mj XXXX , geboren am XXXX , alle StA. Afghanistan, 4) vertreten durch 1)/2), alle vertreten durch RA Dr. Benno WAGENEDER gegen die Spruchpunkte I. und II. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich betreffend
1.) vom 17.07.2018 zu Zl. XXXX , betreffend 2.) vom 17.07.2018 zu Zl. XXXX , betreffend 3.) vom 17.07.2018 zu Zl. XXXX , betreffend
4.) vom 17.07.2018, zu Zl. XXXX zu Recht:
A)
I.) Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.
II.) Den Beschwerden gegen die Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX , XXXX , XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III.) Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird den Beschwerdeführern eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 04.12.2020 erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Die Beschwerdeführer ("BF") reisten unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten jeweils am 05.11.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Bei seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 05.11.2015 gab der Erstbeschwerdeführer ("BF1") zu seinen Fluchtgründen an, dass in dem Dorf, in dem er lebe, Krieg mit die Taliban herrsche. Er habe immer Angst gehabt, dass seiner Familie etwas passiere. Die Taliban hätten gewollt, dass er und sein Sohn für die Taliban kämpften ansonsten würden sie sie umbringen.
Die Zweitbeschwerdeführerin ("BF2") gab in Ihrer Einvernahme vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu ihren Fluchtgründen an, dass sie Angst vor den Taliban gehabt hätten. Sie hätten sie bedroht. Ihr Mann und ihr Sohn hätten für die Taliban kämpfen müssen, sonst hätten sie sie umgebracht. Deshalb hätten ihr Mann und sie beschlossen, für die Zukunft ihrer Kinder aus Afghanistan zu flüchten. Im Iran hätten sie illegal gelebt. Sie hätten immer Angst gehabt, dass die iranische Polizei sie nach Afghanistan zurückschicke.
Der Drittbeschwerdeführer ("BF3") gab in seiner Einvernahme vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu seinen Fluchtgründen an, dass er nur wisse, die Taliban hätten sie umbringen wollen. Warum sie aus dem Iran weggegangen seien, könne er nicht sagen. Die Eltern hätten es beschlossen und er sei mit ihnen gegangen.
I.3. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich ("BFA") am 27.02.2018 gab der BF1 an, dass er der Volksgruppe der Hazara angehöre und schiitischer Moslem sei. Er sei in Helmand, im Distrikt Baghran, im Dorf XXXX in Afghanistan geboren. Er habe drei Jahre lang die Grundschule im Heimatdorf besucht. Ab seinem zwölften Lebensjahr bis zu seiner Ausreise habe er in der familieneigenen Landwirtschaft gearbeitet und sich um die Nutztiere gekümmert. Nach seiner Ausreise aus Afghanistan im September 2013 habe er bis Oktober 2015 im Iran gelebt. Er habe seine nunmehrige Ehefrau, die BF2, am 15.01.1378 (04.04.1999) geheiratet. Die Mutter und die Brüder des BF1 lebten im Iran.
Zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates gab er an, dass die Taliban immer wieder zu ihnen ins Dorf gekommen seien und sie aufgefordert hätten, für sie zu kämpfen. Sie hätten gemeint, dass der BF sich eine Bombe um den Körper binden solle und sich in die Luft sprengen solle. Er habe sich geweigert, dies zu tun. Sie hätten gemeint, dass sie ihn nach XXXX mitnehmen würden und dort würden die Kommandanten über ihn entscheiden. Es habe zwei Personen gegeben, XXXX und XXXX , die ihn gefragt hätten, ob er ein Gewehr bei sich habe. Sie hätten gewollt, dass er ihnen das Gewehr aushändige. Als er nein gesagt habe, hätten sie ihn geschlagen und am Kopf verletzt. Ein Nachbar und einige Passanten hätten ihn befreit und als seine Frau ihm geholfen habe, hätten sie auch seine Frau geschlagen. Der BF1 sei bewusstlos geworden und als er aufgewacht sei, habe er gemerkt, dass er im Behandlungszimmer im Bazar sei. Er sei zehn Tage dortgeblieben, dann habe er sich ca. zwei Monate versteckt, bis er in den Iran ausgereist sei. Es bestehe eine zwanzigjährige Feindschaft zwischen dem BF1 und zwei Talibankommandanten.
Bei ihrer Einvernahme vor dem BFA am 27.02.2018 gab die BF2 an, dass sie der Volksgruppe der Hazara angehöre und schiitische Muslimin sei. Sie sei in Afghanistan in Helmand, im Distrikt Baghran, im Dorf XXXX geboren. Sie sei nie in der Schule gewesen. Sie habe sich um den Haushalt und die Tiere gekümmert. Sie habe den BF im Frühling 1378 (1999) geheiratet. Sie habe nach ihrer Ausreise aus Afghanistan im Jahr 2013 zwei Jahre im Iran verbracht. Ihre Mutter und eine Schwester lebten im Heimatdorf. Ihr Bruder und eine Schwester seien im Iran aufhältig.
Zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates gab sie an, dass das Leben ihrer Familie und ihr Leben in Gefahr gewesen sei. Die Taliban hätten gedroht, dass sie ihren Mann und die ganze Familie umbringen würden. Ihr älterer Sohn sei auch persönlich von den Taliban bedroht worden.
Bei seiner Einvernahme vor dem BFA am 27.02.2018 gab der BF3 an, dass er der Volksgruppe der Hazara angehöre und schiitischer Moslem sei. Er sei in Helmand, im Distrikt Baghran, im Dorf XXXX in Afghanistan geboren. Er habe drei Jahre lang die Grundschule im Heimatdorf besucht. Ab seinem zehnten Lebensjahr bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan habe er die Schafe und Ziegen auf die Weide gebracht und auf sie aufgepasst. Nach seiner Ausreise aus Afghanistan im September 2013 habe er mit seinen Eltern bis Oktober 2015 im Iran gelebt. Die Großmutter und eine Tante des BF3 lebten im Heimatdorf.
Zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates gab er an, dass der Fluchtgrund seines Vaters auch sein Fluchtgrund sei.
I.4. Mit jeweils angefochtenem Bescheid der belangten Behörde vom 17.07.2018, Zl. XXXX (BF1), Zl. XXXX (BF2), Zl. XXXX (BF3), Zl. XXXX (BF4), wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen festgelegt (Spruchpunkt VI).
Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der BF1 und die BF2 ihr Fluchtvorbringen nicht glaubhaft gemacht hätten. Es seien im Ermittlungsverfahren keine Umstände hervorgetreten, aus denen geschlossen werden könne, dass die BF2 sich seit ihrer Einreise bereits eine "westliche" Lebensweise angeeignet habe, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstelle. Der BF3 und BF4 hätten die gleichen Fluchtgründe wie ihre Eltern. Das Ermittlungsverfahren habe auch keine Gründe ergeben, die zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz gem. § 8 AsylG 2005 führen könnten.
I.5. Gegen die genannten Bescheide richtet sich die jeweils vorliegende, rechtzeitig eingebrachte Beschwerde. Es wurde die mangelhafte Protokollierung, Befragung und Übersetzung, die Mangelhaftigkeit des Verfahren, eine unrichtige Beweiswürdigung und Sachverhaltsfeststellung sowie eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht.
I.6. Am 07.11.2019 langte ein vorbereitender Schriftsatz für die mündliche Verhandlung beim BVwG ein.
I.7. Am 04.12.2019 fand vor dem BVwG eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein der BF und ihrer Rechtsvertretung statt. Das BFA nahm aus dienstlichen und personellen Gründen nicht an der mündlichen Verhandlung teil. Auf die Verlesung des gesamten Akteninhalts sowie Akteneinsicht wurde verzichtet. Die BF legten weitere Integrationsunterlagen vor. Vom erkennenden Richter wurden Länderberichte und zahlreiche weitere Länderinformationen in das Verfahren eingebracht (vgl Pkt II.2 dieses Erkenntnisses). Die BF und ihre Rechtsvertretung verzichteten auf die Ausfolgung von Kopien und die Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme zu den Länderberichten bzw Länderinformationen. Der erkennende Richter verkündete mündlich die Abweisung der Beschwerden gegen die angefochtenen Bescheide hinsichtlich Spruchpunkt I. Den Beschwerden hinsichtlich Spruchpunkt II. wurde stattgegeben und den BF der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
I.8. Am 11.12.2019 langte die Bekanntgabe der Vollmachtserteilung an den MigrantInnen Verein St. Marx und der Antrag der BF auf schriftliche Ausfertigung der am 04.12.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisse ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
Die BF führen den jeweils im Spruch genannten Namen, sind afghanische Staatsangehörige und gehören der Volksgruppe der Hazara an. Sie gehören der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Die Muttersprache der BF ist Dari.
Die BF wurden in Afghanistan, in der Provinz Helmand in XXXX geboren.
Der BF1 hat drei Jahre lang die Grundschule im Heimatdorf besucht. Ab seinem zwölften Lebensjahr bis zu seiner Ausreise hat er in der familieneigenen Landwirtschaft gearbeitet und sich um die Nutztiere gekümmert. Die BF2 hat keine Schule besucht. Sie hat sich um den Haushalt und die Tiere gekümmert. Sie hat keine Schul- oder Berufsausbildung absolviert. Der BF3 hat drei Jahre lang die Grundschule im Heimatdorf besucht. Ab seinem zehnten Lebensjahr bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan hat er die Schafe und Ziegen auf die Weide gebracht und auf sie aufgepasst.
Die BF haben im Jahr 2013 Afghanistan verlassen und haben danach zwei Jahre im Iran gelebt, bevor sie gemeinsam nach Europa gereist sind.
Der BF1 und die BF2 haben am 04.04.1999 nach traditionellem islamischen Ritus in Afghanistan geheiratet und sind die Eltern des BF3 und des minderjährigen BF4.
Die Mutter und die beiden Brüder des BF1 leben im Iran. Die Mutter und die jüngere Schwester der BF2 leben im Heimatdorf in Afghanistan. Ihre ältere verheiratete Schwester, ihr Bruder und eine Tante väterlicherseits leben im Iran. Ein Onkel väterlicherseits der BF2 lebt in Pakistan. Der BF1 und die BF2 stehen zu ihren Familien über das Telefon und das Internet in Kontakt.
Die wirtschaftliche Situation der Familien der BF ist schlecht. Eine finanzielle Unterstützung der BF durch ihre Familien ist bei einer Ansiedelung der BF in Afghanistan nicht zu erwarten.
Die BF verfügen über nur sehr geringe familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte in Afghanistan.
II.1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:
II.1.2.1. Die BF sind aufgrund der behaupteten Feindschaft und den misslungenen Rekrutierungsversuchen keiner persönlichen Bedrohung oder Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt.
II.1.2.2. Die BF2 wäre im Herkunftsstaat auch allein aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Die BF2 hat während ihres Aufenthalts in Österreich kein westliches Verhalten oder eine westliche Lebensführung in der Weise angenommen, dass es als Verletzung der sozialen Normen angesehen würde und ein solch wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dass es für sie eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen.
II.1.2.3. Den BF droht nicht alleine wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Religion konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan. Ebenso wenig ist jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Religion in Afghanistan alleine aufgrund dieses Merkmals zwangsläufig physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.
II.1.2.4. Den BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht alleine auf Grund der Tatsache, dass sie einen recht kurzen Teil ihres Lebens in Europa bzw. einen ca. zweijährigen Zeitraum im Iran verbracht haben, konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan. Ebenso wenig ist jeder Rückkehrer aus dem Iran bzw. aus Europa alleine aufgrund dieses Merkmals in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.
II.1.2.5. In Afghanistan besteht Schulpflicht und der Zugang zu einem Schulangebot ist grundsätzlich möglich. Vor diesem Hintergrund besteht nicht die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung, wenn BF1 und BF2 ihren Kindern BF3 und BF4 bei einer Rückkehr eine grundlegende Bildung zukommen lassen. BF1 und BF2 würden als Eltern auch aktuell ihren Kindern den Schulbesuch in Afghanistan gestatten.
Der achtzehnjährige BF3 absolviert in Österreich eine Tischlerlehre. Der BF4 ist ein unmündiger Minderjähriger von zehn Jahren, der in Österreich die Volksschule besucht. Es kann nicht festgestellt werden, dass es BF3 und BF4 unmöglich oder unzumutbar wäre, sich erneut in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass BF4 auf Grund seines Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation der Kinder in Afghanistan physische und/oder psychische Gewalt droht und er deswegen einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre.
II.1.3. Zur Situation der Beschwerdeführer in Österreich:
Die BF befinden sich seit spätestens 05.11.2015 durchgehend im Bundesgebiet und sind illegal eingereist. BF1, BF2 und BF3 sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten, der BF4 ist strafunmündig.
Die BF sind gesund.
Die BF leben von der Grundversorgung. BF1 und BF2 sind in Österreich nie einer Beschäftigung bzw. Erwerbstätigkeit nachgegangen, und sind somit nicht selbsterhaltungsfähig.
Der BF1 besucht derzeit einen Deutschkurs für das Sprachniveau A2. Er spricht gebrochen Deutsch. Er hat an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. Er hat im Wirtschaftshof seiner Stadtgemeinde in der Tischlerei, der Straßenreinigung, der Gärtnerei und der Fahrzeugpflege mitgeholfen. Der BF1 hat freundschaftliche Kontakte zu ehrenamtlichen Mitgliedern einer örtlichen Unterstützungsgruppe für Asylwerber geknüpft. Er geht ins Schwimmbad und spielt mit seinen Söhnen Fußball. Der BF1 ist kein Mitglied in einem Verein und geht, bis auf zwei Kinobesuche, keinen kulturellen Aktivitäten nach.
Die BF2 hat Deutschkurse besucht und die Prüfung "A1-Fit für Österreich" und die Integrationsprüfung für das Sprachniveau A2 des ÖIF bestanden. Derzeit besucht sie den Deutschkurs für das Sprachniveau B1. Sie kann sich durchschnittlich auf Deutsch verständigen. Sie hat an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. Sie hat freundschaftliche Kontakte zu ehrenamtlichen Mitgliedern einer örtlichen Unterstützungsgruppe für Asylwerber geknüpft, mit denen sie sich auch in ihrer Freizeit trifft. Ansonsten verbringt sie ihre Freizeit mit ihrem Ehemann und ihren Kindern. Die BF2 würde gerne als Köchin arbeiten, hat aber noch keine konkreten Schritte unternommen, sich über eine Berufsausbildung zu informieren. Sie möchte gerne den Führerschein machen und hat sich eine Lern-CD gekauft, hat aber bisher noch keinen Kurs absolviert. Sie ist kein Mitglied in einem Verein und geht, bis auf einen Theaterbesuch und drei Kinobesuche, keinen kulturellen Aktivitäten nach.
Die vorgelegten Empfehlungsschreiben weisen den BF1 und die BF2 als hilfsbereite und freundliche Menschen aus.
Der BF3 absolviert seit 03.09.2018 eine Tischlerlehre und besucht im Rahmen seiner Ausbildung die Berufsschule. Der BF4 besucht die Volksschule. Der BF3 und der BF4 sind beide in Fußballvereinen aktiv.
II.1.4. Zur Rückkehrsituation der Beschwerdeführer:
Den BF würde bei einer Überstellung nach Afghanistan in die Provinz Helmand ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK drohen.
Der BF1 und die BF2 liefen bei einer Ansiedelung in Afghanistan, etwa in der Stadt Mazar-e-Sharif oder ähnlichen sicheren Gebieten Afghanistans, mangels sozialer und familiärer Anknüpfungspunkte sowie mangels ausreichender Unterkunftsmöglichkeiten und mangels der notwendigen Versorgung ihres minderjährigen Sohnes Gefahr, grundlegende Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft für sich und ihre Familie nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Die BF2 verfügt über keinerlei Berufserfahrung, sondern war stets als Hausfrau tätig bzw. hat in der Landwirtschaft ihrer Familie mitgearbeitet und ist daher nicht selbsterhaltungsfähig. Beim BF1 ist zwar von einer grundsätzlichen Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben auszugehen, allerdings ist es ihm nicht möglich, alleine den Lebensunterhalt für seine Familie zu verdienen und für eine entsprechende Wohnmöglichkeit zu sorgen. Dies insbesondere mangels Kenntnis der lokalen Gepflogenheiten in einer der Großstädte in Afghanistan, mangels Unterstützungsnetzwerk und mangels Schulbildung. Der volljährige BF3 und der minderjährige BF4 sind auf die Versorgung durch ihre Eltern angewiesen.
Insgesamt ist davon auszugehen, dass die BF im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein werden, nach anfänglichen Schwierigkeiten in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein relativ normales Leben ohne unangemessene Härten zu führen.
II.1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
II.1.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019:
Allgemeine Sicherheitslage:
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil, nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (LIB 13.11.2019, S. 18). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (LIB 13.11.2019, S. 18-19).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten. Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19). Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (LIB 13.11.2019, S. 23)
Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (LIB 13.11.2019, S. 24).
Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, S. 25).
Regierungsfeindliche Gruppierungen:
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, S. 26).
Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel (LIB 13.11.2019, S. 26).
Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).
Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).
Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (LIB 13.11.2019, S. 27). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern. Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen (LIB 13.11.2019, S. 28).
Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (LIB 13.11.2019, S. 29).
Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, S. 29).
Kabul
Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).
In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).
Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).
Allgemeine Information zur Sicherheitslage
Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).
Informationen und Beispiele zu öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage (allgemeiner Teil)" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.
Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).
Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.
Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).
Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul
Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul
Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani- Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).
Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).
Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).
Balkh
Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif (LIB 13.11.2019, S. 61).
Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (LIB 13.11.2019, S. 61).
Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum. Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen. Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (LIB 13.11.2019, S. 61).
Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den
7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (LIB 13.11.2019, S. 61).
Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen. In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete. Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert. Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet. Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (LIB 13.11.2019, S. 62).
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten 6 Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (LIB 13.11.2019, S. 63).
Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert. Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (LIB 13.11.2019, S. 63).
Herat
Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden. Herat ist in 16 Distrikte unterteilt. Zudem bestehen vier weitere "temporäre" Distrikte. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt. Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (LIB 13.11.2019, S. 105).
Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden. Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (LIB 13.11.2019, S. 107).
Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden. Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (LIB 13.11.2019, S. 106).
Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (LIB 13.11.2019, S. 106).
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (LIB 13.11.2019, S. 106).
Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet:
Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (LIB 13.11.2019, S. 106).
Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen. Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (LIB 13.11.2019, S. 106-107). 2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (LIB 13.11.2019, S. 107).
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 108).
In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen. Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, S. 108). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LIB 13.11.2019, S. 109). Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (LIB 13.11.2019, S. 109).
Helmand
Die Provinz Helmand liegt im Süden Afghanistans und grenzt an die Provinzen Nimroz und Farah im Westen, Ghor und Daikundi im Norden sowie Uruzgan und Kandahar im Osten. Im Süden teilt sich Helmand eine 162 Kilometer lange Grenze mit Pakistan entlang der Durandlinie (PAJ o.D.). Helmand ist die größte Provinz Afghanistans (TD 31.5.2016) und gliedert sich in die Distrikte Baghran, Dishu, Garm Ser, Kajaki, Lashkargah, Musa Qala, Nad Ali, Marja (ehemals Teil von Nad Ali (AAN 10.3.2016)), Nahr-i-Saraj (Nawa-i-Barikzayi, Nawamish, Nawzad, Reg-i-Khan Nishin, Sangin und Washer. Die Provinzhauptstadt von Helmand ist Lashkargah (CSO 2019; vgl. IEC 2018). Nach Angaben der afghanischen zentralen Statistikorganisation (CSO) sind Marja und Nawamish sogenannte "temporäre" Distrikte (CSO 2019), da sie nach Verabschiedung der Verfassung von 2004 durch den Präsidenten aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, aber (noch) nicht vom Parlament bestätigt wurden (AAN 16.8.2018).
Der von Hazara dominierte Distrikt Nawamish wurde auf Anordnung des Präsidenten im März 2016 vom mehrheitlich paschtunischen Distrikt Baghran in der Provinz Helmand abgespalten. Im Juni 2017 wurden die administrativen Angelegenheiten von Nawamish Daikundi zugeordnet (AAN 16.8.2018), bzw. beschloss die Regierung 2018, dass Nawamish Teil von Daikundi werden würde (Mobasher 2019). 2018 wurden die Parlamentswahlen in Nawamish jedoch von Lashkargah aus durchgeführt, was Proteste im Distrikt hervorrief (AAN 16.8.2018; vgl. PAJ 29.7.2018). Zeitungsberichte vom Mai und Juli 2019 zählten Nawamish wieder zu Daikundi (RY 11.7.2019; vgl. PAJ 10.5.2019). Eine Quelle berichtet, dass es sich hierbei um einen Konflikt entlang ethnischer Grenzen handelt: Während Paschtunen fordern, dass Nawamish Teil von Daikundi sein soll, sprechen sich Hazara für eine Zugehörigkeit zu Helmand aus (Mobasher 2019).
Die CSO schätzt die Bevölkerungsanzahl von Helmand im Zeitraum 2019-20 auf 1.420.682 Personen (CSO 2019). Die Mehrheit der Einwohner von Helmand sind Paschtunen, mit einer belutschischen Minderheit im Süden an der Grenze zur pakistanischen Provinz Belutschistan (NPS o.D.) und Hazara in Nawamish im Norden (AAN 16.8.2018). Während die nördlichen Distrikte von Helmand - Baghran, Kajaki und Musa Qala - hauptsächlich von Mitgliedern des Alizai-Stammes bevölkert werden, sind die Distrikte Marja und Nad Ali in ihrer Zusammensetzung heterogener. Dort leben Angehörige der Nurzai, Ishaqzai, Alizai, Alekozai sowie mehrerer kleinerer Stämme. Die Ishaqzai sind angeblich einer der religiös-konservativsten Stämme in ganz Afghanistan (AAN 10.3.2016). Der verstorbene Taliban-Führer Mullah Akhtar Muhammad Mansur gehörte diesem Stamm an (AAN 10.3.2016; vgl. GN 26.12.2015).
Helmand ist von geostrategischer Bedeutung (PAJ o.D.), da ein Abschnitt der Ring Road durch die Distrikte Nahr-i-Saraj, Sangin und Washer verläuft (AAN 10.3.2016), welcher das Bevölkerungszentrum Herat im Westen mit Kandahar im Osten und schließlich der Hauptstadt Kabul verbindet (TD 31.5.2016; vgl. AAN 10.3.2016). In Lashkargah gibt es einen Regionalflughafen mit Linienflugbetrieb (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).
Laut dem UNODC Opium Survey 2018 blieb Helmand 2018 die mit Abstand größte Anbauprovinz für Schlafmohn in Afghanistan und beherbergte 52% der gesamten Anbaufläche des Landes, wenngleich der Schlafmohnanbau in Helmand im Jahr 2018 gegenüber dem Vorjahr um 5% sank (UNODC/MCN 11.2018). Die zentrale Rolle der Provinz als Schlafmohnanbaugebiet trägt erheblich zu ihrer strategischen Bedeutung für die Taliban bei: Wer Helmand kontrolliert, wird mit umfangreichen Einnahmen belohnt (AREU 5.2019; vgl. N-TV 23.12.2015; GN 26.12.2015; AAN 10.3.2016).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Helmand zählt zu den volatilen Provinzen Afghanistans (TN 19.6.2019; vgl. KP 24.5.2019). Ein Großteil der Gewalt in Helmand ist auf die Drogenwirtschaft zurückzuführen (AAN 10.3.2016). Aufständische der Taliban sind in gewissen unruhigen Distrikten aktiv, in denen sie versuchen terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitsinstitutionen durchzuführen (KP 7.5.2019).
Die Taliban können auf eine große Anzahl an Unterstützern aus der Bevölkerung zurückgreifen (TD 31.5.2016). Neben den Taliban soll auch Al-Qaida in Helmand präsent sein (UNSC 13.6.2019; vgl. LWJ 7.8.2018). Im August 2018 töteten afghanische Sicherheitskräfte sieben Al-Qaida-Mitglieder in Helmand (LWJ 7.8.2018; vgl. AT 7.8.2018). Einer Quelle zufolge sind keine Kämpfer des Islamischen Staats (IS) in Helmand aktiv (TD 26.9.2018).
Neben den regulären afghanischen Streitkräften wie der ANP, der ALP, der ANA sowie regierungsfreundlichen Milizen und den US-Streitkräften, soll eine spezielle Abteilung namens Sangorian auf Seite der Regierung in Helmand aktiv sein (JF 11.1.2019; vgl. RFE/RL 15.2.2018). Die Sangorian wurde im Januar 2016 vom Einsatzkommandanten der afghanischen Streitkräfte in Helmand als verdeckte anti-Taliban Miliz mit dem Ziel gegründet, die Taliban zu infiltrieren und von innen zu schwächen. Die Sangorian-Kämpfer sind Einheimische, Taliban-Dissidenten und ehemalige Taliban-Aufständische (JF 11.1.2019). Helmand befindet sich im Verantwortungsbereich des 215. ANA Corps (USDOD 6.2019; MENA FN 16.4.2019), das der Task Force Southwest untersteht, welche von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Seit dem Jahr 2017 sind US-Marines wieder in Helmand stationiert, um afghanischen Regierungstruppen von Militärstützpunkten aus zu beraten und um Luftangriffe zu verstärken (LAT 15.11.2017).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 880 zivile Opfer (281 Tote und 599 Verletzte) in Helmand. Dies entspricht einem Rückgang von 11% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge) und Selbstmord- oder komplexe Angriffe (UNAMA 24.2.2019).
Laut einem Bericht des UN-Generalsekretärs war Helmand im Frühjahr 2019 eine der aktivsten Konfliktzonen Afghanistans (UNGASC 14.6.2019). Während des Jahres 2018 und im ersten Halbjahr 2019 führten die US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte Operationen in der Provinz fort (z.B. TN 20.5.2019; TN 27.2.2019;
RFE/RL 25.1.2019; PAJ 4.1.2019; RFE/RL 28.11.2018; vgl. UNSC 13.6.2019), einschließlich Luftangriffen, die Berichten zufolge Schäden unter der Zivilbevölkerung verursachten (z.B. TN 20.5.2019;
RFE/RL 25.1.2019; RFE/RL 28.11.2018). Im Zeitraum von November 2018 bis Februar 2019 haben rund ein Drittel aller Luftangriffe in Afghanistan in der Provinz Helmand stattgefunden (UNGASC 28.2.2019). Im Berichtszeitraum Februar bis Juni 2019 fand die Hälfte aller Luftangriffe in den Provinzen Helmand und Ghazni statt (UNGASC 14.6.2019). Auch werden seit Juni 2018 Offensiven verstärkt in den strategisch wichtigen Distrikten Nad Ali, Nawa, Garm Ser, Nahr-i-Saraj, Sangin und Washer durchgeführt. Die Taliban wurden so zurückgedrängt und der Druck auf die Provinzhauptstadt konnte vermindert werden (UNSC 13.6.2019).
In der Provinz werden regelmäßig Sicherheitsoperationen durchgeführt (KP 24.5.2019), dabei wurden hochrangige Taliban getötet (TN 8.2.2019; LWJ 2.12.2018) und Gefangene aus Taliban-Gefängnissen befreit (TN 31.5.2019; RFE/RL 5.1.2019; RFE/RL 3.8.2018; RFE/RL 31.5.2018). Die Taliban griffen wiederholt Sicherheitskontrollposten und Sicherheitskräfte an (z.B. TN 2.3.2019; PAJ 13.1.2019; RFE/RL 14.7.2018).
Aktivisten einer 2018 gegründeten Friedensbewegung, deren Mitglieder Männer als auch Frauen sind (RFE/RL 29.3.2018), waren auch im ersten Halbjahr 2019 aktiv und riefen die Konfliktparteien zu einer Beendigung ihrer Frühjahrsoffensiven auf (TN 19.7.2019; vgl. ASN 6.6.2019; RFE/RL 5.6.2019; TN 20.4.2019).
Erreichbarkeit von Städten in Afghanistan:
Beachtenswert ist die Vollendung der "Ring Road", welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet (LIB 13.11.2019, S. 229). Die Ring Road, auch bekannt als Highway One, ist eine Straße, die das Landesinnere ringförmig umgibt. Die afghanische Ring Road ist Teil eines Autobahnprojekts. Sie verbindet außerdem Kabul mit den vier bedeutendsten Provinzhauptstädten Herat, Kandahar City, Jalalabad und Mazar-e Sharif (LIB 13.11.2019, S. 230-231).
In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt. Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul - Herat und Kabul - Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan Airlines angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (LIB 13.11.2019, S. 236).
Der Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul ist ein internationaler Flughafen. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. Mehrere internationale Airlines fliegen nach Kabu- (LIB 13.11.2019, S. 237).
Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet. Folgende internationale Airline fliegt nach Maza-e Sharif:
Turkish Airlines aus Istanbul. Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Mazar-e Sharif (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kabul und Maimana (LIB 13.11.2019, S. 237).
Der internationale Flughafen Herat befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt. Der Flughafen wird u.a. von den Sicherheitskräften der ISAF benutzt, die einen Stützpunkt neben dem Flughafen haben. 2011 wurde ein neues Terminal mit Finanzierung der italienischen Regierung errichtet. Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Herat (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen nach Kabul, Farah und Chighcheran (LIB 13.11.2019, S. 238).
Religionsfreiheit:
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus; in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist. Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie. Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (LIB 13.11.2019, S. 277).
Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen. Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist, sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (LIB 13.11.2019, S. 277).
Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung. Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung. Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen. Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (LIB 13.11.2019, S. 278).
Schiiten
Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19% geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Gemeindeleitern sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (USDOS 21.6.2019).
Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten (AA 2.9.2019). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Gemäß Zahlen von UNAMA gab es im Jahr 2018 19 Fälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten, bei denen 223 Menschen getötet und 524 Menschen verletzt wurden; ein zahlenmäßiger Anstieg der zivilen Opfer um 34% (USDOS 21.6.2019). In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019, CRS 1.5.2019). Im Jahr 2018 wurde die Intensität der Attacken in urbanen Räumen durch den IS verstärkt (HRW 17.1.2019).
Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 4.2.2019). Obwohl einige schiitische Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demografischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiert. Vertreter der Sunniten hingegen geben an, dass Schiiten im Vergleich zur Bevölkerungszahl in den Behörden überrepräsentiert seien. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten; wenngleich vier Parlamentssitze für Ismailiten reserviert sind (USDOS 21.6.2019).
Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25 bis 30% (AB 7.6.2017; vgl. USIP 14.6.2018, AA 2.9.2019). Des Weiteren tagen regelmäßig rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 21.6.2019).
Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 21.6.2019).
Ethnische Minderheiten:
In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.
Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Pashtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen (LIB 13.11.2019, S. 287).
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 287-288).
Hazara
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehnte