TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/21 W122 2184646-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.02.2020
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Entscheidungsdatum

21.02.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §33

Spruch

W122 2184646-1/24E

W122 2184646-3/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor ERNSTBRUNNER als Einzelrichter über den Antrag auf Wiedereinsetzung vom 19.12.2018 und die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , alias XXXX StA. Afghanistan, vertreten durch die Caritas der Diözese Graz-Seckau, Mariengasse 24, 8020 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 28.12.2017, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.05.2019

A)

I. den Beschluss gefasst:

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 19.12.2018 wird gemäß § 33 VwGVG stattgegeben.

II. zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge kurz "BF"), ein afghanischer Staatsbürger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 31.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am 01.06.2016 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF an, dass er afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volksgruppenzugehörigkeit sei. Sein Religionsbekenntnis sei der Islam sunnitischer Glaubensrichtung. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass sein Vater und sein Bruder im Zuge einer Familienfeindschaft getötet worden seien. Er kenne den genauen Hintergrund nicht, aber seine Mutter habe ihn fortgeschickt, um sein Leben zu retten. Im Falle einer Rückkehr fürchte er den Tod durch die feindliche Familie.

3. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz "BFA") am 11.10.2017 legte der BF ein Konvolut an Unterlagen, neben einem ÖSD-Zertifikat Deutsch A2 auch zahlreiche Deutschkurs- und Integrationskursbesuchsbestätigungen, vor. Er gab an, afghanischer Staatsbürger tadschikischer Volksgruppenzugehörigkeit und Moslem sunnitischer Glaubensrichtung zu sein. Er stamme aus dem Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz Parwan. Er habe bis zu seinem 14.Lebensjahr acht Jahre lang die Grundschule besucht. Neben zahlreichen Onkeln und Tanten würden sich noch seine Mutter, seine Schwester und sein Bruder in Afghanistan aufhalten, wobei sich die drei Letztgenannten bei seiner Tante mütterlicherseits in Kabul aufhalten würden. In Afghanistan habe er keine Probleme mit den Behörden gehabt, sondern nur die Angst von Feinden der Familie bei seiner Rückkehr getötet zu werden. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte er im Wesentlichen aus, dass sich sein Vater von einem Cousin seines Arbeitsgebers Geld für eine medizinische Behandlung geborgt hätte. Als dieser das Geld zurückgefordert habe, habe er gewollt, dass der BF als Tanzjunge mitgehen solle. Sein Vater habe sich diesbezüglich geweigert und sei zusammengeschlagen worden. Daraufhin sei der BF zu einem Onkel nach Baghlan geschickt worden, wo der BF nach sechs Monaten erfahren habe, dass sein Vater und sein Onkel getötet worden seien. Vier Jahre danach sei er nach Parwan zurückgekehrt, wo etwa ein Monat nach seiner Ankunft mitbekommen habe, dass sein Onkel seine Mutter zu vergewaltigen versucht habe. Es sei ihm mit Schlägen durch ein Nudelholz gelungen, dass der Onkel davon Abstand genommen habe, jedoch habe dieser die Füße des BF mit heißem Wasser verbrüht. Wenige Zeit später habe sich der Onkel dafür entschuldigt und ihm angeboten ihn mit einem Auto nach Hause zu bringen. Jedoch seien in diesem Auto Bodyguards des Gläubigers gewesen. Er sei durch einen Schlag auf den Kopf bewusstlos geworden und als er wieder zu sich gekommen sei, habe man ihm gesagt, dass er die Schulden seines Vaters als Tanzjunge abarbeiten müsse. Drei Nächte habe er getanzt, ehe ihm die Flucht im Kofferraum eines Autos gelungen sei. Er habe dann noch telefonischen Kontakt mit seiner Mutter gehabt, die einen Onkel des BF benachrichtigt habe, der sich in weiterer Folge, um seine Ausreise gekümmert habe.

Er sei nicht vergewaltigt worden, sondern habe nur tanzen müssen. Die Familie habe den Vorfall nicht angezeigt, weil der Gläubiger sehr mächtig sei. Sein Zielland sei Belgien gewesen, weil er dort eine Tante mütterlicherseits habe.

4. Mit Stellungnahme vom 23.10.2017 verwies die rechtsfreundliche Vertretung des BF auf die aktuelle Judikatur zu unbegleiteten Minderjährigen sowie zur Lage der Tanzjungen (Bacha Bazi). Ebenso wurden in diese Länderberichte zur aktuellen Lage in der Herkunftsregion des BF sowie in Kabul beigefügt.

5. Mit Bescheid vom 28.12.2017 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Ihm wurde auf Grundlage des § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) sowie gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 28.12.2018 (Spruchpunkt III.) erteilt. Begründend wurde festgehalten, dass das Vorbingen des BF aufgrund zahlreicher Widersprüche nicht glaubhaft gewesen sei. So gab der BF bei der Erstbefragung an, den Grund der Familienfehde nicht zu kennen, während er dies bei der Einvernahme vor dem BFA sehr wohl gekannt habe. Hier sei augenscheinlich, dass der BF insbesondere ihn persönlich treffende Verfolgungshandlungen bei der Erstbefragung verschwiegen habe, wobei es doch naheliegend sei, diese bei erstbesten Gelegenheit zu Protokoll zu geben. Gegen eine Glaubwürdigkeit des Vorbringens würde es noch sprechen, dass der BF und seine Familie sich jahrelang durch einen Wohnsitzwechsel einer möglichen Gefahr entziehen haben können. Wobei es ebenfalls nicht nachvollziehbar gewesen sei, dass der BF nach dem Entführungsvorfall sofort ins Ausland geflohen sei. Aus diesen Gründen sei gesteigerte Vorbringen nicht asylrelevant gewesen. Da es sich beim BF um einen Minderjährigen handeln würde, sei ihm eine Rückkehr aufgrund der in Afghanistan vorherrschenden Sicherheitslage nicht zumutbar, zumal für diese für diese Personengruppe in ihrer Intensität den Grad einer erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK erreichen könnte.

6. Mit Verfahrensanordnung vom 28.12.2017 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

7. Gegen den Bescheid des BFA vom 28.12.2017 richtete sich die am 25.01.2018 beim BFA eingelangte und fristgerecht am 23.01.2018 erhobene Beschwerde. In dieser wurde festgehalten, dass der BF zu einer sozialen der in Blutfehden verwickelte Personen gelten würde, weshalb dem BF der internationale Schutz zu gewähren sei. Des Weiteren sei diesbezüglich unter Zitierung von hg. Judikatur noch zu berücksichtigen gewesen, dass es sich beim BF um einen Minderjährigen handeln würde, der auch als Tanzjunge missbraucht worden sei. Gegen diese einflussreichen Männer, die den BF in Afghanistan missbraucht hätten, würde dem BF in Afghanistan auch kein ausreichender Rechtsschutz zur Verfügung stehen.

8. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge kurz "BVwG") am 29.01.2017 vom BFA vorgelegt.

9. Am 23.11.2018 führte das BVwG in der gegenständlichen Rechtssache eine mündliche Verhandlung durch, an der der BF unentschuldigt nicht teilnahm. Es folgte die mündliche Verkündung des Erkenntnisses samt einhergehender kurzer Begründung.

10. In einer Stellungnahme vom 19.12.2018 nahm die rechtsfreundliche Vertretung des BF Bezug auf einen Aktenvermerk des BVwGs vom 05.12.2018 betreffend die Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 23.11.2018, wobei zur Erstattung des Parteiengehörs ihr eine Frist von zwei Wochen eingeräumt wurde. Es wurde ausgeführt, dass die Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung an die Caritas Diözese Graz-Seckau per Adresse 8020 Graz, Eggenberger Gürtel 38, zugestellt worden sei, in gegenständlichem Verfahren allerdings die namentlich angeführten Mitarbeiter der Caritas der Diözese Graz-Seckau, allesamt per Adresse Caritas-Marianum, 8020 Graz, Mariengasse 24, die zustellbevollmächtigten Empfänger gewesen seien. Daher sei eine fehlerhafte Zustellung erfolgt, die keine Rechtswirksamkeit gehabt hätte. Im Zuge dieser Stellungnahme stellte die rechtsfreundliche Vertretung gem. § 71 Abs. 1 AVG einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. In einer weiteren Eingabe vom selben Tag beantragte die rechtsfreundliche Vertretung noch die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

11. Eine weitere Stellungnahme der rechtsfreundlichen Vertretung des BF vom 21.02.2019 nahm Bezug auf die vom BVwG im Zuge des Ermittlungsverfahrens durchgeführte Beweisaufnahme. Hierbei wurde erneut eine Frist von zwei Wochen zur Stellungnahme gewährt, dass die Österreichische Post AG auf Anfrage am 10.01.2019 mitteilte, dass Frau XXXX das verfahrensgegenständlich Schriftstück übernommen habe. Es wurde mitgeteilt, dass diese Mitarbeiterin in der Caritas der Diözese Graz-Seckau in 8020 Graz, Eggenberger Gürtel 38 tätig sei und es sich hierbei nicht um einen namentlich genannten, zustellbevollmächtigten Empfänger der Caritas der Diözese Graz-Seckau, per Adresse Caritas- Marianum, 8020 Graz, Mariengasse 24 gehandelt habe.

12. In einer am 08.05.2019 ergangenen Stellungnahme brachte die rechtsfreundliche Vertretung des BF noch einmal eine Vielzahl an Judikatur des BVwG in auszugsweiser Form vor, die darlegen sollte, dass das Individualvorbringen des BF von asylrechtlicher Relevanz sei. Es wurde auch dargelegt, dass in Blutfehden verwickelte Personen als gefährdete Personen mit Risikoprofilen internationalen Schutzbedarf hätten. Ebenso wurde die aktuelle Sicherheitslage in Afghanistan durch das auszugsweise Heranziehen von Länderberichten in dieser thematisiert.

13. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 17.05.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF, ebenso wie seine rechtfreundliche Vertretung, persönlich teilnahmen. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil.

Zu Beginn gab die rechtsfreundliche Vertretung an, dass der BF mittlerweile volljährig sei und es nun keine Zustellvollmacht mehr gebe. Danach wurde ein Konvolut an Unterlagen vorgelegt, unter anderem ein fachärztlicher Befund vom 07.01.2019, der dem BF eine Diagnose F43.8, sonstige Reaktion auf schwere Belastung, bescheinigte. Aufgrund dieser psychischen Erkrankung müsse er auch Schlaftabletten nehmen. Ebenso wurden zwei aktuelle Teilnahmebestätigungen an Bildungskursen vorgelegt. Es folgte die Thematisierung des Antrages auf Wiedereinsetzung, dem aufgrund der Nichtweiterleitung der Ladung stattgegeben wurde, zumal diese Handlung dem BF nicht zugerechnet werden habe können.

Dem BF würde es gut gehen. Er habe lediglich die Schlafprobleme, jedoch würde er dank der Medikamente keine Beeinträchtigung im Alltag haben. Seine Mutter würde derzeit in Kabul leben. Er selbst sei in der Provinz Parwan geboren worden, ledig, tadschikischer Volksgruppenzugehörigkeit und Moslem sunnitischer Glaubensrichtung. Seine Muttersprache sei Dari. Man habe seinen Bruder in Kabul entführt und diesen nur gegen die Zahlung einer Lösegeldsumme wieder freibekommen. Das Geld sei von der Tante gekommen, die eine Kaution für den Ankauf eines Hauses dafür genommen habe. Die Familie sei auch nicht zur Polizei gegangen, weil die Polizei in Kabul nicht für Ordnung sorgen könne. Er selbst sei in Afghanistan acht Jahre lang in die Schule gegangen und in neunten Schuljahr nach Österreich gegangen, wo der Deutschkurs A2 absolviert habe und sich nun auf die B1-Prüfung in Deutsch vorbereite. Nebenbei hat er hier auch einige Praktika absolviert. Er würde hier nicht in die Schule gehen, habe aber afghanische und österreichische Freunde. Seinen Unterhalt würde er aus den Mitteln der Caritas bestreiten.

In Afghanistan habe der BF nicht gearbeitet und sei von der Familie versorgt worden. Nun würde seine Familie Hilfe von der Tante und dessen Mann bekommen, sodass die wirtschaftliche Situation sehr gut sei. Zu sonstigen in Afghanistan lebenden Verwandten habe er allerdings keinen Kontakt, auch nicht zu einem Cousin in Frankreich oder einer Tante in Belgien.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der BF im Wesentlichen aus, dass sich sein Vater von einem Cousin einer Person Geld ausgeborgt habe und diese ihn dann verschleppen und als Knabenspieler verwenden habe wollen, weil sein Vater das Geld nicht zurückzahlen habe können. Da Geld habe sich sein Vater für die Operation seiner Mutter in Indien ausgeborgt. Fünf Jahre nach dem Tod seines Vaters, sei der BF tatsächlich verschleppt worden. Dies habe sich zugetragen nachdem der BF aus Baghlan wieder nach Parwan zurückgekehrt sei. Sein Onkel väterlicherseits und zwei Bodyguards des Cousins der Person, von der sich sein Vater Geld ausgeborgt habe, hätten ihn in einer Gasse entführt. Zuvor habe sein Onkel versucht, seine Mutter zu vergewaltigen. Der BF habe ihn jedoch davon abhalten können, jedoch habe ihm der Onkel danach heißes Wasser auf seine Füße gegossen. Nach der Entführung habe dieser Cousin dann gefordert, dass der BF aufgrund der Schuld seines Vaters zu tanzen habe, widrigenfalls er missbraucht werden würde. Er habe danach drei Nächte getanzt. Anfangs sei noch ein weiterer Junge dabei gewesen, jedoch habe er immer alleine getanzt. Er habe traditionelle afghanische Kleidung angehabt und darüber eine Frauenkleidung. Am Fuß habe er eine Schelle gehabt. In der Zeit vom Aufwachen bis zum Tanzen, die drei bis vier Stunden gedauert habe, habe er viel geweint und sei auch für zirka 40 bis 45 Minuten gefesselt worden. Seine Hände und seine Füße seien mit einer weißen Schnur, die weniger als einen Meter lang gewesen sei gefesselt gewesen. Gegen das Tanzen und das anziehen von Frauenkleidung habe er sich in dieser Situation nicht gewehrt, weil es gegen diese erwachsenen Personen nichts gebracht hätte. Von den damals anwesenden Personen habe er nur die Bodyguards und den Cousin einer Person, von der sich der Vater Geld geborgt habe gekannt. Er tanze nicht gerne, würde aber in Österreich mit seinen Freunden in die Disko gehen. Unter dem Einfluss von Alkohol tanze er gerne, jedoch sei dies ganz unterschiedlich als der Tanz in Afghanistan.

Eine Rückkehr in sein Heimatland sei schwierig, insbesondere wegen seiner gesundheitlichen Situation, denn die Alpträume und die Tabletten, die er deswegen nehmen müsse, seien ein Resultat seines dort Erlebten. In Österreich sei das Leben leichter, weil er hier diese Vorfälle besser vergessen könne. Vielleicht werde er dort auch gezwungen, diese Leute zu töten, weil diese seinen Vater getötet hätten. Dies verlange die afghanische Kultur. Außerdem wolle er in Sicherheit leben und nicht wie seine Familie in Afghanistan an einem Ort versteckt.

Die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung wurde dem BFA übermittelt.

14. Der BF legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

* Fachärztlicher Befundbericht samt Therapievorschlag

* Teilnahmebestätigung an einem Berufsorientierungskurs

* Teilnahmebestätigungen an zahlreichen Bildungs- und Integrationskursen sowie an einigen Deutschkursen

* Teilnahmebestätigung am Projekt "Externe Hauptschule"

* Sprachzertifikat Deutsch: ÖSD A2

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

1.1. Zum Antrag auf Wiedereinsetzung:

Die Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 23.11.2018 wurde an die Caritas der Diözese Graz-Seckau zugestellt und persönlich übernommen. Im Ermittlungsverfahren legte die rechtsfreundliche Vertretung dar, dass die Ladung in den Wirkungsbereich der Caritas der Diözese Graz-Seckau gelangt ist, allerdings diese einer anderen Untereinheit der Organisation zugestellt und daher auch von einer Person übernommen wurde, die nicht den namentlich genannten Rechtsvertretern von Asylwerbern der Caritas der Diözese Graz-Seckau zuzuordnen war.

1.2. Zum sozialen Hintergrund des BF:

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , alias XXXX ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari. Er ist im erwerbsfähigen Alter und ist gesund.

Der BF wurde nach seinen Angaben im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der der Provinz Parwan, geboren. Vor seiner Ausreise aus Afghanistan hat sich der BF auch in der Provinz Baghlan aufgehalten. Der BF ist ledig und hat keine Kinder.

Die Familie des BF, bestehend aus seiner Mutter, seiner Schwester und seinem Bruder sind nach wie vor in Afghanistan aufhältig, wo sie sich bei seiner Tante mütterlicherseits in Kabul aufhalten. Die wirtschaftliche Lage ist gut. Der BF hat regelmäßigen Kontakt zu seiner Mutter.

Der BF hat in Afghanistan über acht Jahre lang die Grundschule besucht. Auch wenn der BF in seinem Herkunftsland keine Berufserfahrung gesammelt hat, ist von der Selbsterhaltungsfähigkeit des BF auszugehen.

Der BF ist strafgerichtlich unbescholten. Nach seinen eigenen Angaben ist er in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und hatte keine Probleme mit Behörden und war politisch nicht aktiv.

Der BF hat Afghanistan im Frühjahr 2016 verlassen.

Es wird festgestellt, dass der BF persönlich nicht glaubwürdig ist.

1.3. Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF stellte am 31.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Seinen Antrag auf internationalen Schutz begründet der BF im Wesentlichen damit, dass sein Vater und sein Bruder im Zuge einer Familienfehde getötet worden seien, er aber den genauen Grund dieser nicht kennen würde, er nun jedoch Angst um sein Leben habe. Im Verfahren vor dem BFA und dem BVwG führte der BF an, dass sein Vater Schulden gemacht habe und dessen Gläubiger seinen Sohn zu einem Tanzjungen haben machen habe wollen. Der BF sei daraufhin in die Provinz Baghlan gegangen und Jahre später bei seiner Rückkehr im Auftrag dieser Person entführt und zum Tanzen gezwungen. Dieses gesteigerte Vorbringen konnte der BF jedoch nicht glaubhaft machen, da es sich bei Gesamtbetrachtung sämtlicher im Verlauf des Verfahrens getätigten Angaben in entscheidenden Punkten ausgetauscht und nicht nachvollziehbar dargelegt wurde. Außerdem hat es sich als widersprüchlich sowie als nicht schlüssig und nicht plausibel erwiesen.

Der BF war vor seiner Ausreise aus Afghanistan keiner konkreten individuellen Verfolgung oder Bedrohung - etwa durch seinen Onkel oder den angeführten Gläubiger - ausgesetzt. Festgestellt wird auch, dass der BF nicht einer landesweiten Verfolgung durch seinen Onkel oder den angeführten Gläubiger oder anderer ausgesetzt ist. Es ist nicht davon auszugehen, dass der BF an einem anderen Ort, wie etwa Mazar-e Sharif, von diesen Personen aufgesucht wird. Der BF hat jahrelang unbehelligt in der Provinz Baghlan gelebt.

Der BF ist in Afghanistan weder vorbestraft noch wurde er dort jemals inhaftiert und hatte auch mit den Behörden des Herkunftsstaates keine Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Es gibt insgesamt keinen stichhaltigen Hinweis, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer (asylrelevanten) Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt wäre.

Es wird festgestellt, dass der BF keiner konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt ist oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan (in der Folge auch "LIB") vom 13.11.2019, Seite 12).

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 13.11.2019, Seite 18). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89ff; LIB 13.11.2019, Seite 18ff).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden sind, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen, um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, Seite 19).

Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registriert. Im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, Seite 24).

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angiffe - HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 01.06.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 01.12.2018 und 15.05.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, Seite 25).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, Seite 26).

Taliban

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, Seite 26; Seite 29). Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest seien Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, Seite 27). Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, Seite 27).

Haqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB 13.11.2019, Seite 27).

Islamischer Staat (IS/Daesh)

Islamischer Staat Khorasan Provinz: Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB 13.11.2019, Seite 27f). Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungsziele bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab, konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB 13.11.2019, Seite 29).

Al-Qaida

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, Seite 29).

Sicherheitsbehörden:

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 13.11.2019, Seite 249).

Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (LIB 13.11.2019, Seite 250). Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, Seite 251).

Lage in der Herkunftsprovinz des BF Parwan:

Parwan liegt im zentralen Teil Afghanistans. Die Provinz grenzt an Baghlan im Norden, Panjshir und Kapisa im Osten, Kabul und Wardak im Süden und Südosten und Bamyan im Westen (NPS o.D.pw; vgl. UNOCHA 4.2014pw). Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt:

Bagram, der Provinzhauptstadt Charikar, Syahgird (oder Ghurband), Jabulussaraj, Koh-e-Safi, Salang, Sayyid Khel, Shaykh Ali, Shinwari und Surkhi Parsa (CSO 2019; vgl. UNOCHA 4.2014pw, OPr 1.2.2017pw, IEC 2018pw). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Parwan für den Zeitraum 2019-20 auf

724.561 Personen (CSO 2019); diese besteht hauptsächlich aus Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Qizilbash, Kuchi und Hazara (NPS o. D.pw).

Der 2,7 km lange Salang-Tunnel zwischen den Provinzen Parwan und Baghlan verbindet Kabul mit Nordafghanistan (TN 1.9.2018; vgl. TN 18.6.2018; WP 22.1.2018; TD 21.10.2015). Die Zulaufstrecken sind in schlechtem Zustand und die Straßenerhaltungsarbeiten mangelhaft (TN 18.6.2018). Es gibt ein Projekt, den Salang-Pass mittels neuem, 12 km langem Tunnel zu durchqueren (TN 18.6.2018; vgl. SPT 8.2.2019).

Die Autobahn durch den Salang-Tunnel führt von Kabul durch die Distrikte Charikar, Jabulussaraj und Salang zur Provinz Kunduz; außerdem verbindet eine weitere Straße die Provinzen Parwan und Bamyan durch die Distrikte Charikar, Shinwari, Syahgird, Shaykh Ali und den Shibar-Pass (UNOCHA 4.2014pw; vgl. MoPW 16.10.2015; AAN 19.10.2011).

In der Provinz Parwan befindet sich die Bagram Air Base, die größte NATO-Militärbasis in Afghanistan (LWJ 5.8.2018).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 ist Parwan seit 2013 Schlafmohn frei (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Im Mai 2019 zählte eine Quelle die Provinz Parwan zu den relativ friedlichen Provinzen Afghanistans, in deren abgelegenen Distrikten Aufständische oftmals den Versuch unternehmen, terroristische Aktivitäten auszuführen (KP 8.5.2019). Im Juni 2019 berichtete dieselbe Quelle jedoch, dass sich die Sicherheitslage in manchen Distrikten der Provinz in den vergangenen Jahren verschlechtert hätte (KP 12.6.2019). So waren im August 2018 Taliban-Aufständische in den Distrikten Koh-e-Safi, Sayyid Khel, Shinwari, Siyahgird und Surkhi Parsa aktiv, von wo aus sie Angriffe auf die Provinzhauptstadt Charikar und die Luftwaffenbasis Bagram planten (LWJ 5.8.2018).

In Bezug auf die Anwesenheit von regulären staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Parwan in der Verantwortung des

201. ANA Corps, das der Task Force East angehört, die von US-amerikanischen und polnischen Truppen geleitet wird (USDOD 6.2019).

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 41 zivile Opfer (20 Tote und 21 Verletzte) in der Provinz Parwan. Dies entspricht einem Rückgang von 47% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für zivile Opfer waren Bodenangriffe, gefolgt von Selbstmord-/komplexen Angriffen und Bodenangriffen [sic] (UNAMA 24.2.2019).

In der Provinz werden Sicherheitsoperationen durch die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeführt (z.B. KP 25.6.2019; KP 12.6.2019; KP 8.5.2019; KP 28.4.2019; KP 18.4.2019; KP 2.9.2018). Bei manchen dieser Operationen wurden auch Zivilisten getötet (z.B. RAWA 23.11.2018; XI 13.10.2018; PAJ 23.11.2018). Auch kommt es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und afghanischen Streitkräften (z.B. KP 22.12.2018; 1TV 6.11.2018; BN 30.7.2018; AJ 5.8.2018; vgl. WP 5.8.2018, LWJ 5.8.2018). Außerdem greifen Aufständische der Taliban, manchmal auch gemeinsam mit al-Qaida, in regelmäßigen Abständen das Bagram Airfield an (z.B. LWJ 5.8.2018; KP 17.5.2019; abc 9.4.2019).

Immer wieder kommt es auf den Straßen der Provinz Parwan zu sicherheitsrelevanten Vorfällen wie z.B. Entführungen (TKG 30.7.2018) oder Verhaftungen (PAJ 31.1.2019) durch die Taliban, aber auch durch nicht identifizierte Militante (PAJ 17.1.2019).

Während der zweitägigen Wahlen im Oktober 2018 wurden von Aufständischen Straßenblockaden errichtet, um die Bevölkerung von der Wahl abzuhalten und den Transport von Wahlmaterial zu verzögern (UNAMA 11.2018).

IDPs - Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 84 Binnenvertriebene aus der Provinz Parwan, die in der Provinz selbst blieben, oder in die angrenzende Provinz Kapisa gingen (UNOCHA 28.1.2019). Für den Zeitraum 1.1.-30.6.2019 wurden keine Personen erfasst, die aufgrund des Konflikts aus Parwan vertrieben wurden (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 1.113 Binnenvertriebene, welche vor allem aus den Provinzen Kapisa, Kunar, Laghman und Baghlan, sowie zu einem kleinen Teil aus der Provinz selbst kamen und sich in Parwan niederließen (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 203 Binnenvertriebene aus den Provinzen Faryab, Kapisa, Kunar und Laghman, die nach Parwan kamen (UNOCHA 18.8.2019).

Lage in der Provinz Baghlan:

Baghlan, das sich im Nordosten Afghanistans befindet, grenzt an die Provinzen Bamyan, Samangan, Kunduz, Takhar, Panjshir, Parwan (UNOCHA 4.2014), und in einem sehr kleinen Abschnitt an Balkh (AIMS o.D.).

Baghlan ist in die folgenden 15 Distrikte unterteilt: Andarab, Baghlan-e-Jadeed (auch bekannt als Baghlan-e-Markazi), Burka, Dahana-e-Ghuri, Deh Salah, Dushi, Firing Wa Gharu, Gozargah-e-S. Noor, Khinjan, Khost Wa Firing, Khwaja hejran (Jalga), Nahreen, Pul-e-Hisar, Pul-i-Khumri und Tala Wa Barfak. Die Hauptstadt der Provinz ist Pul-i-Khumri (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Die zentrale Statistikorganisation Afghanistan (CSO) schätzt die Bevölkerung von Baghlan für den Zeitraum 2019-20 auf 995.814 Personen (CSO 2019). Eine knappe Mehrheit der Einwohner von Baghlan sind Tadschiken, gefolgt von Paschtunen und Hazara als zweit- bzw. drittgrößte ethnische Gruppen. Außerdem leben ethnische Usbeken und Tataren in Baghlan (NPS o.D.).

Baghlan befindet sich auf der Kabul-Nord-Route, welche insgesamt neun Provinzen miteinander verbindet (PAJ o.D.). Dies ist die einzige Trans-Hindukush-Autobahn in Afghanistan und die wichtigste Transitroute zwischen Kabul und dem Norden des Landes (AAN 21.10.2015). Die Sicherheit entlang der Autobahn ist auch bedeutsam für die Energieversorgung Kabuls, da Stromleitungen aus Tadschikistan und Usbekistan entlang dieser verlaufen (AT 29.3.2019; PAJ 14.4.2018; KP 19.3.2018).

Gemäß dem UNODC Opium Survey 2018 gehörte Baghlan im Jahr 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. Der Schlafmohnanbau blieb in Baghlan im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 ungefähr gleich (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Baghlan zählt zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans;

Aufständische der Taliban sind in gewissen unruhigen Distrikten aktiv, in denen sie oftmals terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitsinstitutionen durchführen (KP 20.5.2019;

vgl. KP 11.6.2019, KP 11.4.2019). Im Dezember 2018 erklärte das afghanische Innenministerium (MoI), dass Baghlan zu den Provinzen mit einer hohen Taliban-Präsenz gehört und dass afghanische Streitkräfte in Teilen der Provinz in tödliche Kämpfe verwickelt sind (TN 26.12.2018). Zwischen 2014 und 2018 wurde in Baghlan ein Angriff des ISKP gezählt(CTC 3.12.2018).

Aufseiten der Regierungstruppen liegt Baghlan im Verantwortungsbereich des 217. ANA Corps, das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 261 zivile Opfer (68 Tote und 193 Verletzte) in Baghlan. Dies entspricht einer Steigerung von 17% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben ( IEDs) und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).

Baghlan liegt im Fokus der im April 2019 von der Regierung beschlossenen "Operation Khalid" (UNGASC 14.6.2019). Seit dem Jahr 2018 führen die ANDSF regelmäßig Operationen in der Provinz durch (KP 20.5.2019; vgl. PAJ 5.11.2018; PAJ 11.9.2018). Bereits im November wurden zusätzliche Sicherheitskräfte vom Verteidigungsministerium als Verstärkung nach Baghlan entsandt (TN 8.11.2018). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierungstruppen und den Taliban finden statt (TN 3.9.2019; vgl. 13.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen im Mai 2019 in der Provinzhauptstadt Pul-i-Khumri Sicherheitskräfte an (AJ 5.5.2019) und im September 2019 die Provinzhauptstadt Pul-i-Khumri selbst (NZZ 1.9.2019) und lieferten sich weitere bewaffnete Zusammenstöße. Die Verbindungsstraßen in die Hauptstadt waren temporär gesperrt (TN 3.9.2019) und waren erst nach großangelegten Sicherheitsoperationen der afghanischen Regierungstruppen wieder eröffnet worden (TN 13.9.2019).

IDPs - Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 13.421 aus der Provinz Baghlan vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst, in den benachbarten Provinzen Parwan, Balkh Panjsher und Bamyan sowie in anderen Provinzen wie Kabul, Kapisa und Khost Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 6.699 aus der Provinz Baghlan vertriebene Personen, die in der Provinz selbst verblieben, sowie nach Kabul und Herat gingen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum vom 1.1.2018 bis 31.12.2018 meldete UNOCHA 11.928 Vertriebene in die Provinz Baghlan, die alle aus der Provinz selbst stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 936 konfliktbedingt nach Baghlan vertriebene Personen, die allesamt aus der Provinz selbst stammten (UNOCHA 18.8.2019).

Lage in der Provinz Balkh bzw. in der Provinzhauptstadt Mazar-e

Sharif:

Grundinformationen:

Balkh liegt im Norden Afghanistans. Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte

469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (LIB 13.11.2019, Seite 60 f.). Im Zeitraum 01.01.2018 bis 30.06.2019 kamen rund 30.000 Binnenvertriebe in die Provinz Balkh (LIB 13.11.2019, Seite 60 f.)

Erreichbarkeit:

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) zu erreichen (LIB 13.11.2019, Seite 61 und 336).

Sicherheitslage:

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren (LIB 13.11.2019, Seite 62). Im Jahr 2018 wurden 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, Seite 63). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Provinz Balkh sowie in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, Seite 89 und 92 f.).

Versorgungslage:

Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 "minimal" (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 "stressed" eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwendigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD, Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 02.10.2019, 3.1.).

Wirtschaftslage:

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum. In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen. Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (LIB 13.11.2019, Seite 61 und 336)

Medizinische Versorgung:

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer; jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken; 20% dieser Gesundheitskliniken finanzieren sich selbst, während 80% öffentlich finanziert sind. Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patient/innen in dieses Krankenhaus überwiesen. Für das durch einen Brand zerstörte Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (BFA 4.2018). Balkh gehörte bei einer Erhebung von 2016/2017 zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil an Frauen, welche einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben. Weiters gibt es in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (LIB 13.11.2019, Seite 347 und 351 f.).

Lage in der Provinz Herat bzw. in der Provinzhauptstadt Herat:

Grundinformationen:

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und ist eine der größten Provinzen Afghanistans. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (LIB 13.11.2019, S. 105). Die Provinz verfügt über 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB 13.11.2019, Seite 106). Im Zeitraum 01.01.2018 bis 30.06.2019 kamen rund 11.000 Binnenvertriebe in die Provinz Balkh (LIB 13.11.2019, Seite 60 f.). Aufgrund der Dürre, vorwiegend in den Provinzen Herat und Badghis, kommen ca. 287.000 IDPs hinzu. Die meisten von ihnen kamen in Lager in den Städten Herat oder Qala-e-Naw (Badghis) (LIB 13.11.2019, Seite 329).

Erreichbarkeit:

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen erreichbar. Der Flughafen befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt (LIB 13.11.2019, Seite 106).

Sicherheitslage:

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. In der Stadt Herat steigt die Kriminalität und Gesetzlosigkeit (LIB 13.11.2019, Seite 106). Im Jahr 2018 gab es mit 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat einen Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen. Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LIB 13.11.2019, Seite 108 f.). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, Seite 89 und 99 f.).

Versorgungslage:

Herat ist im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 als IPC Stufe 2 klassifiziert (IPC - Integrated Phase Classification). In Phase 2, auch "stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentlich, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD, Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 02.10.2019, 3.1.).

Wirtschaftliche Lage:

Wirtschaft in Herat bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt. Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer. Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt. Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat - wie auch in anderen afghanischen Städten - vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (LIB 13.11.2019, Seite 336).

Medizinische Versorgung:

Für die medizinische Versorgung bietet das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an, von denen die meisten die Impf- und allgemeinen ambulanten Einheiten aufsuchen. Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken. Die Anwohner von Herat beklagen jedoch, dass "viele private Gesundheitszentren die Gesundheitsversorgung in ein Unternehmen umgewandelt haben." Auch wird die geringe Qualität der Medikamente, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und die Fähigkeit der Ärzte, Krankheiten richtig zu diagnostizieren, kritisiert. Infolgedessen entscheidet sich eine Reihe von Heratis für eine Behandlung im Ausland (LIB 13.11.2019, Seite 346 f.).

Lage in der Provinz Kabul bzw. in der Stadt Kabul:

Grundinformationen:

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 (LIB 13.11.2109, Seite 36). Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB 13.11.2109, Seite 38). In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB 13.11.2019, S. 41).

Erreichbarkeit:

Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB 13.11.2019, S. 37; S. 237).

Sicherheitslage:

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 38ff).

Wirtschaftslage:

Sie hat in der Provinz Kabul einen weitgehend städtischen Charakter, wobei die wirtschaftlich aktive Bevölkerung in Beschäftigungsfeldern, wie dem Handel, Dienstleistungen oder einfachen Berufen tätig ist. Kabul-Stadt hat einen hohen Anteil an Lohnarbeitern, während Selbstständigkeit im Vergleich zu den ländlichen Gebieten Afghanistans weniger verbreitet ist. Zu den wichtigsten Arbeitgebern in Kabul gehört der Dienstleistungssektor, darunter auch die öffentliche Verwaltung. Die Gehälter sind in Kabul im Allgemeinen höher als in anderen Provinzen, insbesondere für diejenigen, welche für ausländische Organisationen arbeiten. Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Kabul hat den geringsten Anteil an Arbeitsplätzen im Agrarsektor, dafür eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Die besten (Arbeits)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul am größten (49,6 Prozent) (LIB 13.11.2019, Seite 335).

Medizinische Versorgung:

Für die medizinische Versorgung in Kabul wurde das Rahman Mina Hospital im Kabuler Bezirk Kart-e-Naw (Police District [PD] 8) renoviert. Das Krankenhaus versorgt rund 130.000 Personen in seiner Umgebung und verfügt über 30 Betten. Pro Tag wird es von rund 900 Patienten besucht. Das Rahman Mina-Krankenhaus ist eines von 47 Einrichtungen in Kabul-Stadt, die am Kabul Urban Health Projekt (KUHP) teilnehmen. Im Rahmen des Projektes soll die Gesundheitsversorgung der Kabuler Bevölkerung verbessert werden. Der größte Teil der Notfallmedizin in Kabul wird von der italienischen NGO Emergency angeboten. Emergency führt spezialisierte Notfallbehandlungen durch, welche die staatlichen allgemeinmedizinischen Einrichtungen nicht anbieten können und behandelt sowohl die lokale Bevölkerung, als auch Patienten, welche von außerhalb Kabuls kommen. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. In der staatlichen Klinik in Kabul existieren 14 Betten zur stationären Behandlung (LIB 13.11.2019, Seite 346).

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB 13.11.2019, Seite 327).

Meldewesen

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB 13.11.2019, Seite 328).

Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 13.11.2019, Seite 264).

Korruption:

Die Korruption ist in Afghanistan sehr hoch. Es bestehen zwar strafrechtliche Sanktionen gegen Korruption, diese werden jedoch nicht effektiv umgesetzt. Korruption findet in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens statt, unter anderem in der Justiz, bei der Beschaffung von Gütern, bei Staatseinnahmen und bei der Bereitstellung von Leistungen des Staates (LIB 13.11.2019, Seite 254 f.).

Medizinische Versorgung:

Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt (LIB 13.11.2019, Seite 344).

Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden (LIB 13.11.2019, Seite 350).

Medizinische Versorgung bei psychischer Erkrankung:

Innerhalb der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen, rund 50% der Bevölkerung leiden an psychischen Symptomen wie Depression, Angststörungen oder posttraumatische Belastungsstörung. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet und von der Familie versorgt, von der Gesellschaft werden diese jedoch oftmals stigmatisiert.

Zwar sind psychosoziale Beratungsstellen innerhalb der Gemeindegesundheitszentren vorgesehen, jedoch ist die Versorgung der Bevölkerung mit psychiatrischen oder psychosozialen Diensten aufgrund des Mangels an ausgebildeten Psychiatern, Psychologen, psychiatrisch ausgebildeten Krankenschwestern und Sozialarbeitern schwierig.

Eine stationäre Unterbringung in Krankenhäusern i

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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