TE Vwgh Erkenntnis 1998/2/27 95/21/0870

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Veröffentlicht am 27.02.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Robl,

Dr. Rosenmayr, Dr. Baur und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Oberdorfer, über die Beschwerde des D Z in Wiener Neustadt, geboren am 25. April 1971, vertreten durch Dr. Erich Heliczer, Rechtsanwalt in 2540 Bad Vöslau, Hochstraße 20, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 1. Juni 1995, Zl. Fr 1553/95, betreffend Feststellung gemäß § 54 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 1. Juni 1995 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, abgewiesen und festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme einer Bedrohung in der "Bundesrepublik Jugoslawien" (Restjugoslawien) gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bestünden.

Nach zusammengefaßter Wiedergabe des Ganges des Verwaltungsverfahrens und Zitierung der maßgeblichen fremdengesetzlichen Bestimmungen gelangte die belangte Behörde in der Begründung ihrer Entscheidung zu dem Ergebnis:

Der Beschwerdeführer unterliege als Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien wie jeder andere Staatsangehörige dieses Staates der Militärdienstpflicht. Die Strafsanktion für eine Verletzung dieser Pflicht sei für alle gleich. Drohende Sanktionen seien sohin nicht Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und auch keine Verfolgung aus Gründen des § 37 Abs. 2 FrG. Die Einberufung des Wehrpflichtigen erfolge durch das in jeder Gemeinde eingerichtete Sekretariat für nationale Verteidigung. Der Marschbefehl werde durch den Gemeindekurier überbracht. Die Zustellung erfolge in einem verschlossenen Kuvert. Das Formular selbst enthalte genaue Angaben über den ersten Meldeort bei einer zentralen Sammelstelle in der Wohnsitzgemeinde. Dort erfahre der Wehrpflichtige, wo er einzurücken habe. Nach Ablauf der gesetzten Einrückungsfrist habe der Wehrdienstverweigerer mit Maßnahmen zu rechnen.

Dem jugoslawischen Gesetzbuch zufolge müßte der Zustand der allgemeinen Mobilmachung und eine drohende Kriegsgefahr herrschen, damit überhaupt eine gesetzliche Grundlage für das Vorgehen gegen Deserteure und "Refrakteure" gegeben sei. Der Zustand der allgemeinen Mobilmachung sei am 4. Oktober 1991 ausgerufen worden und habe bis April 1992 gedauert. Dem Beschwerdeführer sei nach seinen Angaben im Asylverfahren der Einberufungsbefehl dreimal (in den Monaten Dezember 1991 sowie Jänner und Februar 1992) mit der Post zuzustellen versucht worden, jedoch habe er diesen nicht angenommen. Am 9. Februar 1992 habe sein Vater den vierten Einberufungsbefehl übernommen. Seinem Vater sei gesagt worden, daß dem Beschwerdeführer bei Mißachtung des Befehles die Todesstrafe drohe.

Der Asylantrag des Beschwerdeführers sei mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. März 1994 abgewiesen worden. Ebenso sei der neuerlich von ihm am 28. September 1994 gestellte Antrag auf Gewährung von Asyl mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. Dezember 1994 abgewiesen worden.

Aufgrund der im Jahr 1991 und 1992 massenhaft vorgekommenen Desertionen und "Refraktionen" sei in mehreren tausend Fällen Formalanklage erhoben worden. Jedoch sei mit der Durchführung von Gerichtsverhandlungen vielfach gezögert worden. Die festgestellten Höchststrafen für Desertion und "Refraktion" hätten eine Dauer von ein bis höchstens zwei Jahren nicht überstiegen. Wesentlich häufiger seien bedingte Strafen oder Freisprüche, selbst wenn die ursprüngliche Anklage auf Desertion und Untergrabung der Wehr- und Verteidigungskraft gelautet habe, verhängt worden bzw. erfolgt.

Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung ausgeführt, daß Angehörigen einer unterdrückten Minderheit im Falle der Verweigerung des Militärdienstes eine "asylrelevante Verfolgungsqualität zukommen" könnte. Diese asylrechtlich relevante Verfolgungsqualität sei insbesondere bei Deserteuren gegeben, die allenfalls in Einheiten eingesetzt würden, die spezielle Befehle auszuführen hätten oder über besonderes technisches Wissen verfügten und so für den Erfolg bestimmter militärischer Aktionen verantwortlich seien. Der Beschwerdeführer habe den Militärdienst aber nicht angetreten und es komme ihm demnach ein derartiger asylrelevanter Aspekt nicht zugute. Im übrigen hätten bereits die Asylbehörden ausgeführt, die serbischen Einheiten hätten sich aus dem ehemaligen Kriegsschauplatz Bosnien-Herzegowina zurückgezogen; dies habe auch eine Lockerung des UN-Embargos zur Folge gehabt.

Sodann heißt es im angefochtenen Bescheid wörtlich:

"Ist auch die allgemeine Unterdrückung und dokumentierte Fälle gegen Kosovo-Albaner hinreichend bekannt, so ist in einem Verfahren nach § 54 jeweils die Einzelsituation zum Entscheidungszeitpunkt zu untersuchen. Zum Zeitpunkt Ihrer Flucht lag eine aktuelle kriegerische Auseinandersetzung vor. Nunmehr ist jedoch davon auszugehen, daß aufgrund Ihrer Flucht allein Sie nicht im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 Fremdengesetz bedroht sind."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 54 Abs. 1 FrG hat die Behörde auf Antrag eines Fremden mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 bedroht ist.

Nach § 37 Abs. 1 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Fremden in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß er Gefahr liefe, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Zufolge des § 37 Abs. 2 leg. cit. ist die Zurückweisung oder Zurückschiebung eines Fremden in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dort sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z. 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolles über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974).

Die mit dem Beschwerdevorbringen zum Ausdruck gebrachte Ansicht des Beschwerdeführers, die ihm im Fall seiner Rückkehr in die jugoslawische Föderation dort drohende Gefahr einer Bestrafung wegen seinerzeitiger Wehrdienstentziehung sei für sich allein eine Bedrohung seiner Freiheit aus Gründen seiner politischen Ansichten im Sinne des § 37 Abs. 2 FrG, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu teilen. Zur näheren Begründung dieser seiner Rechtsanschauung wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das Erkenntnis vom 5. April 1995, Zl. 94/18/0496, verwiesen.

Daß die drohende Gefahr einer Bestrafung wegen seinerzeitiger Wehrdienstentziehung eine Gefährdung im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG darstellt, wird angesichts der Feststellungen zur aktuellen Strafdrohung von einem Jahr bis 15 Jahre, Abschaffung der Todesstrafe (Moratorium vom 4. Februar 1993) zu Recht nicht behauptet. Diesbezüglich verweist der Beschwerdeführer nur auf die seinerzeitige seinem Vater anläßlich der Entgegennahme des Einberufungsbefehles geäußerte Drohung, der Beschwerdeführer habe im Falle der Wehrdienstverweigerung mit der Todesstrafe zu rechnen. Daß die Gefahr der Vollziehung einer Todesstrafe nach wie vor gegeben wäre, wurde weder im Verwaltungsverfahren noch in der vorliegenden Beschwerde konkret dargetan.

Der Beschwerde kommt jedoch im Ergebnis unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften dennoch Berechtigung zu: Der Beschwerdeführer bezieht sich nämlich mit Recht auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14.089/A. Nach den dort aufgestellten Grundsätzen stellt die Furcht vor Ableistung des Militärdienstes grundsätzlich keinen Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dar, ebensowenig wie eine wegen der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes bzw. wegen Desertion drohende, auch strenge Bestrafung (vgl. als Beispiel für viele die hg. Erkenntnisse vom 30. November 1992, Zl. 92/01/0718, vom 21. April 1993, Zlen. 92/01/1121, 1122; vom 27. Juli 1995, Zl. 94/19/1369, und vom 28. November 1995, Zl. 95/20/0134). Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Auffassung auch in Fällen vertreten, in denen in den betroffenen Heimatstaaten Bürgerkrieg, Revolten oder bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen stattgefunden haben, insbesondere auch betreffend die frühere Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (so auch im bereits zitierten Erkenntnis des verstärkten Senates vom 29. Juni 1994).

Nach den in diesen Erkenntnissen festgelegten Kriterien kann allerdings die Furcht, wegen Desertion bestraft zu werden, dann asylrechtlich relevant sein, wenn Umstände hinzutreten, die die Annahme rechtfertigen, die Einberufung, die Behandlung während des Militärdienstes oder die Bestrafung wegen Verweigerung des Wehrdienstes oder Desertion sei infolge eines der in Art. I Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe für den Beschwerdeführer ungünstiger als für Angehörige anderer Gruppierungen erfolgt bzw. zu befürchten. Einen derartigen Umstand hat der Beschwerdeführer bereits im Verwaltungsverfahren behauptet, denn er hat dargelegt, daß er als Albaner einer in der Bundesrepublik Jugoslawien unterdrückten ethnischen Minderheit angehöre - was auch die belangte Behörde in ihrem Bescheid annahm - und insbesondere in seiner Berufung die Feststellung im Bescheid der Bundespolizeidirektion Wr. Neustadt als erstinstanzliche Behörde bestritten, wonach kosovo-albanische Deserteure in seinem Herkunftsstaat nicht strenger bestraft würden als andere Personen, die einem Einberufungsbefehl nicht Folge leisteten. Der Beschwerdeführer hat ausdrücklich unter Hinweis auf vorgelegte Berichte von Amnesty International 1994 und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe behauptet, daß in der Praxis Albaner wegen Verweigerung des Militärdienstes überproportional hart bestraft würden. Er behauptete sohin eine aufgrund der Zugehörigkeit zur albanischen Volkgruppe härtere Bestrafung wegen Desertion als sie die anderen Staatsangehörigen zu erwarten hätten. Träfen diese Behauptungen des Beschwerdeführers zu, so durfte ihnen nicht ohne Durchführung von Ermittlungen - darüber, welche Praxis seitens der jugoslawischen Behörden betreffend Bestrafung von Deserteuren albanischer Herkunft im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Jugoslawien im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides gepflogen wurde - die Relevanz im Sinne des § 37 Abs. 2 FrG abgesprochen werden.

Ausgehend davon durfte sich die belangte Behörde nicht mit der Wiedergabe der Gesetzeslage im Heimatstaat des Beschwerdeführers begnügen, sondern hätte Erhebungen über die nach den Behauptungen nicht vereinzelt gebliebene, sondern generelle gesetzwidrige Praxis der Behörden im Heimatstaat des Beschwerdeführers pflegen müssen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1997, Zl. 96/21/0285). Der angefochtene Bescheid war daher infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c aufzuheben.

Von der Vornahme der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1995210870.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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