Entscheidungsdatum
01.04.2020Norm
AVG §68Spruch
W164 2214306-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 08.10.2019 betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Gewährung einer Ausgleichszulage wegen entschiedener Sache, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 1, Abs 2 und Abs 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwVG) aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Zur Vorgeschichte:
Die nunmehrige Beschwerdeführerin (im Folgenden BF) hatte am 25.09.2014 einen Antrag auf Gewährung der Ausgleichszulage gestellt. Diesen Antrag hatte die Pensionsversicherungsanstalt (im Folgenden PVA) vom 12.03.2015 abgelehnt.
Dagegen hatte die nunmehrige BF Klage an das Landesgericht XXXX als Arbeits und Sozialgericht eingebracht, das mit Urteil XXXX vom 29.08.2016 das Klagebegehrten, die PV sei schuldig, der nunmehrigen BF eine Ausgleichszulage in der gesetzlichen Höhe ab 01.10.2014 zu gewähren, abwies. Zur Begründung seiner Entscheidung war das Landesgericht XXXX von folgendem Sachverhalt ausgegangen:
Die nunmehrige BF, bulgarische Staatsbürgerin, sei seit 07.10.2013 an einer österreichischen Adresse polizeilich gemeldet und bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (nun Österreichische Gesundheitskasse, ÖGK) krankenversichert. Sie habe zumindest seit diesem Datum ihren ständigen Lebensmittelpunkt in Österreich. Am 13.10.2014 habe die Bezirkshauptmannschaft XXXX aufgrund einer vom Enkel der BF per 09.10.2014 gem. §2 Abs 1 Z 15 NAG abgegebenen Haftungserklärung eine Anmeldebescheinigung nach dem NAG ausgestellt. Rechtlich stützte sich das Landesgericht XXXX auf die Urteile des Obersten Gerichtshofs (OGH) 10 ObS15/16b und 10ObS31/16f und die diesen Entscheidungen zugrunde liegende Entscheidung des EuGH C-140/12 vom 19.09.1013, die ihrerseits auf die Aufenthaltsrichtlinie 2004/38/EG Bezug nimmt. Das Landesgericht XXXX kam zu dem Schluss, dass der durch § 52 Abs 1 Z 3 NAG rechtmäßige Aufenthalt im Inland in den ersten fünf Jahren nicht zu einem Anspruch auf Ausgleichszulage führt. Die nunmehrige BF habe sich (Anm.: zum Zeitpunkt der Urteils) noch nicht länger als fünf Jahre ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufgehalten.
Zum nun anhängigen Verfahren:
Mit 08.10.2018 hat die nunmehrige BF erneut einen Antrag an die PVA auf Gewährung der Ausgleichszulage gestellt. Die PVA hat diesen Antrag mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.10.2018 zurückgewiesen. Zur Begründung stützte sich die PVA erkennbar auf die Rechtsansicht, dass über die im genannten Antrag geltend gemachte Angelegenheit bereits mit dem oben genannten Bescheid vom 12.03.2015 entschieden worden sei, also entschiedene Sache vorliege. Es sei weder eine Änderung der Sachlage noch eine Änderung der Rechtslage eingetreten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende fristgerecht erhobene Beschwerde, die sich darauf stützt, dass die BF nun bereits mehr als fünf Jahre ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhalte und Unterhalt seitens ihrer Verwandten erhalte. Die BF erfülle nun nach den Kriterien der oben angeführten Judikatur die Voraussetzungen für die Gewährung der Ausgleichszulage.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Hinsichtlich der Feststellungen des Sachverhaltes wird auf die in Punkt I. (Verfahrensgang) gemachten Ausführungen verwiesen.
2. Beweiswürdigung:
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem vorgelegten Verfahrensakt der belangten Behörde. Der Sachverhalt ist hier im Wesentlichen unstrittig. Die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung erscheint daher nicht geboten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht nur in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 und nur auf Antrag einer Partei durch einen Senat. Gegenständlich wurde kein Antrag auf eine Senatsentscheidung gestellt; es liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
Verwaltungssache oder Leistungssache/Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts:
Gemäß Art 131 Abs. 2 B-VG erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes über Beschwerden in Rechtssachen in Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.
Nach Maßgabe des Art 131 Abs 4 Z 2 lit b B-VG kann mit Bundesgesetz auch in Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die nicht unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden, eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte des Bundes vorgesehen werden. Ein derartiges Bundesgesetz darf nur mit Zustimmung der Länder kundgemacht werden. Der Bundesgesetzgeber hat auf diesem Weg mit Zustimmung der Länder die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für Beschwerden gegen Bescheide der Versicherungsträger in Verwaltungssachen der Sozialversicherung beschlossen.
Der verfahrensgegenständliche Antrag auf Bescheiderlassung begehrt eine Entscheidung der belangten Behörde über eine Leistungssache der Sozialversicherung. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Frage der Rechtsmäßigkeit der von der belangten Behörde verfügten Zurückweisung.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs stellt die Zurückweisung eines Antrages in einer Leistungssache (etwa eines Antrages auf Gleitpension oder Versehrtenrente) wegen entschiedener Sache eine Verwaltungssache iSd § 355 ASVG dar, über welche die Rechtsmittelbehörde dahingehend zu entscheiden hat, ob eine entschiedene Sache vorliegt oder nicht (vgl. VwGH 30.06.2009, 2006/08/0267; 06.06.2012, 2009/08/0226). In seinem Erkenntnis 2010/08/0110 vom 17.10.2012 hat der Verwaltungsgerichtshof (bezogen auf eine amtswegig verfügte Wiederaufnahme) ausgesprochen, dass der Bescheid eines Sozialversicherungsträgers, mit dem in einer Leistungssache die Wiederaufnahme verfügt wird, im Verwaltungsweg zu bekämpfen ist.
Gestützt auf diese Entscheidung hat das BVwG mit seinem Erkenntnis W164 2004664-1/E seine Zuständigkeit zur Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme einer Leistungssache wahrgenommen. Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision hat der VwGH mit Beschluss 2014/08/0006 vom 24.11.2014 zurückgewiesen, ohne der so wahrgenommenen Zuständigkeit zu widersprechen.
Auch im hier vorliegenden Fall liegt somit eine Verwaltungssache im Sinne des § 355 ASVG vor. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes ist gegeben.
Frage der entschiedenen Sache:
Da im vorliegenden Fall zu prüfen ist, ob die von der PVA vorgenommene Zurückweisung wegen entschiedener Sache der von der PVA anzuwendenden Rechtslage entsprach, war § 68 AVG in der anzuwendenden Fassung heranzuziehen.
Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
Identität der Sache ist nach der stRsp des VwGH dann gegeben, wenn sich der für die Entscheidung maßgebende Sachverhalt, welcher dem Vorbescheid zugrunde lag, nicht geändert hat. Bei der Beurteilung der "Identität der Sache" ist in primär rechtlicher (und nicht etwa in rein technischer oder mathematischer) Betrachtungsweise festzustellen, ob in den entscheidungsrelevanten Fakten eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Die Behörde hat die Identität der Sache im Vergleich mit dem im Vorbescheid angenommenen Sachverhalt im Lichte der darauf angewendeten (insb materiellrechtlichen) Rechtsvorschriften zu beurteilen und sich damit auseinanderzusetzen, ob sich an diesem Sachverhalt oder seiner "rechtlichen Beurteilung" (an der Rechtslage) im Zeitpunkt ihrer Entscheidung über den neuen Antrag eine wesentliche Änderung ergeben hat.
Wesentlich ist eine Änderung des Sachverhalts nur dann, wenn sie für sich allein oder iVm anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgeblich erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann, und daher die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides zumindest möglich ist. Die Behörde hat eine Prognose zu erstellen, ob die geänderten Umstände geeignet sein könnten, zu einer neuen rechtlichen Beurteilung zu führen. Zu ermitteln ist die Wesentlichkeit einer Sachverhaltsänderung dabei nach der Wertung, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen rechtskräftigen Entscheidung erfahren hat. Eine Modifizierung der Sachlage, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. (Quelle: Hengstschläger/Leeb, AVG § 68, Stand 1.3.2018, rdb.at).
Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegte Feststellung, dass über den Antragsgegenstand bereits entschieden wurde und argumentiert im Wesentlichen, dass sich die Sachlage in der Weise geändert habe, als sich die BF nun bereits mehr als fünf Jahre ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhalte und daher die Voraussetzungen für die Gewährung der Ausgleichszulage erfülle.
Damit ist die BF aus folgenden Gründen im Recht: Wie dem eingangs genannten Urteil des Landesgericht XXXX XXXX zu entnehmen ist, wurde die damalige Gerichtsentscheidung auf das für diese Entscheidung wesentliche Sachverhaltselement gestützt, dass sich die nunmehrige BF zum Zeitpunkt des genannten Urteils noch nicht mehr als fünf Jahre ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufgehalten hatte.
Genau diesbezüglich wird in der nun vorliegenden Beschwerde zu Recht eine wesentliche Sachverhaltsänderung dargetan: Bei Bedachtnahme auf die im genannten Urteil des LG XXXX als maßgeblich erachteten Erwägungen kann eine andere Beurteilung jener Umstände, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten.
Es liegt daher nicht entschiedene Sache iSd § 68 Abs 1 AVG vor.
Der angefochtene Bescheid war somit gem. § 28 Abs 1, Abs 2 und Ans 5 VwGVG aufzuheben. Die PVA wird gemäß § 28 Abs 5 VwGVG zur Herstellung des der in dieser Entscheidung dargelegten Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustandes eine Entscheidung in der Sache vorzunehmen haben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (s. die oben angeführten Judikaturnachweise); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Ausgleichszulage, entschiedene Sache, wesentliche ÄnderungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W164.2214306.1.00Zuletzt aktualisiert am
02.07.2020