TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/17 W238 2223211-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.02.2020
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Entscheidungsdatum

17.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W238 2223211-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Claudia MARIK über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, p.A. Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.07.2019, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.01.2020 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 VwGVG iVm § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 19.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, Außenstelle Salzburg (im Folgenden: BFA), vom 22.02.2018, Zahl XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 20.05.2016 (richtig: 19.05.2016) hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 22.02.2019 erteilt (Spruchpunkt III.). Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

3. Am 15.01.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.

4. Mit Schreiben des BFA vom 11.04.2019 wurde dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht, dass die Aberkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter geprüft werde. Begründend wurde seitens der belangten Behörde im Wesentlichen ins Treffen geführt, dass der Beschwerdeführer seit der Zuerkennung subsidiären Schutzes zusätzliche Lebenserfahrung gesammelt habe. Dem Beschwerdeführer wurde die Möglichkeit eingeräumt, eine Stellungnahme abzugeben und der Ansicht des BFA entgegenstehende Gründe bekanntzugeben.

5. Der Beschwerdeführer erstattete am 24.04.2019 eine Stellungnahme, in der die persönlichen Umstände des Beschwerdeführers in Afghanistan und in Österreich beleuchtet wurden. Vorgebracht wurde, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr nach Afghanistan weiterhin nicht zugemutet werden könne, da weder die persönliche Situation des Beschwerdeführers noch die Sicherheitslage in Afghanistan eine wesentliche Änderung erfahren hätten. Seine Eltern seien verstorben. Abgesehen von seiner Schwester, die ihn jedoch vor der Ausreise zum Verlassen ihres Heims aufgefordert habe und ihn nicht mehr unterstützen könne, habe der Beschwerdeführer keine tragfähigen familiären oder sozialen Kontakte in Afghanistan. Unbeschadet der vom Beschwerdeführer erfolgreich unternommenen Integrationsschritte könne keinesfalls davon ausgegangen werden, dass eine zusätzliche einjährige Lebenserfahrung eine wesentliche Änderung der Sachlage darstelle. Zudem sei die Sicherheitslage in Afghanistan weiterhin volatil.

6. Daraufhin wurde vom BFA am 25.04.2019 eine Einvernahme des Beschwerdeführers unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu durchgeführt.

7. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 08.07.2019 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 22.02.2018 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Die mit Bescheid vom 22.02.2018 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde ihm gemäß § 9 Abs. 4 entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Über den Antrag des Beschwerdeführers vom 15.01.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde nicht abgesprochen.

8. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Darin wurde zunächst gerügt, dass die belangte Behörde weder im Spruch noch in der Begründung des Bescheides ausdrücklich angeführt habe, auf welchen Tatbestand des § 9 Abs. 1 AsylG 2005 die Aberkennung des subsidiären Schutzes gestützt werde. Die Begründung des Bescheides spreche aber dafür, dass es sich um die Anwendung des zweiten Falles des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 handle, zumal weder eine falsche Darstellung oder das Verschweigen von Tatsachen seitens des Beschwerdeführers für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ausschlaggebend gewesen sei, noch Anhaltspunkte dafür vorliegen würden, dass sich der Kenntnisstand der Behörde hinsichtlich einer für die Zuerkennung relevanten Tatsache geändert habe. Weiters wurde zusammengefasst ausgeführt, dass sich die persönliche Situation des Beschwerdeführers - abgesehen von der geringfügig fortgeschrittenen Volljährigkeit und der Integrationsverfestigung in Österreich - nicht wesentlich geändert habe. Es sei auch keine maßgebliche Verbesserung der allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eingetreten.

9. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt langten am 09.09.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

10. Am 16.01.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertreterin sowie eine Vertreterin der belangten Behörde teilnahmen und der ein Dolmetscher für die Sprache Paschtu beigezogen wurde. Der Beschwerdeführer wurde vom erkennenden Gericht eingehend zu seiner Identität, Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich befragt. Im Zuge der Verhandlung wurden vom erkennenden Gericht auch die Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren eingebracht. Die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers erstattete dazu in der Verhandlung eine mündliche Stellungnahme und führte aus, dass sich die Situation im Herkunftsland seit der Zuerkennung des Schutzstatus nicht verbessert habe. Die Behördenvertreterin verwies darauf, dass der Beschwerdeführer dem in den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 genannten Profil des jungen, arbeitsfähigen Mannes zuzuordnen sei, der im Falle der Rückkehr nach Afghanistan keine sozialen Anknüpfungspunkte benötige. Diesbezüglich wandte die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers ein, dass sich dieses Profil bereits aus den UNHCR-Richtlinien aus dem Jahr 2016 ergeben habe und insoweit keine Änderung eingetreten sei. Der Beschwerdeführer brachte eine Bestätigung über eine psychotherapeutische Behandlung vom 14.01.2020 und weitere Unterlagen betreffend seine Integration in Österreich in Vorlage.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Asylaktes (Verwaltungs- und Gerichtsakt) und des auf das Aberkennungsverfahren bezughabenden Aktes einschließlich der Niederschrift über die Einvernahme des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde am 25.04.2019, des angefochtenen Bescheides, der dagegen erhobenen Beschwerde, der mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie der Länderberichte zur Lage in Afghanistan, der dazu in der Verhandlung erstatteten Stellungnahmen und der vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch dieses Erkenntnisses enthaltenen Namen, ist Staatsangehöriger Afghanistans, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu. Weiters verfügt er über Sprachkenntnisse in Dari und Deutsch.

Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in Afghanistan, Provinz Parwan, Distrikt XXXX , Dorf XXXX geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan.

In Afghanistan besuchte der Beschwerdeführer zwei Jahre die Schule. Er kann lesen und schreiben. Er ging in Afghanistan keiner Beschäftigung nach. Im Iran und in der Türkei war er vor seiner Einreise nach Europa sieben Monate als Hilfsarbeiter auf Baustellen tätig.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Die Eltern des Beschwerdeführers sind bereits verstorben. In Afghanistan leben eine Schwester (im Heimatdorf) sowie zwei Onkel mütterlicherseits und Cousins mütterlicherseits (in Parwan, Distrikt XXXX ). Eine Schwester und ein Onkel väterlicherseits halten sich in Pakistan auf. Ein Cousin väterlicherseits lebt im Iran.

Der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt zu seinen Familienangehörigen. Er könnte im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan nicht mit (finanzieller) Unterstützung seiner Familie rechnen.

Der Beschwerdeführer war vom 07.08.2018 bis 28.09.2018 bei der XXXX GesmbH als geringfügig beschäftigter Arbeiter angestellt und im Zuge der Beschäftigung bei der Post für die Beladung der Lastkraftwagen mit Paketen zuständig.

Vom 29.08.2018 bis 05.12.2018 war er bei der XXXX GmbH als Arbeiter angestellt und für eine näher bezeichnete Firma als Lagerarbeiter tätig. Dort war er für die Be- und Entladung der Lastkraftwagen und für Verpackungsarbeiten zuständig.

Vom 14.01.2019 bis 03.01.2020 war der Beschwerdeführer bei der XXXX GmbH angestellt und für die XXXX GmbH tätig. Seit 07.01.2020 bis dato ist er (direkt) bei der XXXX GmbH als Arbeiter beschäftigt. Seine Aufgabe ist es, Materialien mit Chemikalien und Farben zu behandeln und eine Qualitätsprüfung durchzuführen. Derzeit verdient der Beschwerdeführer ca. EUR 2.000 brutto im Monat. Er verfügt über Ersparnisse iHv ca. EUR 6.000.

Der Beschwerdeführer war von September 2017 bis Juli 2018 ao. Schüler in einer Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule. Dabei konnte er sich zwar Computerkenntnisse aneignen, wurde jedoch in den Fächern "Englisch einschließlich Wirtschaftssprache" sowie "Officemanagement und angewandte Informatik" mit der Note 5 beurteilt. Der Beschwerdeführer besuchte am 26.07.2018 einen Werte- und Orientierungskurs. Er absolvierte diverse Deutschkurse und spricht schon recht gut Deutsch. Er erlangte am 21.07.2017 das ÖSD-Zertifikat A2, am 27.06.2018 die ÖSD-Zertifikate B1/Modul Schreiben und B1/Modul Sprechen sowie am 22.08.2018 das ÖSD-Zertifikat B1/Modul Hören. Er absolvierte des Weiteren erfolgreich die Führerscheinprüfung B.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich freundschaftliche Kontakte. Seit Jänner 2019 wird er von einer ehrenamtlichen Patin begleitet und unterstützt, die er ca. ein- bis zweimal pro Woche trifft.

Der Beschwerdeführer leidet unter Angstzuständen und Schlafproblemen in der Nacht. Er befindet sich seit Oktober 2019 in fortlaufender psychotherapeutischer Behandlung.

Er ist zum Zeitpunkt dieser Entscheidung strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Der Beschwerdeführer stellte am 19.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 22.02.2018 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 22.02.2019 erteilt. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Die belangte Behörde stützte die Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter im Bescheid vom 22.02.2018 auf folgende Feststellungen (S. 16 und 18 des Bescheides):

"(...) Sie sind volljährig. Sie sind afghanischer Staatsangehöriger. Sie gehören der Volksgruppe der Paschtunen an, sprechen Paschtu und sind sunnitischer Moslem. Sie sind ledig und haben keine Kinder. Sie sind arbeitsfähig und leiden an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung. Sie stammen aus der Provinz Parwan. Sie sind Vollwaise. Eine Schwester von Ihnen lebt mit Ihrem Gatten in der Provinz Parwan. (...) Sie verfügen über zwei Jahre Schulbildung und haben keine Berufserfahrung.

(...)

Aufgrund Ihres Vorbringens ist eine Rückkehr in Ihr Heimatdorf nicht zumutbar.

Sie sind jung, gerade volljährig geworden, aber mit wenig Lebenserfahrung und keinerlei Berufserfahrung versehen. Sie können nur eine zweijährige Schulbildung vorweisen. Es ist derzeit davon auszugehen, dass Sie bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine ausweglose Lage geraten würden. Aufgrund ihrer familiär bedingten Ausnahmesituation ist von einer Rückkehr nach Afghanistan abzuraten.

(...)

Sollten sich in Hinkunft soziale Anknüpfungspunkte in Ihrer Heimatregion ergeben oder in anderen afghanischen Landesteilen alternative Programme zur Reintegration von afghanischen Staatsangehörigen angeboten werden, fällt der Grund der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wieder weg.

(...)"

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde Folgendes aus (S. 129 des Bescheides):

"(...) Aufgrund des Zusammentreffens Ihrer minimalen Schulausbildung, dem Fehlen jeglicher nennenswerten Berufserfahrung, geschweige denn einer Berufsausbildung sowie keinerlei sozialer oder familiärer Anknüpfungspunkte außerhalb Ihrer Heimatregion bzw. in nicht volatilen Provinzen Afghanistans ist das Bundesamt zur Ansicht gelangt, dass Sie bei der jetzigen Rückkehr sich nicht etablieren und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine ausweglose Lage geraten würden. Zumal Sie schon vor Ihrer Flucht von Ihrer Schwester und deren Mann des Hauses verwiesen wurden, diese Wohnmöglichkeit für Sie also ohnehin nicht mehr in Frage käme - sowie als Vollwaise - es mit enormen Schwierigkeiten verbunden wäre, sich so ohne weiteres in Afghanistan zurechtzufinden."

Korrespondierend dazu findet sich in der rechtlichen Beurteilung des genannten Bescheides (auszugsweise) folgende Begründung für die Zuerkennung subsidiären Schutzes (S. 136 des Bescheides):

"(...)

Wie bereits weiter oben ausführlich dargelegt, ist das Bundesamt zu der Auffassung gelangt, dass in Zusammenschau Ihrer minimalen Schul- und mangelnden Berufsausbildung mit dem gänzlichen Fehlen sozialer Anknüpfungspunkte als Vollwaise außerhalb Ihrer Heimatprovinz für Sie einerseits derzeit ein reales Risiko der unmenschlichen Behandlung in Ihrer Heimatregion besteht und dass Sie andererseits außerhalb Ihrer Heimatregion mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine ausweglose Lage geraten würden. (...)."

Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Zuerkennungsentscheidung bereits volljährig.

Am 15.01.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, über welchen bislang nicht abgesprochen wurde.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 08.07.2019 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 22.02.2018 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt. Unter einem wurden der Entzug der mit Bescheid vom 22.02.2018 erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan sowie die Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise ausgesprochen.

Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers sowie der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan (einschließlich der urbanen Gebiete insbesondere in Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif) wird festgestellt, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des BFA vom 22.02.2018 nicht wesentlich und nachhaltig verändert (bzw. verbessert) haben.

Auch sind keine im Zeitpunkt der Zuerkennungsentscheidung angenommenen Tatsachen bekannt geworden, die sich als unzutreffend erwiesen hätten.

1.3. Zur Lage in Afghanistan

Betreffend die Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019, die in den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 sowie die in Berichten von EASO - EASO Country Guidance Afghanistan von Juni 2019, EASO Afghanistan Security Situation von Juni 2019, EASO Country of Origin Information Report Afghanistan Key socio-economic indicators Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von April 2019 - enthaltenen Informationen wie folgt auszugsweise festgestellt:

"Sicherheitslage:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB 13.11.2019, S. 12).

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 13.11.2019, S. 18). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89ff; LIB 13.11.2019, S. 18ff).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19).

Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registrierten, im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, S. 24).

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angiffe - HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, S. 25).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, S. 26).

Taliban

Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, S. 26; S. 29).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).

Haqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB 13.11.2019, S. 27).

Islamischer Staat (IS/DaesH) - Islamischer Staat Khorasan Provinz

Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB 13.11.2019, S. 27f).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Al-Qaida

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Sicherheitsbehörden

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 13.11.2019, S. 249).

Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, S. 251).

Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 (LIB 13.11.2109, S. 36). Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB 13.11.2109, S. 38). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB 13.11.2109, S. 37; S. 237).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 38ff).

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB 13.11.219, S. 41).

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB 13.11.2109, S. 335f).

Balkh

Die Provinzhauptstadt von Balkh ist Mazar-e Sharif. Die Provinz Balkh liegt im Norden Afghanistan und ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Es leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in Mazar-e Sharif (LIB 13.11.2019, S. 61).

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren (LIB 13.11.2019, S. 62). Im Jahr 2018 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 63). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Provinz Balkh sowie in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89; S. 92f).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen. Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) zu erreichen (LIB 13.11.2019, S. 61; S. 336).

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB 13.11.2019, S. 347).

Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 "minimal" (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 "stressed" eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD, Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 02.10.2019, 3.1.).

Herat

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und ist eine der größten Provinzen Afghanistans. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (LIB 13.11.2019, S. 105). Die Provinz verfügt über 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB 13.11.2019, S. 106).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen erreichbar (LIB 13.11.2019, S. 106).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. In der Stadt Herat steigt die Kriminalität und Gesetzlosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 106). Im Jahr 2018 gab es mit 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat einen Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen. Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LIB 13.11.2019, S. 108f). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89, S. 99f).

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB 13.11.2019, S. 336).

Herat ist im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 als IPC Stufe 2 klassifiziert (IPC - Integrated Phase Classification). In Phase 2, auch "stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentlich, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD, Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 02.10.2019, 3.1.).

Parwan

Parwan liegt im zentralen Teil Afghanistans. Die Provinz grenzt an Baghlan im Norden, Panjshir und Kapisa im Osten, Kabul und Wardak im Süden und Südosten und Bamyan im Westen. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Bagram, der Provinzhauptstadt Charikar, Syahgird (oder Ghurband), Jabulussaraj, Koh-e-Safi, Salang, Sayyid Khel, Shaykh Ali, Shinwari und Surkhi Parsa. Die afghanische zentrale Statistikorganisation schätzte die Bevölkerung von Parwan für den Zeitraum 2019-20 auf 724.561 Personen; diese besteht hauptsächlich aus Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Qizilbash, Kuchi und Hazara.

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Im Mai 2019 zählte eine Quelle die Provinz Parwan zu den relativ friedlichen Provinzen Afghanistans, in deren abgelegenen Distrikten Aufständische oftmals den Versuch unternehmen, terroristische Aktivitäten auszuführen. Im Juni 2019 berichtete dieselbe Quelle jedoch, dass sich die Sicherheitslage in manchen Distrikten der Provinz in den vergangenen Jahren verschlechtert hätte. So waren im August 2018 Taliban-Aufständische in den Distrikten Koh-e-Safi, Sayyid Khel, Shinwari, Siyahgird und Surkhi Parsa aktiv, von wo aus sie Angriffe auf die Provinzhauptstadt Charikar und die Luftwaffenbasis Bagram planten.

In Bezug auf die Anwesenheit von regulären staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Parwan in der Verantwortung des

201. ANA Corps, das der Task Force East angehört, die von US-amerikanischen und polnischen Truppen geleitet wird.

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 41 zivile Opfer (20 Tote und 21 Verletzte) in der Provinz Parwan. Dies entspricht einem Rückgang von 47% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für zivile Opfer waren Bodenangriffe, gefolgt von Selbstmord-/komplexen Angriffen und Bodenangriffen [sic].

In der Provinz werden Sicherheitsoperationen durch die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeführt. Bei manchen dieser Operationen wurden auch Zivilisten getötet. Auch kommt es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und afghanischen Streitkräften. Außerdem greifen Aufständische der Taliban, manchmal auch gemeinsam mit al-Qaida, in regelmäßigen Abständen das Bagram Airfield an.

Immer wieder kommt es auf den Straßen der Provinz Parwan zu sicherheitsrelevanten Vorfällen wie z.B. Entführungen oder Verhaftungen durch die Taliban, aber auch durch nicht identifizierte Militante.

Während der zweitägigen Wahlen im Oktober 2018 wurden von Aufständischen Straßenblockaden errichtet, um die Bevölkerung von der Wahl abzuhalten und den Transport von Wahlmaterial zu verzögern (LIB 13.11.2019, S. 192 ff).

Allgemeine Menschenrechtslage:

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 13.11.2019, S. 264).

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben zwischen 32-35 Millionen Menschen. Es sind ca. 40-42% Pashtunen, rund 27-30% Tadschiken, ca. 9-10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB 13.11.2019, S. 287f).

Paschtunen

Ethnische Paschtunen sind mit ca. 40% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sind sind sunnitische Muslime (MRG o.D.a). Die Paschtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze (USDOS 13.3.2019). Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (BI 29.9.2017).

Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (BFA 7.2016).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden (BFA 7.2016; vgl. NYT 10.6.2019) und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (BFA 7.2016).

Die Taliban sind eine vorwiegend paschtunische Bewegung (BBC 26.5.2016; vgl. RFE/RL 13.11.2018, EASO 9.2016, AAN 4.2011), werden aber nicht als nationalistische Bewegung gesehen (EASO 9.2016). Die Taliban rekrutieren auch aus anderen ethnischen Gruppen (RFE/RL 13.11.2018; vgl. AAN 4.2011, EASO 9.2016). Die Unterstützung der Taliban durch paschtunische Stämme ist oftmals in der Marginalisierung einzelner Stämme durch die Regierung und im Konkurrenzverhalten oder der Rivalität zwischen unterschiedlichen Stämmen begründet (EASO 9.2016).

Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80-89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB 13.11.2019, S. 277).

Wirtschaft und Grundversorgung:

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt (LIB 13.11.2019, S. 333 ff.). Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 168 von 189 des Human Development Index. Die Armutsrate hat sich laut Weltbank von 38% (2011) auf 55% (2016) verschlechtert. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant: Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport.

Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern. Jedoch konnte die afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern.

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft, wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%. Das BIP Afghanistans betrug im Jahr 2018 19,36 Mrd. US-Dollar. Die Inflation lag im Jahr 2018 durchschnittlich bei 0,6% und wird für 2019 auf 3,1% prognostiziert.

Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird. Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Es wird erwartet, dass sich das Real-BIP in der ersten Hälfte des Jahres 2019 vor allem aufgrund der sich entspannenden Situation hinsichtlich der Dürre und einer sich verbessernden landwirtschaftlichen Produktion erhöht.

Arbeitsmarkt (LIB 13.11.2019, S. 334 f.)

Schätzungen zufolge sind 44% der Bevölkerung unter 15 Jahren und 54% zwischen 15 und 64 Jahren alt. Am Arbeitsmarkt müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können. In Anbetracht von fehlendem Wirtschaftswachstum und eingeschränktem Budget für öffentliche Ausgaben, stellt dies eine gewaltige Herausforderung dar. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos; zwei Drittel von ihnen sind junge Männer (ca. 500.000).

Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht. Im Rahmen einer Befragung an 15.012 Personen, gaben rund 36% der befragten Erwerbstätigen gaben an, in der Landwirtschaft tätig zu sein.

Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Eine Quelle betont jedoch die Wichtigkeit von Netzwerken, ohne die es nicht möglich sei, einen Job zu finden. Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt. Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge, gibt es keine Hinweise darüber, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte.

In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang - als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Für das Anmeldeverfahren sind das Ministerium für Arbeit und Soziale Belange und die NGO ACBAR zuständig; Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an.

Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor: Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind.

Wirtschaft und Versorgungslage in den Städten Herat und Mazar-e Sharif (LIB 13.11.2019, S. 336)

Herat

Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den ‚bessergestellten' und ‚sichereren Provinzen' Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat - wie auch in anderen afghanischen Städten - vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind.

Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt. Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer. Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt.

Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten.

Dürre und Überschwemmungen (LIB 13.11.2019, S. 337)

Während der Wintersaat von Dezember 2017 bis Februar 2018 gab es in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit. Dies verschlechterte die Situation für die von Lebensmittelunsicherheit geprägte Bevölkerung weiter und hatte zerstörerische Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, was wiederum zu Binnenflucht führte und es den Binnenvertriebenen mittelfristig erschwert, sich wirtschaftlich zu erholen sowie die Grundbedürfnisse selbständig zu decken.

Günstige Regenfälle im Frühling und beinahe normale Temperaturen haben 2019 die Weidebedingungen wieder verbessert. Da sich viele Haushalte noch von der Dürre des Jahres 2018 erholen müssen, gilt die Ernährungslage für viele Haushalte im Zeitraum 10.2019-1.2020, weiterhin als ‚angespannt' bis ‚krisenhaft'. Es wird erwartet, dass viele Haushalte vor allem in den höher gelegenen Regionen ihre Vorräte vor dem Winter aufbrauchen werden und bei begrenztem Einkommen und Zugang auf Märkte angewiesen sein werden.

Im März 2019 fanden in Afghanistan Überschwemmungen statt, welche Schätzungen zufolge, Auswirkungen auf mehr als 120.000 Personen in 14 Provinzen hatten. Sturzfluten Ende März 2019 hatten insbesondere für die Bevölkerung in den Provinzen Balkh und Herat schlimme Auswirkungen. Unter anderem waren von den Überschwemmungen auch Menschen betroffen, die zuvor von der Dürre vertrieben wurden.

Armut und Lebensmittelsicherheit (LIB 13.11.2019, S. 337)

Einer Befragung aus dem Jahr 2016/2017 an rund 155.000 Personen zufolge (Afghan Living Condition Survey - ALCS), sind rund 45% oder 13 Millionen Menschen in Afghanistan von anhaltender oder vorübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen, wobei der Anteil der Betroffenen im Osten, Norden und Nordosten am höchsten ist. Gegenüber dem Zeitraum 2011-12 ist ihr Anteil bei einem Ausgangsniveau von 30% um 15 Prozentpunkte gestiegen.

Im Zeitraum 2016-17 lebten dem ALCS zufolge 54,5% der Afghanen unter der Armutsgrenze. Gegenüber früheren Erhebungen ist der Anteil an armen Menschen in Afghanistan somit gestiegen (2007-08: 33,7%, 2011-12: 38,3%). Im ländlichen Raum war der Anteil an Bewohnern unter der Armutsgrenze mit 58,6% höher als im städtischen Bereich (41,6%). Es bestehen regionale Unterschiede: In den Provinzen Badghis, Nuristan, Kundus, Zabul, Helmand, Samangan, Uruzgan und Ghor betrug der Anteil an Menschen unter der Armutsgrenze gemäß offizieller Statistik 70% oder mehr, während er in einer Provinz - Kabul - unter 20% lag. Schätzungen zufolge, ist beispielsweise der Anteil der Bewohner unter der Armutsgrenze in Kabul-Stadt und Herat-Stadt bei rund 34-35%. Damit ist der Anteil an armen Menschen in den beiden urbanen Zentren zwar geringer als in den ländlichen Distrikten der jeweiligen Provinzen, jedoch ist ihre Anzahl aufgrund der Bevölkerungsdichte der Städte dennoch vergleichsweise hoch. Rund 1,1 Millionen Bewohner von Kabul-Stadt leben unter der Armutsgrenze. In Herat-Stadt beträgt ihre Anzahl rund 327.000.

2018 gaben rund 30% der 15.012 Befragten an, dass sich die Qualität ihrer Ernährung verschlechtert hat, während rund 17% von einer Verbesserung sprachen und die Situation für rund 53% gleich blieb. Im Jahr 2018 lag der Anteil der Personen, welche angaben, dass sich ihre Ernährungssituation verschlechtert habe, im Westen des Landes über dem Anteil in ganz Afghanistan. Beispielsweise die Provinz Badghis war hier von einer Dürre betroffen.

Medizinische Versorgung (LIB 13.11.2019, S. 343 ff.):

Seit 2002 hat sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibt sie im regionalen Vergleich zurück. Die Lebenserwartung ist in Afghanistan von 50 Jahren im Jahr 1990 auf 64 im Jahr 2018 gestiegen. Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende Gesundheitseinrichtungen in ganz Afghanistan und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer Einrichtung entfernt. Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen.

Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger/innen zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Die Voraussetzung zur kostenfreien Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft mittels Personalausweis bzw. Tazkira. Alle Staatsbürger/innen haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist sichergestellt, auf Ebene von Distrikten und in Dörfern sind Einrichtungen hingegen oft weniger gut ausgerüstet und es kann schwer sein, Spezialisten zu finden. Vielfach arbeiten dort KrankenpflegerInnen anstelle von ÄrztInnen, um grundlegende Versorgung sicherzustellen und in komplizierten Fällen an Provinzkrankenhäuser zu überweisen. Operationseingriffe können in der Regel nur auf Provinzlevel oder höher vorgenommen werden; auf Distriktebene sind nur erste Hilfe und kleinere Operationen möglich. Auch dies gilt allerdings nicht für das gesamte Land, da in Distrikten mit guter Sicherheitslage in der Regel mehr und bessere Leistungen angeboten werden können als in unsicheren Gegenden. Zahlreiche Afghanen begeben sich für medizinische Behandlungen - auch bei kleineren Eingriffen - ins Ausland. Dies ist beispielsweise in Pakistan vergleichsweise einfach und zumindest für die Mittelklasse erschwinglich.

Die wenigen staatlichen Krankenhäuser bieten kostenlose Behandlungen an, dennoch kommt es manchmal zu einem Mangel an Medikamenten. Deshalb werden Patienten an private Apotheken verwiesen, um diverse Medikamente selbst zu kaufen. Untersuchungen und Laborleistungen sind in den staatlichen Krankenhäusern generell kostenlos. Gemäß Daten aus dem Jahr 2014 waren 73% der in Afghanistan getätigten Gesundheitsausgaben sogenannte ‚Out-of-pocket'-Zahlungen durch Patienten, nur 5% der Gesamtausgaben im Gesundheitsbereich wurden vom Staat geleistet (WHO 12.2018).

Berichten von UN OCHA zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Gesundheitsbehandlung stark einkommensabhängig. Berichten zufolge können Patient/innen in manchen öffentlichen Krankenhäusern aufgefordert werden, für Medikamente, ärztliche Leistungen, Laboruntersuchungen und stationäre Behandlungen zu bezahlen. Medikamente sind auf jedem afghanischen Markt erwerbbar, die Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes. Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab.

Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren.

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Klini

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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