TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/17 W275 2202708-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.02.2020
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Entscheidungsdatum

17.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs6
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a

Spruch

W275 2202708-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Stella VAN AKEN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.01.2020, Zahl 1120226204-191191795, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Vorverfahren:

Der Beschwerdeführer reiste spätestens am 23.06.2016 unter Umgehung der Einreisebestimmungen mit seiner Schwester, seinem Schwager, seiner Nichte und seinem Neffen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 24.06.2016 wurde der Beschwerdeführer vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Dabei gab er auf die Frage, warum er sein Herkunftsland verlassen habe, an, dass sein Vater Feinde gehabt hätte und von diesen getötet worden sei. Aus Angst seien sie in den Iran geflüchtet, wo vor zwei Jahren seine Mutter verstorben sei. Im Iran hätten sie illegal gelebt und keine öffentliche Schule besuchen dürfen. Auf die Frage, was er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland befürchte, gab der Beschwerdeführer an, dass sein Leben in Gefahr sei und er Angst habe.

Am 12.04.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen und gab dabei insbesondere an, er sei in Herat geboren und habe die ersten acht oder neun Lebensjahre in Afghanistan verbracht. Danach seien seine Mutter, seine Schwester, sein Schwager und sein Neffe in den Iran gegangen. Er habe in Afghanistan zwei Jahre und im Iran sechs Jahre die Schule besucht; die Schule im Iran sei eine private Schule für afghanische Schüler gewesen. Weiters habe er im Iran als Hilfsarbeiter auf Baustellen gearbeitet. Er sei sieben oder acht Jahre alt gewesen, als sein Vater getötet worden sei. Wer das getan habe und wie sich das konkret ereignet habe, könne er nicht angeben. Seine Mutter sei zwei Jahre nach der Ausreise im Iran gestorben. Die Leute, die seinen Vater getötet hätten, würden auch seine Schwester und ihn töten. Er sei mit seiner Schwester aufgewachsen, nach dem Tod der Mutter habe jene auch die Obsorge übernommen. In Österreich habe er zunächst ebenfalls mit seiner Schwester gelebt, habe jedoch mit dem Leiter der Unterkunft Probleme gehabt und sei daher von dort weggewiesen worden. Er habe hier ein Jahr die Schule, jedoch keine Deutschkurse besucht. Nach Aufforderung, sich zu den zahlreichen Meldungen der Polizei im Zusammenhang mit Ladendiebstählen, Suchtmittelkonsum, Raufhandel und Körperverletzung zu äußern bzw. sein diesbezügliches Verhalten zu erklären, gab der Beschwerdeführer an, es tue ihm leid, er könne sich dazu nicht äußern. Auf weitere Nachfrage führte er sodann aus, wenn er von Tschetschenen, Arabern oder Österreichern, egal von wem, beschimpft werde, könne er sich nicht beherrschen. Er würde es dann wieder tun. Er könne es nicht ertragen, wenn seine Familie beschimpft werde.

Am 03.05.2018 war der Beschwerdeführer zur Altersfeststellung geladen, kam dieser Ladung jedoch nicht nach und hat auch keine Entschuldigungsgründe hierfür vorgebracht.

Am 17.05.2018 war der Beschwerdeführer neuerlich zur Altersfeststellung geladen. Auch dieser Ladung kam er wiederum nicht nach und hat auch keine Entschuldigungsgründe dafür vorgebracht.

Mit Bescheid vom 25.06.2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den (ersten) Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei. Der Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt und festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe. Überdies wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 01.06.2017 verloren habe. Weiters wurde ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, den vorgebrachten Fluchtgrund glaubhaft und in sich schlüssig darzulegen. Seine Angaben seien - in einer Zusammenschau mit den Angaben seiner Schwester und seines Schwagers hierzu - widersprüchlich. Zur Situation im Falle der Rückkehr des Beschwerdeführers führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unter Zugrundelegung von aktuellen Länderberichten aus, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan im Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Der Beschwerdeführer sei mobil, gesund und arbeitsfähig und verfüge über Angehörige, seine Schwester und seinen Schwager, die wie er von einer Rückkehrentscheidung betroffen seien. Der Beschwerdeführer verfüge über eine 8-jährige Schulbildung und habe bereits im Iran Berufserfahrungen als Hilfsarbeiter im Baugewerbe gemacht. Er sei wirtschaftlich genügend abgesichert und könne für seinen Unterhalt grundsätzlich sorgen. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würde. Die Sicherheitslage in seiner Heimatprovinz sei ausreichend sicher. Herat verfüge über einen Flughafen. Der Beschwerdeführer könne Herat erreichen, ohne einer besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein. Es sei ihm möglich, sein Heimatdorf über die Stadt Herat sicher zu erreichen. Hinsichtlich Art. 8 EMRK führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl insbesondere aus, dass der Beschwerdeführer über Angehörige in Österreich verfüge, nämlich über seine Schwester und deren Familie. Der Beschwerdeführer lebe jedoch sowohl auf Wunsch seiner Schwester, die diesbezüglich angab, dass der Beschwerdeführer nicht zu kontrollieren gewesen sei und seines Schwagers, der angab, dass es ständig Streitereien gegeben habe, seit August 2017 getrennt von diesen. Es könne daher keine besonders enge Beziehung festgestellt werden. Es liege somit kein schützenswertes Familienleben in Österreich vor. Die belangte Behörde legte das Verhalten, das der Beschwerdeführer seit seiner Einreise in Österreich und während des Verfahrens zeigte, dar und kommt zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer durch dieses Verhalten, gezeigt habe, dass er kein Interesse daran habe, die Gesetze Österreichs zu respektieren. Sein bisheriger Aufenthalt in Österreich habe Grundinteressen der Gesellschaft beeinträchtigt, nämlich jene an Sicherheit für die Person und ihr Eigentum und an sozialem Frieden. Somit habe er aufgrund des von ihm an den Tag gelegten Verhaltens seine mangelnde Verbundenheit mit den in Österreich rechtlich geschützten Werten offenkundig manifestiert, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass sein weiterer Verbleib im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit nachhaltig und maßgeblich gefährden würde. Die Gesamtbeurteilung seines Verhaltens, seine Lebensumstände sowie seine familiären und privaten Anknüpfungspunkte hätten daher im Zuge der von der Behörde vorgenommenen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung des Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig sei, die vom Beschwerdeführer ausgehende schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Das ausgesprochene Einreiseverbot sei daher zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten.

Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 25.07.2019, W216 2202708-1/48E, als unbegründet ab.

Dieses Erkenntnis wurde dem Beschwerdeführer während seiner Anhaltung in Strafhaft am 02.08.2019 zugestellt. Es blieb bei den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts unangefochten und erwuchs in Rechtskraft.

2. Gegenständliches Verfahren:

Am 21.11.2019 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Strafhaft neuerlich einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz in Österreich (Folgeantrag) und gab bei seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag an, er stelle neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz, da er vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Schreiben erhalten habe, dass er in Schubhaft genommen und nach Afghanistan abgeschoben werden würde. Er habe niemanden in Afghanistan. Seine Schwester, die für ihn wie eine Mutter und bei der er aufgewachsen sei, lebe hier. Sein Vater sei in Afghanistan ermordet worden. Bei einer Rückkehr befürchte er, ebenfalls umgebracht zu werden. Er habe im Computer des Sozialdienstes in Linz vor etwa ein bis eineinhalb Monaten gesehen, dass er nach Afghanistan abgeschoben werde.

Am 18.12.2019 fand die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. In dieser verneinte der Beschwerdeführer die Frage, ob er an irgendwelchen Krankheiten leide und Medikamente benötige und brachte überdies im Wesentlichen vor, er habe bei seiner Erstbefragung die Wahrheit gesagt und keine Ergänzungen zu machen. Dass seine Schwester in Österreich lebe, habe er zudem bereits in seinem ersten Verfahren erwähnt. In weiterer Folge verneinte der Beschwerdeführer die Frage, ob sich seit dem 02.08.2019 etwas an dem Verhältnis zwischen ihm und seiner Schwester verändert habe und führte überdies aus, er habe nach wie vor dieselben Fluchtgründe. Weiters verneinte der Beschwerdeführer die Frage, ob er Korrekturen oder Ergänzungen anführen wolle ebenso wie die Frage, ob es noch weitere oder andere Gründe gäbe, welche er im gegenständlichen Verfahren geltend machen wolle. Das österreichische Bundesgebiet habe er seit der erstmaligen Antragstellung nicht verlassen. In Afghanistan habe er niemanden. Er sei sieben Jahre alt gewesen, als sein Vater getötet worden sei. Im Alter von acht Jahren seien sie dann in den Iran gegangen, zwei Jahre später sei seine Mutter aufgrund von Herzproblemen verstorben. Er habe dann bei seiner Schwester gelebt. Nach Afghanistan könne er nicht zurück, da er dort getötet werden würde. Weiters verneinte der Beschwerdeführer die Frage, ob sich seit der letzten Entscheidung in seinem Vorverfahren etwas an seinem Privatleben in Österreich geändert habe. Er wolle hier bei seiner Schwester bleiben.

Am 03.01.2020 fand eine weitere niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. In dieser gab der Beschwerdeführer insbesondere an, in der vergangenen Einvernahme die Wahrheit gesagt zu haben; er habe keinen neuen Asylgrund und all seine Gründe genannt.

Mit Bescheid vom 21.01.2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den (zweiten) Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Festgestellt wurde, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für eine freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.). Unter einem wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, dass sich im Zuge des Verfahrens über den zweiten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz kein neuer Sachverhalt ergeben habe. Der Beschwerdeführer habe in Österreich auch keine Angehörigen oder sonstigen Verwandten, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung bestehe. Auch die allgemeine Lage im Herkunftsstaat habe sich nicht maßgeblich geändert. Der Beschwerdeführer sei überdies der Ausreiseverpflichtung nicht fristgerecht freiwillig nachgekommen; bereits im Verfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz sei ein fünfjähriges Einreiseverbot verhängt worden. Überdies habe er seit seiner illegalen Einreise überwiegend von Mitteln der öffentlichen Hand gelebt; auch aktuell müsse damit sein gesamter Lebensunterhalt finanziert werden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, er verweise hinsichtlich der Gründe für die neuerliche Antragstellung auf seine bisherigen Angaben im Verfahren; diese würden der Wahrheit entsprechen. Er werde nach wie vor von jenen Personen bedroht, die seinen Vater getötet hätten. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würde er ebenfalls getötet werden. Weiters habe er Afghanistan im Alter von acht Jahren verlassen und sei anschließend im Iran aufgewachsen. Er habe keinerlei Bindungen mehr zu Afghanistan, sei mit der afghanischen Kultur nicht vertraut und wäre dort gänzlich auf sich allein gestellt. Ohne Unterstützung durch ein soziales Netzwerk und mit den dortigen kulturellen Gepflogenheiten nicht vertraut, wäre er im Falle einer Rückkehr auch der realen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung aufgrund von Arbeits- und Obdachlosigkeit ausgesetzt. Weiters habe er eine enge Beziehung zu seiner in Österreich lebenden Schwester, welche er auch in den Einvernahmen stets betont habe. Seine Schwester habe ihm auch angeboten, nach seiner Haftentlassung bei ihr zu wohnen. Weiters habe sich auch die Sicherheitslage in Afghanistan deutlich verschlechtert. Auch das von der belangten Behörde erlassene Einreiseverbot sei rechtswidrig.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte die Beschwerde und den bezughabenden (vollständigen) Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht am 10.02.2020 zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Anträgen auf internationalen Schutz:

Der Beschwerdeführer führt den im Kopf dieser Entscheidung angegebenen Namen und das dort genannte Geburtsdatum. Er ist afghanischer Staatsangehöriger und der Volksgruppe der Tadschiken sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islam zugehörig.

Die Erstsprache des Beschwerdeführers ist Dari.

Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Herat geboren und dort bis zu seiner Ausreise in den Iran im Alter von acht oder neun Jahren im Familienverband aufgewachsen. Er hat seine Sozialisierung somit innerhalb des afghanischen Kulturkreises erfahren, weshalb er mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut ist. Der Beschwerdeführer verfügt über Familienangehörige im Iran (Onkel und eine Tante mütterlicherseits) sowie in Afghanistan (Tante des Schwagers mütterlicherseits).

Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan zwei Jahre und sodann im Iran sechs Jahre die Schule besucht. Er verfügt über Berufserfahrung als Hilfsarbeiter im Baugewerbe. Mit dieser Tätigkeit hat er im Alter von zwölf oder dreizehn Jahren begonnen.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er ist alleinstehend und hat keine Kinder.

In Österreich lebt die (mit dem Beschwerdeführer eingereiste) Schwester des Beschwerdeführers mit ihrem Mann und den gemeinsamen Kindern. Der Beschwerdeführer ist nicht bei diesen wohnhaft oder aufhältig.

Der Antrag der Schwester des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz (und ihrer Familie) wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.06.2018 vollinhaltlich abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde ist beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.

Der Beschwerdeführer besucht in Österreich keine Deutschkurse, ist nicht in Vereinen aktiv und geht keiner Arbeit nach. In Österreich hat er ein Jahr eine Schule besucht, sie jedoch aus eigenem Wunsch - weil er zu früh aufstehen musste - nicht weitergeführt.

Es bestehen keine besonderen sozialen Kontakte, die den Beschwerdeführer an Österreich binden. Es kann kein über das übliche Maß hinausgehendes Privatleben festgestellt werden.

Mit (rechtskräftigem) Urteil eines Bezirksgerichtes vom 23.04.2018 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach den §§ 15, 127 StGB unter Anwendung des § 5 JGG (Besonderheiten der Ahndung von Jugendstraftaten) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Wochen unter Setzung einer Probezeit von einem Jahr verurteilt. Überdies wurde Bewährungshilfe angeordnet. In weiterer Folge wurde die Probezeit auf insgesamt fünf Jahre verlängert. Der Beschwerdeführer hat am 03.03.2018 in Linz den Verfügungsberechtigten eines näher genannten Geschäftes eine silberfarbene Halskette im Wert von EUR 7,95 mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Mildernd wurden das Geständnis, der Versuch sowie die Unbescholtenheit, erschwerend wurde kein Umstand gewertet. Eine diversionelle Erledigung scheiterte aus spezialpräventiven Gründen, da der Beschwerdeführer bereits mehrfach Sorglosigkeit gegenüber fremdem Eigentum gezeigt hat.

Mit (rechtskräftigem) Urteil eines Landesgerichtes vom 12.10.2018 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB, des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB, des Vergehens der versuchten Körperverletzung nach den §§ 15, 83 Abs. 1 StGB, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG, des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgift nach § 27 Abs. 2a SMG und des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgift nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall sowie Abs. 2 SMG unter Anwendung der §§ 28 StGB (Zusammentreffen strafbarer Handlungen), 5 Z 4 JGG (Besonderheiten der Ahndung von Jugendstraftaten) und 28a Abs. 1 SMG (Suchtgifthandel) zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, davon sechs Monate bedingt, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. In weiterer Folge wurde die Probezeit des bedingten Strafteils auf insgesamt fünf Jahre verlängert. Der Beschwerdeführer hat am 03.05.2018 an einem näher genannten Ort zwei näher genannte Polizeibeamte mit Gewalt an einer Amtshandlung, und zwar an einer Sachverhaltsaufnahme nach Anzeigenerstattung, zu hindern versucht, indem er mit der Faust gegen den Unterarm eines Polizeibeamten schlug und sich gegen die darauffolgende Fixierung stark zur Wehr setzte und bei seinem Abtransport nach Festnahme mit dem Fuß gegen den anderen Polizeibeamten trat und ihn am linken Oberschenkel traf. Weiters hat der Beschwerdeführer einen Polizeibeamten durch einen Faustschlag gegen den Unterarm während und wegen der Vollziehung seiner Aufgaben vorsätzlich am Körper verletzt (Prellung und Hämatom am linken Unterarm) und eine namentlich genannte männliche Person dadurch, dass er eine Flasche gegen sie warf und ihr einen Stoß versetzte, wodurch die Person zu Boden stürzte, vorsätzlich am Körper zu verletzen versucht. Überdies hat der Beschwerdeführer im Zeitraum August/September 2017 bis 21.09.2018 in Linz und Wels vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er in mehreren Angriffen im Zeitraum August/September 2017 bis April 2018 zumindest 700 Gramm Cannabiskraut mit einem gerichtsnotorischen Reinheitsgehalt von 8% THCA und 0,5% Delta-9-THC an teils bekannte, teils unbekannte Abnehmer verkaufte; er hat Suchtgift am 21.09.2018 auf einer öffentlichen Verkehrsfläche bzw. an einem allgemein zugänglichen Ort öffentlich und unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet war, aufgrund unmittelbarer Wahrnehmung von wesentlich mehr als zehn Personen, einem anderen gegen Entgelt überlassen, indem er einer näher genannten Person ca. 25 Gramm Cannabiskraut an einem näher genannten Ort verkaufte; er hat Suchtgift erworben und besessen, nämlich Cannabiskraut und Kokain, wobei er die Straftaten ausschließlich zum persönlichen Gebrauch beging. Mildernd wurden die teilweise geständige Verantwortung sowie die teilweise Sicherstellung des tatverfangenen Suchtgiftes, erschwerend wurde das Zusammentreffen eines Verbrechens mit Vergehen gewertet.

Mit (rechtskräftigem) Urteil eines Bezirksgerichtes vom 07.06.2019 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach den §§ 15, 127 StGB unter Bedachtnahme nach den §§ 31 und 40 StGB auf das Urteil eines Landesgerichtes vom 12.10.2018 unter Anwendung der §§ 28 StGB (Zusammentreffen strafbarer Handlungen), 5 Z 4 JGG (Besonderheiten der Ahndung von Jugendstraftaten) und 28a Abs. 1 SMG (Suchtgifthandel) verurteilt, wobei von der Verhängung einer Zusatzstrafe abgesehen wurde. Überdies wurde Bewährungshilfe angeordnet. Der Beschwerdeführer hat am 20.06.2018 in einem näher genannten Geschäft in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken versucht, fremde bewegliche Sachen, nämlich Kleidungsstücke im Gesamtwert von EUR 45,--, Verfügungsberechtigten des näher genannten Geschäftes mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Neben den im Urteil eines Landesgerichtes vom 12.10.2018 genannten Milderungs- und Erschwerungsgründen wurde auch die einschlägige Vorstrafe als erschwerend gewertet.

Mit (rechtskräftigem) Urteil eines Landesgerichtes vom 07.08.2019 wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall sowie Abs. 4 Z 1 SMG sowie der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall sowie Abs. 2 SMG unter Anwendung der §§ 28 StGB (Zusammentreffen strafbarer Handlungen) und 19 Abs. 1 JGG (Sonderbestimmungen für Straftaten junger Erwachsener) nach dem Strafsatz des § 27 Abs. 4 SMG zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Der Beschwerdeführer hat in Linz und an anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift erworben, besessen und anderen überlassen, wobei er durch eine Straftat nach § 27 Abs. 1 Z 1 SMG auch einer Minderjährigen den Gebrauch von Suchtgift ermöglichte und selbst volljährig und mehr als zwei Jahre älter als die Minderjährige war, indem er im Dezember 2018 zumindest drei Mal je 0,5 Gramm Crystal (Methamphetamin) zum Grammpreis von EUR 100,-- an eine am 20.11.2002 geborene, somit minderjährige, weibliche Person verkaufte sowie im Zeitraum von Mitte Mai 2019 bis Ende Juni 2019 zum ausschließlichen persönlichen Gebrauch insgesamt unbekannte Mengen Cannabiskraut (enthaltend Delta-9-THC und THCA) und Kokain bis zum jeweiligen Eigenkonsum besaß. Mildernd wurde das teilweise Geständnis, erschwerend wurden das Zusammentreffen von Vergehen, die einschlägigen Vorstrafen sowie der rasche Rückfall gewertet. Eine diversionelle Erledigung war nicht möglich, weil der Beschwerdeführer bei der Tat durch entgeltliche Weitergabe mit Gewinnaufschlag daraus einen Vorteil gezogen hat. Zudem war bei ganzheitlicher Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände fallbezogen bereits eine schwere Schuld begründet, weil ein hoher Gesinnungsunwert (Verwerflichkeit der inneren Einstellung) gegeben ist. Weiters erschien die Einstellung des Verfahrens weniger als eine Verurteilung geeignet, den Beschwerdeführer von solchen Straftaten abzuhalten, und zwar aufgrund seines belasteten strafrechtlichen Vorlebens.

Mit (rechtskräftigem) Urteil eines Landesgerichtes vom 11.10.2019 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der versuchten schweren Körperverletzung nach den §§ 15 und 84 Abs. 4 StGB sowie des Vergehens der versuchten Körperverletzung nach den §§ 15 und 83 Abs. 1 StGB unter Anwendung der §§ 28 StGB (Zusammentreffen strafbarer Handlungen) und 19 Abs. 1 JGG (Sonderbestimmungen für Straftaten junger Erwachsener) sowie unter Bedachtnahme auf die §§ 31 und 40 StGB zu einer (unbedingten) Zusatzfreiheitsstrafe von dreizehn Monaten verurteilt. Der Beschwerdeführer und M. M. haben am 29.06.2019 in Linz versucht, A. W. Y. schwer am Körper zu verletzen, indem der Beschwerdeführer ihm Messerstiche gegen die Schulter versetzte und M. M. mit seiner Gürtelschnalle nach dessen Kopf schlug, während der Beschwerdeführer ihm weitere Messerstiche gegen den Oberarm und Rücken versetzte und ein weiterer, bislang unbekannter Täter ihm Faustschläge gegen den Kopf zu versetzen versuchte, wodurch A. W. Y. eine Kopfprellung und eine Rissquetschwunde im Bereich der linken Schulter erlitt. Der Beschwerdeführer und M. M. sowie G. N. haben im Anschluss an diese Taten einen bislang unbekannten Mann vorsätzlich am Körper zu verletzen versucht, indem G. N. ihm einen Faustschlag gegen den Kopf und M. M. ihm einen Kniestoß versetzte, sodass er zu Boden stürzte, worauf der Beschwerdeführer ihm einen Fußtritt versetzte. Mildernd wurde das Geständnis, erschwerend wurden das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen sowie die Vorstrafen gewertet. Eine diversionelle Erledigung war nicht möglich, da die ganzheitliche Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände fallbezogen bereits eine schwere Schuld begründete, weil ein hoher Gesinnungsunwert (Verwerflichkeit der inneren Einstellung) und Handlungsunwert (mit erheblicher Intensität ausgeführte Tatbegehensweise) gegeben waren.

Der Beschwerdeführer befindet sich (zuletzt) seit 30.06.2019 durchgehend in Strafhaft.

Mit Bescheid vom 25.06.2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den (ersten) Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 23.06.2016 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei. Der Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt und festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe. Überdies wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 01.06.2017 verloren habe. Weiters wurde ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 25.07.2019, W216 2202708-1/48E, als unbegründet ab. Dieses Erkenntnis wurde dem Beschwerdeführer während seiner Anhaltung in Strafhaft am 02.08.2019 zugestellt. Dagegen erhob der Beschwerdeführer kein Rechtsmittel.

Der Beschwerdeführer hat das österreichische Bundesgebiet nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über seinen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz entgegen der ihn treffenden Ausreiseverpflichtung nicht verlassen.

Am 21.11.2019 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Strafhaft neuerlich einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz in Österreich (Folgeantrag).

Eine maßgebliche Änderung hinsichtlich der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat seit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den (ersten) Antrag auf internationalen Schutz kann ebenso wenig festgestellt werden wie eine maßgebliche Änderung hinsichtlich des Vorliegens einer Bedrohung bzw. Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers in Afghanistan. Auch die anzuwendenden Rechtsvorschriften haben sich seit dem rechtskräftigen Abschluss des vorhergehenden Asylverfahrens nicht wesentlich geändert.

Hinsichtlich der familiären und privaten Beziehungen in Österreich und im Herkunftsstaat sind gegenüber den im rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen (zu Gunsten der privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im österreichischen Bundesgebiet) eingetreten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 wiedergegeben:

"[...]

Sicherheitslage

Allgemein

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

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Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

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Von Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

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High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o. D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen TalibanFigur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019; vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019; vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

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Grundversorgung

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt (AA 2.9.2019; AF 2018). Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 168 von 189 des Human Development Index. Die Armutsrate hat sich laut Weltbank von 38% (2011) auf 55% (2016) verschlechtert. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant: Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport (AA 2.9.2019).

Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern (AF 2018; vgl. WB 7.2019). Jedoch konnte die afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern (USIP 15.8.2019; vgl. WB 7.2019).

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt (ILO 5.2012; vgl. ACCORD 7.12.2018). Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (FAO 2018; vgl. Haider/Kumar 2018), wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). Das BIP Afghanistans betrug im Jahr 2018 19,36 Mrd. US-Dollar (WB o. D.). Die Inflation lag im Jahr 2018 durchschnittlich bei 0,6% und wird für 2019 auf 3,1% prognostiziert (WB 7.2019).

Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird (WB 8.2018). Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Es wird erwartet, dass sich das Real-BIP in der ersten Hälfte des Jahres 2019 vor allem aufgrund der sich entspannenden Situation hinsichtlich der Dürre und einer sich verbessernden landwirtschaftlichen Produktion erhöht (WB 7.2019).

Arbeitsmarkt

Schätzungen zufolge sind 44% der Bevölkerung unter 15 Jahren und 54% zwischen 15 und 64 Jahren alt (ILO 2.4.2018). Am Arbeitsmarkt müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA 4.2018). Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können (WB 8.2018). In Anbetracht von fehlendem Wirtschaftswachstum und eingeschränktem Budget für öffentliche Ausgaben, stellt dies eine gewaltige Herausforderung dar. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos; zwei Drittel von ihn

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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